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Götterfresser!

Festung Gingang Tung, Mantikor Leng, im Elften Mond

im Jahr 471 der Blauen Götter

»Tu-gend!« Hauptmann Kangs Befehl hallte über den Paradeplatz. Acht mal acht mal acht Krieger erstarrten zu roten Wächtern.

»Hoi!« dröhnte ihre Antwort und vermengte sich mit dem gehorsamen Brüllen der sieben anderen Menschenblöcke. Kang wandte sich im Ausfallschritt um. Das Bewußtsein, daß die sieben anderen Hauptleute ohne einen Lidschlag Verzögerung das gleiche taten, erfüllte ihn wie immer mit Stolz.

General Tüfang hua Hidong stand kurz unbewegt da, und Kang ahnte, daß sein Blick hinter der Maske ebensolchen Stolz ausdrückte. Dann vollführte auch der General Ausfallschritt und Wendung.

Kang überlief ein Schauer. Es gab nur zwei Situationen im Leben eines Ziang, wo eine ganze Heerschar und ihr General sich in die gleiche Richtung wandten: wenn sie dem Feind gegenüberstanden oder einem Vorgesetzten, für den auch ein General nur ein Krieger war. Und noch waren sie nicht im Feld ...

Der Herr der Unwandelbaren Ordnung! In Kürze würde Kang hua Schiang den Höchsten Kriegsherrn der Geheimen Kammer erblicken – den Göttergleichen, für den er seit über zwanzig Jahren focht. Kangs Kopf hinter der metallisch roten Maske war unbewegt, sein Blick ruhte auf der Empore am Kopfende des Platzes. Die zwei roten Mantikorenstatuen ließen keinen Zweifel, wem dieser Platz vorbehalten war. Die rot-blau-weißen Fahnen wehten im sanften Ostwind, der die Ebene so fruchtbar machte, und die kunstvoll gestickten Schriftzeichen sangen das Lob des Kriegsherrn der Geheimen Kammer, der die Mantikoren bezwang und verspeiste, und seiner Nachfahren, die das Reich der Tugend so begnadet regierten. Ja, der Wille des Himmels war ohne Zweifel mit diesem Herrscher und seinem Volk, und selbst die Blauen Götter waren ihm Freund.

Wenn nur die zwei Turga im Vierundsechzigsten Glied still stünden! Kang hätte niemals gewagt, die Entscheidung der Herren der Inneren Kammer des Krieges in Frage zu stellen – aber er fand es kaum annehmbar, daß man ihm die zwei Barbaren mit den Nasenringen zugeteilt hatte. Sie waren außergewöhnliche Helden, daran bestand kein Zweifel; das war jeder Krieger, der zu dieser neuen Heerschar abkommandiert worden war.

Aber Turga waren Barbaren, die nach Senf und Zwiebel, nach Leder und dem Urin ihrer Pferde rochen. Die Haltung und die Disziplin der Krieger des Reiches der Tugend waren ihnen fremd. Kang hatte im Lauf der Jahre an der Grenze mit seinen eigenen Händen und Waffen drei Dutzend von ihnen erschlagen: Ihr furchtloser und unbeherrschter Reitersturm war an den Lanzen seiner Ziangs zerschellt. Sie waren von ihren aufgespießten Pferden gesprungen und hatten mit ihren schnellen Bewegungen, den schrillen Schreien und kurzen Säbelhieben versucht, den acht Künsten des Tötens zu widerstehen. Und mit jedem Turga, den Kang getötet hatte, hatte er wieder erkannt, daß diesen Barbaren fehlte, was das Länder überspannende Feld der Krieger unbesiegbar machte ...

Freilich, diese Turga stammten aus der Eroberung Turgatan. Ihre Sippen hatten sich schon vor fünfzig Jahren dem Herrn der Unwandelbaren Ordnung unterworfen. Ihre Reiterhorden dienten als leichte Reiterei, als Plänkler und als Aufklärer. In so manchem Feldzug gegen ihre ungezähmten Vettern in der Steppe waren es ihre Voraussicht und ihr Mut gewesen, die den nächsten unvermeidlichen Sieg herbeigeführt hatten.

Nein, Kang hatte keinen Grund, am Mut und an der Treue dieser zwei Männer zu zweifeln. Aber sie waren geborene Reiter – und Kang hatte die Aufgabe, bis zum Frühling aus ihnen Krieger einer Fußtruppe zu machen, die keine Macht der Welt verrücken konnte.

»Ihr werdet keine Faser eures gestählten Leibes bewegen«, hatte er den acht mal acht mal acht Mann entgegengerufen, die man ihm unterstellt hatte, »ob der Qiu vor euch über seine Ufer tritt, ob alle Turga der Steppe auf euch zugaloppieren oder ob ein Brutskorpion in euren Harnisch kriecht. Wir sind die Waffenknechte, die an der Seite des Höchsten Kriegsherrn der Geheimen Kammer kämpfen werden. Auf seinen Befehl werden wir zu Sturm und Steppenfeuer, Donner, Blitz und Tod. Ohne seinen Befehl sind wir Standbilder aus rotem Eisen, vor denen die Enkel unser Enkel noch beten werden.«

Seine Männer waren allesamt Helden; jeder von ihnen hatte ein Dutzend Feinde erschlagen, allein ein Dorf verteidigt oder einem Offizier das Leben gerettet. Jeder seiner Lanzenträger oder Schwertschwinger hatte die Wahl gehabt, Waffenmeister in seiner Stammtruppe zu werden oder seinen gewöhnlichen Rang beizubehalten, um in dieser Heerschar zu dienen; wohl keiner hatte bei seiner Entscheidung auch nur einen Augenblick gezögert.

