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Waffen

Festung Gingang Tung, Mantikor Leng, im Ersten Mond im Jahr 472 der Blauen Götter

»Ich kann die Weisheit dieses Befehls nicht erkennen«, sagte Kang steif. Die Bemerkung war ihm peinlich, denn er haßte es, wenn Anweisungen hinterfragt wurden – ob er sie nun gab oder zu befolgen hatte. »Ich bin doch von allen acht Hauptleuten zweifellos am wenigsten geeignet, mit einem Gesandten der Geheimen Kammer des Himmlischen Willens zu sprechen. Warum hat der höchstehrwürdige General Tüfang hua Hidong ausgerechnet mir diese Führung übertragen?«

»Hochehrwürdiger Kang, alter Eisenfresser«, antwortete Hauptmann Schiheng hua Tagau, »das ist doch offensichtlich. Es wird Zeit, daß du die Barbarengrenze aus dem Kopf bekommst. Du bist jetzt ein Zwiefach Vereideter. Wir werden neben dem Herrn der Unwandelbaren Ordnung stehen. Dafür brauchst du noch etwas Feinschliff ...«

Kang fühlte sich wie ein treues, aber angerostetes Schwert, als er durch den Torbogen hinaus auf den Kasernenhof schritt.

»Höchstehrwürdiger Fong-Kuoy näng Tschüeng, hochehrwürdige Herren ... und Herrinnen ...« Kang stockte. Es befremdete ihn, ohne Helm und ohne Maske zu sprechen, umso mehr, als die rotgeschminkten Gesichter und die Fächer vor ihm ihrerseits wie Verteidigungswälle waren. »Herren und Herrinnen der Kammer des Himmlischen Willens, der Kammer der Geomantie, der Kammer der Dichtkunst, der Kammer der Metallbildnerei und der Kammer der tugendhaften Musik.«

Die Inspektion war viel größer als erwartet: fast dreißig Priester und Bonzen, etliche davon Frauen. Sie waren ein tuschelnder, lächelnder, Fächer wedelnder Schwarm von Pfauen, von dem ein betörender Duft herüberwehte. Allein die Sänften, die Träger, Leibwächter und Dienstboten füllten beinahe schon den vordersten der Kasernenhöfe von Gingang Tung.

Neben den blau gewandeten Priestern sah Kang zahlreiche Herren der Kammern in Weiß. Er biß die Zähne zusammen und hoffte, daß er keine Kammer zu begrüßen vergessen hatte.

»Ehrwürdiger Hauptmann«, brach der feiste Priestergesandte Fong-Kuoy mit einem unergründlichen Lächeln etwas, das anscheinend peinliche Stille war, »zeig uns doch einfach eure sagenhaften Götterfresser. Wir alle fiebern danach, jene Männer zu sehen, die der Herr der Unwandelbaren Ordnung für diese unerhörte Aufgabe ausgewählt hat. Insbesondere unsere Priesterinnen können kaum mehr erwarten, einen leibhaftigen Götterfresser – darf ich es wagen zu sagen – in die Finger zu bekommen.« Hinter Fong-Kuoy kicherten mehrere rotgeschminkte Schönheiten und fächelten vergnügt. Der Priestergesandte machte eine affektierte Geste, die, wie es Kang schien, ihn zum Geschenk anbot.

Kang hatte sich einige erklärende Sätze zurechtgelegt, aber Fong-Kuoy hatte ihn längst überrannt.

»Folgt mir bitte, höchstehrwürdiger Herr, hochehrwürdige Herren und Herrinnen.« Kang machte auf dem Stiefelabsatz kehrt und schritt dem Zentrum des riesigen Kasernenhofes entgegen. Hinter ihm folgten seidenraschelnd und plaudernd die Priester und Bonzen.

»... gesprächig ist er jedenfalls nicht«, hörte Kang einen halblauten Satz hinter einem Fächer hervorwehen.

