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Strolch im Dorf

Irgendwo in den Nördlichen Königreichen,

im Frühsommer des Jahres 472 der Blauen Götter

»Vorwärts, Sklave!« Einauge riß an dem dünnen Strick, und Strolch folgte ihm widerwillig. Er haßte diesen Teil des Planes. Aber immerhin war er bislang unbehelligt geblieben.

Das hektische Treiben des Marktes rings um sie ließ selbst ihn nicht gar so auffällig erscheinen. Er hatte die blonden Haare mit besonders viel Ruß geschwärzt, aber es gab keine Möglichkeit zu verbergen, daß er Ajunäer war.

»Da drüben«, sagte Kudung und bog seitlich ab. Strolch versuchte vorherzusehen, wie Einauge ihm folgen würde, um den nächsten Ruck des Strickes zu mildern.

Der Strick war es, der den Unterschied machte. Kudungs Bande sah abgerissen aus. Wenn ein entlaufener Sklave zu ihnen gehörte, waren sie vermutlich alle entlaufene Sklaven. Wenn sie jedoch einen Sklaven besaßen, waren sie Sklavenhändler, Diener eines Großgrundbesitzers oder was immer, jedenfalls jemand, den die Bauern nicht gleich mit Schweinemist und Lehmklumpen bewarfen.

»Wieviel?« fragte Kudung und deutete auf ein Ferkel, das mit zusammengebundenen Beinen am Wagen eines Bauern hing. Als er den Preis hörte, blaffte er etwas Abfälliges und ging weiter. Strolch bereitete sich auf den nächsten Ruck vor.

Kudung war offensichtlich bester Laune. Sie alle waren es. Dabei war der Markt nun wirklich nur eine Anhäufung einiger Dutzend Stände und Wagen. Verglichen mit dem Hafen von Maganta eine einzelne, schäbige Seitenstraße. Ganz zu schweigen von dem Sklavenmarkt von Tschöng-Hau Leng ...

Nein, daran wollte Strolch jetzt nicht denken. Sklave, Sklave, Sklave – immer wieder. Eben noch hatte auch er Spaß an dem bunten Treiben gehabt – nach all den Monden in Ginkgowäldern, Bambushainen und Schilfgürteln, in Straßenschmutz und Uferschlamm, in wortlosem Elend und schweigender Einsamkeit.

Rede dir doch nichts ein, Nichtsnutz, dachte er bitter. Du bist ein Sklave! Jetzt bist du eben der Sklave einer Bande aus Strauchdieben, Deserteuren und unverheiratbaren Huren.

»Schöne Dame!« Schlampe lachte affektiert. Sie hatte einen einfachen braunroten Fächer gefunden und spielte nun eine der Frauen, die wohl in den Palästen und Tempeln einer Großstadt wie Tschöng-Hau Leng lebten. Auch sie träumte von einem Leben, das ihr für immer versperrt bleiben würde.

»Tücke!« fluchte Strolch so laut, daß sich Einauge umwandte. Prompt riß er unwirsch an dem Strick an. Einauge genoß das, da war sich Strolch sicher. Er wurde zusehends eifersüchtig. Da Narbenfresse meist seinen Mund hielt, war Einauge immer Kudungs Ratgeber gewesen – soweit sich der gedrungene Anführer überhaupt etwas sagen ließ. Seit Strolch angefangen hatte, über Schlampe als Übersetzerin Vorschläge zu machen, sah Einauge sich wohl bedroht. Nicht daß Kudung dem Ajunäer etwas anderes als wortlose Verachtung entgegengebracht hätte: aber die Bambusschnorchel, der Marsch auf den neuen Straßen, die ganze Idee, den Heerscharen zu folgen – all das war von Strolch ausgegangen.

»Wohin gehen die Heerscharen?« Schlampe hatte noch mehr gesagt, aber das waren die Worte, die Strolch verstanden hatte. Endlich hatte sie Erfolg. Schlampe hatte den Fächer zurückgelegt und kokettierte mit dem Krämer, der dünne Seidenbänder, Haschischpfeifen, Parfüm, Schmuck und Amulette feilbot und etwas, das wohl der getrocknete Penis eines sehr kleinen Norga-Wales war.

