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Von der Mitte des 14. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts
ОглавлениеAls sich der böhmische und römische König Karl IV. von Luxemburg Ende der vierziger Jahre des 14. Jhs. gegen seine Widersacher Ludwig den Bayern und Günther von Schwarzburg durchgesetzt hatte, hatte sich die Situation im Heiligen Römischen Reich grundlegend geändert. Das auf dynastischen Beziehungen beruhende Herrschaftsgeflecht der Wittelsbacher war zerbröckelt, und Karl konnte mit Unterstützung des Papsttums ein neues Machtgefüge aufbauen. Dieses sollte sich, als es ein knappes Jahrhundert später von den Habsburgern übernommen wurde, als dauerhaft und leistungsfähig erweisen. Es umspannte ein durch regionale Dynasten beherrschtes, aber doch von einer zentralen Ordnungsmacht abhängiges Gebiet, in dem die Königsmacht in unterschiedlicher Intensität wirksam werden konnte. Königsnahen Landschaften standen königsferne gegenüber, in denen der römisch-deutsche König allenfalls als Legitimationspotential eine Rolle spielte. Juden siedelten vor 1350 vornehmlich in königsnahen Landschaften im Südwesten und in der Mitte des Reiches, überhaupt überall dort, wo sich königliche Herrschaft als sanktionsfähig erwies oder wo – wie in den habsburgischen Herzogtümern – ein königgleiches Geschlecht Schutzfunktionen gegenüber Juden energisch wahrzunehmen in der Lage war.
Die Verfolgungen der Pestzeit hatten allenthalben im Reich die bisherige urbane Siedlungskontinuität unterbrochen. Lediglich im Südwesten des Reiches, im Machtbereich Herzog Albrechts II. und seines Nachfolgers Rudolf IV. von Österreich, aber auch in den von Karl IV. selbst beherrschten Ländern der Krone Böhmens, wo es nur in begrenztem Umfang zu Verfolgungen gekommen war, ging die Siedlung kontinuierlich weiter. Allein für 58 Gemeinden ist hier eine Kontinuität belegt. Im allgemeinen aber wurden schon wenige Jahre nach den Pogromen neue Gemeinden an den alten Siedlungsorten gegründet. Vielfach, wie in Augsburg, Donauwörth, Nürnberg, Passau und Rothenburg, konnten die Neuankömmlinge ihre alten Wohnplätze nicht mehr einnehmen, da man sie ihrer Synagogen und Häuser beraubt hatte. Meist jedoch, wie etwa in Breslau, Brünn, Eger, Erfurt, Graz, Halle, Heilbronn, Hildesheim, Koblenz, Köln, Konstanz, Magdeburg, München und Prag, konnten die ehemaligen Judenviertel wieder in Besitz genommen werden. Nur selten kam es im Verlaufe des 15. Jhs. zu einer ghettoartigen Abschließung, wie sie in Frankfurt am Main 1462 durch eine Verlegung des Judenviertels an die östliche Stadtmauer zustande kam. Allerdings trat jetzt allenthalben eine weitere Streuung der – immer noch überwiegend urbanen – Ansiedlungen ein. Für die Zeit von 1350 bis zum beginnenden 16. Jh. konnten über 1000 Orte identifiziert werden, an denen Juden – innerhalb oder außerhalb einer Gemeinde – ansässig wurden. In nahezu der Hälfte dieser Orte siedelten vor 1350 keine Juden. Die ersten nach den Pogromen neu entstandenen jüdischen Gemeinden sind 1349 in Heidelberg und Nürnberg anzutreffen, 1350 in Breslau, Nordhausen und Villach, 1351 in Braunschweig, Koblenz und Wittlich, 1352 in Halle, 1353 in Worms, 1354 in Berlin, Bingen, Eltville, Erfurt, Landau/Pfalz, München, Naumburg, Speyer, Trier und Ulm und schließlich 1355 in Augsburg. In den sechziger und siebziger Jahren des 14. Jhs. kam es zu einem ausgesprochenen Siedlungsboom, der seit den achtziger Jahren wieder zurückging.
