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1 Theoretische Impulse zu alterssensiblen Normabweichungen Stefan Pohlmann

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Die Arbeitsgruppe des Herausgebers in der Forschungsabteilung für interdisziplinäre Gerontologie der Hochschule München hat sich erstmals 2008 mit den in diesem Band behandelten Themen intensiver auseinandergesetzt. Dabei ging es zunächst um die grundsätzliche Frage, ob mit der Zunahme gesünderer aktiver älterer Menschen vermehrt regelwidriges Verhalten und Normverstöße in dieser Altersgruppe zu erwarten sind. Zu klären galt der genaue Zusammenhang zwischen demografischer Entwicklung und Delinquenz. Wenn mehr ältere Menschen in der Bevölkerung auftreten, wie wirkt sich dies auf die Wahlmöglichkeit in eben dieser Gruppe aus, gesellschaftlich erwünschte oder aber auch gesellschaftlich sanktionierte Handlungen zu vollziehen? Bleibt der prozentuale Anteil von Straftäterinnen und Straftätern in den verschiedenen Altersgruppen stets gleich oder verändern sich die absoluten Zahlen nach einer anderen Logik? Welche altersspezifischen Arten von Delinquenz lassen sich zudem erkennen und wie genau kann man die Dunkelfelder von Straftaten alterssensibel beleuchten? Und schließlich: Gilt das Erwachsenenstrafrecht lebenslang oder sind im hohen Alter andere Maßstäbe und Maßnahmen nötig?

Bereits zum damaligen Zeitpunkt erschien die Ausgangslage ideal für eine systematische Beforschung all dieser Fragen und für die Aufstellung und Überprüfung von forschungsleitenden Hypothesen und Annahmen. Zum einen gab es vor 12 Jahren kaum wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit diesen Aspekten eingehend beschäftigt hätten. Die zugrundeliegenden Phänomene konnten insofern als vergleichsweise neu und – von verdienstvollen Ausnahmen abgesehen – als weitgehend unerkundet bezeichnet werden. Zum anderen boten sich vielfältige Transferoptionen zwischen verschiedenen Disziplinen an – allen voran aus den Schnittstellenbereichen der Gerontologie und Kriminologie. In diesen wiederum bestanden viele Bezüge zu den Gesundheits-, Sozial- und Rechtswissenschaften sowie der Philosophie, die es aus der Perspektive einer alternden Gesellschaft und ihres Sozialverhaltens neu zu verbinden galt. Zudem zeichnete sich bereits damals ein klarer Anwendungsbedarf ab. Inwiefern sollten sich die verschiedenen Akteure und Professionen vorbereiten, um angemessene Schritte in den Feldern der Kriminalitätsprävention, Rechtsprechung, Bestrafung und Bewährung für ältere Menschen einzuleiten? Beste Grundvoraussetzungen für eine wissenschaftliche Untersuchung und zielgerichtete Analyse waren insofern gegeben.

Umso überraschender war vor diesem Hintergrund die formelle Absage eines von unserer Seite seinerzeit gestellten Forschungsantrags durch einen prominenten Drittmittelgeber. Ernüchternd wirkte dabei weniger die Absage an sich als vielmehr die beigefügte Begründung der zu diesem Zweck eingesetzten Fachbegutachtung. Darin wurde erläutert, dass entsprechende Untersuchungen wenig ergiebig erscheinen würden, da von einer grundsätzlichen Abnahme krimineller Energie mit zunehmendem Lebensalter auszugehen sei. Nun ist das Konzept der kriminellen Energie durchaus weit verbreitet und dient in erster Linie dazu, die schädigende Absicht von Tätern zu beschreiben. Bedeutet dies nun, dass ähnlich einer Batterie die Intentionalität einer Tat über die Lebenszeit einem strikten Verbrauchsmechanismus unterliegt? Ein alter Mensch könnte demnach schlicht nicht die erforderliche negative Kraft aufbringen, um sich gesetzeswidrig zu verhalten. Existiert zudem eine möglicherweise wachsende Gegenkraft positiver Natur? Die Überprüfung dieser und anderer Behauptungen ist eine wesentliche Motivationsquelle für diesen Sammelband.

Alter und Devianz

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