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Hitler: Exponent der Weltanschauung, „mitdenkende“ Helfer, korrumpierte Volksgenossen

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Die Texte von Hitler zeigen diesen in der Rolle des authentischen Autors und Interpreten der NS-Weltanschauung, und zwar mit frappierender Konstanz26 sowie als Verfechter weitreichendster Ziele bei schärfsten Methoden, „maßhaltend“ nur, in Wahrheit fintierend, bei temporären strategischen Rücksichtsnahmen. Wir sehen ihn, wie er möglichst schnell „seinen“ rassenideologischen Vernichtungskrieg im Osten in Gang setzte und zur Erfüllung seines Lebenswerkes, treffender: zur Vollstreckung seiner Weltanschauung, schritt. Um gedankliche Geschlossenheit vorzutäuschen und Überzeugungskraft zu entfalten, hielt er sich bei Einzelheiten nicht auf und berief sich großzügig auf seinen Glauben, wenn mit Gedanken und Logik die Irrationalität der Weltanschauung bloßgelegt worden wäre, oder gedankliche Kunstgriffe inopportun erschienen. Hieraus ergibt sich, dass er sich von NS-Vordenkern vom Schlage Rosenbergs abgrenzte. Kultisch inszeniert wie seine Weltanschauung war sein Aktionismus. Mit der Aneinanderreihung politischer Coups gestaltete er das Image einer unaufhaltsam von Schlacht zu Schlacht eilenden und Sieg an Sieg heftenden Politik. Coups waren Teil seiner Weltanschauung und seines Erfolges – seine Weltanschauung bestand aus einer Kette solcher Coups. In kurzen Ruhephasen zwischen den politischen Schlägen, besonders nach Provokationen und stets opportunistisch kalkulierend heuchelte, log und bluffte er hemmungslos, so mit seiner Paraderolle eines friedfertig-verantwortungsbewußten Staatsmannes. Dieses Taktieren trug zu seinem zeitgenössisch verbreiteten, im krassen Widerspruch zu den Realitäten stehenden Ruf eines maßvollen, ja zurückhaltenden Politikers bei.

Gefördert wurde dieses abwegige Bild durch Hitlers Führungsstil gegenüber NS-Mitstreitern. Bei diesen waren unterschiedliche Denkrichtungen und Kompetenzrangeleien zu beobachten,27 die Hitler eher förderte als unterband, weil er davon ausging, dass alle eine in der Grundrichtung gleiche Politik verfolgten, und weil er darauf setzte, in wettbewerbsmäßig organisierten Kämpfen, bei Konkurrenz auch von Ideen, seine Endziele optimal verwirklichen zu können. Nur relativ selten nahm der unumschränkte Diktator hierbei – zumeist schlichtend – Lenkungsfunktionen durch Interventionen wahr, wie im Vorfeld des Nürnberger Parteitages 1935. „Normal“ waren Richtungsvorgaben wie die exemplarischen auf dem Nürnberger Parteitag 1937, mit denen er seine Anhänger auf das Losschlagen im Osten in offenem Raub- und Ausrottungskrieg mit sprunghaft steigender Brutalität einstimmte.28

Auf viele weitere Einzelaspekte in Hitlers Denken, auf die im historischen Rückblick bereits verwiesen wurde, wird hier nicht mehr eingegangen. Einen besonderen Hinweis verdient allerdings Hitlers Spezialität, historische Bezüge herzustellen und zu erfinden, wie das Rekurrieren auf Versailles als Etappe seiner Politik, bei dem er – auf politische Resonanz spekulierend – einen der geschichtlichen Realität Hohn sprechenden Vergleich mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges anstellte.29 Mit Blick auf den Versailler Vertrag war zudem ständig von dessen Revision als politischem Ziel die Rede. Dieser Begriff suggerierte Tradition im politischen Denken, zudem rechtmäßiges und maßvolles Handeln, was Größenwahn und verbrecherischen Grundcharakter der NS-Weltanschauung kaschierte und von der Bevölkerung nur allzu gern als Realität gedeutet wurde.

