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6 Islamisierung in Pakistan und ihre Folgen
ОглавлениеIm übriggebliebenen (West-)Pakistan versuchte Z.A. Bhutto den sogenannten islamischen Sozialismus einzuführen, konnte damit die anstehenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes allerdings nicht lösen:38 Die Verfassung von 1973 definierte den Islam als Staatsreligion und legte Gewaltenteilung zwischen föderativen Provinzen und Regierung fest. Auf Druck islamischer Kräfte machte Bhutto das Zugeständnis, den Staat binnen neun Jahren zu islamisieren. Die Verstaatlichungspolitik führte jedoch zur Verarmung großer Teile der unteren Mittelschicht, die sich 1970 für die Partei Bhuttos eingesetzt hatten; gesellschaftliche Spannungen äußerten sich in politischer Opposition, die gewaltsam unterdrückt wurde.
In solch angespannter Situation schienen Islamparteien mit ihrem Ruf nach der Schaffung eines sogenannten »Muhammadanischen Systems« (nizam-e mustafa) eine Alternative zu bieten. Islamisierung allenthalben war ihr Schlagwort; sie strebten keine radikale Lösung aus der Staatsökonomie an, sondern eher eine Koordinierung von überliefertem islamischem Brauchtum und moderner Wirtschaft. Die Unzufriedenheit war in wirtschaftlich entwickelten Gebieten aufgekommen, dort nämlich, wo sich die Kluft zwischen Tradition und Moderne am deutlichsten zeigte. Die Islamparteien wurden zu Sammelbecken dieser unzufriedenen Kräfte – Mittelschicht, Kleinhändler, Industriearbeiter, viele Intellektuelle – und bemühten sich um eine Alternative zum Bhutto-System, das ihnen daraufhin 1977 gezwungenermaßen weitere Zugeständnisse machte; u. a. die Einführung des Freitags anstelle des christlichen Sonntags als Feiertag und die »Exkommunizierung« der Aḥmadiyya sowie die erstmalige staatliche Anerkennung der Urkunden einiger religiöser Schulen. Darüber hinaus waren die USA beunruhigt über Bhuttos Außenpolitik, da er sich für die Belange der »Dritten Welt« engagierte und mit dem Bau einer nuklearen Waffe drohte.
Trotz der weitgefächerten Opposition (Pakistan National Alliance: ein Konglomerat von neun Parteien, von ganz links bis ganz rechts) setzte sich Bhuttos Partei in den Wahlen 1977 überraschenderweise durch. Die Opposition pochte wegen angeblichen Wahlschwindels auf Neuwahlen, woraufhin sich die Unruhen verstärkten. Der Slogan des Tages, den die politische Partei der Barelwis, die »Vereinigung der Gelehrten Pakistans« (Jamaʿat-e 'Ulama-ye Pakistan), schon 1970 eingeführt hatte, wirkte erneut mobilisierend und solidaritätsstiftend. Als der ohnehin instabile Staat erneut auseinanderzufallen drohte, intervenierte das Militär, das – nach der »Tragödie« von 1971 in den Hintergrund gedrängt – die Rufe nach einem »Muhammadanischen System« bereitwillig aufgriff. Der Oberbefehlshaber des Militärs, Zia ul-Haq (reg. 1977–1988) versprach baldige Wahlen, verzögerte sie aber um mehrere Jahre, ließ Bhutto verhaften und schließlich hängen (1979). Fortan stabilisierte er seine Macht durch verschiedene Verfassungsänderungen unter dem Deckmantel, ein islamisches Gesellschaftssystem herzustellen, und ließ sich in einem ominösen Referendum 1984 als einzig legitimer Herrscher bestätigen. Die Wahlen von 1985 fanden nur auf der Basis individueller Parlamentssitze statt, nicht auf Parteibasis; eine ernsthafte Opposition war daher ausgeschlossen. Eine unheilige Allianz zwischen Militär, Bürokratie und islamistischen Führern stützte die Islamisierungsbestrebungen Zias, während sich die meisten sunnitischen Gelehrten sowie die schiitische Minderheit (etwa 14%) gegen eine solche Politik aussprachen, nicht weil sie im Grad der Islamisierung nicht weit