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Nikolaus von Amsdorf
(1483–1565) 1. Leben und Wirken

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Nikolaus von Amsdorf, geboren am 3. Dezember 1483, stammte aus einer Familie hochgestellter Beamter am kursächsischen Hof und war mütterlicherseits ein Neffe von Johannes von Staupitz. Er studierte in Leipzig, bevor ihn sein Onkel 1502 an die neu gegründete Universität Wittenberg holte. Dort lehrte er in der Artistenfakultät und der theologischen Fakultät in via Scoti, aber wohl – wie damals üblich – indem er Elemente aus verschiedenen mittelalterlichen philosophischen Traditionen zusammenfügte, ohne einen konsequenten Scotismus zu vertreten. Später behauptete Amsdorf, er sei auch mit der Theologie des Thomas von Aquin gut vertraut gewesen. Nach der Ankunft Martin Luthers in Wittenberg wurden die beiden Gleichaltrigen Freunde. Amsdorf gehörte zu den Ersten, die sich von Luthers reformatorischen Gedanken überzeugen ließen. Er begleitete den Reformator 1519 zur Disputation mit Johannes Eck nach Leipzig und ritt mit ihm auch 1521 nach Worms. Als Philipp Melanchthon 1518 nach Wittenberg kam, war Amsdorf kurzzeitig dessen Gastgeber. Beide arbeiteten im Sinne der Reformation effektiv mit Luther in Wittenberg zusammen.

Als 1524 der Rat der Stadt Magdeburg Luther einlud, nach Magdeburg zu kommen, um dort die Reformation einzuführen, schlug dieser Amsdorf für die Aufgabe vor. Bis 1542 wirkte Amsdorf dort als Superintendent, führte eine Schulreform durch und stand in permanenter Auseinandersetzung mit den altgläubigen Domherren, die ihn und seine evangelischen Mitarbeiter mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen bedrohten. Auch mit anderen Altgläubigen, mit Täufern und sog. Sakramentierern hatte er sich auseinanderzusetzen, wie sich in einer Reihe von kurzen, polemischen, populär gehaltenen Schriften Amsdorfs zeigt. Auch die Reichsstädte Goslar (1528) und Einbeck (in den 1530er Jahren) baten ihn um Hilfe bei der Durchführung |17|der Reformation. Eine wichtige Rolle als Berater spielte er ebenfalls bei der Einführung der Reformation in Hannover (1534) und im Herzogtum Sachsen (1539). Während seiner Magdeburger Zeit blieb Amsdorf in stetigem Kontakt mit Luther und dessen Kollegen in Wittenberg sowie mit dem kurfürstlich-sächsischen Hof.

Eine neue Herausforderung ergab sich für ihn, als Kurfürst Johann Friedrich im Jahre 1542 das Bistum Naumburg-Zeitz in seinen Einflussbereich zu bringen suchte. Zwar hatten die Stiftsherren nach dem Tod des alten Bischofs den altgläubigen Julius Pflug als Nachfolger gewählt, aber auf Veranlassung des Kurfürsten mussten sie den reformatorisch gesinnten Amsdorf als Bischof akzeptieren. Luther selbst ordinierte ihn am 20. Januar 1542 – die erste evangelische Bischofsordination. Aber Amsdorf stieß im Grunde nirgendwo auf Akzeptanz. Er hatte sich sowohl mit der Opposition des kurfürstlichen Administrators Melchior von Creutzen und der evangelischen Pfarrerschaft im Land als auch mit dem Widerstand der Domherren und der Adligen des Bistums auseinanderzusetzen.

