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Zum Datum des „Edictum“
ОглавлениеTrotz aller Akribie, die die Forschung bislang diesem Thema gewidmet hat – Giulio Vismara hat alle bis zum Publikationsdatum seiner eigenen Studie vorgebrachten Datierungsvorschläge zusammengetragen97 –, ist es nicht möglich, einen Zeitpunkt zu nennen, an dem das „Edictum“ publiziert wurde. Es wurde bereits erwähnt, dass weder Ennodius noch Prokop, weder Cassiodor noch Jordanes darauf verweisen oder gar direkten Bezug darauf nehmen, und die oben zitierte Mitteilung des „Anonymus Valesianus“, dass Theoderich wegen seines Edikts gelobt worden sei, ist, sollte sie sich tatsächlich auf unser ET beziehen, bestenfalls in die Zeit nach Theoderichs Tod und vor der Vernichtung des Ostgotenreiches durch Justinian einzuordnen. Versuche, die Publikation mit Theoderichs Rombesuch im Jahre 500 in Verbindung zu bringen,98 dürfen seit Iwan von Glöden und Felix Dahn als erledigt gelten. Vismara verweist zu Recht auf die Tatsache, dass das „Edictum“ die Kenntnis des Lateins auch bei den „Barbaren“ voraussetzt, eine Bedingung, die die mit dem Griechisch des Ostens zunächst eher vertrauten Ostgoten kaum erfüllt haben könnten.99 Dass die mangelnde Kenntnis des Lateins jedoch nicht die Verwaltung des Reiches auch hinsichtlich der germanischen Landnahme betrifft, zeigen die von Jan-Olof Tjäder gesammelten lateinischen Papyri. Aber auch interne Hinweise auf spezielle Situationen geben keinen Anhaltspunkt für einen terminus post oder ante quem.
Wir haben in der ›Einleitung‹ zum ET den Hinweis darauf, dass Theoderich mit seinem „Edictum“ den inneren Rechtsfrieden wiederherstellen wollte, da Gesetze missachtet wurden (legum praecepta calcare). Dies kann aber ebenso auf die Wirren in der Zeit kurz nach der Landnahme durch die Ostgoten verweisen – Ennodius spricht in seiner „Vita Epifanii“ davon, dass zunächst ein Testierverbot für die Gegner des Königs verhängt werden sollte100 –, wie auch auf die Zeit, da Bischof Epifanius von Pavia die von den Burgunden gefangen genommenen und verschleppten Oberitaliker („Ligurer“) auf Geheiß des Königs auslösen konnte und nach Italien zurückbrachte, was große Unruhen wegen Besitzstörung verursachte.101 Da Epifanius jedoch Anfang des Jahres 497 bereits verstarb, ist es wohl zu früh, ein solches „Edictum“ in die ersten Regierungsjahre des Theoderich zu datieren. Damit ist auch die Hypothese, dass der von Ennodius in der „Vita Epifanii“ genannte illustrissimus vir Urbicus, qui universa palatii eius onera sustentans102 möglicherweise also das Amt eines quaestor sacri palatii in Ravenna innehatte,103 als der Bischof von Pavia beauftragt wurde, die ligurischen Gefangenen bei dem Burgunder Gundobad auszulösen, (Mit-)Verfasser des ET sein könnte,104 eher unwahrscheinlich.
In ET 154 haben wir ein Verbot, an Ostern Gerichtstag abzuhalten; der Verstoß wird als sacrilegium, d.h. als religiöses Vergehen gerichtlich verfolgt. So wurde Papst Symmachus vier Jahre nach seiner am 22. November 498 erfolgten Ordination – so der Liber Pontificalis 53,3 – vor das Gericht des Königs zitiert, weil er das Osterfest zu einem falschen Termin gefeiert habe: Quem rex sub occasione paschali, quod non cum universitate celebraverat, ad comitatum convo[cat].105 Das im Liber Pontificalis genannte Datum führt uns in das Jahr 502, das ET müsste also bereits 502 bestanden haben, weil der König den Prozess an sich zog. Doch besteht kein stichhaltiger Grund, den genannten Paragraphen in direktem Zusammenhang mit diesem Vorfall zu sehen. Dies trifft auch auf andere Paragraphen des ET zu – verwiesen sei nur auf ET 12, das die Verjährung von Grundbesitzrechten auf 30 Jahre festsetzt, ein Paragraph, der sich mit Cassiodors Brief an die Judengemeinde von Genua berührt,106 wo der König die Restaurierung der Synagoge erlaubt, sofern dem die Verjährungsfrist von 30 Jahren nicht entgegenstehe –, die inhaltliche Berührungen mit den Edikten besitzen, jedoch nie darauf Bezug nehmen. Während nun Wilhelm Ensslin und Herwig Wolfram eine zeitliche Einordnung vermieden haben – Detlev Liebs erscheint eine Datierung „wohl um 500“ vertretbar107 –, ist auch ein Zeitpunkt nach 510 nicht auszuschließen,108 d.h. ein Zeitpunkt, da sich eine Konsolidierung des Ostgotenreiches abzuzeichnen begann bzw. bereits erreicht war.109
Verführerisch wäre allerdings, wenn dem bereits oben zitierten Brief Theoderichs an den vir spectabilis consularis Johannes110 das Gewicht zuzusprechen wäre, tatsächlich auf das „Edictum Theoderici“ Bezug zu nehmen: Besagter Statthalter der Campania amtierte zwischen 507 und 511,111 so dass wir mit dem Ende von dessen Amtszeit auch einen terminus quo ante für die Veröffentlichung setzen könnten. Im Übrigen bleibt die abschließende Formulierung des Ediktes, die jedermann auffordert, sich in Streitfragen an den König selbst zu wenden, zu beachten. Damit ist eindeutig, dass die uns etwa bei Cassiodor vorliegenden Einzelentscheide zwar im Zusammenhang mit dem ET, nicht aber als Zitate aus den Edikten gewertet werden müssen.