genug ginge, sondern weil sie ihren islamischen Grundsätzen nicht entsprach. Durch Schaffung finanzieller Abhängigkeiten – vornehmlich durch das seit 1980 verstaatlichte islamische Almosensystem (zakat) – und durch die offizielle Anerkennung der Urkunden aller in Dachverbänden organisierten religiösen Schulen (dini madaris) gelang es dem Regime jedoch, die Geistlichen eine Zeitlang zum Einlenken zu bringen. Dies führte zu vermehrter Gründung islamischer Institutionen und zum spektakulären Anstieg der Anzahl ihrer Absolventen. Gleichzeitig wurde eine Regionalisierung des Islam deutlich: Jede muslimische Gruppe (Deobandis, Barelwis, Ahl-e Hadith, Schiiten und Jamaʿat-e Islami) dominiert in spezifischen Regionen und sozialen Kreisen. Die Durchsetzung einer universalisierenden Islamisierung hat schon deshalb keine Chance. Fatal ist jedoch, dass die Vertreter des kolonialen Bereichs und die staatlichen Islamisierungsagenten keine programmatische Eingliederung für die nun aus den verschiedenen Gebieten in den urban-zentrierten Arbeitsmarkt strömenden Islamgelehrten trafen – ein Problem, das sich in den kommenden Jahren noch verstärken sollte.
Statt dessen versuchten sie, die bestehenden autonomen und autochthonen Strukturen durch eine Vielzahl islamistisch sanktionierter Maßnahmen aufzulösen, die staatliche Gewalt in noch unberührte Regionen einzuführen, den nationalen Markt durch eine islamische Nomenklatur (z. B. islamisches Wirtschaften) zu konsolidieren und damit die eigenen Interessen zu legitimieren und zu erweitern. Eine ideologisierende Geschichtsschreibung, die Stärkung des arabisierten Urdu, sowie der Aufbau einer weitgreifenden Administration waren dafür probate Mittel. Mit der Einführung von Blasphemiegesetzen konnten unliebsame Kräfte – allen voran religiöse Minderheiten sowie die Ahmadis – sogar mit Todesstrafe konfrontiert werden. Zudem versuchten die Mujahidin ihre Unabhängigkeit durch den Sturz des von Moskau gestützten linken afghanischen Regimes wiederherzustellen. Dschihad wurde zum Hauptthema in den Lehrbüchern, das zwischen 1986 und 1994 in einem mit USAID Geldern in Höhe 50 Millionen US-Dollar gesponserten Programm für Madresen in Pakistan entworfen wurde.39 Gleichzeitig sahen westliche Unternehmen und Konzerne in Allianz mit dem kolonialen Bereich neue Absatz- und Expansionsmöglichkeiten. Dadurch erhielt das Zia-Regime notwendige internationale Legitimation. Die kurzsichtige Islamisierungspolitik hat innerhalb einer noch teilweise funktionierenden traditionellen Gesellschaft allerdings große unvorhergesehene, jedoch vorhersehbare Probleme geschaffen. Sie steuert zur Eskalation des bestehenden Konfliktpotentials bei, zumal auch nach dem rätselhaften Tod Zias 1988 die demokratisch gewählten Regierungen eine aktive Partizipation regionaler Kräfte, insbesondere der im Vormarsch befindlichen religiösen Würdenträger, mit Argwohn betrachten. Insofern hat sich die Islamisierungspolitik als ein schwer abzufangender Bumerang erwiesen, denn mit diesen Problemen haben die staatlichen Agenten eines Islamismus am wenigsten gerechnet: »die Geister, die ich rief...«. Statt der Schaffung der versprochenen, wie auch immer harmonisierenden Islamisierung und der postulierten egalitären Gesellschaftsordnung erwachten neue, einander befehdende islamische Gruppierungen, die sich zunehmend radikalisierten, so auch die schiitische Minderheit. Kämpfe um wirtschaftliche und politische Vormacht zwischen verschiedenen Ethnien und Sprachgruppen werden oft religiös legitimiert, greifen allmählich von den Städten auf das Hinterland über, lancieren Regionalismen und bedrohen so die Stabilität der Reste des kolonialen Staates.