Schon in den 1530er und 1540er Jahren hatten sich zusätzlich Spannungen zwischen Amsdorf und Melanchthon ergeben, die aber wegen ihrer Freundschaft nie öffentlich ausgetragen wurden. Dies zeigt, wie vielfältig sich die reformatorische Theologie innerhalb des Wittenberger Kreises artikulieren konnte, ohne dass dies zunächst zu größeren Verwerfungen führte. Die Lehre, die Reue sei eine conditio sine qua non für die Seligkeit, die der ehemalige Magdeburger Schulrektor und Mitarbeiter Amsdorfs in Magdeburg, Caspar Cruciger, unter dem Einfluss Melanchthons als Professor in Wittenberg in einer Vorlesung geäußert hatte, erweckte in Amsdorf die Befürchtung, dass Melanchthon womöglich zur mittelalterlichen Werkgerechtigkeit zurückkehren würde (1536). Seine Kritik richtete sich in den Jahren 1536 und 1541 auch auf Melanchthons Lehre de contingentia (Loci communes, 1535), die im Gegensatz zu Luthers Lehre von der necessitas absoluta (De servo arbitrio, 1525) stand. Unterschiede gab es auch in der Einschätzung des Verhältnisses von Kirche und Obrigkeit, denn Amsdorf war ein Vertreter kompromissloser Obrigkeitskritik, von der er auch aus Gründen notwendiger Entscheidungsfindung nicht abwich. So blieb er z.B. – anders als Luther und Melanchthon – bei seiner strikten Ablehnung der Doppelehe Philipps von Hessen (1540). Auf diplomatisches Verhandeln und Konsenssuche konnte und wollte sich Amsdorf nicht einlassen. So wandte er sich gegen alle Versuche, mit den Altgläubigen in Gespräche einzutreten, auch gegen Melanchthons Bemühen in den Religionsgesprächen von Worms und Regensburg (1540–1542). Dies betraf auch die von Melanchthon und Martin Bucer verfasste Schrift zur Kölner Reformation (1543), von deren Abendmahlslehre sich Amsdorf distanzierte. All diese, auch ins Private hineinreichenden Spannungen deuten die späteren Streitigkeiten innerhalb des Wittenberger Kreises um das theologische Erbe Luthers und Melanchthons bereits an.

|18|Als Kaiser Karl V. im Jahre 1546 gegen den evangelischen Schmalkaldischen Bund zu Felde zog, rief Kurfürst Johann Friedrich Amsdorf an seinen Hof in Weimar, da der mit dem Kaiser verbündete Herzog Moritz von Sachsen drohte, das Bistum Naumburg zu besetzen. Dies war für Amsdorf das Ende des sog. „Naumburg-Zeitzer Bischofsexperiments“. Amsdorf kehrte weder nach Naumburg noch jemals nach Zeitz, seinem bischöflichen Wohnsitz, zurück, zumal die Naumburger Domherren nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes im April 1547 und der darauffolgenden Gefangenschaft Johann Friedrichs auf Pflug als ihren Bischof zurückkamen. Der neue Kurfürst, Moritz von Sachsen, den Amsdorf u.a. als „Judas von Meißen“ qualifizierte, garantierte Pflug seine Position. Amsdorf seinerseits ging Ende 1548 von Weimar nach Magdeburg, wo sich eine Gruppe von Widerständlern gegen die kaiserliche Politik und das auf Rekatholisierung zielende Augsburger Interim sammelte. Dieser lose organisierte Kreis favorisierte die Theologie Luthers und grenzte sie scharf von derjenigen Melanchthons ab, wann immer sie deren Positionen voneinander differieren sahen. Die führenden Geister dieser Gruppe, die man seit dem 18. Jahrhundert oft als „Gnesiolutheraner“ bezeichnete, waren Matthias Flacius Illyricus, der zuvor an der Universität Wittenberg Hebräisch gelehrt hatte, der exilierte Regensburger Superintendent Nikolaus Gallus und Amsdorf, der ihnen als Vorbild in Theologie und Kirchenleitung galt. Amsdorf nahm an der Publizistik der Magdeburger gegen das Interim teil und unterstützte die Widerstandslehre, die man zur Rechtfertigung der Magdeburger Ablehnung des Interims und der Autorität des Kaisers in Religionssachen entfaltete. Seine Kritik am Augsburger Interim richtete sich gegen die Wiedereinführung altgläubiger Lehre und Praxis, die das kaiserliche Dokument für die evangelischen Stände vorsah.

