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5. Rechtsfolge

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Sämtliche Befugnisnormen des Bauordnungsrechts räumen den Bauaufsichtsbehörden in der Rechtsfolge Ermessen ein, und zwar sowohl Entschließungs- als auch Auswahlermessen. Grundsätzlich gelten insoweit die Maßgaben des § 40 des jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensgesetzes[678]. Allerdings geht die Rechtsprechung davon aus, dass trotz des ausdrücklich eingeräumten Ermessens die Bauaufsichtsbehörden einschreiten sollten („soll“ im Sinne der Verwaltungsrechtsdogmatik[679]), wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für Baueinstellung[680], Nutzungsuntersagung[681] und Beseitigungsanordnung[682] gegeben sind. Im Ergebnis wird damit erreicht, dass die Bauaufsichtsbehörden einschreiten müssen, es sei denn, es liegen im Einzelfall außergewöhnliche Umstände vor, die eine andere Rechtsfolge rechtfertigen. Diese interpretatorische Verschiebung contra legem von einem „kann“ zu einem „soll“ wird mit der Figur des sog. intendierten Ermessens erklärt. Der Eingriff durch die Bauaufsichtsbehörden stehe dem Gesetz näher als das Nichteinschreiten[683]. Dementsprechend nimmt die Rechtsprechung auch keine Ermessensunterschreitung an, wenn die Behörde ohne weitere Ermessenserwägungen die bauaufsichtliche Maßnahme ergreift, solange keine „außergewöhnliche[n] Umstände des Falles bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen“[684]. Auswirkungen hat die Bejahung des intendierten Ermessens schließlich auch für die Begründung der Ermessensausübung nach § 39 Abs. 1 S. 3 (L)VwVfG[685], die nach der Rechtsprechung als entbehrlich entfällt[686].

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In der Literatur stößt die Erfindung des intendierten Ermessens durch die Rechtsprechung überwiegend auf Kritik[687]. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass es den Landesgesetzgebern freigestanden hätte, als Rechtsfolge ein „Sollen“ zu normieren; die gesetzgeberische Entscheidung zugunsten eines offenen Ermessens dürfe nicht überspielt werden[688]. Zwar ist der Rechtsprechung insofern beizustimmen, dass die Bauaufsichtsbehörde häufig keine weiteren Erwägungen wird anstellen können als diejenigen, die sie schon auf Tatbestandsseite abgearbeitet hat. Dennoch wird man fordern müssen, dass sich die Behörde zum einen bewusst bleibt, dass sie über einen Ermessensspielraum verfügt, und zum anderen, dass sie begründet, warum ein Regelfall vorliegt[689]. Nur auf diese Weise kann kontrolliert werden, ob die Behörde ermessensfehlerfrei entschieden hat. Akzeptiert man dagegen mit der Rechtsprechung ein intendiertes Ermessen als Rechtsfolge der spezialgesetzlichen Bauaufsichtsbefugnisse, muss dieses auch konsequent umgesetzt werden. Insbesondere bei Anträgen von Nachbarn auf Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde bei einer Verletzung nachbarschützender Vorschriften darf sich die Behörde dann nicht (plötzlich) auf ihr Ermessen berufen dürfen (siehe Rn. 185 ff.)[690]. Auch hier muss dann im Regelfall eingeschritten werden[691], statt umgekehrt den Anspruch des Nachbarn im Regelfall abzulehnen[692].

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Gerade bei der Beseitigungsanordnung ist angesichts des erheblichen Substanzverlustes, der mit der Beseitigung der baulichen Anlage verbunden ist, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme besonders streng zu prüfen. Im Vordergrund steht hierbei die Erforderlichkeitsprüfung, die einfachgesetzlich in den Befugnisnormen zum Abbruch eigens geregelt ist[693]. Abgesehen von den schon erwähnten Legalisierungsfragen ist hier vor allem zu untersuchen, ob statt einer Beseitigung eine bloße Nutzungsuntersagung[694] oder zumindest ein Teilabriss[695] ausreichend ist. Dagegen kann der Bauherr weder die Geringfügigkeit der Baurechtswidrigkeit[696] (sonst würde mangels Durchsetzbarkeit jeder Bauherr kleine Abweichungen zu seinen Gunsten einkalkulieren) noch seine wirtschaftlichen Interessen[697] ins Feld führen.

