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Innere Belastungen: Verschleiß alter Eliten, polarisierte Milieus, präfaschistisches Staatsmodell im Weltkrieg

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Zu den somit recht vielschichtigen Belastungen der deutschen Geschichte auf dem Feld der Außenpolitik traten Probleme der Binnenstruktur Deutschlands, die von den Nationalsozialisten gedanklich ausgeschlachtet und genutzt wurden. Dabei schien Deutschland bis in den Weltkrieg hinein eine gefestigte Monarchie zu sein, doch Wilhelm II. als letzter Monarch verspielte im Weltkrieg, als er sich seiner Aufgabe der Staatslenkung in keiner Weise gewachsen zeigte, jeglichen Kredit, so dass nach seiner Abdankung die zahlreichen Monarchisten Deutschlands keinen politischen Halt mehr besaßen. Es bot sich zu keiner Zeit mehr eine Chance, ein restauratives Programm mit Erfolgsaussichten zu starten. Infolgedessen waren die quasi heimatlosen Monarchisten alles andere als davor gefeit, zum Nationalsozialismus mit dessen „Führer“ überzulaufen.

Zudem scheiterte auch der scheinbar so klar vorgezeichnete reibungslose Übergang vom konstitutionellen zum demokratischen Staat. Dabei war die liberal-demokratische Verwurzelung des deutschen Staates in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unübersehbar, und schon im Kaiserreich verfügten die Parteien der späteren Weimarer Koalition über eine – noch nicht zum Tragen kommende – Mehrheit. Wenn auch nur kurzfristig dominierten sie anschließend, 1919, geführt von dem großen Sozialdemokraten Ebert, die Nationalversammlung und schufen die Weimarer Republik. Doch zur Demokratisierung Deutschlands und Gründung der Republik gehörten auch Machenschaften von Militärs, die darauf abzielten, den Demokraten die Schuld und Verantwortung für die Niederlage und Not Deutschlands zuzuschanzen; des weiteren gab es Forderungen der Amerikaner nach einer Demokratisierung Deutschlands, die für die politische Rechte willkommene Aufhänger waren, die Republik als undeutsch zu diffamieren; und es gab die von Räten getragene Revolution vom November 1918, was der Rechten eine vielfältig genutzte Chance bot, die „rote“ Republik zu verunglimpfen. Hieraus sowie aus weiteren Nöten der Weimarer Republik bei bisweilen bürgerkriegsähnlichen Konfrontationen folgte, dass den sich verzehrenden Demokraten ein kraftvoller und optimistischer Start gründlich misslang, und es verwundert nicht, dass der Propagandist Hitler diese Schwachstelle wieder und wieder zu nutzen verstand. Bereits ein reichliches Jahrzehnt nach der demokratischen Staatsgründung und bei schweren neuen Belastungen der Republik, zuletzt durch die Weltwirtschaftskrise, zeigten die Katastrophenwahlen der Jahre 1930 und 1932 mit nationalsozialistischen und kommunistischen Triumphen, dass – zumindest fürs erste – die konstitutionell-demokratische Tradition in Deutschland überrollt war.

Auch hier, auf innenpolitischem Feld, bringt ein Blick zurück auf die Jahrhundertwende genauere Erkenntnisse über früh angelegte Schwachstellen. Im späten Kaiserreich gab es ein frustrierendes Patt von beharrenden und fortschrittlichen Kräften, das ein konstruktives Regieren erschwerte. Die „gute alte Zeit“ zehrte von ihren günstigen konjunkturellen Rahmenbedingungen, fand aber bei Verlass auf eine gute Verwaltung nicht die Kraft zu überfälligen Reformen. Das wohl ärgste Drama stellte das Verhalten der alten Eliten dar. Diese sahen sich, obwohl sie längst die Macht mit dem Bürgertum teilen mussten, hochmütig als politische Crème des Staates. Eine Öffnung hin zur Moderne kam für sie nicht in Frage, und in den ihnen verbliebenen führenden Positionen in Verwaltung und Heer igelten sie sich ein, um von diesen Bastionen aus eine obstruktive Politik zur bloßen Verteidigung der eigenen Privilegien zu betreiben. Ihre schlimmen politischen Offenbarungseide waren 1914 ihre maßgebliche Beteiligung an der Auslösung des Weltkrieges und 1930–1933 das rasche Ansteuern einer Staatskrise, nachdem sie unter dem vermeintlichen Titan Hindenburg als Reichspräsidenten nochmals kurzfristig an die Macht zurückgekehrt waren.21 Damals scheiterte zunächst der Plan der traditionellen Rechten zu einer letztlich nicht definierbaren konservativen Erneuerung oder Revolution, dann schanzte diese im Januar 1933 – von Aversionen gegen eine Rückkehr von Demokraten an die Macht geleitet und damit alles vorangegangene Versagen in den Schatten stellend – Hitler die Macht zu.22 Mit diesem finalen Akt war ihre politische Kraft derart aufgezehrt, dass all ihre Pläne, Hitler zu lenken und zu zähmen, wie Seifenblasen zerplatzten. Fortan konnten sie nur noch wählen, ob sie im NS-Staat – zu Handlangern Hitlers degradiert – mitspielten, eine Rolle, die wegen der praktizierten Aufrüstung vor allem Militärs zusagte, oder ob sie sich in den Kreis der Verfolgten einreihten.

