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2.3 Zahlen sprechen nicht für sich: Kriminalstatistische Messgrößen

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Die Zahlen der Kriminalstatistiken – zumal die nicht nach Alter differenzierten Zahlen – »sprechen nicht für sich«20; sie bedürfen der Einordnung und der Wahl geeigneter Bezugsgrößen. Zu den Aufgaben der Kriminalstatistik gehört deshalb ihre auch alterssensible Differenzierung und Erklärung. Welche Messgrößen eignen sich für die Analyse und Bewertung der kriminalstatistischen Daten?

Absolute Zahlen sind für die Darstellung des Geschäftsanfalls der Instanzen und der zivilgesellschaftlichen Akteure in Beratung und Prävention, Opferhilfe, Strafvollzug und Straffälligenhilfe von Belang, insbesondere wenn es darum geht, den künftig wachsenden besonderen Ressourcenbedarf in Hinblick auf die Altersgruppen der Senioren einzuschätzen. Die Einordnung und Bewertung der kriminalstatistischen Daten setzt dagegen die Wahl geeigneter Bezugsgrößen zur Berechnung von Kriminalitätsquotienten voraus. Besonders in Bezug auf die Gruppe der Senioren ist stets die Einordnung von Tatverdächtigen- und Opferzahlen auf dem Hintergrund der Bevölkerungsstruktur und der demografischen Entwicklung geboten: Eine Zunahme absoluter Zahlen registrierter oder verurteilter Senioren lässt nicht erkennen, wieweit sie alleine Folge der demografischen Entwicklung oder einer echten Zunahme innerhalb der Altersgruppe ist.

• Gesamtzahlen der in der PKS registrierten Fälle oder Tatverdächtigen zählen Delikte ganz unterschiedlicher Schwere zusammen: ein Fall des Ladendiebstahls oder Schwarzfahrens wird genauso gewichtet wie ein Fall von Raub, Vergewaltigung oder Mord. An der Gesamtzahl der Fälle haben Gewaltdelikte einen Anteil von 3 %, Vergewaltigung weniger als 0,2 %, Tötungsdelikte weniger als 0,05 %. Anhand von PKS-Gesamtzahlen (mit ca. 50 % Bagatelldelikten) lässt sich die Entwicklung der Sicherheitslage nicht beurteilen, noch weniger anhand der Aufklärungsquote.

• Aufklärungsquoten (AQ), berechnet als Anteil der Fälle, in denen (mindestens) ein Tatverdächtiger registriert wurde (2019: 57 %) werden gerne als Qualitätsbeweis der Polizeiarbeit herausgestellt – tatsächlich spiegeln sie die unterschiedlich hohen Anteile solcher Delikte wieder, bei denen (wie bei Ladendiebstahl, AQ: 90 % und Schwarzfahren, AQ: 99 %) mit dem Fall regelmäßig schon der Tatverdächtige zur Anzeige gebracht wird – also polizeilich nichts ›aufgeklärt‹ wird und die für Sicherheit und Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit belanglos sind, anders als die – selteneren, aber ermittlungsintensiven – Fallgruppen wie Wohnungseinbruch (AQ: 17 %) oder Taschendiebstahl von Bank- und Kreditkarten (AQ: 2 %). Unterschieden werden muss zwischen sicherheitsrelevanten Delikten (Kontakt-, Einbruchs- und Gewaltdelikten) und sog. Kontrolldelikten (Schwarzfahren, Ladendiebstahl, Betäubungsmitteldelikte), deren Registrierungshäufigkeit fast nur von der Kontrolldichte abhängt.

• Absolute und prozentuale Veränderungen zum Vorjahr sind wegen der Streuung der Zahlen nicht geeignet, Trends und bedeutsame Veränderungen zu identifizieren. Geeigneter sind Zeitreihen der bevölkerungsbezogenen Häufigkeitszahlen.

Der vergleichenden Bewertung dienen Quotienten, die die absoluten Zahlen der PKS, der Verurteilten, der Inhaftierten in Relation zu einer sinnvollen Bezugsgröße setzen:

• Prozentanteile – berechnet als Quotient des Umfangs einer Untergruppe geteilt durch den Umfang der Grundgesamtheit – können die Altersstruktur (Bevölkerungsanteil der Senioren) oder die altersspezifische Deliktstruktur (Anteil von Eigentums-, Gewalt-, Verkehrsdelikten) darstellen. Prozentanteile an der Gesamtzahl aller Registrierten – Anteil der Jugendlichen, Nichtdeutschen, Senioren an den Tatverdächtigen oder Opfern (›x % der Tatverdächtigen sind Nichtdeutsche; y % der Opfer sind Senioren‹) – sind ohne geeignete Bezugsgrößen weniger aussagekräftig als – umgekehrt – der Anteil der Tatverdächtigen oder Opfer an der jeweiligen Altersgruppe als Prozent (je 100) oder (kriminalstatistisch gebräuchlicher) als Häufigkeitszahl je 100.000 der entsprechenden Wohnbevölkerung.