Strolch versuchte angestrengt, dem Gespräch zu folgen, aber er verstand bloß immer wieder »Heerscharen« und dieses unglaublich lange Wort, das die Kataueken gebrauchten, wenn sie von ihrem Kaiser sprachen. Die Leute hier pflegten schon wieder einen anderen Dialekt.

Natürlich konnte Strolch, was man an allen Küsten Ajunas Hafen-Katauern nannte. Er beherrschte die Zahlen und wußte, daß man statt bis zehn nur bis acht zählte, ehe man die nächsthöheren Münzen brauchte. Er konnte »wieviel?« , »mehr«, »weniger«, »gut« und »schlecht« sagen. Er kannte die verschlungenen Formeln, mit denen man die auf Höflichkeit erpichten Händler zu begrüßen hatte, mit denen man ein Geschäft besiegelte und sich zum Abschied bedankte. Er wußte, wie man Reis maß, Zucker, Haschisch und Gewürze und kannte die Worte für Fuhre, Sack, Maß und Skrupel – die Maßeinheiten, die die Kataueken den Händlern weltweit vorschrieben. Er kannte die Namen der zwei Ozeane und jener fernen Länder, die nur die Kataueken besuchten: Belabadangbarad, Esanuk, Eulykien, Mangalien, Ekim-P’Par, die Purpurinseln und die Pfefferinseln. Und er kannte jene seltsame Formel der Ehrerbietung, die man als Merkantilier einzuflechten hatte, wann immer man den Unwillen eines Kataueken erregte – wenn man jemals wieder etwas bei einem Kataueken kaufen wollte.

Es gab Städte im Merkantilischen Imperium, die seit 100 Jahren von den Kataueken nicht angelaufen worden waren, weil, so hieß es, dort einmal ein Krämer jene Formel nicht aufgesagt hatte. Und das waren durchweg Städte, die keine mercatoren aufwiesen und die im Imperium nichts mehr zu sagen hatten; Städte am Weißen Meer oder an der Grenze zur Ehernen Liga, Städte, die arm geblieben waren.

Ja, es hatte so einladend und vielversprechend gewirkt, sich auf diese katauekische Nauke zu schleichen. Nach Serkan Katau fahren und reich werden. Zurückkommen und all denen ins Gesicht lachen, die Strolch ausgelacht hatten. Vor allem dem alten Hurenbock ...

Reich! Strolch mußte bitter lachen. Jetzt, dachte er, bist du ein entlaufener Sklave, der sich als Sklave verkleidet, um die Reste irgendeines Feldzuges einzusammeln. Obwohl der Plan tatsächlich der erste Lichtblick war, seit er auf diesem verfluchten Kontinent war.

Seit Strolch von dem Straßenbau erzählt hatte, folgten sie dem Aufmarsch. Ein halbes Dutzend Mal hatten sie aufgelassene Lager vorgefunden, wo wiederholt eine durchziehende katauekische Heerschar genächtigt hatte. Kudung trug seither Stiefel, zwei Einzelstücke mit durchgelaufenen Sohlen, die er binnen drei Tagen aus einem Strauch und einem Graben gezogen hatte. Sie hatten einen kleinen Sack Reis gefunden, bei dem nur die oberste Handbreit schimmelig gewesen war. Und einmal hatten sie ein Faß erbeutet, indem noch genug Reisbier gewesen war, daß sich die drei Männer einen Mund voll genehmigen konnten. Strolch natürlich nicht.

Aber er hatte eine abgerissene Gürtelschnalle gefunden, einige Haken und einen kleinen Bratspieß. Vielleicht konnte er den Schrott bei einem Schmied verkaufen. Inzwischen spielte er mit dem Gedanken, alles zu sammeln, was er als Einbruchswerkzeug gebrauchen konnte. Hier auf dem Land – auch in diesem größeren Dorf – schien es keine versperrten Türen zu geben, aber zumindest in Tschöng-Hau Leng hatte er Villen mit Türschlössern gesehen. Und so viel wußte Strolch aus den Gassen von Maganta: Wer Eisen kaufte, um Türen zu sichern, hatte dahinter Gold liegen ...

Himmlisches Feuer

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