Die Haltung des fortschrittlichen Lagers blieb zwar frei von solch dramatischem Fehlverhalten, doch wechselten sich hier gescheiterte Kraftanstrengungen mit politischem Stillstand ab. Sprechend erscheint ein Rückblick aus der NS-Zeit, demzufolge schon seit Gründung der Republik die Demokraten verbraucht und alt aussahen; so fielen sie beim finalen Ansturm der Staatsfeinde zu Beginn der dreißiger Jahre, angeführt von den sich jugendlich gebenden Nationalsozialisten und Kommunisten, als solide Verteidiger der Republik aus. Dieses Verhalten wurzelte in der Zeit um 1900, in der Parteien und Reichstag durchaus keine schwachen Institutionen darstellten, obwohl allen Demokratisierungsbestrebungen durch Bismarcks Staatskonstruktion und Politik mit traumatisierenden Ausgrenzungen von Sozialdemokraten und Katholiken schwere Hindernisse in den Weg gelegt worden waren. Wieder war ein Stagnieren der Politik die Folge, wieder gab es einen Reformstau, wobei das Wort von der Notwendigkeit einer zweiten Reichsgründung umging. Schon das distanzierte Verhältnis von protestantischer Bevölkerungsmehrheit, die sich in der Rolle des eigentlichen Staatsvolkes sonnte, und Katholiken, die eher am Rande agierten und nach dem Kulturkampf bisweilen ihre nationale Zuverlässigkeit überbetonten, erschwerte gemeinsame Anstrengungen zur Modernisierung Deutschlands. Vor allem aber fanden so wichtige Gruppierungen wie Städter und Landbevölkerung oder Bürger und Arbeiter nicht zusammen, wobei letztere sogar für etwa vier lange Jahrzehnte als Staatsfeinde ausgegrenzt und stigmatisiert wurden.

In engem Zusammenhang hiermit stand das Grundsatzproblem einer auffälligen Milieu- und Lagerbildung in Deutschland. Bürger, bisweilen in der Gesellschaft selbstbewusst und aktiv auftretend, verkrochen sich geradezu in ihren Milieus, hinter denen nicht selten die Parteien standen, ausgerichtet auf die Interessen der jeweils eigenen Klientel und mit wenig Verantwortungsgefühl ausgestattet. Die Milieus mochten zwar auch die allgemeine Polarisierung zwischen konservativen und fortschrittlichen Kräften widerspiegeln, doch dessen ungeachtet machten sie sich alle mehr oder weniger daran, ihr Terrain als Rückzugsgebiet auszugestalten, nicht selten verklärt als heile Welt oder Idylle. Gewonnen werden sollte jene Ruhe und Geborgenheit, die „draußen“ eine pluralistische Zeit mit unheimlich anmutenden Veränderungen nicht bieten konnte. Zur Legitimierung und Gestaltung der Milieus wurden allenthalben historische Reminiszenzen verwendet, nicht selten Traditionen, die im Extremfall bis zum Mittelalter zurückreichten. Auch das Grassieren des Nationalismus und das Aufkommen völkisch-germanischer Strömungen stellten somit nicht zuletzt Akte einer Milieubildung oder -bewahrung dar.