Die Größe der neuen jüdischen Wohnplätze und Gemeinden war sehr unterschiedlich. Legt man den als Großfamilien mit Dienstpersonal verstandenen Haushalten einen Koeffizienten von acht zugrunde, so erreichten einzig die Judengemeinden in Wien, Regensburg und Prag im Laufe des 15. Jhs. Mitgliederzahlen von 600 bis 900. Mit mehr als 300 Mitgliedern sind die Gemeinden in Augsburg, Breslau, Erfurt, Nürnberg, Rothenburg/Tauber, Wiener Neustadt und vielleicht auch Oppenheim vertreten. Zwischen 150 und 300 Personen zählten die Gemeinden in Bamberg, Braunschweig, Eger, Esslingen, Frankfurt am Main, Graz, Hildesheim, Köln, Konstanz, Landshut, Magdeburg, München, Worms und Würzburg. Mehr als drei Viertel aller jüdischen Wohnplätze jedoch waren Klein- und Kleinstgemeinden mit unter zehn, überwiegend sogar lediglich ein bis zwei Familien. Um 1400 lag die Gesamtzahl der jüdischen Bevölkerung des Reiches bei vielleicht 7000 bis 8000 Haushalten, also vermutlich über 50.000 Personen. Sie hatte damit allenfalls die Hälfte des Niveaus vor den Pogromen erreicht. Ein Teil des demographischen Aderlasses läßt sich auch mit – zahlenmäßig kaum faßbaren – Auswanderungen nach Italien, in den Balkan und nach Polen-Litauen erklären. Das 1264 von Herzog Bolesław V. erlassene und 1334 von König Kasimir III. erneuerte Statut von Kalisch hat gewiß eine große Anzahl von jüdischen Siedlern angezogen, die in den Städten des Reiches keine Bleibe mehr fanden.
Trotz der an den Zahlen ablesbaren Stabilisierung jüdischer Existenz in der zweiten Hälfte des 14. Jhs. blieb die durch die Pogrome ausgelöste Verunsicherung bestehen und fand sogar ihren rechtlichen Niederschlag. Zwar betrieben einzelne, an einer Umsetzung des neu erworbenen Judenregals interessierte Territorialfürsten eine mehr oder weniger systematische Ansiedlungspolitik, indem sie etwa – wie der Kurfürst von Mainz – den günstigen Rechtsstatus der städtischen Judenbürgerschaft generalisierten. Auch einzelne Städte wie Frankfurt am Main und Worms ließen ihre neu zuziehenden Juden durch Vereidigung auf ein Sonderstatut – hier die sogenannte Stättigkeit – zu. Im allgemeinen jedoch mußten sich die Juden ihre Wiederzulassung durch Erwerb eines Schutzbriefs erkaufen, der ihnen ein zeitlich limitiertes Wohnrecht unter Beschränkung auf wenige Gewerbezweige gewährte. Die Schutzrechte ihrerseits vervielfältigten sich, und nicht selten gab es für die Juden einer einzigen Stadt eine größere Anzahl von Herren aus dem Patriziat oder dem Niederadel, die jeweils in unterschiedlichem Maße Bedingungen für die Schutzgewährung festlegten. Charakteristische Beschränkungen galten dem Darlehens- und Pfandleihgeschäft, dem wichtigsten beruflichen Betätigungsfeld, das den Juden nach den Pogromen noch verblieben war.
Neben dem nach Ausweis der Schutzbriefe dominierenden Geldhandel betätigten sich die Juden vor allem in „Dienstleistungsberufen“ innerhalb ihrer eigenen Gemeinde. Sie waren Rabbiner und Gelehrte, Vorsänger, Schulklopfer, Synagogendiener und Schreiber, Schächter und Bäcker. In größeren Gemeinden kamen einige Spezialberufe hinzu wie Badewärter, Totengräber, Gemeindeköche, Wasserträger und Botenläufer. In den durch Schutzbriefe privilegierten Haushalten der Geldleiher wurden zumeist Kinderhauslehrer, Knechte und Mägde beschäftigt, die für die Sozialisation der Nachkommenschaft ebenso wie für logistische und organisatorische Dienste innerhalb des Geschäfts zuständig waren. Gemeinde- wie Haushaltsbedienstete zusammen bildeten als „versteckte“ jüdische Bevölkerung dieser Zeit vielleicht die Hälfte der überlieferten Seelenzahl der spätmittelalterlichen Juden im Reich. Hinzu kam die Berufsgruppe der Ärzte, Tierärzte, Apotheker und Hebammen. Auch der Warenhandel, besonders der Wein-, Vieh- und Pferdehandel sowie der Handel mit Gebrauchtwaren, mit Luxusgütern und Mobiliar, ist gut bezeugt. Eher vereinzelt sind gewerbliche Betätigungen nachweisbar, da die christlichen Zünfte und Gilden, denen Juden nicht angehören konnten, hier eine exklusive Zuständigkeit beanspruchten. Doch gibt es Quellennachweise zu jüdischen Schustern und Sattlern, zu Webern und Schneidern, zu Goldschmieden und Schwertfegern, auch zu Malern, Spielkarten- und Würfelmachern, Brauern, Branntweinbrennern, Drechslern, Maurern und Glasern. Für das Bild der Juden in der christlichen Gesellschaft waren indes die Geld- und Pfandleiher entscheidend.