• Häufigkeitszahlen setzen die Zahl der im Statistikjahr registrierten Fälle, Tatverdächtigen, Opfer, Verurteilten, Inhaftierten in Relation zu einer Grundgesamtheit als Bezugsgröße: Fallbelastungszahlen, Tatverdächtigenbelastungszahlen, Opfergefährdungszahlen, Verurteiltenzahlen, Gefangenenzahlen je 100.000 einer Bezugspopulation (gesamte, deutsche, strafmündige, altersgleiche, örtliche Bevölkerung). Häufigkeitszahlen ermöglichen den Vergleich von Einheiten unterschiedlicher Größe (Gemeinden/Regionen, Bevölkerungs , Altersgruppen) und verschiedener Jahre.

• Auch für die Zu- und Abnahme der so berechneten Häufigkeitszahlen gilt (besonders bei kleinen absoluten Zahlen etwa für Gewaltdelikte), dass kurzfristige Änderungen gegenüber dem Vorjahr nicht aussagekräftig sind. Erst die Darstellung von Zeitreihen der Häufigkeitszahlen und die Berechnung von Trends oder gleitenden Mittelwerten über einen jeweils mehrjährigen Zeitraum lässt stabile Veränderungen erkennen. Für den Vergleich der Entwicklung sehr unterschiedlicher Größen, etwa der Belastungszahlen von Jugendlichen und Heranwachsenden mit der wesentlich geringeren der Senioren, eignen sich indexierte Zeitreihen, in denen die (je unterschiedlichen) Werte des Ausgangsjahrs auf 100 gesetzt werden; alle Folgewerte werden durch diesen Ausgangswert dividiert und mit 100 malgenommen; ein Wert von 110 zeigt eine 10 %-Zunahme der Häufigkeitszahl gegenüber dem Ausgangsjahr.

• Bevölkerungsbezogene Häufigkeitszahlen können hinreichend genau nur für deutsche Tatverdächtige, Verurteilte, Gefangene berechnet werden, da für nicht zur Wohnbevölkerung erfasste Personen (Durchreisende, Touristen, Arbeits- und Einkaufspendler, Migranten ohne Aufenthaltsstatus, illegal Eingereiste, Stationierungsstreitkräfte mit Familien) keine Bezugsgröße bekannt ist. Liegen Statistiken nicht für Deutsche und Nichtdeutsche differenziert vor, führt die Berechnung von Häufigkeitszahlen zu systematisch überhöhten Werten, wenn im Zähler, nicht aber im Nenner auch nicht zur Wohnbevölkerung zählende Personen eingerechnet sind. Aus demselben Grund ist bei Tatverdächtigenbelastungszahlen von Orten oder Ortszentren mit vielen Einpendlern nach der Tatort-Wohnort-Beziehung zu differenzieren.

• Nicht immer ist die Wohnbevölkerung die geeignete Bezugsgröße. So haben die in Großstädten im Bereich des ÖPNV registrierten Delikte zwar absolut zugenommen, in Relation zu den gestiegenen Beförderungszahlen (Personen, Personenkilometer) jedoch abgenommen; Senioren sind im Verhältnis zur Wohnbevölkerung unterdurchschnittlich an Unfällen beteiligt, im Verhältnis zu ihrer Verkehrsbeteiligung jedoch überproportional häufig.

• Bei der Bewertung der Kriminalstatistiken und ihrer Veränderung über die Zeit darf nicht vernachlässigt werden, dass es sich bei Hellfelddaten um einen selektiven Ausschnitt der Wirklichkeit handelt, abhängig je nach Alter und Täter-Opfer-Konstellation insbesondere vom Anzeigeverhalten und dessen Veränderung. Kriminologische Dunkelfeldstudien – Bevölkerungsbefragungen zur Erfassung auch nicht registrierter Delinquenz – haben gezeigt, dass die langjährige Zunahme registrierter Gewaltdelikte nach 1990 bei jungen Tatverdächtigen überwiegend nicht auf eine reale Zunahme, sondern auf die zunehmende Aufhellung des Dunkelfelds durch infolge erhöhter Anzeigebereitschaft zurückzuführen ist.21 Zur Ergänzung und Einordnung der PKS-Daten soll eine regelmäßige bundesweite Bevölkerungsbefragung (›Sicherheit und Kriminalität in Deutschland‹ SKiD, www.bka.de/skid) neben Daten zum Dunkelfeld nicht registrierter Delikte auch Ausprägung und Veränderung des Anzeigeverhaltens erheben.

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