Die Angehörigen solcher Milieus wurden selten zu selbständigen Staatsbürgern, verharrten vielmehr in der Position von Hintersassen, die zu vermeintlich schützenden Partei- oder Verbandsführern aufschauten. Und als Deutschland dann durch Weltkrieg, Kriegsfolgelasten und Schwierigkeiten der Weimarer Zeit in vormals kaum vorstellbare Nöte geriet, deren Ende nicht absehbar war, verstärkte sich die Rückzugsbewegung in Milieus, die sich nicht selten radikalisierten. Erst jetzt, in der Weimarer Republik, kam damit die defizitäre demokratische Vorbildung der Bürger voll zum Tragen, was sich darin niederschlug, dass sie in den Stunden, besser gesagt in den Jahren der Not nicht selbst politisch Hand anlegten. Stattdessen wurde es in schon besagter Weise Mode, nach Schuldigen an der Misere zu suchen sowie – da auch die eigenen Parteiführer das Desaster nicht meisterten – nach von außen kommenden Rettern und Heilsbringern.

Es versteht sich, dass Hitler auf diese Unmündigkeit bei seiner Propaganda, seiner Politik und seinem Staatsaufbau setzte und diese verstärkte. Als Hassapostel und Mutmacher, der seine Fähigkeiten als Rhetor und Demagoge immens zu steigern wusste, verzichtete er beispielsweise in der Phase vor der „Machtergreifung“ weitgehend auf Programmschärfe und konzentrierte sich auf Angriffe auf linke Milieus als vermeintliche Zentren von Schuldigen und Verbrechern. Die Folge waren bürgerkriegsähnliche Zustände, die den Eindruck eines Endkampfs zwischen immer siegreichen Nationalsozialisten und „jüdischen“ Sozialisten und Bolschewisten erweckten. Diese Situation nutzte den Nationalsozialisten außerordentlich, konnten sie sich doch dem Bürgertum erfolgreich als Retter anbieten. Daneben begannen die Menschen in Deutschland, sich an eine kriegsähnliche Politik unter nationalsozialistischer Leitung zu gewöhnen. Nicht zufällig gelang dann 1933 im Windschatten einer Art Krieges gegen Kommunisten die mit dem Namen einer Gleichschaltung belegte Deformierung Deutschlands samt seiner politischen Tradition und Kultur, die bis 1945 Bestand haben sollte. Auf der Strecke blieben zivile und rechtsstaatliche Normen, und dadurch, dass die nationalsozialistische Gewalt, nunmehr eingebettet in den Staat und wesensmäßig zu diesem gehörend, unaufhaltsam und unablässig losmarschiert war, waren aus den vielen politischen Hintersassen, aber auch aus den vormals aufrechten Staatsbürgern weithin mehr oder weniger korrumpierte Mittäter oder Mitläufer geworden.

Die Jahre des „Dritten Reiches“ sahen sodann im Zuge der Errichtung eines nivellierten Staates von deutschen Volksgenossen eine präzedenzlose Gleichmacherei. Die lange Tradition der Milieus, deren nur partielle Anpassung an den NS-Staat sowie schließlich im Umfeld des Zweiten Weltkrieges 1939–1945 die Strategie Hitlers, finale Schläge gegen diese bis nach dem vermeintlichen Endsieg zurückzustellen, bewirkten, dass die Milieus vielfach die vom Regime angebotenen und überfälligen sozialen Verbesserungen und sonstigen Modernisierungen gerne annahmen, während sie bei den politischen Leitaussagen der Nationalsozialisten weghören zu können glaubten. Schließlich überlebten sie ungeachtet drastischer Verformungen die Jahre des „Dritten Reichs“, ja sie konnten sich wie beispielsweise die Kirchen gegen dessen Ende bisweilen wieder sammeln. Tatsächlich bewahrten sich Hitlers Volksgenossen in erheblichem Umfang, worüber der Diktator nicht selten lamentierte, eine Portion eigenständigen politischen Denkens. Nicht selten schien es chic, als opponierende Vertreter eines „anderen“, das heißt eines traditionelleren und humaneren Deutschlands aufzutreten, doch geschah solches, sieht man von der Gruppe der Widerstandskämpfer ab, zumeist nur im Kreise von Gesinnungsgenossen, verborgen vor der NS-Außenwelt. Folglich sind solche Abgrenzungsaktionen, an die man nach 1945 gern erinnerte, vor allem als Selbstbetrug von Menschen zu sehen, die darunter litten, dass sie ihre Integrität nicht hatten bewahren können.23