Zu dieser Augenwischerei trug schließlich die Propaganda Hitlers und seiner Umgebung bei, bei der sich die Führungsriege mit Blick auf Feinde, Kampf und Krieg als todbringender Meister aufspielte. Stand hingegen das vermeintliche Wohl der Volksgenossen auf der Agenda, waren Liebenswürdigkeit und Wärme angesagt. Inhaltlich galt das Streben einem ewigen Großgermanischen Reich im Gefolge eines Endsieges. Gleichsam in den Farben einer völkischen Kunst wurde ein solches die Welt beherrschendes Imperium als lohnendes Endziel allen Kampfes gemalt, mit einer gottgleichen Führung in gigantischen Führerstädten und -bauten30. Siedlung bis weit nach Asien hinein bei einem „judenfreien“ Europa war angesagt, mit Herrschaft und Expansion auch nach Westen und Südwesten. Angeboten wurde ein neues Europa, von dessen Attraktion viel die Rede war, die von Nachbarvölkern aber nur selten nachempfunden wurde, da dort staatliche Amputationen und Unselbständigkeit gewiss waren; eher von Partisanenkrieg gekennzeichnete Feindschaft herrschte dagegen im Osten, dessen Menschen künftig in Sklavenstaaten vegetieren sollten und die millionenfach schon in Deutschland als Arbeitsmaterial versklavt waren.

Dessen ungeachtet sollte Großgermanien im Innern gekennzeichnet sein durch glückliche Bauernhöfe und Einfamilienhäuser, durch fleißige Arbeit und soziale Sicherheit, durch Fußball und Boxen, durch Film und Rundfunk, und voll mit fröhlichen blonden Kindern. Bei aller Hybris und allem Bombast wurde die künftige NS-Welt letztlich als völkische Idylle angepriesen, als ein pseudo-traditionelles NS-Milieu im Weltformat. Suggeriert wurde ein künftiger ewiger Frieden, der der Friedenssehnsucht erschöpfter Menschen zutiefst entsprach, und ein Ende vormaliger Zeiten mit polarisierten und desintegrierten Gesellschaften voller Feindseligkeit und Fremdheit. Bei den Schlag auf Schlag folgenden Aktionen der Nationalsozialisten wurde der Eindruck erweckt, dass gerade mit dem anstehenden Coup ein entscheidender Schritt zum endgültigen Glück anstehe, dieses eigentlich schon erreicht sei, und selbst der bevorstehende Weltkrieg wurde als zwar außerordentliche, aber doch einzig noch zum Glück fehlende Aktion verkauft, die nicht verhindern könne, dass sich alsbald die Volksgenossen in ihren angesparten Volkswagen auf den Autobahnen tummelten.31

Solche Maschen zogen um so mehr, als in den sogenannten Friedensjahren 1933–1939 viele soziale und gesellschaftliche Modernisierungen, zugeschnitten auf das Wohl der Volksgenossen, sofern diese nicht als Reichsfeinde ausgegrenzt waren oder im KZ saßen, auf den Weg gebracht worden waren. Diese verbesserten, nicht zuletzt auch wegen des unermüdlichen Schaffens der wieder zu Arbeit gekommenen Bürger, die Lebensumstände der Menschen in Deutschland in rasanter Weise erheblich, was die Propaganda nicht müde wurde, als gelungene Etappen auf dem Weg zu einer solchen idyllischen und vermeintlich friedlichen völkisch-deutschen Welt der Zukunft zu feiern. Auch wenn eine volle Identifizierung des Volkes mit dieser Propaganda nicht zustande kam, zeigten sich die Menschen in Deutschland nach den Nöten des Ersten Weltkrieges und der Nachkriegszeit ungemein beeindruckt und dankbar. Hieraus resultierte, und nur partiell durch Identifikation mit der NS-Weltanschauung, dass die Menschen weithin zu mehr oder weniger freudig-dankbaren Anhängern oder doch zu zumindest loyalen beziehungsweise parierenden Mitläufern des Regimes wurden. Wenigstens Erklärungshilfen liefert dieser Vorgang auch für das Mitmachen der Bevölkerung bei der konzentrierten Militarisierung Deutschlands, wurzelnd im rasanten Auf- und Ausbau eines entsprechenden „fortschrittlichen“ Industriestaates. Das Gleiche gilt für das unglaubliche Wegsehen des Gros der Deutschen bei der Ausgrenzung, Verfolgung und Tötung kommunistischer und jüdischer Mitbürger. Die Volksgenossen standen im Bann ihrer nun vermeintlich günstigen sozialen Perspektiven und mieden ein offen regimekritisches Verhalten, um solche zu bewahren. Bespitzelungen und Unterdrückung durch die Gestapo hinderten die Bürger zusätzlich daran, für die Verfemten einzutreten.32

Das ›Dritte Reich‹ 1933–1945

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