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1.2.6 Kontextbezogene und reaktive Ansätze

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Sämtliche Anstrengungen, die als amtliche Reaktionen auf bekannt gewordene Straftaten oder Verdachtsmomente von Rechtsverstößen unternommen werden, sind unter dem Begriff der Kriminalitätskontrolle subsumiert (Kerner, 2015, S. 199). Nun ist hinreichend bekannt, dass alle Versuche einer vollständigen Kriminalitätskontrolle bislang gescheitert sein dürften. Als mögliche Gründe lassen sich neben den oben schon genannten Aspekten auch spezifische Umweltbedingungen und Außenreize anführen wie auch eine Art der Reaktanz von Personen, die Vorgaben nicht nachkommen wollen. Überlegungen, die sich mit genau diesen Besonderheiten beschäftigen, sind in diesem Abschnitt abschließend zusammenzufassen.

Abschreckung durch erwartete Sanktionen soll Kriminalität verhindern. Das ist ein wesentliches Prinzip im Rechtssystem (vgl. Paternoster & Piquero, 1995). Wenn aber die zu erwartenden rechtlichen Konsequenzen nicht ausreichend abschrecken, können sie auch nicht den gewünschten Präventionserfolg erzielen. Die Einschätzung von Gesetzen und die damit einhergehenden Strafandrohungen entfalten sich auf eine Gesellschaft nicht unbedingt gleich. In diesem Zusammenhang werden oftmals auch beeinflussende Peer-Groups und kriminalitätsfördernde Wohnghettos diskutiert. Bereits in den 1960er Jahren haben Clifford Shaw und Henry McKay (1969) die Kriminalität Jugendlicher und den damit einhergehenden Einfluss von sozialen und baulichen Stadtteilstrukturen untersucht. Ähnliche Gemeinwesen orientierte Forschungen haben George Kelling und Catherine Coles (1997) unternommen. Die negative Wirkung von bestimmten räumlichen Kontexten gilt heute als weitgehend unumstritten. Hier wäre genauer zu untersuchen, ob das Wohnumfeld gerade älterer Menschen auch positive Wirkungen hat oder haben könnte. Dies gilt insbesondere für das institutionelle Wohnen in Alten- und Pflegeheimen etwa in Bezug auf Wohnstandards der Heimmindestbauverordnung.

Eine weitere Vereitlung der Kriminalitätskontrolle besteht dann, wenn verübte Rechtsbrüche oder doch zumindest deren Aufdeckung nicht mit negativen Gefühlen wie Scham oder Gewissensbissen für die Täterinnen und Täter verbunden ist (vgl. Braithwaite, 1989). Stattdessen kann sich sogar ein Gefühl von Stolz einstellen. Beispiel dafür wäre etwa ein kriminelles Milieu, für das eine Vorstrafe als Auszeichnung und Loyalitätsbeweis eines Mitglieds gewertet wird. Es ist durchaus bekannt, dass sich gesellschaftliche Sub-Gruppen bewusst von geltenden Regeln abgrenzen können (vgl. Beier, 2016). Sonst verbindliche Normen werden als irrelevant und durch ein alternatives und für sich genommen bindendes Regelwerk ersetzt. Dieses kann diametral zum allgemeingültigen Regelwerk angelegt sein. Hier zeigt sich eine deutliche Nähe zu den oben angesprochenen kognitiven Ansätzen.

Entsprechende Entwicklungen lassen sich auf unterschiedliche Weise erklären. Sie können auch als Trotzreaktion und Formen des Widerstands verstanden werden (vgl. Sherman, 1993). Genährt werden diese durch die Unzufriedenheit mit der persönlichen Situation, fehlenden Respekt gegenüber staatlichen Instanzen oder aufgrund von Gefühlen der Versagensangst sowie der Enttäuschung, Willkür und Demütigung, denen man sich durch ein Regelwerk ausgesetzt fühlt. Solche Gemengelagen scheinen sich beispielsweise bei den derzeitigen Verschwörungs- und Querdenkern einzustellen, die zugleich ein Sammelbecken für weitere militante Strömungen darstellen.

Ob die geringere Kriminalität älterer Menschen einer höheren Konformität oder einer stärkeren Sozialkontrolle geschuldet ist, kann man aufgrund der unzureichenden Forschungslage nicht eindeutig beantworten. Denkbar wäre auch eine weniger intensive Strafverfolgung bei Straftaten, die durch solche Faktoren ausgelöst werden.

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