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1.2.3 Moralbezogene Ansätze

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Neben den bereits genannten Theorien existieren mehrere alternative Erklärungsmodelle für die übergreifende Veränderung von Kriminalität im Lebenslauf. Besonders eingängig sind Theorien einer entwicklungsbezogenen Moralentwicklung (vgl. Andrews & Bonta, 2006). In diese Kategorie fällt gleich eine ganze Reihe der oben genannten Ansätze, sofern sie auf den Aufbau eines moralischen Urteilsvermögens abzielen. Insofern sind sie fester Bestandteil mehrerer Kriminalitätstheorien. Aus der forensischen Forschung sind für diese Theorien zahlreiche Teilbestätigungen zur Erklärung von realen Straftaten vorgelegt worden (Müller & Nedopil, 2017). Eine intakte Moral auf der Grundlage der menschlichen Entwicklung schließt aber im Umkehrschluss kriminelles Verhalten nicht aus. Ansonsten würden Regelverstöße nicht mit Gewissenskonflikten und Schuldgefühlen einhergehen. Die subjektive Einstellung und persönliche Haltung einer Person macht zudem nicht unmöglich, dass sich Personen unter bestimmten Umständen dennoch über ihren eigenen Moralkodex hinwegsetzen. Die hierbei in Erscheinung tretenden Kontextvariablen zu ermitteln muss demnach ebenfalls bei der Ursachenbestimmung von Alterskriminalität ins Kalkül gezogen werden. In eben diese Richtung haben John Laub und Robert Sampson (1993) zur Erklärung von Jugendkriminalität argumentiert. Sie haben die These aufgestellt, dass das Ausmaß sozialer Kontrolle für die Entstehung oder das Unterbleiben von Rechtsverstößen dringend zu beachten sei. Durch eine retrospektive Biografieforschung haben sie in späteren Arbeiten (2003) die Idee von Wendepunkten im Leben weiter ausgearbeitet, die zu informellen Verpflichtungen beitragen, und eine rechtskompatible Ausrichtung bestärken. Eine allgemein gültige Entwicklungstheorie steht allerdings noch aus (vgl. Boers, 2019). Genau deshalb ist es so wichtig, Grenzen und Wirkungsgrad einzelner Theorien zu vergleichen, in Beziehung zu setzen und gegebenenfalls zu erweitern oder neu zu entwickeln.

Bedenken wir die hinreichend belegte Individualität und Vielfalt des Alters und Alterns (vgl. Stadelbacher & Schneider, 2020) sollten monokausale Begründungen – genauso wie die oben skizzierten Propagandaparolen totalitärer Nationen – mit Skepsis betrachtet werden. Simple Erklärungen für bestehende oder auch ausbleibende Alterskriminalität befördern die schon von Erdman Palmore beschriebene und bis heute erkennbare Tendenz (Stokes & Moorman, 2020) der kulturellen Altersdiskriminierung (Ageism).

»Ageism permeates our culture so thoroughly and conditions our attitudes and perceptions so much that most of us are unaware of most of the ageism in it.« (Palmore, 1999, S. 98)

All jene Vorstellungen, die vor diesem Hintergrund eine im Alter generell bestehende Vernunft, Weisheit, Gebrechlichkeit oder andere ubiquitär gültige Merkmale unterstellen, um eine vergleichsweise geringe Straffälligkeit im Alter zu begründen, bleiben solange diskriminierend, wie sie nicht ausreichend an der Realität überprüft werden. Für diese Realitätssicht ist kontinuierliche Forschung eine wichtige – wenn nicht gar zwingende – Voraussetzung.

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