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ОглавлениеDer Plan desGöttergleichen
Hochtempel von Tschöng-Hau Leng, Serkan Katau, Westküste, ebenfalls im Sechsten Mond im Jahr 471 der Blauen Götter
»Was hat er getan?« Lü näng Huangos Stimme war schrill vor Verblüffung, wenn nicht gar Empörung. Ja, es war viel eher Empörung.
Nur einen Atemzug später wurde ihr bewußt, wie sehr ihr Ausbruch der Etikette zuwiderlief. Gefährlich – vor allem wenn man so über den direkten Willen des Göttergleichen sprach.
»Welch überaus überraschende Entscheidung des Herrn der Unwandelbaren Ordnung«, flötete sie, nun wieder gefaßter. Allein die hektischen Bewegungen ihres Fächers verrieten, welche Gefühle sie bedrängten. Nein, wie dumm. Nach all den Jahren des Aufstiegs sich angesichts dieser Nachricht solch eine Blöße zu geben ...
»Und wie gedenkt der Herr der Unwandelbaren Ordnung ...«, sie dehnte die Pause vor dem Zitat ins Unerträgliche, blickte versonnen aus dem Fenster und erkannte, daß dies nun wieder zu geringe Aufmerksamkeit zeitigte. Also schnellte sie herum und bemühte sich, so wenig anzüglich wie möglich zu fragen: »Wie gedenkt der Herr der Unwandelbaren Ordnung die Götter zu verspeisen?«
Fong-Kuoy näng Tschüeng war alles andere als ungefährlich. Und er war nicht bloß ein Bote aus Mantikor Leng, der Stadt der Mantikoren. Er war Lüs Vorgänger als Hohepriester Tschöng-Hau Lengs gewesen. Bis zu jenem gnadenreichen Tag, als ihn die Berufung zum Gesandten der Geheimen Kammer des Himmlischen Willens erreicht hatte.
Lü war heute noch stolz auf ihre Intrige. Ja, sie hatte diesen Mann gehaßt: nicht nur für all die Abartigkeiten, die er ihr während ihrer Ausbildung zugemutet hatte, sondern auch dafür, daß er mit seinem feisten Leib jene Kammer besetzt hatte, nach der sie gestrebt hatte. Aber wie beseitigte man einen Qengtan, der fünfzehn Jahre mehr an Macht, Erfahrung und Verbündeten besaß und sich soeben damit abzufinden begann, daß die Innere Kammer des Hochtempels von Tschöng-Hau Leng Endpunkt seines Beamtenlebens sein würde?
Die Antwort war der Hohe Inspektor der Geheimen Kammer gewesen, der sich auf seiner Suche nach einer geeigneten Berufung dazu herabgelassen hatte, der Meinung einer begabten Herrin der Dritten Kammer Gehör zu schenken. Nun, er hatte mehr getan, als sich nur Lüs Meinung einzuholen. Lü dachte nur ungern an jene anderthalb Tage im Garten der Freuden zurück, wenn es auch der Tugendhafte Weg des Himmlischen Willens gewesen war, was dort geschehen war.
»Mit Macht«, riß Fong-Kuoys Antwort Lü aus ihren Gedanken. Ein gleichmütiges Lächeln lag über seinem rot geschminkten Gesicht. Täuschte sie sich, oder klang auch in seiner Stimme etwas Anzügliches mit? »Mit der überlegenen Macht seiner unbesiegten Heerscharen.« Nein, da war nichts Anzügliches. »Wie sein göttergleicher Ahnherr, der Kriegsherr der Geheimen Kammer, der die Mantikoren bezwang und verspeiste. Sein Name sei gesungen in jedem Wunsch, der zum Himmel steigt.« Wenn Fong-Kuoy Hintergedanken hatte bei diesem Satz, dann hatte er seine Stimme und seine Miene jedenfalls besser in der Gewalt als Lü.
»Natürlich wird der Herr der Unwandelbaren Ordnung nicht allein gegen die Blauen Götter kämpfen«, führte Fong-Kuoy weiter aus. Seine undurchdringlichen schwarzen Augen schienen Lü zu durchbohren. Bei ihren Ahnen! Er lauerte förmlich darauf, daß sie sich eine weitere Blöße gäbe.
»Die Kriegsherren der Inneren Kammer haben ihm acht mal acht mal acht mal acht Gefährten erwählt. Aus dem Länder überspannenden Feld der Krieger haben sie die würdigsten Helden ausgesucht, den Höchsten Kriegsherrn der Geheimen Kammer auf diesem Weg zu begleiten, so wie einst die acht Prinzen den Kriegsherrn der Geheimen Kammer, der die Mantikoren bezwang und verspeiste, begleiteten.«
Wie dumm, wie unsäglich dumm. Lü näng Huango begriff, in welche Falle sie geeilt war. Fong-Kuoy war mit dieser Neuigkeit nur zu einem Zweck nach Tschöng-Hau Leng gekommen: um sie zu prüfen – um zu sehen, wie sie bei dieser gleichermaßen erfreulichen wie unglaublichen Nachricht reagierte. Und sie hatte versagt. Sie hatte die Gewalt über sich verloren, war vom Tugendhaften Weg des Himmlischen Willens abgewichen und hatte gezeigt, daß sie nicht imstande war, eine Entscheidung von reichsweiter Bedeutung zu tragen und mit zu verantworten.
