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EINLEITUNG Trotz, Habgier und Hass nach dem Ersten Weltkrieg Fortsetzung des Kampfes für Rasse und Raum

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„Offen gestanden, ich glaube nicht, dass hinter all dem eine Ideologie steht“, so analysierte 1939 der später im KZ Dachau umgekommene Arzt und Schriftsteller Friedrich Reck-Malleczewen das politische Treiben im NS-Staat. Er „glaube weder an eine neudeutsche Ordnung noch inmitten eines zu sechzig Prozent slawisch gemixten Volkes an die ganze Wotans- und Germanenwirtschaft.“ Stattdessen gehe er davon aus, „dass dies alles hinauskommt auf einen großen Selbstbetrug, hinter dem all die trüben Wünsche der entfesselten Masse – Habgier und soziales Ressentiment, Zuchtlosigkeit und Brunst und sexuelle Libertinage und eine komplette Abnabelung nicht nur von Gott, sondern auch von den Göttern – zu finden sind.“1 Dieser prägnanten Kennzeichnung des Hitlerstaates mit dessen Anführern wie Mitläufern, der seine Erfüllung schon seit seiner Errichtung 1933 in Menschheitsverbrechen sah, scheint heute auf den ersten Blick kaum etwas hinzuzufügen zu sein.

Die Deutung Reck-Malleczewens als eines zeitgenössischen Beobachters und scharfen Gegners Hitlers entspricht zudem Selbsteinschätzungen von Nationalsozialisten, die im „Dritten Reich“ ihrem Stolz auf das Instinktmäßige ihres Handelns Ausdruck verliehen; die Propaganda sonnte sich in einem Aktionismus, getragen von glaubensmäßig erfahrenen, unabänderlichen Richtungsvorgaben und von einem harten germanischen Willen. In Analogie hierzu entstand beispielsweise der Führerkult um Adolf Hitler, beruhend auf der Legende, dass ein charismatischer Hitler – siehe den Gruß „Heil Hitler“ – der Heilsbringer für die Volksgenossen2 sei, weil er von Aktion zu Aktion sowie von Erfolg zu Erfolg eile, weil er dabei den „unabänderlichen“ Willen des NS-Staates verkörpere und weil er mit Emphase auf Vorsehung und Intuitionen wie kein anderer bauen könne.3 Des weiteren war es auch kein Zufall, dass die NS-Führung, gestützt auf eben diese Vorstellungen, alle Bevölkerungsgruppen permanent indoktrinierte und sie in jene triebgesteuerten Rollen einwies, die dem Funktionieren des braunen Terrorregimes dienten. Schließlich wurde ein solcher Aktionismus bei entfesselten Instinkten auch durchgängig als bewusste Abkehr von der kulturellen und geistigen Kultur Deutschlands und mithin Europas deklariert, wobei nicht selten blasphemische Ausdrücke die ungeheuerlichen Akte als sakrale Vorgänge deuteten.4

Demgegenüber setzen erbitterte Zeitzeugen und Gegner der Nationalsozialisten sowie diese selbst und auch die heutige Forschung das Denken im „Dritten Reich“ nicht hoch an. Die Nationalsozialisten suchten zwar ständig ihre Weltanschauung auch gedanklich zu definieren und zu umreißen, doch blieb diese letztlich der Glaube einer führergelenkten, im Kern irrationalen Bewegung. Und kein moderner Autor kann plausibel behaupten, die Nationalsozialisten hätten auch nur einen einzigen originären Beitrag zum politischen Denken geliefert. Der Weltanschauung als Versatzstücke selektiv unterlegt wurden antiliberale, antidemokratische, antikommunistische und antisemitische Ressentiments, pervertierende Geschichtsbeobachtungen und eklektisch zusammengefügte Denkansätze zeitgenössischer Ideologen und Utopisten. In einem Rückblick auf gedankliche Ansätze in der NS-Zeit resümiert Schwarz schlüssig: „Anspruchsvolle geistige Leistungen hatte die Hitlerbewegung […] nie hervorgebracht.“5