»Ja, diese Wildheit«, erklang eine unverkennbar weibliche Stimme. »... wahrscheinlich aus den Nördlichen Königreichen ...«

Waren die Höflinge bei aller Tugend so unverschämt, hörbar über ihn zu sprechen, oder unterschätzten sie einfach das Gehör eines Mannes, der vierundzwanzig Jahre lang Nacht für Nacht Wache gestanden und auf das Schleichen von Spähern vor dem Labyrinth gelauscht hatte? Bei seiner Tugend, sie hatten Heerscharen von Bauern gehabt, die täglich vor den Mauern daran gearbeitet hatten, das Gelände frei von Dornicht zu halten und den Boden zu glätten, damit am Morgen Spuren von Spähern entdeckt werden konnten ...

»Erlaubt eine Frage, hochehrwürdiger Hauptmann, die ich schon immer stellen wollte.« Kang brauchte eine Weile, um in dem Schwarm roter Gesichter den Fragesteller ausfindig zu machen. Es war ein junger Qengtan mit arrogant hochgezogenen Augenbrauen. »Warum stehen die Kämpfer des Länder überspannenden Feldes der Krieger stets so im Zickzack? Das sieht so ... ungeordnet aus.« Er blickte mit einem gekünstelten Lachen zu den Umstehenden und erntete ebensolches.

Kang blickte auf seine Faust, die für die Vorführung angetreten war. Er benötigte noch länger, um die Frage zu verstehen. Zickzack?

»Hochehrwürdiger Herr«, antwortete er schließlich steif, »acht Krieger mit einem Waffenmeister daneben bilden ein Glied. Acht Glieder zu acht Kriegern mit einem Wachtmeister daneben bilden einen Finger. Acht Finger bilden die Dritte Faust, die meinem Kommando untersteht.« Endlich begriff er die Frage. Diese Leute hatten nie in ihrem Leben gekämpft. »Glieder, Finger und Fäuste stehen jeweils in der traditionellen Achterformation: drei vorne, zwei in der Mitte, versetzt, drei in der letzten Reihe. Dadurch bilden sie eine Einheit, können sich aber bewegen und vor allem ihre Waffen einsetzen.«

Das war der ideale Einstieg. Kang fühlte wieder Boden unter den Füßen. Sie wollten seine Männer sehen – er würde sie ihnen zeigen.

»Die ehrwürdigen Herren der Kammer der Ingenieurskunst, die Meisterschmiede, Lanzenschäfter, Bogner und Lederer des Reiches der Tugend haben den Götterfressern acht neue Waffen geschaffen – perfektioniert für den einzigen Zweck, damit Götter zu töten.« Kangs Stimme erstarkte vor Kriegerstolz. »Da sind für den Fernkampf Kreuzbogen der Schmerzen, Bola, Bullenpeitsche und Harpune und für den Nahkampf Feuerlanze, Hellebarde, Schlachterbeil und Pflock.« Ohne nachzudenken, hob Kang die Hand und formte bei jedem Waffennamen mit Faust oder Hand die zugehörige Kommandogeste.

»Jeder Götterfresser wird an einer dieser neuen Waffen ausgebildet. Jedes einzelne Glied ist mit jeweils acht gleichen Waffen ausgestattet, und jeder Finger bildet daher einen eingespielten Stoßtrupp mit allen acht Waffen.«

»Und du, hochehrwürdiger Hauptmann, womit kämpfst du?« War das dieselbe Frauenstimme, die in ihm vorher einen halben Barbaren aus den Nördlichen Königreichen vermutet hatte? Jedenfalls war es eine üppige Priesterin, die deutlich sichtbar ihr dreifaches Ringsiegel trug.

»Die Offiziere«, antwortete Kang, ohne sich auf ihren Unterton einzulassen, »kämpfen traditionsgemäß mit der Standarte, einer besonders langen Hellebarde, an der je nach Größe des Gefolges ein bis vier lange Wimpelbänder flattern, so daß sich die Einheit darum scharen kann.« Kang fühlte sich plötzlich nackt. »Ich habe die Standarte ausnahmsweise abgelegt ...« Weil Schiheng hua Tagau ihm geraten hatte, die Höflinge nicht waffenstarrend zu empfangen. Dann klopfte er an das Gehänge an seiner Seite. »Jeder Krieger führt außerdem das gewohnte Säbelschwert, welches das Länder überspannende Feld der Krieger seit Generationen von Sieg zu Sieg geführt hat.« Kang wandte sich auf dem Absatz um. »Ihr Herren vom Kreuzbogen der Schmerzen, seid ihr bereit?«

»Kreuzbogenschützen bereit. Hoi!« Das achte Glied jedes Fingers trat vor, acht mal acht Mann bezogen im Laufschritt Stellung zur Rechten. In angemessener Entfernung hatten halbwüchsige Jungkrieger übermannsgroße hölzerne Zielschieben errichtet.