Aus! Fünfundzwanzig Jahre makellosen Aufstiegs umsonst. Vielleicht hatte sie soeben gar eine direkte Berufung in die Stadt der Mantikoren verspielt! Fong-Kuoy war nicht ihr Feind – ebensowenig, wie er ihr Freund war. Aber wenn er eine Verbündete für seinen Aufstieg in der Hauptstadt gesucht hatte, dann wußte er jetzt, daß sie nicht die geeignete wäre.
»Welchen Zeitpunkt«, fragte sie und hörte, wie verräterisch belegt ihre Stimme klang, »haben die Orakel bestimmt?«
Fong-Kuoys Lächeln blieb unverändert, ohne maskenhaft zu wirken. Lü mußte zugeben, daß er mit seinen über fünfzig Jahren eine überaus stattliche Erscheinung besaß: Er war feist wie die meisten Priester; seine runden Wangen unter der roten Schminke verliehen ihm den Ausdruck von Zufriedenheit. Die fleischigen Lippen verrieten Feinsinnigkeit und daß es für ihn nicht leicht war, Befriedigung zu finden. Mit der achtzackigen Schleierbandhaube wirkte er erhaben, dem Himmel ebensosehr verbunden wie der Erde. Lü fühlte erneut, wie tief sie diesen Mann gehaßt hatte.
»Die Orakel haben noch nicht endgültig gesprochen«, meinte Fong-Kuoy beiläufig, doch dann fügte er lauernd hinzu: »Natürlich bekunden sie alle das Wohlwollen des Himmlischen Willens für dieses bedeutende Unterfangen.«
»Das bedeutendste Unterfangen dieser Dynastie«, beeilte sich Lü zu ergänzen, »soweit ich das in aller Bescheidenheit beurteilen kann.«
»Dieser Dynastie – und der nächsten«, sagte Fong-Kuoy näng Tschüeng geheimnisvoll.
Lü hatte das Gefühl, sich wieder gefangen zu haben. Gleichmut, ermahnte sie sich. Nur nicht zu diensteifrig wirken. Aber das hörte sich nach höchster Politik an.
»Zweifellos wird diese Heldentat des Herrn der Unwandelbaren Ordnung auch die Annalen der nächsten Dynastie erleuchten«, bestätigte sie und ließ in den letzten Worten die Andeutung einer Frage erklingen.
Fong-Kuoys feiste Hand mit dem mächtigen Ringsiegel griff beiläufig nach der Teeschale. Vier Finger, vier Ringe, dachte sie. Das Siegel in Gestalt einer gravierten Jadeplatte überspannte die vier Finger der rechten Hand – so wie ihr eigenes. Seit Fong-Kuoy den Hochtempel betreten hatte, versuchte sie herauszufinden, ob er ein Zeichen der Geheimen Kammer trug. Sie streckte die Hand ebenfalls nach dem Tee aus.
»Es wird die Heldentat seiner Dynastie sein«, setzte Fong-Kuoy die Spiegelfechterei fort, »vielleicht sogar die begründende.« Er führte die zweite Hand zur Tasse, aber seine unergründlichen Augen durchbohrten Lü weiter. Diesmal war sie gefaßt. Eine neue Dynastie?
»Ist es das, was man in den Geheimen Kammern der Stadt der Mantikoren sagt?«
»Das ist, was man in den Inneren Kammern der Stadt der Mantikoren sagt.« Fong-Kuoys Lächeln schien um eine Winzigkeit breiter zu werden. Eine Schlag mit dem Fächer, begriff Lü langsam, mitten ins Gesicht. Dummchen, hatte er gesagt, das ist längst beschlossene Sache. Das weiß schon jeder leitende Beamte – außer denen, die so weit ab vom Schuß sind wie du. Er lachte sie aus. Aber das Lächeln hieß auch: Du hast ja mich. Du weißt es noch immer eher als die anderen Provinzpriester. Daher die wartende Teetasse.
Gehorsam umfaßte nun auch sie die Tasse mit beiden Händen. Sie haßte sich dafür. Fong-Kuoy hob seine Tasse und dankte der Erde in allen acht Himmelsrichtungen, bis er Lü zutrank. Ihre Bewegungen folgten seinen ohne erkennbares Zögern. Für einen Moment blitzte etwas in seinen dunklen Augen auf. Erinnerte er sich an die Lektionen, die er ihr erteilt hatte? Ja, darin war sie stets gut gewesen. Gehorsam und Anpassungsfähigkeit. Zuweilen hatten sie ihre Ambitionen so sehr verdeckt, daß Lü selbst sie vergessen geglaubt hatte. Aber die Leidenschaftlichkeit, die am Grund des Meeres ausharrte, hatte sich immer wieder Geltung verschafft.
»Der Himmlische Wille sei unser Wille«, sprach er den Priestersegen – und wie jedesmal gab er der Floskel einen Beiklang von Verheißung.
»Der Himmlische Wille sei unser Wille«, sagte auch Lü.