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Andreas Bodenstein von Karlstadt
(1486–1541) 1. Leben und Werk

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Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt nach seinem fränkischen Geburtsort, wurde 1486 als Sohn einer gehobenen Bürgerfamilie geboren. Er immatrikulierte sich 1499/1500 in Erfurt und erlangte 1502 sein Bakkalaureat. Nach dem Studium in Köln (1503–1505), wo er der via Thomae folgte, wurde er Magister Artium in Wittenberg (1506). Seine ersten Veröffentlichungen (1507) zeigen skotistisches Denken und zugleich frühhumanistische Einflüsse. In dieser Zeit wurde er auch von der Demutstheologie seines Lehrers und Wittenberger Kollegen Johann von Staupitz geprägt. Schon damals lernte er nicht nur Griechisch, sondern auch Hebräisch und gehörte im Reuchlinstreit zu den Verteidigern des berühmten Hebraisten.

1510 schloss Karlstadt sein Studium als Doctor Theologiae ab und wurde zum Priester geweiht. Im nächsten Jahr übernahm er die mit dem Archidiakonat am Wittenberger Allerheiligenstift verbundene Theologieprofessur. Zur gleichen Zeit begann er ein Jurastudium, das er nach einem sechsmonatigen Aufenthalt in Rom (1515–1516) mit dem Doktortitel abschloss. Nach seiner Rückkehr nach Wittenberg wandte er sich, herausgefordert durch Luthers neue biblisch-humanistische Theologie, einer vertieften Lektüre der Schriften Augustins zu, was Karlstadt zum eifrigsten Mitstreiter Luthers machte. 1517–1519 hielt er Vorlesungen über Augustins De spiritu et littera. Prägend für seine theologische Entwicklung war auch seine intensive Lektüre der mystischen Schriften Johannes Taulers. Hier zeigt sich bereits ein wichtiger Aspekt der Theologie Karlstadts, nämlich die enorme Offenheit den Ideen anderer gegenüber, die er dann allmählich in sein eigenes Denken integrierte.

Karlstadts Publikationstätigkeit ist eng mit seinem Lebenslauf verbunden. Bis 1518 veröffentlichte er nur wenige Werke, danach aber wurde er einer der produktivsten Flugschriftenautoren der frühen Reformation. Viele seiner deutschen Flugschriften |46|wurden mehrmals nachgedruckt. Die meisten der zwischen Mai 1518 und Frühjahr 1520 veröffentlichten Flugschriften zielten auf eine Verteidigung der Wittenberger Theologie. Karlstadt arbeitete eng mit Luther zusammen, aber war zugleich dessen Rivale. Mit einem Angriff gegen die Obelisci Johannes Ecks in seinen 406 Apologeticae conclusiones (Mai 1518) brachte Karlstadt den Streit zwischen Eck und Luther an die Öffentlichkeit. Im Gegenzug forderte Eck eine Disputation mit Karlstadt. Diese Begegnung fand im Sommer 1519 in Leipzig statt und wurde als jene „Leipziger Disputation“ berühmt, auf der Luther erstmals die Autorität von Papst und Konzilien in Zweifel gezogen hatte. Karlstadts Einblattdruck Himmel- und Höllenwagen aus dem Frühjahr 1519 war die erste Bildpropaganda für die evangelische Lehre, und mit De canonicis Scripturis Libellus wurde er der erste Reformator, der die Frage nach einem biblischen Kanon stellte. In der Ablehnung der päpstlichen Autorität war Karlstadt vorsichtiger als Luther. Nachdem aber Eck seinen Namen auf die Bannandrohungsbulle gegen Luther gesetzt hatte, brach Karlstadt im Herbst 1520 in seiner Missive von der allerhöchsten Tugend Gelassenheit mit der römischen Kirche. Von dieser Zeit an schrieb er fast ausschließlich deutschsprachige Flugschriften.

Während Luthers Aufenthalt auf der Wartburg sandte Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen Karlstadt nach Dänemark, aber schon nach wenigen Wochen kehrte er nach Wittenberg zurück. Im Sommer und Herbst 1521 nahm er an einer Reihe von Disputationen teil, in denen er praktische Reformmaßnahmen verteidigte. Seine Flugschriften aus dieser Zeit beschäftigten sich mit der Frage der Gelübde, der Priesterehe, der Anbetung des Sakraments und mit dem Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Anfänglich gemäßigter als Melanchthon, wurde er allmählich zum Wortführer der Reformpartei. Zu Weihnachten feierte er die erste evangelische Messe mit vereinfachter Liturgie, ohne Messgewänder und unter Austeilung des Kelchs an die Laien ohne vorherige Beichte. Im Januar heiratete er die Tochter eines verarmten Adeligen. Er war beteiligt an der Abfassung der Wittenberger Ordnung, die nicht nur den Gottesdienst regeln sollte, sondern auch das Betteln zum Gegenstand machte. Karlstadts Predigten und seine Flugschrift Von Abtuung der Bilder führten zum Bildersturm in der Pfarrkirche. Er selbst geriet in Konflikt mit den kurfürstlichen Räten.

