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Weltanschauliche Trends in der Öffentlichkeit, das Beispiel der Schriftsteller und Historiker

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Auch bei der Kennzeichnung von Kunst und Wissenschaft im „Dritten Reich“ stellen „nationale“ Defekte den Ausgangspunkt dar, vornehmlich das Leben im unbewältigten Schutt des Ersten Weltkrieges. Wie im ganzen bürgerlichen Lager mit Ausstrahlungen bis in die Linke hinein, wurde Hitler bei den Intellektuellen ungeachtet seiner Weltanschauung oder geradezu wegen dieser fast unantastbar, als ihm die nationalen „Großtaten“ vom Austritt aus dem Völkerbund 1933 bis zum Sieg über Frankreich 1940 gelangen. Die Jahre 1933–1938 waren denn auch die Phase der phänomenalsten mentalen Hinwendung zu Hitler, obwohl bereits hier Rückzüge in das Private und in Milieus zu beobachten waren. 1939 folgte bei vielen Menschen eine große Ernüchterung; offenbar hatte man bei Parolen wie „Räder müssen rollen für den Sieg“ an „Hitlers Rennschlachten“ auf Nürburgring und Avus, nicht aber an den fest angesteuerten großen Krieg gedacht, für den die Räder längst wie geschmiert liefen.46 Nun erinnerte sich die Bevölkerung an die Grauen des erst zwei Jahrzehnte zurückliegenden Ersten Weltkrieges und zeigte keine chauvinistisch-aggressiven Allüren. Doch ohne Mühe, bei ganz „normalem“ Einsatz der längst perfektionierten Propaganda-Waffe, gelang es der NS-Führung, die Volksgenossen 1939 von einer „nationalen Pflicht“ zum Kämpfen und 1941 zur Ausweitung der Barbarei in einen rassenideologischen Krieg zu überzeugen. Mentale Rückzüge hinderten die Menschen nicht am Mittun, und in der Anfangsphase standen militärische Triumphe, dann die Totalisierung des Krieges einer gedanklichen Umkehr entgegen. Im rassenideologischen Krieg seit 1941 kam es, beispielsweise bei dem Masseneinsatz und -sterben von Arbeitssklaven im Innern Deutschlands, die „Fremdarbeiter“ genannt wurden, zur millionenfachen, teils aktiveren, teils passiveren Begegnungen der Deutschen mit jenen Menschheitsverbrechen, die der NS-Staat, als dessen Teil man funktionierte, betrieb. Dies war vielfach der Ausgangspunkt für Initiativen und Handlungen der Widerstandskämpfer. Doch das Gros der Bevölkerung ging jetzt gedanklich-emotional im eigenen Überlebenskampf und in der Sorge um die Angehörigen auf. Tod, Verwundungen, Bomben, Hunger und schließlich Vertreibungen ließen das politische Denken in Deutschland samt desaströsem Nationalismus mehr und mehr verstummen; 1945 war in dieser Hinsicht weithin Friedhofsstille angesagt. Traumatisierungen trafen ein Volk, das die Welt im Verbund mit seiner NS-Führung mit unermesslichem Leid überzogen hatte.

Vom Panorama des politischen Denkens im Bereich von Wissenschaft und Kunst wird zunächst der Bereich Schriftstellerei und Germanistik herausgegriffen, weil hier – bei nicht häufigen Ausnahmen und viel „trüber Durchschnittlichkeit“47 – die gedanklichen Fehlleistungen der Zeit und Verstrickungen in völkisches Schreiben unterschiedlichster Couleur plastisch präsentiert werden: So gab es frühe, dann korrigierte Verstrickungen wie die Gottfried Benns. Ina Seidel repräsentierte ein hartnäckiges, auch Durchhalteappelle nicht auslassendes völkisches Schwärmen, das in einer fehlgeleiteten Warmherzigkeit gründete. Hanns Johst und Will Vesper schließlich traten in ätzender Weise in den Kreis nationalsozialistischer, Härte und Kälte ausstrahlender Aktivisten ein; Johst im Umfeld des von ihm hochgeschätzten Himmler. Betroffen machen Pathetik und Menschenverachtung der Lyrik allgemein, im Besonderen das militante Sammelsurium von Liedern für die HJ, das gründlich auf den Ostkrieg vorbereitete und die Parole „Juda den Tod“ nicht aussparte.48

Analoge Beobachtungen ergeben sich im Hinblick auf das Denken und Agieren von Historikern. Trotz aller Hinwendungen zu der in der NS-Zeit hoch im Kurs stehenden Ost-, Volkstums-, Juden- und Kulturboden-Forschung blieb der SS-Sicherheitsdienst unzufrieden. Für ihn galt das Urteil, dass die Geschichtswissenschaftler die Chance zur nationalen Bewährung nicht genutzt hatten, weil sie dem Desiderat einer „volksdeutschen Geschichtsauffassung“ nicht Genüge getan hätten. Gemeint war, dass Historiker vielfach ihre meist nationalliberale Grundhaltung nicht oder nicht völlig geopfert hatten, dass sie ungeachtet ihrer nationalen Ausrichtung ein kritisches Wissenschaftsverständnis und eine Verpflichtung zu humanem und ethischem Denken bewahrt hatten. Die Verstrickungen in den NS-Staat waren dennoch erheblich. Die im Sog der Volkstumsforschung stehende Geschichtswissenschaft bildete nämlich mit den Fächern Ur- und Frühgeschichte, Rassekunde und Geopolitik einen neuen wissenschaftlichen Einheitskomplex, der letztlich eine wissenschaftliche Unterfütterung des Rasse-Raum-Programms lieferte. An diesem beteiligten sich auch andere renommierte Geister der Zeit wie der Jurist Carl Schmitt, mit Ausführungen zu einem Raumordnungskrieg und einem Raumordnungsfrieden. Politisch relevant wurden Ur- und Frühgeschichtler, die mit Forschungen über rassisch-seelische Urphänomene der Völkerzeit dilettierten. Näher an der Politik standen diejenigen Neuzeithistoriker, die – bei fließenden Übergängen zur übrigen Historikerzunft – den ethnoradikalen Flügel der Ost- und Volkstumsforscher bildeten. Diese hatten sich schon in der Weimarer Zeit im geistigen Vorgriff auf eine Revision des Versailler Vertrages daran gemacht, historisch untermauerte Vorschläge für die „richtigen“ Konturen eines künftigen Deutschlands zu erarbeiten. Das ergab die Basis für eine dann brisante Expertentätigkeit im Zweiten Weltkrieg, besonders als in dessen zweiter Phase die Grenzen eines Großgermanischen Reiches im Westen und Südosten weit vorgeschoben werden sollten, als vor allem der berüchtigte Generalplan Ost erstellt wurde.49

Aus Raumgründen wurden die übrigen Wissenschaften mit Ausnahme einiger Philosophen nur mit wenigen Texten berücksichtigt. Der Herausgeber bedauert, dass dabei manche Bereiche, die durchaus eine spezifische zeitgenössische gedankliche Ausrichtung hatten und relevant waren, kaum oder gar nicht berücksichtigt wurden. Aufgenommen wurden drei Texte zum Autobahnbahn-Komplex, der Denken und Fühlen der Zeit nachhaltig bestimmte, besonders im Zusammenhang mit einer insgesamt breiten Technikbegeisterung der Zeit und neuem Freizeitverhalten.50

Das ›Dritte Reich‹ 1933–1945

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