Auch wenn nach Zias Tod die PPP unter Führung von Benazir Bhutto (reg. 1988–1990, 1993–1997; ermordet 2007) und die Muslim Liga unter Nawaz Sharif (reg. 1990–1993, 1997–1999) in einem auch von Taliban heimgesuchten Land einen Demokratieprozess in Gang setzte, intervenierte das Militär unter dem Vorwand der Korruption. Der Militär-Coup Parvez Musharrafs 1999 mündete in eine repressive Politik des »Enlightened Moderation«. Tatsächlich setzte er sich – mit eiserner Hand – für Modernisierung auch des islamischen Rechts ein, war aber nach dem 11. September 2001 im Zuge des »Kampfes gegen den Terror« (War on Terror) gezwungen, die US-Amerikaner zu unterstützen. Musharraf trat schließlich 2008 zurück und bot der PPP die erneute Möglichkeit, an die Macht zu gelangen, dieses Mal unter Asif Zardari (reg. 2008–2013). In dessen Amtszeit fallen religiös motivierte Morde an zwei führenden Staatsrepräsentanten (2011), die sich für die Freilassung einer wegen angeblicher Blasphemie zum Tode verurteilten Christin eingesetzt haben. Dass Lynchjustiz und Zelebrieren dieser Morde durch Zeloten auch in die erneute Regierungszeit Nawaz Sharifs (reg. 2013–2017) fallen, zeigt die wachsende Straßenmacht (street power) unzufriedener Gesellschaftssegmente, wie sich aus den jüngsten Ereignissen um das Blasphemiegesetz ablesen lässt. So findet auch der anfangs in Teil 1 genannte Ausruf al-Hajjajs »Ya Labbaik« in der 2015 ins Leben gerufenen »Tahrik-e Labbaik Pakistan« (TLP) seine Aktualisierung. Bei den Wahlen 2018 konnte sich TLP überraschend als dritt-größte Partei etablieren, weil sie sowohl in städtischen Ballungszentren ihre Wählerschaft aus niedrigen Einkommensgruppen und der Arbeiterklasse – bäuerliche Städter sozusagen –, als auch aus Handelsgesellschaften rekrutiert, die unter den Auswirkungen der Globalisierung gelitten haben. Auch wenn der mit Hilfe des starken Militärs 2018 an die Macht gekommene ehemalige Cricket-Spielführer Imran Khan (geb. 1952) und dessen Pakistan Tahrik-e Insaf (PTI; »Pakistan Gerechtigkeitsbewegung«) ein wie auch immer geartetes Medina-ähnliches »Neues Pakistan« (Naya Pakistan) zu schaffen versprechen, sind sie von den Drohungen der Befürworter der Blasphemie-Gesetze nicht verschont geblieben.
Der jahrelange Machtwechsel zwischen denselben Parteien gleicht der politischen Kultur Bangladeschs, das, ebenso wie Pakistan, zwischen 2008 und 2017 von Selbstmordattentaten und steigenden inner-muslimischen Kämpfen heimgesucht wurde. Ob diese Auswüchse den blutigen Weg hin zur Demokratie zeigen, über dem stets das Damoklesschwert des Militärs hängt, bleibt offen. Allerdings gibt es eine reichhaltige und bunte Religionslandschaft, die sich hier wie dort durch alltagsreligiöse Veranstaltungen an Heiligtümern und Mystik niederschlägt, während alternative Islam- und Säkularismusinterpretationen weit verbreitet sind. Javed Ghamidi (geb. 1951) und Khalid Masud (geb. 1939) etwa setzen sich mit traditionellen Mitteln des Islamdiskurses für eine Humanisierung der Gesellschaft ein, der Sufi-Rock der international bekannten Musikgruppe Junoon besingt nationale Identität, Freiheit und Liebe.40 Solche Stimmen sind aber stets dem Zorn der Straße ausgesetzt, der jederzeit sein grausames Gesicht zeigt, wie zahlreiche tödliche Attentate auf Minderheiten und weitverbreitete Lynchjustiz deutlich machen.