Angesichts dieses Gleichklangs liegt die Schlussfolgerung nahe, dass sich eine Beschäftigung mit dem politischen Denken im NS-Staat erübrige, und dass – fast 70 Jahre nach Untergang dieses nur 12 Jahre existierenden „Tausendjährigen Reiches“ – auch eine Quellensammlung zu diesem Thema ihre Druckerschwärze nicht wert sei. Nachzuspüren sei lediglich bestimmenden Antriebskräften, die gedanklich immerhin fassbar sind und seinerzeit den Instinkten der Nationalsozialisten ihre verheerende Kraft verliehen. Tatsächlich wird man bei solch einer Suche rasch fündig, und zwar vor allem im Umfeld des Ersten Weltkrieges: Dieser totale, durch keinerlei zeitgenössische „Sinnvorgabe“ und keinerlei nachträgliche Deutung zu rechtfertigende Krieg machte Millionen von Bürgern zugleich zu Tätern und Opfern einer verbrecherischen Orgie von Hass, deren Aktionen, gekennzeichnet vor allem durch fabrikmäßigen Massentod, Giftgaskampf und Luftterror, in einer gedanklichen Perversion sondergleichen als vaterländische Pflichterfüllung gedeutet und gesehen wurden. Der Weltkrieg ermöglichte es, unzählige mehr oder weniger neurotisierte Menschen hinterlassend, dass Figuren vom Schlage des gescheiterten Architekten und Künstlers Adolf Hitler sich zu Politikern aufschwangen, welche die für ihre Akteure bittere Lehre des Krieges, dass alles Sterben und Leiden „umsonst“ gewesen war, weit von sich wiesen. Ihr trotziger, gefühlsorientiert auf einen Abbau des eigenen Frusts zielender Umkehrschluss aus der jüngsten Geschichte lautete, dass gerade Massenkampf und -sterben des Krieges in Verbindung mit dem Erlebnis einer Art Frontsozialismus sowie mit dem verlockenden Gedanken an einen Endsieg eine mystische Sinnvorgabe darstellte. Dies sollte insbesondere für die ganze Generation von Frontkämpfern gelten, die aufgrund ihrer Leistungen und Leiden im Krieg zu einer bleibenden Elite und zum Kern eines Staates von deutschen Volksgenossen erklärt wurden; als Antrieb galt für die ehemaligen Soldaten vielfach ein virtueller Auftrag der Gefallenen zum erfolgreichen Weiterkämpfen – auch im „zivilen“ Leben – bis zum Sieg, tausendfach beschworen in einem „heroischen“ Totenkult, der in der NS-Zeit exzessiv gesteigert wurde.

Zornig zurückgewiesen wurde jede Deutung des Ersten Weltkrieges als chancenloses Unternehmen, das nur Unheil gebracht hatte. Die gegenteilige Parole lautete vielmehr, dass dieser ein „an sich“ sicherer Weg zu einer großen Zukunft gewesen sei. Das „Fronterlebnis“ mit seinen Hinweisen auf einen nationalen, preußischen oder anderswie genannten „wahren“ und „rechten“ Sozialismus habe solches bewiesen und einen Vorgeschmack auf die Zukunft geliefert, eine Zeit ewigen Glücks nach dem Siegfrieden mit immenser Beute als reicher Entschädigung für alles Erlittene. Als für die Front charakteristisch galt, dass dort eine dem Kampf verschriebene Welt polarisiert war: auf der einen Seite eine einzig und allein wärmende Kameradschaft in den eigenen Reihen, getragen von den Volksgenossen der Heimatfront, auf der anderen Seite ein Leben in Eiseskälte und Seelenlosigkeit gegenüber dem Feind. Im Weltkrieg hätten die Deutschen letztendlich „nur“ deshalb das Ziel verfehlt, weil die Unmenschlichkeit im Umgang mit dem Feind noch nicht zur Doktrin gemacht worden sei, weil das Volk willens- und instinktmäßig nicht richtig präpariert gewesen sei und weil sich hieraus die Untaten und Sünden der „Novemberverbrecher“ ergeben hätten; diese Bezeichnung sollte jene Revolutionäre als Verräter und Todfeinde der Front diffamieren und stigmatisieren, die im November 1918 mit ihrem Eintreten für Frieden und Brot den Abbruch des Weltkrieges erzwungen und eine Demokratisierung Deutschlands gesichert hatten. Niederlage, Friedensvertrag und Republik galten somit als Verfehlung des Glücks, und bis zu dessen anstehender Realisierung galt es, die angebliche Mission der Toten zu erfüllen: Fortsetzung eines Lebens in Wärme nur auf vereinzelten Inseln des Glücks, im Kreis der eigenen Volksgenossen, im übrigen – und zumeist – aber Fortsetzung des Kampfes in Kälte und Härte, bei einem funktionalen und distanzierten Umgang mit jedem, der einem in die Quere kam, was bei Feinden auf deren menschliche Entwürdigung sowie Mord und Massenmord hinauslief.6