»Der Kreuzbogen«, erklärte Kang, während die Schützen im Hintergrund mit Zielschießen begannen, »ist seit Jahrhunderten Quelle des tödlichen Pfeilregens, der dem Reich der Tugend Eroberung um Eroberung einbrachte. Der Kriegsherr der Geheimen Kammer, der die Mantikoren bezwang und verspeiste, so die Sage, hat die Waffe selbst ersonnen.«

Die zwei schräg gekreuzten Bogen aus verdrillten Eibenastkernen schleuderten mit der Doppelsehne handspannenlange Bolzen oder pflaumengroße Steine über vierhundert Götterfuß weit. Die dazu nötige Waffe war von Hand gar nicht zu spannen; vielmehr mußte der Schütze sie auf den Boden richten, an ihrer Spitze in eine Schlaufe treten und dann einen Hebel ansetzen und mit vollem Körpereinsatz umlegen.

»Die Götterfresser beschlossen nach mondelangen Versuchen, auf Reichweite und Durchschlagskraft zu verzichten und dafür eine Waffe zu führen, die mit zwei Händen schnell gespannt und geladen werden kann.« Kang bemerkte, daß einige Bonzen gelangweilt tuschelten.

»Die Bolzen«, fuhr er unbeirrt fort, »sind mit Eisenspitzen versehen, in die Rillen gefräst sind. In diesen lauert das Gift der Kletterviper, wie es die Schlangenkrieger der Königin von Tschang Po Tschar für ihre Blasrohre benutzen.« Kang wandte sich wieder um und gab ein Handzeichen.

»Lauf los, Nichtswürdiger!« rief ein Waffenmeister der Hilfstruppen und ließ eine Peitsche knallen.

»Acht zum Tode verurteilte Deserteure und Befehlsverweigerer«, erklärte Kang. Es war ihm peinlich zuzugeben, daß es in der unüberblickbaren Zahl von Heerscharen immer wieder Krieger gab, denen Disziplin fremd war. Aber er erkannte an den leuchtenden Blicken und dem heftigen Fächeln der Zuschauer, wie gebannt sie beobachteten, was sich hinter seinem Rücken abspielte. »Wenn einer von ihnen den Torbogen erreicht, wird er begnadigt.«

Bei jedem Peitschenknall rannte ein Verurteilter los. Der beste Schütze jedes Fingers lief ebenfalls los und versuchte, die Flucht zu verhindern. Acht Mal schnalzte eine doppelte Sehne, acht Mal stöhnte oder schrie ein Mann auf. Das Viperngift ließ die Adern sich derart erweitern, daß sie an manchen Stellen barsten, und den Hals so zuschwellen, daß die Opfer mit hervorquellenden Augen erstickten. Keinem Flüchtling gelang es, nach dem Treffer mehr als hundert Schritte zu machen.

Viele der Zuschauer falteten die Fächer zusammen und ließen sie mit deutlicher Anerkennung auf die flache Hand klatschen.

»Gut geschossen, achtbare Herren«, rief Kang. »Aber vergessen wir nicht: wir wissen nicht, ob die Blauen Götter überhaupt Blut haben, das wir vergiften können.«

Dann hob er erneut die Hand. »Ihr Herren von der Bola, seid ihr bereit?«

»Bolawerfer bereit. Hoi!«

»Diese erstaunlich einfache Waffe«, erläuterte Kang, »wurde von den Turga übernommen und perfektioniert: eine mannslange Schnur aus gedrehten Büffellederstreifen, mit zwei dunklen Eisenkugeln mit Stacheln und Widerhaken beschwert. Die Reiter des turgischen Busches gebrauchen die Waffe, um auf der Jagd entfliehende Gazellen zum Straucheln zu bringen oder ihre halbwilden Pferde und Kamele wieder einzufangen.«

Kang verzichtete darauf hinzuzufügen, daß die Waffen der Götterfresser so gebaut waren, daß sie Arme und Beine nicht nur fesselten, sondern sich förmlich darin verbissen. Und daß die Männer eine eigene Wurftechnik hatten entwickeln müssen, um die Bola trotz der langen Federn auf ihren Helmen über dem Kopf kreisen lassen zu können.