Aber auch die Leipziger Landtagsvorlage, mit der Georg von Anhalt, Melanchthon und seine Wittenberger Kollegen versuchten, eine Alternative zum kaiserlichen Interim zu entwerfen, wurde für Amsdorf zum Stein des Anstoßes. Denn dieser von Flacius als „Leipziger Interim“ verunglimpfte und 1549 veröffentlichte Text sah vor, unter Beibehaltung der evangelischen Lehre zu verschiedenen Gebräuchen der mittelalterlichen Frömmigkeit zurückzukehren. Die Argumentation Melanchthons, dass Riten und Zeremonien, die in der Heiligen Schrift weder verboten noch geboten sind, neutral – griechisch: adiaphora – seien, konnte sich Amsdorf nicht zu eigen machen. Obwohl der Landtag den Entwurf letzten Endes ablehnte und die darin empfohlenen Änderungen nur stückweise umgesetzt wurden, sahen Amsdorf und seine Magdeburger Gesinnungsgenossen sowie andere ehemalige Melanchthon-Schüler – unter ihnen Joachim Westphal und Johann Aepinus in Hamburg – hierin eine grundsätzliche Frage. Für sie waren Riten und die durch sie symbolisierte Lehre nicht zu trennen. Vor allem in der Zeit der Verfolgung gewannen |19|Zeremonien als Träger der rechten bzw. falschen Lehre Bekenntnischarakter. In Zeiten, in denen eine klare theologische Stellungnahme erforderlich war, gab es für Amsdorf keine „neutralen“ Formen, zumal das einfache Volk eine Rückkehr zur alten Praxis als Rückkehr zur alten Lehre deuten würde. Diese „ganzheitliche“ Kommunikation der evangelischen Lehre sahen Amsdorf und seine Mitstreiter durch Melanchthon untergraben, ja sie fühlten sich durch ihren hochgeschätzten Praeceptor regelrecht verraten. In den Jahren 1549 und 1550 nahm Amsdorf in der schriftlichen Kritik an der sich in der Leipziger Landtagsvorlage äußernden Kompromissbereitschaft der neuen kursächsischen Regierung eine führende Rolle ein. Zwar hielt er sich mit Angriffen auf die Person Melanchthons zurück, tadelte aber kräftig dessen Mitarbeiter in der Wittenberger theologischen Fakultät und in der kursächsischen Pfarrerschaft, allen voran Johannes Bugenhagen und Georg Major. Der an der Frage der Riten aufgebrochene Adiaphoristische Streit wurde durch zahlreiche Flugschriften aus der Feder Amsdorfs angeheizt.

Als Magdeburg nach der Belagerung (1550–1551) durch Kurfürst Moritz, der im Auftrag des Kaisers die Reichsexekution an der Stadt vollzog, schließlich kapitulierte, zog Amsdorf im Mai 1552 – einem Wunsch Johann Friedrichs nachkommend – nach Eisenach. Fortan wirkte er kirchenleitend in den ernestinischen Landen. In Reminiszenz an seine Naumburger Zeit nannte er sich „verjagter Bischof“ und „Exul“, um damit herauszustellen, dass man ihm, einem Vertreter der wahren, am Evangelium orientierten Lehre, sein Amt zu Unrecht entzogen habe. Seine neue Aufgabe war die Aufsicht über die Kirche in Thüringen, wo er 1554/1555 eine General-visitation durchführen ließ. Große Aufmerksamkeit erlangte er ab 1551 durch seine Auseinandersetzung mit Georg Major über den Stellenwert der guten Werke für die Seligkeit des Menschen, die sich zum sog. Majoristischen Streit ausweitete. Major war als Crucigers Nachfolger im Amt des Rektors der Magdeburger Schule Amsdorfs Mitarbeiter gewesen und hatte zusammen mit ihm die Angriffe der Altgläubigen erdulden müssen, u.a. gerade weil sie – gut evangelisch – den Stellenwert guter Werke zur Seligkeit abgelehnt hatten. Sie waren also durchaus Gesinnungsgenossen gewesen. Aber Majors Stellungnahme zugunsten der in der Leipziger Landtagsvorlage enthaltenen Feststellung, dass gute Werke zur Seligkeit notwendig seien, entzweite die beiden dauerhaft, auch wenn Major keineswegs den seligmachenden Verdienst menschlicher Leistungen im mittelalterlichen Sinne im Blick hatte, sondern solche Werke meinte, die als Früchte des Glaubens anzusehen sind. Amsdorf dagegen befürchtete Fehlinterpretationen, eine Verunsicherung des einfachen Volkes und eine Rückkehr zu dem doch bereits überwundenen alten Glauben. Die scharfe Polemik im Zuge der Kontroverse verleitete ihn zu überspitzten Formulierungen, um seine Abgrenzung von Majors Lehre deutlich zu machen. Unter Rückgriff auf Luther konstatierte Amsdorf, dass gute Werke schädlich zur Seligkeit seien, jedenfalls |20|sofern der Mensch davon ausgehe, dass ihnen seligmachende Relevanz zukomme. Trotz aller Ausgleichsversuche auf einer Sondersynode in Eisenach 1556 hielt Amsdorf an seiner Position fest. Das Luthertum der Konkordienformel ist ihm darin nicht gefolgt. Vielmehr lehnte es seine Position ausdrücklich ab. Zu seinen Lebzeiten jedoch hat Amsdorfs Lehre erstaunlich wenig Kritik geerntet. Bedenkt man, dass er etwa gleichzeitig eine Schrift unter dem Titel Gute Werke sind notwendig zum christlichen Leben abfasste, in der er die Notwendigkeit des neuen Gehorsams bei den Gläubigen betonte, so relativiert dies seine im Majoristischen Streit so apodiktisch formulierte Position über die Schädlichkeit der guten Werke zur Erlangung der Seligkeit. Die Schrift wurde allerdings nie gedruckt. Trotz der bitteren Worte, die Major und Amsdorf über ein Jahrzehnt hinweg in diesem Streit gewechselt hatten, zerbrach die einstige Freundschaft nicht ganz. Im Sommer 1564, kurz vor Amsdorfs Tod, besuchte Major noch einmal den inzwischen betagten Gelehrten. Die Rolle der guten Werke haben sie jedoch nicht mehr besprochen.