Die meisten der acht Wachtmeister und der Waffenmeister hatten wie Kang im Labyrinth gedient und gegen die Barbaren des Turga-Busches gekämpft. Und weil sie die Turga kannten, hatte man ihnen die zwei unterstellt.

Während der letzten Wochen auf dem Kasernenhof hatte Kang sie seinen eisernen Willen fühlen lassen – bis zu jener Nacht vorgestern, die sie zu dritt auf dem Hof verbracht hatten, angetreten in vollem Harnisch und unbewegt, bis der Morgentau von ihnen getroffen war.

»Wenn einer von euch nur zuckt«, hatte Kang ihnen versprochen, »während der Höchste Kriegsherr der Geheimen Kammer morgen auf uns herabblickt, werde ich euch beide eigenhändig erschlagen, ehe ich mir selbst mein Säbelschwert durch Eingeweide und Herz stoße.«

Der Schlag eines mächtigen Gongs dröhnte über den Paradeplatz, rollte entlang der Kasernen und Türme und kehrte schwingend zurück. Auf der Empore, hinter den roten Mantikoren, nahmen acht Priester in blauen Gewändern Aufstellung. Paarweise bauten sie übermannslange Schallhörner auf, und während jeweils der eine die Mündung an Seidenbändern anhob, blies der andere darauf, was zweifellos das Lied der Geheimen Kammer der Tugendhaften Ordnung war. Weitere Tugendwächter mit Schleierbandhauben traten würdevoll neben die beiden Statuen.

Leibwächter in rot, blau und weiß lackiertem Harnisch formierten sich. Dahinter erahnte Kang Wedel- und Sänftenträger. Er fragte sich später oft, wie es hatte geschehen können, daß seinem geschärften Kriegerblick das Wichtigste nicht sogleich ins Auge gesprungen war: Denn unvermutet stand zwischen den Mantikoren die Thronsänfte, die seidenen Vorhänge beiseite geschlagen, und auf den seidenen Kissen saß in machtvoller Schönheit der Herr der Unwandelbaren Ordnung. Ein Mantel von strahlendweißem Brokat floß aus der Sänfte. Eine ebenso weiße Hand hielt das Lanzenszepter, eine zweite senkte einen Fächer aus Federn in den Reichsfarben.

Keine Maske! Kang fühlte einen Schauder der Ehrfurcht über seinen Rücken wogen. Dies war das Gesicht, das sie alle trugen. Doch keine göttergleiche Raserei entstellte dieses Antlitz, das leuchtend rot war, blühend jung und von einzigartigem Adel. Herrisch, so ahnte Kang, schwangen sich die Augenbrauen empor.

»Krieger!«

Kang vermochte einen Gegner in kürzerer Zeit zu töten, als er nun brauchte, um zu begreifen, daß die Stimme, die ihn erreichte, zu jenem Mann auf der Empore gehörte. »Ihr Herren Ziang.«Näselnd, dem Singsang eines Weibes gleich, legte sich diese Stimme über das makellose Bild der Herrschaft. Was, fragte sich Kang, hatte ich erwartet?

»Der Himmlische Wille ist unser Wille«, deklamierte die weibische Stimme, »und dem Himmlischen Willen hat es gefallen, dem Reich der Tugend acht mal acht Jahre ohne Kriege zu geben.« Kang hörte Worte und Sätze – aber sein Geist schien nicht zu begreifen.

Keine Kriege? Kang hatte vierundzwanzig Jahre lang geblutet und getötet. Männer, die länger an seiner Seite gewesen waren als sein zu den Ahnen gegangener Vater, waren gefallen – in etwas, das kein Krieg war?

»... so wie einst die acht Prinzen den Kriegsherrn der Geheimen Kammer, der die Mantikoren bezwang und verspeiste, begleiteten.« Unverzeihlich! Kang waren die weiteren Worte des Herrn der Unwandelbaren Ordnung entgangen. Er befahl seinem Geist, sich gehorsam der Stimme zu öffnen. Doch der Geist war nicht gehorsam wie der Leib, der einer eisernen Statue gleich verharrte.

»Mit der Macht der Unwandelbaren Ordnung, die meine Ahnen mir zu vererben die Gnade hatten, verleihe ich euch hiermit den Namen Götterfresser.«

Wie? Kang fühlte sich, als ob der steinerne Boden unter seinen Stiefeln aufbräche. Was hatte der Höchste Kriegsherr der Geheimen Kammer gesagt? Die Mantikoren, die sein Ahnherr getötet hatte. Und nun ... die Blauen Götter?

Die Schallhörner rissen Kang zurück in die Wirklichkeit. Eine sonore Männerstimme klang nun von der Empore herab: eine Stimme, die zu befehlen gewohnt war. Es war der Priester neben der rechten Mantikore.

»Im Geiste der Acht Elemente!« rief er, »ihr Herren hua Katau, sprecht mir nach.« Der Klang einer Zimbel klirrte über den Paradeplatz.

»Bei meiner Ehre, die die Ehre meiner Ahnen ist ...« Ein Eid! Sie legten einen Kriegereid ab – zum zweiten Mal in ihrem Leben, im Antlitz des Höchsten Kriegsherrn der Geheimen Kammer!

Kangs Kehle und seine Zunge kannten nichts als Gehorsam. Sie sprachen die heiligen Worte, die aus einem jungen Mann einen Teil des Länderüberspannenden Feldes der Krieger machten. Doch seine Gedanken rasten wie eine Schar Turga, die sich im Labyrinth gefangen sah, eben noch Angreifer und nun von allen Seiten von waffenstarrenden Mauern umzingelt. Die Blauen Götter ...

Himmlisches Feuer

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