»Räuber und Diebe, denen der Herr der Unwandelbaren Ordnung die Gnade gewährt, dem Reich der Tugend nützlich zu sein.« Im Hintergrund taten Kangs Leute, was sie seit Wochen getan hatten: sie hetzten die Sträflinge durch die Schaukampfhöfe, bis sie auf vierzig Götterfuß Entfernung ein Opfer als blutig verschnürtes Bündel zu Fall brachten.

»Bei aller Tugend«, rief ein Priester, »man könnte meinen, ihr geht auf die Jagd, hochehrwürdiger Hauptmann!«

»Von Jagd spricht man, hochehrwürdiger Lauzöng, wenn die Beute, mag sie auch wehrhaft wie ein Tiger oder Krokodil sein, stets zu fliehen trachtet«, korrigierte Kang ihn grimmig. »Was wir jagen werden, hat noch nie jemand zu jagen versucht. Und es ist sehr wahrscheinlich, daß sie kämpfen werden.« Nach einer sehr kurzen Pause riß er die Hand hoch. »Ihr Herren von der Bullenpeitsche, seid ihr bereit?«

»Peitschenschwinger bereit. Hoi!« Im Hintergrund traten mit lautem Knallen die nächsten Götterfresser an, ihre Kunst zu zeigen.

»Die Büffelreiter von Karadschurgjia«, berichtete Kang nun, »benutzen bei den Herden und im Kampf lange Peitschen, aber noch nie hat jemand zehn Götterfuß lange Lederriemen geschwungen. An der Spitze sitzt ein Schnäpper aus scharf geschliffenem Kamelknochen.«

Diesmal wurden acht kriegsgefangene Barbaren losgelassen, die allesamt die Hauptwaffe ihrer Kultur führten. Die Könner in der Heerschar, die allesamt Karadschurgjiter waren oder bei ihnen gelernt hatten, sprangen vor. Sie trafen ihre angreifenden Gegner mit dem Schnäpper, der die Haut aufplatzen ließ; wenn dann der Rest der Peitsche aufschlug, fraß er sich bis auf die Knochen durch.

»Niemand, so haben unsere Übungen in Gingang Tung gezeigt, kann eine Waffe festhalten, wenn sein Arm von einer überschweren Bullenpeitsche getroffen wird. Niemand jedenfalls«, so unterbrach Kang den aufkommenden Beifall, »niemand, von dessen Art das Reich der Tugend bereits Gefangene gemacht hat ...«

»Du scheinst mir in diesen historischen Kampf ein wenig ... skeptisch zu gehen, hochehrwürdiger Hauptmann.« Ein Priester mit einem besonders zynischen Unterton in der Stimme hatte sich zu Wort gemeldet. »Glaubst du nicht an euren Sieg?«

Für einen Augenblick war Kang sprachlos. Was dachte dieser vollgefressene Genießer eigentlich, worum es hier ging?

»Es ist nicht meine Aufgabe, an unseren Sieg zu glauben, hochehrwürdiger Tugendwächter.« Kangs Stimme war eiskalt – die einzige Möglichkeit, seine Wut im Zaum zu halten. »Es ist meine Aufgabe, den Sieg zu erkämpfen oder dabei zu sterben. Und das erste, was ein Mann lernt, der auch nur einen Kampf gekämpft und überlebt hat« – die Ohrfeige traf den Zivilisten zwischen atemlos lauschenden Standesgenossen –, »ist, daß den Feind zu unterschätzen der sicherste Weg ist, den Sieg zu gefährden. Die Tugend des Ziangs verlangt, den Gegner wertzuschätzen.«

Von mehreren Zuhörern kamen zustimmende Bemerkungen.

