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2.2.3 Einordnung der PKS-Daten im System der Strafverfolgung

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Mit den erfassten Merkmalen zu Tatverdächtigen, Geschädigten und Tatumständen sowie der Bereitstellung von Häufigkeitszahlen und Zeitreihen ist die PKS die informationsreichste unter den veröffentlichten Statistiken, weil ihre Daten den engsten Bezug zum angezeigten Vorgang und die differenziertesten Daten zu Tatverdächtigen, (soweit erfasst) Opfern und Tatkonstellation aufweisen. Gleichwohl gibt die Polizeiliche ›Kriminal‹statistik kein vollständiges und gültiges Bild der Kriminalitätswirklichkeit; sie erfasst – als Hellfeldstatistik – zum einen zu wenig, zum anderen – als reine Verdachtsstatistik – zu viel:

Als Hellfeldstatistik erfasst die PKS nur polizeilich registrierte Vorgänge und somit allenfalls einen Ausschnitt des tatsächlichen Geschehens, abhängig von der Deliktswahrnehmung und der (alters- wie deliktsabhängig unterschiedlichen) Anzeigebereitschaft der Geschädigten sowie der (deliktsabhängig extrem unterschiedlichen) Aufklärungsquote. Aber auch aus dem Hellfeld der bekanntgewordenen und behördlich bearbeiteten Rechtsbrüche fehlt ein erheblicher Teil in der PKS: Ab dem Statistikjahr 1963 wurden die Straftaten im Straßenverkehr aus der PKS ausgenommen, mit der Folge, dass die Zahl der Tatverdächtigen insgesamt um 35 %, der Tötungsdelikte um mehr als 70 % zurückging. Ein erheblicher Teil der Tatverdächtigen bei Straftaten mit schwersten Folgen für Leib und Leben der Geschädigten ist seitdem in der PKS nicht mehr nachgewiesen. Lediglich der Strafverfolgungsstatistik lässt sich entnehmen, dass die mit Strafurteil geahndeten Fälle fahrlässiger Tötung (2019: 770 Verurteilte) zu ¾, bei den Verurteilten ab 70 Jahren zu 4/5 auf schuldhaftes Fehlverhalten im Straßenverkehr zurückgehen.

Das entspricht Befunden der Unfallstatistik, wonach Senioren zwar – bezogen auf ihren Bevölkerungsanteil – unterdurchschnittlich am Verkehrsaufkommen wie an den registrierten Unfällen beteiligt sind; ihr Anteil an den Hauptverursachern von Unfällen mit Personenschäden hat sich jedoch von 5 % (1991) auf 17 % (2019) bereits mehr als verdreifacht.11 Senioren ab 65 Jahren wurde bei Unfallverwicklung als Pkw-Fahrer zu 68 % das Hauptverschulden zugeschrieben, ab 75 Jahren zu 75 %, hier bei Unfällen mit Personenschaden sogar zu 86 % – häufiger als in allen jüngeren Altersgruppen, selbst den als Hochrisikogruppe geltenden 18- bis 24-Jährigen (Statistisches Bundesamt 2020, 10; 29; 38). Zugleich sind die Senioren die Gruppe, für die das Fahrerlaubnisregister (früher: Verkehrszentralregister) in Flensburg allein in den Jahren 2015 bis 2018 einen auffälligen Zuwachs um 27 % bei den ab 65-Jährigen ausweist (bei einer Bevölkerungszunahme der Altersgruppe um 4 %).12

Während so nur ein Ausschnitt des Deliktsgeschehens in die polizeilichen Statistiken eingeht, fehlt die den Prozess der Strafverfolgung abschließende justizielle Bewertung: Die PKS weist erheblich zu viel nach, gemessen am abschließenden Kriminalitätsverdikt, welches nur eine Minderheit der Fälle und Tatverdächtigen der Polizeilichen ›Kriminal‹-Statistik trifft.

So kommen auf 100 strafmündige Tatverdächtige der PKS weniger als 45 Angeklagte und nicht mehr als ca. 30 tatsächlich Verurteilte. Bei der Mehrzahl der Tatverdächtigen der PKS verneint die Staatsanwaltschaft die sachlichen und/oder rechtlichen Voraussetzungen für Klageerhebung oder Strafbefehl oder das öffentliche Interesse an der Klageerhebung. Förmlich (durch Strafbefehl oder Strafurteil) sanktioniert wird schließlich weniger als jede(r) dritte Tatverdächtige, nur etwa 2 von 100 Tatverdächtigen zu einer unbedingten Freiheitsstrafe. Die nachfolgende Abbildung ( Abb. 2.2) zeigt lediglich Größenordnungen, keine echten Untermengen, da PKS-Nachweis, staatsanwaltschaftlicher und schließlich gerichtlicher Verfahrensabschluss in verschiedenen Statistikjahren erfasst sein können.


Abb. 2.2: Größenordnungen im Hellfeld der Kriminalstatistiken13

Der Prozess der Strafverfolgung ist ein Prozess der schrittweisen Ausfilterung, wobei die Zusammensetzung der verbleibenden Population sich nach strafrechtlichen wie nach soziodemografischen Merkmalen jeweils verändert. So agieren junge Tatverdächtige häufiger im öffentlichen Raum (was ihr Tun sichtbarer macht), dabei ungeplant und weit unprofessioneller als Erwachsene, haben weniger Zugang zu den schadensintensiven, aber schwer aufklärbaren Deliktsfeldern wie Betrugs-, Steuer- und Wirtschaftskriminalität, sind seltener anwaltlich vertreten, dafür häufiger geständnisbereit als Erwachsene; nach Jugendstrafrecht Verurteilte werden (entgegen verbreitetem Vorurteil) bei vergleichbaren Delikten keineswegs überwiegend milder, sogar häufiger freiheitsentziehend sanktioniert (Spiess 2012), Senioren dagegen seltener (und seltener freiheitsentziehend): Auf 100 als tatverdächtig registrierte Senioren ab 60 Jahren kommen 14 Verurteilte, halb so viele wie auf Strafmündige unter 60 Jahren; Senioren stellen unter den als tatverdächtig Registrierten 8 %, unter den Verurteilten 6 %, unter den Strafgefangenen nurmehr 4 %, dagegen unter den Sicherungsverwahrten infolge langer Unterbringungsdauer 29 %.14 Dementsprechend ist auch für die weiteren Schritte im Strafverfolgungsprozess eine altersdifferenzierte Betrachtung angezeigt; die veröffentlichten Statistiken zur staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Fallbehandlung und zur Vollzugspopulation ermöglichen das in unterschiedlicher Tiefe und unterschiedlicher Kombination mit Tat- und Personenmerkmalen

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