Ebenso wie es in bezug auf die demographische, die rechtliche und wirtschaftliche Situation um 1350 zu schweren Einbrüchen kam, muß auch ein Niedergang der früheren rabbinischen Kultur konstatiert werden. Um die traditionellen Zentren der Gelehrsamkeit am Mittelrhein (mit Ausnahme vielleicht von Mainz) und in Regensburg wurde es still, während es lediglich im Südosten des Reiches zu einer gewissen Nachblüte kam. Die „österreichischen Weisen“ („Chachme Österreich“) nahmen jetzt einen hervorragenden Platz ein. Der zunächst in Worms, Erfurt und Frankfurt am Main wirkende Rabbi Mëir ben Baruch Segal (gest. um 1406) war der erste bedeutende Gelehrte dieser Zeit, dessen Wirken bezeichnenderweise durch seinen Schwiegervater, den einflußreichen Geldverleiher David Steuss in Wien, ermöglicht wurde. Noch bedeutender wurde der gleichzeitig mit ihm in Wien lehrende Rabbi Abraham Klausner (gest. 1408). Er verfasste eine Sammlung des lokalen religiösen Brauchtums (Sefer Minhagim Maharak), die erste ihrer Art in Österreich überhaupt. Als Vertreter der Chasside Aschkenas wurde Rabbi Schalom ben Isaak aus Wiener Neustadt (gest. um 1415) bekannt, in dessen Responsen sich das Alltagsleben der Neustädter Juden spiegelt. Schließlich muß noch der um 1460 gestorbene Rabbi Israel Isserlein, Sohn des Rabbi Petachja aus Marburg (Maribor), der sich nach der Wiener Gesera 1421 in seinem slowenischen Geburtsort, schließlich aber in Wiener Neustadt niederließ. Er war Verfasser zweier Responsensammlungen, von Lehrbüchern zum Kaschrut und zur Ehescheidung, von Kommentaren und Moralpredigten. Mit Rabbi Schalom teilte er angesichts seiner mystischen Neigungen die Verehrung für den Sefer Chassidim.
Im allgemeinen bedeutete jedoch die Wiener Gesera 1420/21, der auch Rabbi Aharon Blümlein aus Krems zum Opfer fiel, ein Ende der jüdischen Gelehrsamkeit in Österreich. Als Schüler des erwähnten Rabbi Mëir wurde Rabbi Hillel ben Salomo bekannt, der als Parnas in Erfurt und als Judenmeister in Thüringen wirkte. Wesentlich bedeutender wurde ein anderer Schüler, Rabbi Jakob ben Mose Molin, gen. Maharil (gest. 1427), der seit 1395 als Rabbiner in Mainz tätig war. Er wurde aufgrund seiner Responsen und Sendschreiben – etwa zu den hussitischen Wirren von 1421 – zur anerkannten Autorität zahlreicher jüdischer Gemeinden innerhalb und außerhalb des Reiches. Als Schtadlan der jüdischen Gemeinden genoß er auch großes Ansehen bei der christlichen Obrigkeit und wurde deshalb von König Sigismund 1426 zu einem der drei Rabbiner des Reichs ernannt. Die von Maharil verkündeten Responsen und Minhagim, meist auf älteren Vorlagen der Zeit vor 1350 fußend, bildeten die Grundlage für die Kodifikationen des 15. und 16. Jhs. Schließlich kann noch auf den um 1420 geborenen Rabbi Mose Minz in Mainz hingewiesen werden, der sich vor allem durch eine Aktivierung älterer Takkanot und eine rege Korrespondenz um eine Erneuerung der Gemeindeverfassungen und des Rabbinats bemühte. Insgesamt bleibt hier – wie hinsichtlich der österreichischen Weisen – der Eindruck des Epigonenhaften: Man vertraute weitgehend den älteren Autoritäten, die man allenfalls zusammenfassen und kodifizieren, weniger jedoch reformieren wollte.