»Ihr Herren von der Harpune, seid ihr bereit?« Kangs Arm schnellte zackig in die Höhe.

»Harpunenwerfer bereit. Hoi!« Im Hintergrund wurden acht muhende Wasserbüffel herangetrieben.

»Die Harpune«, begann der Hauptmann die nächsten Ausführungen, »ist eine Erfindung der Wilden der Jaguarinseln auf der anderen Seite der Welt, welche die ajunäischen Barbaren dann verbesserten. Im Merkantilischen Imperium jagt man Wale mit diesem Wurfspieß mit der langen Metallspitze, deren Widerklingen aus dem Fleisch des Opfers nur mehr herausgeschnitten werden können. Die Schnur aus gedrilltem Hanf daran sorgt dafür, daß die getroffene Kreatur nicht entkommen kann.«

»Unser ehrwürdiger Hauptmann«, ergriff Fong-Kuoy näng Tschüeng das Wort und trat vor sein Gefolge, »liefert uns hier ein weiteres Beispiel der Kriegertugend, auch die Barbarenvölker nicht zu gering zu achten. Wie vielleicht bekannt sein dürfte, gehört es zu meinen Aufgaben, das Wissen der Kammer des Himmlischen Willens über die Barbaren auf dem neuesten Stand zu halten.« Die Enthüllung des feisten Gesandten klang selbstgefällig und lieferte den erwarteten Beifall.

»Was auch der ehrwürdige Hauptmann nicht wissen kann, ist, daß die Kundschafter der Kammer der Nautik erst im Winter mit dieser Waffe zurückgekehrt sind. Katauekische Lochmünzen erkauften den Unterricht bei hungrigen Walfängern, die ihre Bedenken ignorierten, ihr Handwerk den beherrschenden Seefahrern der Welt zu verraten – und eine katauekische Meuchelklinge sorgte dafür, daß keiner der Lehrer erzählen konnte, daß ihre Schüler darauf bestanden hatten, statt Wasserkreaturen durchwegs Rinder und Maultiere zu harpunieren.« Er lachte blasiert und erntete weiteren Beifall. »Ich hoffe, ich habe eurer nächsten Vorführung nicht den Stachel der Überraschung genommen.«

»Keineswegs, höchstehrwürdiger Fong-Kuoy näng Tschüeng«, verneigte sich Kang. »Was wir hier vorführen, sind Übungen, die wir ohnehin zu vollführen haben.« Hinter ihrem Hauptmann zeigten die Götterfresser, daß sie indessen alle gelernt hatten, sich, wenn einer ihrer Harpuniere Erfolg hatte, mit ihm ins Seil zu werfen, um das Opfer aus dem Gleichgewicht zu bringen.

»Die eine Hälfte unserer Waffen dient dazu, Götter zu fangen. Das ist unsere Aufgabe. Aber wir machen uns nichts vor. Unsere Gegner werden fast sicher angreifen, und sie werden fast ebenso sicher durch unsere Jagdwaffen nur in ihrem Tun verlangsamt.

Wir brauchen noch einmal so viele Waffen, um unsere Gegner niederzukämpfen.« Einige der Priesterinnen zeigten deutliche Langeweile. Kang hingegen fühlte das charakteristische Vergnügen eines Kriegers, der eben erst sein halbes Arsenal gezückt hatte.

»Ihr Herren von der Feuerlanze, seid ihr bereit?«

»Feuerlanzenträger bereit. Hoi!« Mit lautem Fauchen wurden acht mal acht Brandsätze gezündet, jeder an einem zehn Götterfuß langen Bambusholm. Die Wände des Kasernenhofes rauschten vom Echo, als die Männer in enger Formation vorrückten.

»Eine Erfindung der Kammer der Alchimie«, versuchte Kang das Fauchen zu überschreien. »Der Brandsatz ist nicht heiß genug, um schweres Gerät zu entzünden. Aber Stichflamme und Funkenregen sind gefährlich genug, um ein Dutzend Angreifer auf einer Belagerungsleiter dazu zu bringen, lieber ins Verderben zu springen, als noch einen Augenblick standzuhalten.« Die Feuerlanzenträger waren inzwischen auf fünfzehn Schritte herangekommen, und selbst Kangs laute Stimme war kaum mehr zu verstehen. Die Bonzen und Priester wurden unruhig. Alle wirkten erleichtert, als Kang die Männer wenden ließ.