Anfang März veranlassten die Unruhen in Wittenberg Luthers Rückkehr von der Wartburg, um sich wieder an die Spitze der evangelischen Bewegung zu setzen. In seinen Invokavitpredigten verurteilte er die Einführung von Reformen ohne Rücksicht auf den Schwachen, d.h. auf diejenigen, die noch nicht überzeugt genug waren, um sich von alten Vorstellungen freimachen zu können. Man machte Karlstadt für die Unruhen verantwortlich und verbot ihm zu predigen. Auch der Druck einer gegen die Messe gerichteten Flugschrift wurde nicht gestattet.

|47|Karlstadt setzte seine Vorlesungen über das Alte Testament an der Universität fort, und der universitären Reihenfolge nach fungierte er bis Frühjahr 1523 als Dekan der theologischen Fakultät. Zwei außerhalb Wittenbergs veröffentlichte Flugschriften, Von Mannigfaltigkeit des einfältigen, einigen Willen Gottes und Was gesagt ist: Sich gelassen, zeigen Karlstadts weitere Aneignung und Bearbeitung mystischer Konzepte, z.B. der Gelassenheit als Selbstverleugnung und Kreuznachfolge. Auch hob er die Fähigkeit der Laien hervor, die Bibel selbst interpretieren zu können. Auf den Titelblättern dieser Flugschriften identifizierte er sich zum ersten Mal als „ein neuer Laie“, nachdem er im Februar 1523 angekündigt hatte, dass er an keinen Promotionen mehr teilnehmen würde. In Ein Sermon vom Stand der christgläubigen Seelen entfaltete Karlstadt als erster Reformator seine Ablehnung des Fegefeuers. Seine Ideen erreichten ein breites Publikum, als sein Schwager Gerhard Westerburg Teile dieser Flugschrift in seine eigenen Flugschriften De Purgatorio und Vom Fegefeuer integrierte.

Im Sommer 1523 verließ Karlstadt Wittenberg und wurde Pfarrer in Orlamünde. Diese Pfarrei war in das Wittenberger Allerheiligenstift inkorporiert und subventionierte Karlstadts Stelle als Archidiakon. In Orlamünde konnte er nun einige Gottesdienstreformen einführen, wie z.B. das Singen deutscher Psalmen und die Abschaffung der Elevation der Hostie beim Abendmahl. Anfang 1524 veröffentlichte er einige Flugschriften in Jena, bis Luther dem Kurfürsten anzeigte, dass Karlstadt offensichtlich die Zensur der Universität umging. Diese Flugschriften waren Ergebnisse aus Karlstadts vertiefter Lektüre der exegetischen Schriften des Erasmus, der Schriften Zwinglis und anderer, außerhalb Wittenbergs wirkender Reformatoren.

Im Frühjahr 1524 erreichten Nachrichten über Karlstadts Wirken in Orlamünde, u.a. über seine Weigerung, Kinder zu taufen, Wittenberg, zusammen mit Gerüchten über Thomas Müntzers gewalttätige Aktionen. Karlstadt veröffentlichte daraufhin Der von Orlamünde Schrift an die zu Allstedt, wie man christlich fechten soll, in der er die Anwendung von Gewalt ablehnte. Aber dies konnte die Wittenberger nicht beruhigen. Obwohl die Orlamünder Karlstadt zu ihrem Pfarrer gewählt hatten, musste er seine Stelle in Orlamünde aufgeben. Bei einem Treffen mit Luther in Jena im August forderte dieser Karlstadt auf, ruhig gegen ihn zu schreiben. Karlstadt sandte nun Westerburg in die Schweiz, um die Veröffentlichung seiner Flugschriften zu beaufsichtigen. Am 18. September wurde Karlstadt aus Sachsen ausgewiesen. Nach einem kurzen Aufenthalt in Rothenburg o. d. Tauber folgte er Westerburg in die Schweiz. Sie trafen sich in Basel, wo die Flugschriften gedruckt wurden. Zwei davon kritisierten Luthers vorsichtige Haltung in der Einführung von Reformen (Wider die alte und neue papistische Messe; Ob man gemach fahren). In vier weiteren Flugschriften lehnte Karlstadt Christi leibliche |48|Anwesenheit im Abendmahl ab (Von dem widerchristlichen Missbrauch des Herren Brot und Kelch; Ob man […] erweisen möge, dass Christus mit Leib, Blut und Seel im Sakrament sei; Dialogus […] von dem […] Missbrauch des hochwürdigsten Sakraments Jesu Christi und Auslegung dieser Wort Christi). Eine Flugschrift gegen die Kindertaufe konnte nicht gedruckt werden, aber sie erschien im Jahre 1527 anonym unter dem Titel Dialogus vom Fremden Glauben.