Seit dem 15. Jh. begannen die römisch-deutschen Kaiser und Könige damit, sich der Juden als einer königsnahen Gruppe zu versichern und sie nachhaltiger als bisher für eigene politische und fiskalische Zwecke zu instrumentalisieren. Hatte die repressive Finanzpolitik der Könige Karl IV. und Wenzel im 14. Jh. (s.u.) zu einer Minimalisierung des verfügbaren Steuerkapitals der Juden geführt, so standen jetzt Maßnahmen im Vordergrund, die Folgen der Territorialisierung des Judenregals rückgängig zu machen. In diesem Zusammenhang sind die Bemühungen König Ruprechts von der Pfalz zu sehen, einen ihm selbst unterstehenden, überterritorialen Verband der Juden des Reiches unter einem Hochmeister zustande zu bringen. Als solchen setzte er – ganz im Rahmen seiner Maßnahmen zur Verbesserung der Bürokratie und zum Ausgleich seiner defizitären Machtgrundlagen – 1407 gegen den Widerstand vieler Judengemeinden den Rothenburger Rabbiner Israel ben Isaak aus Nürnberg ein. Seine rabbinische Kompetenz wurde reichsweit legitimiert und durch das Recht zur Eintreibung der königlichen Steuern ergänzt. Die von ihm verkündeten Bannsprüche sollten durch die Reichsacht des Königs sanktioniert werden. Zur Durchsetzung dieses Systems fehlten Ruprecht indes die ausreichenden Machtmittel. Sein Nachfolger Sigismund versuchte, die Judengemeinden, die er mit Hilfe seines umtriebigen Erbkämmerers Konrad von Weinsberg systematischer besteuerte, in ein festes System einzubinden. Eine auf dem Konstanzer Konzil im Juni 1415 erlassene allgemeine Judenordnung gab ihm Gelegenheit, die ihm zustehende Schutzkompetenz wieder stärker zur Geltung zu bringen. Danach erhielten die Juden die Freiheit, daß niemand gegen ihren Willen von ihnen außer der jährlichen Judensteuer eine Steuer verlangen oder eine Schuldentilgung durchführen durfte, Klagen gegen sie nur vor den zuständigen städtischen Gerichten und nicht vor dem königlichen Hofgericht oder einem Landgericht geltend gemacht werden durften, sie keinen höheren Zoll als Christen zahlen mußten, gefangene Juden wegen ihrer Zugehörigkeit zur königlichen Kammer nicht gepfändet werden durften, es hinsichtlich der Schutzgelder sowie der Darlehenszinsen bei den alten Gewohnheiten bleiben sollte, die zum Schaden der königlichen Kammer vertriebenen Juden wieder aufgenommen werden solten, unrechtmäßige Verfügungen über Leib und Gut der Juden ungültig sein sollten, Zwangstaufen jüdischer Kinder nicht erlaubt sein und ein Gerichtskollegium zur Wahrung ihrer Freiheiten eingesetzt werden sollte. Die Funktionen eines Steuereinnehmers wurden nicht benannt, da sie dem Königshof vorbehalten blieben. Die Funktionen des Gerichtskollegiums übernahmen die Hochmeister, die, obwohl sie nicht mehr vom König autoritativ mit herrschaftlichen Machtbefugnissen versehen wurden, dennoch kraft eines königlichen Einsetzungsdekrets legitimiert wurden. Als solche bestallte Sigismund 1426 Nathan von Eger, Jochanan Treves von Cambrai und den genannten Maharil, die teilweise schon vorher reichsweit tätig gewesen waren. Kaiser Friedrich III. setzte später mit dem aus Völkermarkt stammenden Levi von Nürnberg ebenfalls einen Rabbiner zum Hochmeister der Juden im Reich ein, ohne sich damit aber durchsetzen zu können. Obwohl dieser auch von Maximilian I. übernommen und mit gerichtlichen Befugnissen bei die königliche Kammer betreffenden Gerichtssachen versehen wurde, blieb sein Einfluß gering.