»Die Aufgabe der Feuerlanzenträger ist es vor allem, einen heranstürmenden Blauen Gott auf Distanz zu halten oder in die Enge zu treiben, damit die anderen Waffen zum Einsatz kommen können.«

»Überaus beeindruckend, hochehrwürdiger Hauptmann«, meldete sich ein Bonze und lockerte den Kragen seines weißen Brokatmantels. »Wenn ich richtig informiert bin, seid ihr viertausend Götterfresser?«

»Viertausendsechsundneunzig«, verbesserte Kang. »Wie jede Heerschar auf Garnisonsstärke.«

»Ihr seid gewiß nicht wie jede Heerschar. Wie, meine Herren«, wandte er sich an die Umstehenden, »sollten die Blauen Götter diesen Helden widerstehen?« Allgemeiner Beifall brandete auf.

»Hochehrwürdige Herren und Herrinnen«, hob Kang beide Hände, um die Begeisterung zu dämpfen. »Ihr habt bis jetzt keine Waffe gesehen, mit der man vermutlich einen Blauen Gott töten könnte. Offen gesagt habt ihr keine Waffe gesehen, die mit Sicherheit einen Götterfresser aufhalten könnte.«

Überraschtes Schweigen war die Antwort.

»Was ist mit diesen Giftpfeilen?« fragte ein jüngerer Bonze. Kang lächelte und klopfte nur auf Brustplatte, Armschienen und Beinplatten seines roten Harnischs.

»Nun sind wir aber doch gespannt«, meldete sich der zynische Priester, der zuvor Kangs Moral angezweifelt hatte, »wie ihr die Götter zu töten gedenkt.«

»Sehr einfach«, kündigte Kang mit einem grimmigen Lächeln an, »sehr einfach und sehr blutig! – Ihr Herren von der Hellebarde, seid ihr bereit?«

»Hellebardiere bereit. Hoi!« Den Männern, die bislang nicht vorgetreten waren, sah man auch am Harnisch an, daß sie kräftiger gebaut waren.

»Der Fang no Tuheng ist eine eigens für den Götterkampf entworfene Stangenwaffe von etwas mehr als Mannslänge. An der Spitze sitzt eine Stoßklinge mit zwei Widerhaken, die nur mehr die Kraft eines Büffels aus dem Leib des Opfers reißen kann; darunter ist eine Schneide, mit der ein starker Mann auf eine Entfernung von drei Götterfuß mit einem Schwung einen Arm abtrennen kann.«

Auf dem Kasernenhof wurden nun kettenklirrend mehrere wilde Tiere frei gelassen. Die Götterfresser rammten ihre Waffen in das Fleisch von Bären und Büffeln. Zum Abschluß wurde auf den besten Hellebardier ein Riesenaffe aus dem Dschungel von Tschang Po Tschar losgelassen. Noch im Todeskampf war er nicht imstande, sich die Stoßklinge aus dem Leib zu reißen.

»Ihr Herren vom Schlachterbeil, seid ihr bereit?«

»Beilschwinger bereit. Hoi!« Ohne Übergang warfen sich wiederum acht Männer in den Kampf und stürzten sich auf die verwundeten Tiere.

Im Getümmel wurde ein Krieger, das schwere Spaltbeil zum Schlag erhoben, vom Tatzenhieb eines bereits verstümmelten Bären getroffen. Mit klirrender Rüstung ging er zu Boden. Kang beschloß, den Mann später ausgewählt zu bestrafen – aber es gab keinen Grund, ihn vor den Zuschauern zu demütigen.

Die hellen Steinplatten des mächtigen Kasernenhofes waren von zuckenden Tierleibern bedeckt. Es stank nach Blut. Kang und seine Männer waren das gewohnt, aber einigen hektisch fächelnden Priestern und Bonzen schien sehr unwohl zu sein.