Auf der Rückreise nach Rothenburg schrieb Karlstadt Ursachen derhalben Andreas Karlstadt aus den Landen zu Sachsen vertrieben und ließ Exemplare seiner Basler Flugschriften bei Bekannten zurück. Obwohl ihn der Rothenburger Rat auswies, verbarg er sich bis Ende März in der Stadt. Während dieser Zeit verfasste er drei Flugschriften als Verteidigungen gegen Luthers Angriffe (Anzeig etlicher Hauptartikel christlicher Lehre: Erklärung des 10. Kapitels Kor. und Von dem neuen und alten Testament).

Als Rothenburg in die Wirren des Bauernkriegs verwickelt wurde, trat Karlstadt wieder in die Öffentlichkeit. Seine Ablehnung von Gewaltanwendung kostete ihn die Unterstützung der Bauern, und nach der Niederlage der thüringischen Bauernarmee floh er zuerst in sein Heimatdorf, dann nach Frankfurt am Main. Nirgends fand er eine sichere Bleibe und bat schließlich Luther, sich beim Kurfürsten für die Aufhebung seiner Verbannung einzusetzen. Seine beiden Schriften Entschuldigung […] des falschen Namens der Aufruhr und Erklärung wie Karlstadt seine Lehre von dem hochwürdigen Sakrament […] geachtet haben will, beide mit Vorreden Luthers, zeigen, wie Karlstadt unter dem Druck der Situation einzulenken versuchte. Auf sein Versprechen hin, weder zu schreiben noch zu predigen, wurde ihm gestattet, sich in der Nähe von Wittenberg niederzulassen.

Von 1525–1529 versuchte Karlstadt mit nur geringem Erfolg als Bauer und Kleinkrämer seine Familie zu ernähren. Während dieser Zeit nahm er Kontakte mit Kaspar Schwenckfeld von Ossig und Valentin Krautwald in Schlesien auf. Trotz steigenden Drucks weigerte er sich, sich gegen Zwingli und Oekolampad zu äußern. Seine standhafte Ablehnung der Abendmahlslehre Luthers führte zu wachsenden Spannungen und der Androhung von Gefängnis. Anfang 1529 verließ er Sachsen schließlich ohne kurfürstliche Genehmigung. Auf Einladung Melchior Hoffmans ging er nach Kiel. Zwar wurde ihm eine Teilnahme an der Disputation Hoffmans mit Johannes Bugenhagen in Flensburg versagt, aber Karlstadt stand Hoffman bei der Verfassung des Disputationsberichts zur Seite. Aus Holstein vertrieben, floh er zusammen mit Hoffman nach Ostfriesland. Dort blieb er einige Monate als Wanderprediger, bis er aufs Neue ausgewiesen wurde. Anfang Februar kam er in Straßburg an. Er wurde von den Stadtpfarrern unterstützt, aber der Rat sah ihn als diplomatische Gefahr und empfahl, dass er aus Sicherheitsgründen in die Schweiz umsiedeln solle. Nach einem kurzen Aufenthalt in Basel erreichte er |49|Zürich, wo er endlich eine Stelle als Spitalpfarrer und Prediger am Großmünster bekam. Ab September 1531 arbeitete er als Verweser der Pfarrstelle in Altstätten im oberen Rheintal. Anfang 1532 kehrte er nach Zürich zurück. Neben seiner Tätigkeit als Prediger und Seelsorger in Zürich hielt er Vorlesungen über das römische Recht.

Ein letztes Aufgabenfeld eröffnete sich für Karlstadt im Sommer 1534, als er den Ruf nach Basel als Professor für Altes Testament annahm. Im nächsten Jahr wurde er auch Pfarrer an der mit der Universität verbundenen Peterskirche. Als Inhaber dieser zwei wichtigen Stellen hatte er eine führende Rolle in Universität und Kirche inne. An der Universität führte er Disputationen und Promotionen wieder ein. Neben dem Alten Testament lehrte er auch Hebräisch und Zivilrecht. Als Befürworter einer Reform der Universitätsstatuten geriet er 1538 in Konflikt mit seinen Kollegen, dem Münsterprediger Oswald Myconius und dem Professor Simon Grynaeus. Diese Auseinandersetzung über die Beziehungen zwischen Pfarrern und Theologischer Fakultät war nicht beigelegt, als Karlstadt am 24. Dezember 1541 an der Pest starb. Obwohl er während seiner Zeit in der Schweiz weitere Schriften über das Abendmahl und einige Gutachten für Kirche und Schule verfasst hatte, veröffentlichte er bis zu seinem Tod fast nichts mehr.

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