Für die Zukunft prägender wurden die Versuche Friedrichs III. von Habsburg, die überkommene Kammerknechtschaft zur Grundlage der Konstruktion einer reichsunmittelbaren Beziehung der Juden auszubauen. Diese Versuche sind in den Gesamtrahmen der Verfassungsentwicklung des Reiches zu stellen, die sich seit den siebziger Jahren des 15. Jhs. von einem offenen zu einem normativ festgefügten System verdichtete. Stärker als bisher mußte die Stellung der Juden im Reichsganzen definiert werden. Um seinen kaiserlichen Schutzpflichten nachkommen zu können, versuchte Friedrich III. deshalb, dem Prozeß der Territorialisierung entgegenzuwirken und die Juden wieder stärker an den Reichshof zu binden. In einem 1470 der gemeinen Judenschaft des Reiches verkündeten Privileg wurde festgelegt, daß kein Jude daran gehindert werden sollte, sich in irgendeiner Sache an den Kaiser selbst zu wenden. Als 1476 die Reichsstadt Regensburg aufgrund eines Ritualmordvorwurfs die dort ansässigen Juden zu vertreiben beabsichtigte, konnte dies der Habsburger verhindern, nachdem sich die betroffenen Juden an ihn gewandt hatten. Freilich mußten sie die Intervention des Kaisers mit einem Betrag von 10.000fl. bezahlen. Wenn auch das beharrliche Insistieren auf den unmittelbaren Bezug der Juden zum Kaiser auf Dauer den Territorialisierungsprozeß nicht verhindern konnte, so ist doch auf diese Weise eine Beziehung zum Reichsoberhaupt und zu den Reichsgerichten aufgebaut worden, die in vielen Fällen zugunsten der Juden wirksam wurde.
Kennzeichnend für die Lage der Juden im spätmittelalterlichen Reich war die extensive und tendenziell zunehmende Besteuerung, die als Konsequenz des im 13. Jh. normierten Status minderen Rechts gerechtfertigt wurde. Der von Kaiser Ludwig dem Bayern eingeführte „Goldene Opferpfennig“, der unter König Ruprecht einen Betrag von 16.000fl. erbrachte, wurde unter König Sigismund von Erbkämmerer Konrad von Weinsberg zu einem beträchtlichen Einnahmeposten der Kammer ausgebaut. Ohne nachhaltigen Erfolg wurde unter König Maximilian I. 1495 mit dem „Gemeinen Pfennig“, der sich nach dem Vermögen richtete, eine Flexibilisierung versucht. Der Weinsberger projektierte eine Aktivierung der alten Judensteuer als regelmäßige Einnahmequelle zur Finanzierung der Hofausgaben, scheiterte damit aber vollkommen. Ertragreicher war das seit König Sigismund forcierte Projekt, anlaßbezogene Sondersteuern auszuschreiben. So setzte er in den Jahren 1414 und 1415 eine Steuer zur Finanzierung des Konstanzer Konzils fest, die er den in den Reichsstädten wohnhaften Juden abverlangte. In Einzelverhandlungen wurde die Steuerhöhe festgelegt, allein für die Kölner Judengemeinde auf eine Summe von 84.000fl. Die erwähnte Judenordnung von 1415 bestimmte, daß alle Juden den Wert von 10 % ihrer beweglichen Habe, ausgenommen nur Kleidung und Haushaltsgeräte, an die königliche Kammer zu entrichten hätten. Der mit der Einziehung beauftragte Jude Lew Colner konnte am Ende eine Summe von 10.000fl. zusammenbringen. Von späteren Kaisern und Fürsten immer wieder nachgeahmt wurde die von Sigismund erstmals zu seiner Kaiserkrönung eingeforderte sogenannte Krönungssteuer. Sie basierte auf der Legende, der König sei an sich berechtigt, bei seiner Krönung allen seinen Juden Gut und Leben zu nehmen, sofern er eine gewisse Anzahl unter ihnen zum ewigen Gedächtnis und zum Zeugnis der Wahrheit der Heilsgeschichte erhalte – nichts anderes als eine popularisierte Form der alten Lehre von der ewigen Knechtschaft der Juden. Insgesamt betrugen die Einnahmen aus der Krönungssteuer von 1433 mit allen Nebeneinnahmen der Kammer etwa 50.000fl.