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Innerhalb des Ermessens spielt insbesondere bei der Beseitigungsanordnung auch der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, eine bedeutende Rolle. Im Zentrum steht das Problem, ab wann der Bauaufsichtsbehörde der Vorwurf eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz gemacht werden kann, wenn sie ihr Ermessen bei mehreren baurechtswidrigen Anlagen nicht gleich ausübt. Die Rechtsprechung legt in solchen Fällen den (bloßen) Willkürmaßstab an[698]. Darüber hinaus billigt sie der Verwaltung einen relativ großen Spielraum zu. So folge aus dem Willkürverbot „nicht, dass rechtswidrige Zustände, die bei einer Vielzahl von Grundstücken vorliegen, stets ,flächendeckend‘ zu bekämpfen sind. Vielmehr darf die Behörde – etwa in Ermangelung ausreichender personeller und sachlicher Mittel – auch anlassbezogen vorgehen und sich auf die Regelung von Einzelfällen beschränken, sofern sie hierfür sachliche Gründe anzuführen vermag“[699]. Das ermöglicht es der Behörde, in Etappen vorzugehen und zunächst einzelne Fälle herauszugreifen, solange sie auch gegen die übrigen baurechtswidrigen Zustände vorzugehen gedenkt[700]. Eine Grenze soll erst dann erreicht sein, wenn die Behörde bei zwei vergleichbaren Anlagen die eine mit einer Beseitigungsanordnung belegt, während sie die andere genehmigt oder duldet[701]. Insgesamt erscheint die Rechtsprechung hier allzu großzügig. Zu begrüßen sind daher Versuche, Maßstäbe dafür zu entwickeln, wann ein „anlassbezogenes“ Vorgehen der Behörde noch frei von Willkür ist. Gefordert wird insoweit eine systematische Erfassung der baurechtswidrigen Gesamtlage[702], also ein Gesamtkonzept, das die Kriterien für das unterschiedliche Vorgehen transparent macht[703].

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Immer wieder stellt sich die Frage, wie sich eine behördliche Duldung baurechtswidriger Zustände auf das zukünftige Entschließungsermessen auswirkt. Insofern erscheint bereits die Annahme, die Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde gegen ein (baldiges) Einschreiten könne trotz baurechtswidriger Zustände ermessensfehlerfrei sein, als problematisch[704]. Hier ist darauf zu achten, die Dogmatik zur Duldung mit derjenigen zum intendierten Ermessen in Einklang zu bringen: Wenn man über die Figur des intendierten Ermessens aus einem Können ein Sollen macht[705], bleibt für die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Duldung nur wenig Raum; denkbar sind also nur Fälle wie derjenige, in dem der baurechtswidrige Zustand bei baldigem Tode des Einwohners für dessen restliche Lebenszeit geduldet wird[706].

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Was die Auswirkungen der Duldung betrifft, so ist zwischen der sog. passiven und der aktiven Duldung zu unterscheiden. Während erstere durch reines behördliches Unterlassen über eine gewisse – auch längere – Zeit hinweg gekennzeichnet ist und nicht zu einem schutzwürdigen Vertrauenstatbestand beim Betroffenen führen kann[707], tritt bei der aktiven Duldung noch ein positives Verhalten hinzu; erst diese Kombination von Zeit- und Umstandsmoment kann Grundlage für ein schutzwürdiges Vertrauen sein, das ein bauaufsichtliches Einschreiten verhindern kann. Von einer solchen aktiven Duldung wird vor allem bei einer Duldungszusage (einer Zusicherung nach § 38 LVwVfG[708]) oder einem (feststellenden) Duldungsverwaltungsakt[709] gesprochen. Die erwähnten Kriterien – Zeit- und Umstandsmoment – erinnern an die Voraussetzungen der Verwirkung. Daher verwundert es nicht, dass in diesem Zusammenhang bisweilen nicht mit der ,aktiven Duldung‘, sondern über die Verwirkung dieselben Ergebnisse erreicht werden[710]. Die beiden Institute sind weitgehend deckungsgleich. Eine Differenzierung, die einerseits eine Verwirkung in den hier in Rede stehenden Fällen ablehnt mit dem Argument, gesetzliche Eingriffskompetenzen seien nicht disponibel, andererseits aber die aktive Duldung akzeptiert[711], erscheint nicht überzeugend: Auch bei der aktiven Duldung wird über das behördliche Eingriffsrecht disponiert.

