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Internationale Beziehungen: Militarisierung und Unschuldsdogma
ОглавлениеDie allenthalben grassierenden Unsicherheiten und Ängste dominierten nicht zuletzt das Feld der internationalen Politik. Das alte Weltstaatensystem mit britischer Führung, Europazentrik und Kolonialismus war an seine Grenzen gestoßen, und ein Trend hin zu Machtzusammenballungen und wenigen Weltmächten schien selbst etablierte Großmächte in deren Existenz zu gefährden. Die Haager Friedenskonferenzen und internationale Interessenabsprachen – Ententen – gaben zwar Hinweise, wie eine Stabilisierung und Rückgewinnung der Solidarität der Mächte zu erreichen war. Doch die Staaten mit ihren Lenkern und Völkern reagierten anders. Fixiert auf die jeweils eigenen Sicherheitsdefizite, die – mit hervorgerufen durch neue technische Möglichkeiten des industriellen Zeitalters – in der Tat gravierend und nicht zu leugnen waren, setzten sie auf forcierte Aufrüstung und – verheerender noch – auf eine Art Militarisierung der Politik. Bündnisse, vormals angelegt zur Friedensbewahrung, wurden kriegsvorbereitend in den Dienst von in nicht unerheblichem Maße neid- und hasserfüllten Militärblöcken gestellt.
Die Konsequenzen waren fatal, denn Übergangsprobleme und Krisen der Jahrhundertwende wurden keineswegs behoben. Rüstungssprünge und -wettläufe produzierten vielmehr eine extrem nervöse Politik16 und vermehrten Unsicherheiten, die ihrerseits nur allzu selten zum Umdenken führten. Statt dessen breiteten sich zu Extremen neigende Denkmuster aus, beispielsweise Vorstellungen von einer polarisierten Welt, Schwarz-Weiß-Zeichnungen von Feind und Freund sowie der Gedanke an eine Unvermeidbarkeit eines bevorstehenden Krieges, der ein Abstumpfen dieser Gefahr gegenüber oder ein Wegschauen zur Folge hatte.17 Insgesamt wuchsen somit in einer unfriedlich werdenden Welt Zweifel an einer Reformierbarkeit der traditionellen politischen Ordnung des 19. Jahrhunderts und diskreditierten diese mit ihren Leitideen. Dies gab Hitler die Chance, die grundlegende Norm eines ganzen Zeitalters mit einem friedlichen Neben- und Miteinander von Staaten zu leugnen. Nur so konnte er behaupten, dass – angeblich eine Lehre aus der Geschichte – Deutschland prinzipiell in einer Welt voller Feinde lebe, in der vulgärdarwinistische Gesetze herrschten; nötig sei Deutschlands Selbstbehauptung in einem unerbittlichen Schicksalskampf und ewigen Ausleseprozess. Und schließlich lässt sich auch hieraus zumindest ansatzweise erklären, wieso es von Hause aus zivilisierte Bürger chic fanden, als Glieder eines künftigen und dann realisierten Raubtier-Staates angesprochen und mobilisiert zu werden.
Bei solcherlei Vorstellungen spielte in allen Staaten der Zusatzgedanke eine verheerende Rolle, dass das jeweils eigene Land, und zwar einzig und allein, brutal überfallen werde oder worden sei. Überlegungen, dass es eigene, möglicherweise gewichtige und schuldhafte Verstrickungen in Fehlentwicklungen der Zeit gab und nicht zuletzt eigene Habgier, wurden umgehend präventiv mittels eines vehement betriebenen Unschuldskults und später durch schönfärbende historische Rückblicke zugeschüttet. So wie man sich selbst als reinen Herzens und als mustergültig defensiv sowie allzu bescheiden deklarierte, wurden die anderen zu infamen Gestalten mit allerfinstersten und die Existenz anderer gefährdenden Absichten. Das hinderte vielerorts aber nicht daran, ja es führte geradezu in einem aufgeputschten Zeitalter mit angeblich gespenstischen Gefahren dazu, dass mehr oder weniger aus dem Stand heraus Aggressionen von unglaublichen Ausmaßen einsetzen konnten, wobei diese ungerührt weiterhin als rein defensiv verkauft wurden. Nicht zufällig zeichneten sich im Ersten Weltkrieg Kriegszielpläne durch exorbitante Annexionspläne aus, blieben mit der Habsburger Monarchie und dem Zarenreich zwei der fünf vormals unumstrittenen europäischen Großmächte auf der Strecke und konnte Hitler schließlich mit einer Weltanschauung beeindrucken, die auf eine waffengestützte Weltherrschaft zielte, weil erst diese das ewig defensive Deutschland aus seiner größten Not befreien und ewigwährende Sicherheit bringen würde. Nicht jeder Deutsche übernahm diese ungeheuerliche Sicht und Zielvorstellung, doch in Deutschland haftete eine wehleidige, auf Versailles zentrierte Selbsteinschätzung, derzufolge missgünstige Nachbarn für alles Elend im Deutschland der Unschuldsengel verantwortlich seien, was zu krassen Fehlinterpretationen von Hitlers aggressiver Politik führte und diesen unangreifbar machte. Und auch im Ausland kamen Auswirkungen des dortigen heuchlerischen Unschuldsgehabes mit Fehletikettierungen eigener Ziele zum Tragen. Mit Hitler-Deutschland konfrontiert, reichte für allzu lange Zeit bei schlechtem Gewissen die eigene moralische Kraft nicht zur Entfaltung von Abwehrkräften aus, ja schlimmer noch, nicht selten kam anerkennende Kumpanei ins Spiel.