Waren die erwähnten Reichssteuern, zu denen noch die Schutzgelder und territoriale bzw. städtische Sondersteuern traten, bis zu einem gewissen Grade kalkulierbar, so stellten die unter König Wenzel einsetzenden sogenannten Judenschuldentilgungen eine existentielle Bedrohung dar. Da der König sich kraft seiner Schutzgewalt als stiller Teilhaber der Schuldforderungen jüdischer Kreditgeber ansah, wollte er im Falle ihrer Aufhebung oder Kürzung von den betroffenen Schuldnern eine angemessene Entschädigung erhalten. Dies wurde schon unter Karl IV. vereinzelt praktiziert, aber erst von seinem Sohn Wenzel in großem Stil als politisches Mittel eingesetzt. Es ging besonders um die Forderungen jüdischer Gläubiger an städtische Schuldner, die inzwischen ein beträchtliches Maß angenommen hatten. Die Reichsstädte, die sich mit Krediten der bei ihnen wohnenden Juden den wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Ende der Pestzeit finanziert hatten, waren daran interessiert, sich von ihrer Belastung zu befreien. 1385 kam ein diesbezüglicher Vertrag zwischen dem König und 37 Reichsstädten zustande. Danach erteilte dieser gegen eine an die königliche Kammer zu zahlende Pauschale von 40.000fl. der Reduktion der Ansprüche jüdischer Gläubiger seine Zustimmung. Dies war nur ein Bruchteil derjenigen Summen, mit denen die Stadträte ihrerseits rechnen konnten. Die Stadt Nürnberg nahm allein einen Betrag von 60 000fl. ein. Leidtragende der Aktion waren indes außer den Juden auch die Fürsten, da zu einem großen Teil solche Juden betroffen waren, die sie als Inhaber des Judenregals unter ihrem Schutz hatten. Als die im Rheinischen Städtebund zusammengeschlossenen Städte 1388 bei Pfeddersheim eine militärische Niederlage gegen die Fürsten hinnehmen mußten, die den König veranlaßte, jetzt zu deren Partei überzuwechseln, war die Gelegenheit für eine neue Schuldentilgung unter verändertem Vorzeichen da. Auf einem Nürnberger Fürstentag kam es im Jahr 1390 zu einem Vertrag zwischen König Wenzel und den Reichsständen über eine erneute „Judenschuldentilgung“. Die Juden der Reichsstädte hatten danach unverzüglich ihre Schuldbriefe herauszugeben. Die Gelder, die als Anteile der begünstigten Fürsten in die königliche Kammer flossen, waren beträchtlich. Allein vom Herzog von Bayern, dem Würzburger Bischof und den Grafen von Oettingen erhielt der König einen Betrag von 45.000fl. 1411 ergänzte König Wenzel die Aktionen durch eine Kassation aller Schuldforderungen seiner Juden in Prag. Für die Juden selbst war die zweite „Schuldentilgung“ wesentlich verhängnisvoller als die erste. Sie umfaßte nicht nur ein wesentlich größeres Gebiet, rheinabwärts bis Köln und im Westen bis in das Elsaß hinein, sondern auch den über die Stadtgrenzen hinausgehenden „Schutzbereich“ der Fürsten, so daß fast alle Juden des südlichen und südwestdeutschen Raumes einen großen Teil ihres Vermögenskapitals einbüßten. Sie war auch in ihrer Dimension umfassender, da im Gegensatz zu der ersten „Schuldentilgung“ nicht nur die Zinsen, sondern auch die jeweilige Hauptsumme für erloschen erklärt wurde.
Die Vorteile der extensiven Sondersteuern sowie der besprochenen „Schuldentilgungen“ für die königliche Kammer waren gleichwohl begrenzt. Auf Jahre hinaus konnten mangels ausreichender Steuerkraft keine regelmäßigen Steuern mehr von den Juden des Reiches erhoben werden. Für diese selbst aber hatten die Schuldenkassationen einen langfristigen Mentalitätswandel zur Folge: Sie mußten erkennen, daß selbst verbriefe Schuldforderungen wenig Wert hatten, wenn sie von den zuständigen Schutzherren nicht sanktioniert wurden. Damit hatten sie einen weiteren Risikofaktor in die Zinsen einzukalkulieren und mußten außerdem auf eine Absicherung der Kreditsummen durch Sachpfänder bestehen. Sie mußten weiter darauf achten, nicht durch einige wenige große Darlehen die Begehrlichkeit der Könige und Landesherren unnötig zu wecken, sondern lieber in zahlreichen kleineren Kreditsummen kurzfristig Hilfen anbieten, die für sich genommen besser abzusichern waren. So trugen die Kassationen von 1385 und 1390 entscheidend dazu bei, daß sich das Kreditgeschäft der Juden im 15. Jh. fast ganz auf das kleine, alltägliche Pfandleihgeschäft reduzierte, das in der engen sozialen Gemeinschaft der Kleinstädte, in der jeder Schuldner den anderen kannte und ein System von sozialen Kontrollen für den notwendigen Rückzahlungsdruck sorgte, eher zu realisieren war. An die Stelle der Großfinanziers des 14. Jhs. traten nun im allgemeinen Konsortien, die das Risiko auf viele Schultern verteilten.