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Nur selten enthalten die Bauordnungen der Länder spezielle Regelungen zu den Adressaten einer bauaufsichtlichen Maßnahme[712]. Soweit es an einer solchen Spezialregelung fehlt, muss auf die Vorschriften aus dem Allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht zurückgegriffen werden[713]. Als Verhaltensstörer kommen der Bauherr[714], aber auch die übrigen am Bau Beteiligten[715] im Rahmen ihres Wirkungskreises in Betracht. Daneben haftet u.a. der Grundstückseigentümer als Zustandsstörer[716]. Dies kann eine Störerauswahl nötig machen, die im Ermessen der Behörde steht[717]. Besondere Probleme bereitet die Rechtsnachfolge in Maßnahmen der Bauaufsichtsbehörde. Nach h.M. soll sich die Rechtsnachfolge neben den zivilrechtlichen Rechtsnachfolgetatbeständen auch aus dem Ursprungsverwaltungsakt ergeben, der als dinglicher Verwaltungsakt[718] konstruiert wird. Dies wird in jüngerer Zeit in Frage gestellt: Der Vorbehalt des Gesetzes sowie die Kompetenzordnung (Bundeszuständigkeit für das bürgerliche Recht versus Landeskompetenz für das Bauordnungsrecht) stehe einem derartigen Pragmatismus entgegen[719]. Stattdessen müsse das Verfahren mangels öffentlich-rechtlich geregelter Nachfolgetatbestände gegen den Rechtsnachfolger neu begonnen werden. Keine restlose Klärung haben die Regelungen zur Rechtsnachfolge gebracht, die die meisten Landesbauordnungen inzwischen enthalten[720], weil sich wiederum die Frage ergeben kann, auf welchen Begriff des Rechtsnachfolgers zurückzugreifen ist[721].

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Soweit die Maßnahmen der Bauaufsichtsbehörden nicht freiwillig befolgt werden, können sie nach den Regeln des Landesverwaltungsvollstreckungsrechts zwangsweise durchgesetzt werden[722]. Als Zwangsmittel kommen die Ersatzvornahme und das Zwangsgeld[723], gegebenenfalls sogar die Zwangshaft[724] in Betracht. Sie setzen alle grundsätzlich voraus, dass der jeweilige Grundverwaltungsakt entweder bestandskräftig oder sofort vollziehbar ist[725]. Gerade bei der Beseitigungsanordnung wird es allerdings an der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit regelmäßig fehlen, um keine vollendeten Tatsachen zu schaffen, bevor der Grundverwaltungsakt nicht bestandskräftig geworden ist[726]. Bei Störermehrheit muss die Behörde zusätzlich darauf achten, entweder gegen alle Störer vorzugehen oder aber gegen die zivilrechtlich Mitberechtigten eine Duldungsverfügung zu erlassen; andernfalls besteht ein Vollstreckungshindernis[727]. Eine Duldungsanordnung an den Eigentümer ist für den Vollzug einer Nutzungsuntersagung gegenüber dem Mieter allerdings nicht notwendig[728].

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Besondere Vollstreckungsmittel kennen die Landesbauordnungen für den Fall der Baueinstellung: Werden nach einer Baueinstellungsverfügung unzulässige Arbeiten fortgesetzt, kann die Behörde nicht nur die Baustelle versiegeln, sondern auch Bauprodukte, Maschinen und sonstige Hilfsmittel in amtlichen Gewahrsam nehmen[729]. Dabei handelt es sich um spezialgesetzliche Ausprägungen des unmittelbaren Zwangs gegen Sachen[730]. Im Rahmen ihres Anwendungsbereichs verdrängen sie die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen, etwa die Androhung der Vollstreckungsmaßnahme[731].

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