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Preußen und Norddeutschland 1648–1871

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Am Anfang stand ein Großer, der Kurfürst und Markgraf von Brandenburg, dem Kernland des preußischen Staates. Für den vorläufigen Abschluß sollte ein anderer Großer, der Kanzler des neuen deutschen Kaiserreiches, stehen.

Der Anfang: Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, gestattete 1670 etwa 50 Familien der in Wien bedrängten Juden die Ansiedlung in seinem Territorium. Der Abschluß: Die von Otto von Bismarck herbeigeführte Gründung des Kaiserreichs brachte 1871 allen Juden in Deutschland die rechtliche Gleichstellung mit allen anderen Bürgern. Mit dem Verweis der Zugehörigkeit zum Judentum in den rein konfessionellen Bereich, der keine Relevanz für den Status des Staatsbürgers mehr besaß, ging ein sich über exakt zwei Jahrhunderte erstreckender Weg zu Ende.

Mit dem Ende dieses von vielen Gabelungen und verschlungenen Strecken gekennzeichneten Weges begann etwas Neues: Die rechtliche Gleichstellung der Juden als von oben ausgesprochene Klärung einer alten Frage. Was diese rechtliche Klärung im gesellschaftlichen Kontext bedeuten konnte und sollte, mußte sich noch zeigen. Deutschlands Judenfrage befand sich jedenfalls von da ab in einer Schwebelage, denn der rechtliche Status war nur ein Element, wenngleich das wichtigste, das über das Los der Juden entschied.

Der preußische Machtstaat hatte zur Gleichstellung der Juden ungemein viel beigetragen. Mehr noch, ohne seine über sein eigenes, sich fortwährend vergrößerndes Territorium weit hinausreichende Wirksamkeit sind die Entwicklungen der Judenfrage in Deutschland und die hierauf gegebenen Antworten nicht vorstellbar. Deshalb steht in diesem Beitrag dieser eine Staat so deutlich im Vordergrund. Während Norddeutschland im Hinblick auf die Judenpolitik zunächst eher stagnierte und dann unter der Herrschaft Napoleons die französischen Emanzipationsgesetze übernahm, um sie im Zuge der Restauration rasch wieder abzuschaffen, hatte Preußen einen eigenen, vom Auf und Ab der den Juden über die Zeit zugebilligten Freizügigkeit gekennzeichneten Kurs eingeschlagen.

In Preußen vollzog sich der auf die Emanzipationsgesetzgebung zulaufende Modernisierungsprozeß des Judentums am deutlichsten, wodurch auf vielfältige Weise die Entwicklung in anderen deutschen Staaten beschleunigt wurde. Die rechtliche Entwicklung wurde überlagert und vertieft von sozialen Veränderungen bei den Juden selbst, wobei schon hier die Stichworte „Beginn der bürgerlichen Integration“ und „Assimilation“ zu nennen sind. Einen weiteren Faktor stellte die Entwicklung des preußischen Staats selbst dar. Dieser stieg zwischen 1670 und 1871 von einem armseligen Territorialstaat zu einer Großmacht auf. Die preußischen Juden machten diese Entwicklung mit und prägten sie auf ihre Weise. Aus einer winzigen Gemeinde, aus einer in ihrer Kultur und Religion separierten Minderheit wurde ein Judentum, das sich seiner Umwelt umfassender und intensiver als irgendwo sonst zuwandte.

Der Prozeß, dessen Abschluß die rechtliche Gleichstellung der Juden bildete, vollzog sich in fünf wechselvollen Etappen, die sich folgendermaßen benennen lassen: Vom Dreißigjährigen Krieg zur absolutistischen Normalität (1648–1770), Veränderungen durch die Aufklärung (1770–1805), Reformpolitik und Emanzipation im Zeichen der Napoleonischen Kriege (1805–1815), Restauration, Revolution und neuerliche Restauration (1815–1860), Emanzipation (1860–1871). Diese fünf Etappen sollen im folgenden behandelt werden.

Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa

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