Hinzu kam, dass der Erste Weltkrieg, der nirgendwo demokratische Kräfte stärkte, auch in Deutschland eine Profilierung der Demokraten ausschloss, obwohl die Sozialdemokratie zumindest vorübergehend ihre Rolle als angeblicher Staatsfeind abstreifen konnte. Doch umgehend wurde die USPD militant ausgegrenzt, so dass man 1933 in Deutschland auf eine jahrzehntelange Ausgrenzungspolitik gegenüber der Linken zurückblickte, was dann die Nationalsozialisten zu nutzen wussten. Geführt wurde Deutschland im Ersten Weltkrieg – eher schlecht als recht und ohne Abschaffung alter Institutionen – durch eine Art Kartell aus führenden Militärs, Beamten und Repräsentanten aus Wirtschaft und Forschung, getragen nicht zuletzt durch sich als zeitgemäße Seher präsentierende Propagandisten. Entsprechend der Totalisierung des Krieges entstand hierbei ein Trend hin zu einem Hitler ungemein inspirierenden Staat von Volksgenossen. Dieser wurde zunehmend ausgerichtet auf Krieg, Sieg und Annexionen – vor allem im Osten –, wobei neue Leitideen wie die von einem Frontsoldatentum oder einem nationalen Sozialismus auftraten. All dies signalisierte, dass gegen Ende des Krieges in massiver Weise präfaschistische Ideen in Deutschland Einzug hielten. In die Rolle von charismatischen Führern und Heilsbringern drängten die Generäle Hindenburg und Ludendorff, weil sie sich als Garanten eines Siegfriedens mit reichlicher Beute und Entschädigungen für die Opfer des Krieges präsentierten. Hierbei wurden sie gestützt durch eine Siegfriedens-Volksbewegung, die von alldeutscher Seite in der Deutschen Vaterlandspartei organisiert wurde.

Dieses präfaschistische, mit der deutschen Denkkultur krass kontrastierende Polititikmodel scheiterte zunächst am Nichtfunktionieren der Volksgemeinschaft, am Versagen größenwahnsinniger Militärs und an der militärischen Niederlage Deutschlands. Dennoch brach im notleidenden Europa, gefördert durch eine weithin ausbleibende Akzeptanz der den Weltkrieg abschließenden Friedensordnung, ein erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts überwundenes Zeitalter der Ideologien an. Vielfach schossen faschistische Bewegungen ins Kraut, was seit Mitte der 20er Jahre dazu beitrug, den nach dem Hitlerputsch von 1923 vermeintlich definitiv geschlagenen Nationalsozialisten wieder auf die Beine zu helfen. Als ideologisches Gegenlager mit Rückhalt in der Sowjetunion traten die Kommunisten auf. Zwar führen pauschalierende Erklärungen in die Irre, wonach Faschismus und Nationalsozialismus als eine – auch gedankliche – Antwort auf den Kommunismus zu definieren seien.24 Doch nicht zu übersehen war, dass Kommunisten Leninscher oder Stalinscher Prägung, auch sie eine Idylle predigend, eine auf eine Weltrevolution ausgerichtete, dabei durchweg aggressive und mörderische Politik verfolgten. Sie bewirkten eine gleichsam automatische Aktivierung nationalistischer Gegner. Hitler und seiner Propaganda, die von einer Vielzahl aggressiver Todfeinde ausging, bot dies gleichsam einen Echtheitsbeweis seiner Hasstiraden, konnte er doch zumindest einen realen und potenten Gegner mit weltweiten Ansprüchen präsentieren. Als Abwehrkampf gegen den Bolschewismus suchten die Nationalsozialisten durchgängig ihre triebhafte Raubpolitik zu kaschieren oder zu legitimieren, und maßlose Überzeichnungen der Gefahr sollten vor allem das bürgerliche Lager im Innern Deutschlands und das westliche Ausland animieren, dem NS-Staat Hilfe oder Gefolgschaft zu leisten.

Das ›Dritte Reich‹ 1933–1945

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