Sieben Jahre vor seinem Tod, 1558, verfasste Amsdorf sein Offentliches Bekentnis der reinen lere des Euangelij Vnd Confutatio der jtzigen Schwermer und schuf damit eine Bekenntnisstruktur, die primär auf die Verwerfung falscher Lehren zielte. Dies war sein theologisches Testament. Darin verurteilte er u.a. die Position des Leipziger Superintendenten und Professors Johann Pfeffinger, der bereits in Verteidigung des Leipziger Landtagsentwurfs gelehrt hatte, dass dem menschlichen Willen in der conversio (Bekehrung, aber auch Buße) insofern eine aktive Rolle zukomme, als er Gottes Gnade widerstehen könne. Pfeffingers dahinter stehendes Anliegen, die menschliche Verantwortlichkeit für sein Tun und Lassen zu wahren und Gott nicht zur Ursache des Bösen zu machen, konnte Amsdorf zwar bejahen, aber er fürchtete die sich daraus ergebende Schlussfolgerung, dass nämlich ein solches angenommenes Vermögen des menschlichen Willens das Vertrauen in die allein wirksame Gnade Gottes untergraben würde. Amsdorf äußerte deshalb energische Kritik. Aus diesem Synergistischen Streit entwickelte sich eine weitere große Kontroverse, in der Amsdorf eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Als Viktorin Strigel, sein Kollege im Herzogtum Sachsen und Professor an der Universität Jena, ebenfalls begann, den Stellenwert des Willens für Glauben und Buße zu betonen, reagierte Amsdorf heftig. Er unterstützte Flacius, der seit 1557 auch eine Professur in Jena innehatte, und andere streng lutherisch gesinnte Kollegen in ihrer Auseinandersetzung mit Strigel und dessen Anhängern. Das von Flacius verfasste, aber teilweise auch auf den Einfluss Amsdorfs zurückgehende und die Irrtümer verwerfende Weimarer Konfutationsbuch (1559) wurde nun von den ernestinischen Herzögen als Lehrnorm durchgesetzt, nicht zuletzt um Frieden und Einheit in der Lehre wiederherzustellen. Für Strigel allerdings, der das Konfutationsbuch ablehnte, bedeutete dies mehr als fünf Monate lang Gefängnis, bis Johann |21|Friedrich unter außenpolitischem Druck wenigstens teilweise einlenkte. Strigel kehrte auf seine Professur in Jena zurück, aber Amsdorf hörte nicht auf, Strigels Definition des menschlichen Willens als modus agendi zu kritisieren. Bis an sein Lebensende setzte sich Amsdorf kompromisslos für die Predigt des Luther’schen sola-gratia-Prinzips ein, an dem er keinerlei Modifizierung duldete.

Auch als seine Sehkraft und sein Gehör in den letzten Lebensjahren nachließen, widmete Amsdorf alle Kraft der Wahrung und Verteidigung des theologischen Erbes Martin Luthers, wie er es übernommen zu haben meinte. Dies betraf vor allem die Themen von Gnade und guten Werken, die Frage des freien Willens sowie der Abendmahlslehre. In Briefen, Gutachten und Flugschriften-Manuskripten, deren größter Teil nie zum Druck kam, spiegelt sich eine Lutherrezeption, die dessen Theologie zugleich in antimelanchthonischer Weise zuspitzte. Bis zu seinem Lebensende pflegte Amsdorf seine Verbindungen zu Flacius und anderen entschiedenen Lutheranhängern, auch wenn er nicht in allen theologischen Positionen mit ihnen übereinstimmte. Noch kurz vor seinem Tod, 1563/1564, griff er in eine Kontroverse ein, die zwischen den beiden strengen Lutheranern Johannes Wigand und Tilemann Heshusius einerseits und dem Rat der Stadt Magdeburg andererseits entbrannt war, als dieser sich weigerte, Wigand auf eine Pfarrstelle zu berufen und sich damit gegen die Interessen der Theologen stellte. Aber im Grunde war Amsdorf des Streitens müde. Am 14. Mai 1565 starb er.

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