»Ihr Herren von Pflock und Hammer, seid ihr bereit?« Es hatte nichts mit Schaustellerei zu tun, daß Kang seine Befehle nun Schlag auf Schlag gab. Im Gegenteil, es war nur logisch, den Schaukampf so zu Ende zu bringen, wie es in Wirklichkeit geschah: schnell und gnadenlos und mit der Ahnung des Blutrausches, den jeder Krieger kennt.

»Pflockträger bereit. Hoi!« Die acht mal acht Mann aus dem ersten Glied jedes Fingers hoben die wohl merkwürdigsten Waffen.

»Der mit Blech beschlagene Pflock aus Eisenholz und der Hammer wurden in dieser Form wohl noch nie im Kampf eingesetzt«, rief Kang über das Röcheln und Keuchen der Kämpfenden hinweg. »Lediglich von den Barbaren aus dem fernen Kurjameos ist bekannt, daß die Reiter der Kriegselefanten dieses Werkzeug mit sich führen. Wenn sich der Elefant, wie es oft geschieht, verwundet oder erschreckt zur Flucht wendet und in den eigenen Reihen Entsetzen und Verwüstung anrichtet, dann treibt ihm der Reiter knapp hinter dem mächtigen Schädel den Pflock in den Nacken und tötet ihn so überraschend schnell.«

Auf Kangs Zeichen traten wiederum acht ausgewählte Krieger zwischen die Kreaturen. Jeder setzte Pflock und Hammer an.

»Ähnlich werden die Pflockträger erst zum Einsatz kommen, wenn ein Blauer Gott, von Gift und Wunden zu Boden geworfen, von Harpunen und Peitschen am Boden gehalten, darnieder liegt, um ihm dem tödlichen Stoß ins Herz zu treiben. Vorausgesetzt, daß so ein Gott ein Herz hat. Sonst, ihre Herren, nehmt die Gurgel, den Nabel, ein Auge, was immer. Jedenfalls nagelt ihm das Leben aus dein Leib!« Fast gleichzeitig krachten acht Hämmer auf die Pflöcke.

Die Inspektion machte sich zum Abschied bereit. Trotz der roten Schminke sah man mancher Priesterin und manchem Bonzen an, daß sie bleich waren. Völlig gleichmütig hingegen lächelte der Priestergesandte Fong-Kuoy näng Tschüeng, als er auf Kang zutrat.

»Ehrwürdiger Hauptmann Kang«, sprach er feierlich. »Es ist uns offensichtlich und eine Freude, daß die Götterfresser wohlüberlegt an ihre einzigartige Aufgabe herangehen. Ehe ich nun in den Hochtempel und die Innere Kammer des Himmlischen Willens zurückkehre, um Bericht zu erstatten, erlaube mir noch eine Frage: Ihr habt überzeugend vorgeführt, wie ihr Räuber und Feiglinge, Büffel und Affen tötet. Was, Hauptmann Kang, werden deine Männer tun, was wirst du tun, wenn ihr vor den Wesen steht, die anzubeten ihr ein Leben lang gelernt habt?«

Kang blickte wortlos in die unergründlichen Augen des Tugendwächters. Schiheng hua Tagau hatte ihn gewarnt, daß Gespräche in Mantikor Leng so gefährlich waren wie die Kämpfe im Labyrinth und daß ein Mann von Rang in dieser Stadt mehr Feinde hatte als ein katauekischer Hauptmann im Turga-Busch. Aber Kang sah keinen Grund, dieser Frage auszuweichen – und auch keine Möglichkeit. Er war kein Mann, der sich einer Herausforderung entzog – und diese Frage, nein, eine Antwort auf diese Frage zu finden war eine Herausforderung.

»Ich weiß es nicht«, gab er schließlich zu. »Das ist eine Frage, die keiner beantworten kann. Keiner kann sagen, was er tut, wenn das Ende seines Lebens vor ihm steht. Ich kann nicht für die anderen Götterfresser sprechen. Ich kann dir nur sagen, höchstehrwürdiger Fong-Kuoy, daß mich persönlich nichts davon abhalten kann, es herauszufinden.«

Himmlisches Feuer

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