Solchen gedanklichen Verdrehungen folgend, kennzeichnete das „Dritte Reich“ – wie es Reck-Malleczewen plastisch darstellte – die Züchtung einer NS-spezifischen Raub- und Machtgier in Deutschland, eines rassistischen Glaubens als Antrieb für eine Wiederaufnahme des Weltkrieges durch Schaffung „besserer“ und angeblich einen Endsieg verheißender Rahmenbedingungen. Als „Ideal“ galt ein totaler Krieger- und Militärstaat, mit einer in Dauerübungen gedrillten und gebündelten Gesellschaft, ausgerichtet darauf, auch die letzten Kräfte permanent in Einsatz zu bringen. Kampfhandlungen stellten bereits Einsätze vor allem der SA in der sogenannten Kampfzeit vor 1933 in provozierten Bürgerkriegssituationen dar. Die folgende, zeitgenössisch als Friedensjahre etikettierte Phase 1933–1939 war dann eine auf mentale und materielle Aufrüstung ausgelegte Zeit, in der innenpolitische Gegner Kriegsabsichten und -praktiken entsprechend einer Vernichtung zugeführt wurden und in der außenpolitische Coups Manöver und Vorgefechte zur Eröffnung des „eigentlichen“ Kriegs darstellten. Gedankliche Zielvorgabe für die im Anschluss geplante Fortsetzung des Weltkrieges war das berüchtigte Rasse- und Raumprogramm der Nationalsozialisten, für das ein am Ende des Ersten Weltkrieges anzutreffender, auf den Osten ausgerichteter Expansionsrausch Modellvorstellungen geliefert hatte und das zu propagieren die Nationalsozialisten nicht müde wurden. Bei extremer Kumulierung und Zuspitzung von Ansichten und Ansprüchen galten das deutsche Volk und die Arier als die beste, zu allem fähige und berechtigte Rasse der Welt. Ihnen als Antipoden gegenübergestellt wurden Juden, die man zu einer angeblich brandgefährlichen, auf eine Vernichtung der Arier fixierten Rasse deklarierte. Arier, ohnehin zu einer ständigen inneren Volkstumspflege und Aufnordung angehalten, waren diesem kruden Glauben zufolge verpflichtet, einen duellartigen Endkampf und Endsieg gegen die – wie es hieß – jüdischen Untermenschen herbei zuführen. Daneben sprach man von einer „Raumnot“ des deutschen und germanischen Volkes, die es durch eine totalitäre Gleichschaltung aller Kräfte bei rassischer Ausrichtung und durch einen finalen rassenideologischen Vernichtungskrieg zu beheben galt. „Positives“ Ziel war die Schaffung einer als Paradies verstandenen Weltherrschaft oder zumindest Weltvorherrschaft der Arier oder Germanen, ein großgermanisches Imperium mit einer Ostkolonisation als Herzstück.7

Das ›Dritte Reich‹ 1933–1945

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