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d) Neubewertung des Abwägungsgebots nach dem Europarechtsanpassungsgesetz Bau
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Die Dogmatik des Abwägungsgebots ist wesentlich davon geprägt, dass das Abwägungsgebot als eine materiell-rechtliche Anforderung rechtsstaatlicher Planung verstanden wird. Dies bedeutet vor allem, dass mit „Abwägungsvorgang“ nicht das Verfahren der Planung gemeint ist, sondern dass sich dieser ebenso wie das Abwägungsergebnis auf die inhaltliche Seite der Planung bezieht[514]. Die Einordnung des Abwägungsgebots als ausschließlich materiell-rechtliche Anforderung ist jedoch durch die BauGB-Novelle 2004 infrage gestellt worden[515]. Mit dem Europarechtsanpassungsgesetz Bau hat der Gesetzgeber dem Abwägungsgebot auch eine verfahrensrechtliche Dimension hinzugefügt. Das zeigt sich zunächst an der mit der Novelle eingefügten Regelung des § 2 Abs. 3 BauGB, der die Ermittlung und Bewertung der Abwägungsbelange, nach allgemeinem Verständnis also die zweite und dritte Stufe des Abwägungsgebots, in einen verfahrensrechtlichen Kontext stellt. Noch deutlicher ist die hierauf bezogene Planerhaltungsvorschrift des § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB, die Fehler auf diesen Stufen des Abwägungsgebots als Verfahrensfehler kategorisiert[516]. Die Intention des Gesetzgebers ist weiter an der Regelung des § 214 Abs. 3 S. 2 BauGB ablesbar, die ersichtlich von einer Überschneidung verfahrensrechtlicher Anforderungen mit den Anforderungen des Abwägungsgebots ausgeht. Mit dieser Neuorientierung des Abwägungsgebots vollzieht der Gesetzgeber eine Anpassung an den systematischen Ansatz der umzusetzenden Plan-UP-Richtlinie und Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie[517]. Diese Richtlinien betonen nicht primär die materiell-rechtlichen, inhaltlichen Anforderungen an die Planung, sondern räumen vor allem den Verfahrensanforderungen einen hohen Rang ein[518]. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass die Einhaltung verfahrensrechtlicher Standards in der Regel die Gewähr für die Erreichung der materiellen Ziele bietet[519].
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Inwieweit mit dieser gesetzlichen Neuorientierung des Abwägungsgebots eine Abkehr von der überkommenen Abwägungsdogmatik einhergeht, ist zweifelhaft[520]. Zunächst hatte der Gesetzgeber ersichtlich den Ansatz verfolgt, die Kategorie des Abwägungsvorgangs jedenfalls im BauGB selbst nicht mehr zu berücksichtigen und stattdessen die neue Kategorie des Abwägungsverfahrens zu installieren[521]. Gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf hat es der Gesetzgeber in § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB schließlich doch bei der Bezugnahme auf den Abwägungsvorgang belassen. Damit ist davon auszugehen, dass die Kategorie des Abwägungsvorgangs fortbesteht. Das Verhältnis zu der neu geschaffenen Kategorie des Abwägungsverfahrens ist jedoch nicht eindeutig geklärt[522]. Bei der Betrachtung des § 214 BauGB zeigt sich jetzt das Bild einer dreifachen Verankerung jedenfalls einzelner Anforderungen des Abwägungsgebots. Bei Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bleibt es bei der unbefriedigenden Doppelprüfung der Anforderungen des Abwägungsgebots jeweils in Bezug auf Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis. Hinzu tritt, soviel ist aus § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB abzuleiten, die Überprüfung der korrekten Ermittlung und Bewertung der Abwägungsbelange als Elemente des Abwägungsverfahrens[523]. Für die kommunale Planungspraxis dürfte diese Problematik allerdings ohne größere Folgen bleiben. Hier bleibt es bei der Bindung der planenden Gemeinden an die formulierten Anforderungen des Abwägungsgebots[524]. Selbst für die Kontrolle durch die Gerichte kann die Zuordnung der Anforderungen im Regelfall dahingestellt bleiben, da § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 BauGB eine Mehrfachprüfung ausschließt.