Zu Recht hat bereits Felix Dahn gesagt, dass die Realität des ET sich an den Briefen Cassiodors messen lasse.112 Diese Aufgabe hat nunmehr Sean Lafferty in einer umfangreichen Untersuchung unternommen, wobei er die einzelnen Paragraphen des ET nach den Aspekten „Public Law and Order (Judges and Courts; In the courtroom; Appeal; Crime and punishment; Judicial enforcement and accountability; Judicial incompetence and corruption), Society and family (Legal status and social division; Law and the family), The economy (Currency and conterfeiting; Trade and commerce; Town and country, The barbarian settlement; Law and land) gliederte und zu den Briefen Cassiodors in Bezug setzte.
Der Versuch, das ET einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb der Regierungszeit Theoderichs des Großen zuzuordnen, ist also, wie mehrfach betont, äußerst schwierig, ja ohne eindeutige dokumentarische Belege fast aussichtslos. Dennoch sei hier ein waghalsiger Versuch unternommen.
Im Jahr 507 war, wie oben bereits angesprochen, zwischen dem Franken Chlodwig und dem Westgoten Alarich II. der Krieg ausgebrochen, in dem Alarich Schlacht und Leben verlor. Durch ein byzantinisches Flottenmanöver gehindert, konnte Theoderich erst Mitte 508 eingreifen und den Burgunden, die in die Provence einmarschiert waren, diese Provinz wieder entreißen, ebenso Septimanien den Franken. Beide Gebiete gab Theoderich nicht den Westgoten zurück, sondern gliederte sie nunmehr seiner eigenen Herrschaft ein. Aus diesem Grunde sandte er um 510 an die universi provinciales Galliarum einen Brief, in dem er ankündigte, die gewonnenen Gebiete wieder „römischen Sitten“, „römischem Recht“ zuzuführen (moribus togatis, Romana consuetudo). Er entsandte damals den vir spectabilis Gemellus als vicarius praefectorum mit dem Auftrag, den römischen Gesetzen wieder Geltung zu verschaffen: Quapropter ordinationibus eius ex nostris iussionibus oboedite, quia eum credimus vobis profutura decernere. recipite paulatim iuridicos mores. non sit novitas molesta, quae proba est. quid enim potest esse felicius quam homines de solis legibus confidere et casus reliquos non timere? iura publica certissima sunt humanae vitae solacia, infirmorum auxilia, potentum frena.113
Es ist nicht undenkbar, dass in diesem Zusammenhang das ET vorgelegt wurde, das ja als rechtsverbindliche Grundlage für Romanen und Barbaren gleichermaßen dienen sollte, zusammengestellt von den Rechtsgelehrten am Hofe von Ravenna (scrinia nostra ET 10). Dies könnte auch erklären, warum sich Hinweise auf das ET in den französischen Städten Die und Valence fanden. Damit gewänne wiederum das mehrfach angesprochene Schreiben an Johannes, den Statthalter der Campagna, einiges Gewicht.
Interessante Berührungspunkte ergeben sich auch zwischen ET 70 und Canon 3 des Konzils von Orleans 511,114 der sich vor allem auf die Sklavenflucht nach dem Zusammenbruch des Westgotenreiches 507 bezieht. Ob in diesem Kanon jedoch eine Vorlage gesehen werden darf, ist, wie bereits Felix Dahn gesehen hat,115 zweifelhaft. So hält auch Sean Lafferty ET 70 für die Reaktion Theoderichs auf ein eher allgemeines Problem der Sklavenflucht und nicht auf einen speziellen Fall bezogen.116
Damit soll nicht unterstellt werden, dass das ET lediglich in den gallischen Gebieten Geltung besitzen sollte, sondern vielmehr, wie die bereits im Kapitel „Zur Echtheitsfrage des ‚Edictum‘ “ genannten Belege erweisen, im gesamten ostgotischen Herrschaftsgebiet, das sich östlich bis an die Save erstreckte, Anwendung finden sollte.