Die seit dem späten 14. Jh. prekäre Situation der Juden, deren Kapital- und Steuerkraft auf ein Minimum reduziert worden war, gleichzeitig aber auch die zunehmende Prosperität der Städte, die sich vom Aderlaß des Schwarzen Todes erholt hatten, ließ zunehmend das Gefühl aufkommen, daß die Juden entbehrlich seien. Bestärkt sah man sich durch die Agitation der Bettelordensprediger in den Städten, auch wenn diese im Gegensatz zu Ritualmord- und Hostienfrevelbeschuldigungen meist nicht unmittelbar zu Vertreibungen führten. So wurden nach und nach im 15. Jh. bis zum Beginn des 16. Jhs. die Juden aus fast allen bedeutenderen Städten des Reiches vertrieben. Den Anfang machte schon 1397 die Freie Stadt Basel. Zu umfangreichen Vertreibungen kam es danach vor allem 1424/25 in Köln, Freiburg und anderen vorderösterreichischen Städten, 1439 in Augsburg, 1455 in Breslau, 1473 in Mainz und 1499 in Ulm. Die letzte größere Judenausweisung dieser Zeit fand 1519 in Regensburg statt. Hier hatten Einsprüche Kaiser Maximilians I. die Austreibung zunächst verhindert. Erst die ab 1516 wirksam werdenden Predigten des Dompredigers Balthasar Hubmaier führten zu einem Druck, der sich nach dem Tode des Kaisers Bahn brach. Die Synagoge der zumeist nach Italien ausgewanderten Regensburger Juden wurde unverzüglich niedergerissen und durch eine Wallfahrtskirche ersetzt. Seither gab es innerhalb des Reichs nördlich der Alpen bedeutendere städtische Judengemeinden nur noch in Frankfurt a.M., Friedberg, Prag, Wien und Worms. Immerhin konnten sich in vielen Fällen die vertriebenen Juden in Vororten oder im Umland niederlassen und von dort aus wenigstens am Marktverkehr teilnehmen.
Das Beispiel der Städte machte bald auch in den Territorien Schule. Unter ihnen machten 1442/50 die bayerischen Herzogtümer den Anfang. In den siebziger Jahren folgten die Bistümer Mainz, Bamberg und Passau, bis schließlich 1490 mit den Erzstiften Magdeburg und Salzburg, den Herzogtümern Steiermark, Kärnten und Krain sowie Mecklenburg und der Markgrafschaft Brandenburg weite Teile des Reiches erfaßt waren. Ein Vertreibungsversuch des Mainzer Kurfürsten Albrecht von Brandenburg, der hierfür eine Koalition von hessischen und pfälzischen Herrschaften zustande bringen wollte, scheiterte am Widerstand Maximilians I., der einen Ausfall seiner Judensteuern befürchtete. Obwohl die meisten Austreibungen selten so rigoros durchgeführt wurden, daß alle Juden das Land verlassen mußten, ist doch davon auszugehen, daß ein beträchtlicher Teil der Juden des römisch-deutschen Reiches, soweit sie nicht in den Nischen reichsritterschaftlicher Herrschaften oder aufstrebender Kleinstädte Unterschlupf fanden, auswandern mußte. Die Abwanderung eines weiteren Teils der Juden in Dörfer und Kleinstädte brachte den schon lange vorher angelaufenen Prozeß der De-Urbanisierung der römisch-deutschen Judenschaft zum Abschluß. Zu Beginn des 16. Jhs. war das vormals vorwiegend urbane Judentum zu einem marginalen Faktor geworden.