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Die Stadt der Mantikoren

Mantikor Leng, zentrales Serkan Katau,

im Achten Mond im Jahr 471 der Blauen Götter

Endlich! Kang gab seinem Pferd die Zügel, als die Silhouette Mantikor Lengs aus dem diesigen Nachmittagslicht auftauchte. Fünf Wochen! Fünf Wochen auf den besten Straßen der Welt, vom Labyrinth zum Qiu und dann den Strom abwärts nach Süden – und nun lag sie vor ihm: die Hauptstadt des Reiches der Tugend. Aus den Augenwinkeln heraus hatte er unwillkürlich nach einem Hügel gesucht, um sich einen Überblick zu verschaffen: eine Gewohnheit aus zwanzig Jahren in fremdem oder feindlichem Land. Doch hier gab es keine Hügel – nur Reisfelder, Obstplantagen, flache Bauernhäuser, Kanäle und Straßen bis zum Horizont.

Die Palaststadt des größten Reiches der Welt benötigte keine Mauern und keinen Schutz. Der Kriegsherr der Geheimen Kammer, der die Mantikoren bezwang und verspeiste, hatte sie dereinst mitten in der Ebene des Qiu und nördlich der undurchdringlichen Regenwälder gegründet. Sie war das sichtbare Zeichen, daß der Göttergleiche und all seine Nachfahren zur Herrschaft bestimmt waren: unangefochten von den Ungeheuern, die er erschlagen hatte, unangefochten von den Göttern, denen er seinen Tribut an Roten Steinen gezollt hatte, unangefochten von jedem anderen Volk Serkan Kataus und erst recht unangefochten von Königen und Häuptlingen, deren Blick nicht über den Rand ihres Stammlandes hinaus reichte.

Vierundzwanzig Jahre! So lange hatte Kang am Labyrinth gekämpft. Vierundzwanzig Jahre lang hatte er diese Stadt verteidigt und nicht begriffen, wie weit entfernt sie lag. Natürlich hatte er wie jeder Offizier gewußt, daß zwischen dem Labyrinth und Mantikor Leng drei Eroberungen lagen. Aber niemand, der nicht anderthalbtausend Lang geritten war, konnte diese Strecke begreifen. Vierundzwanzig Jahre in der Heerschar am Labyrinth – und nun war er entlassen worden.

Es schien, als schwebte die Stadt in einem Licht, das sie selbst hervorbrachte. Umgeben von einem goldenen Dunstschleier, beherrschte die Große Pagode von Gingang Gao das Panorama aus Palästen, Tempeln und Kammern, unzähligen Kasernen, Magazinen und Reisspeichern sowie das weit gefächerte Netz der Kanäle und Gärten.

Wieder trieb der Offizier seinen Schecken an. Aber die Stadt schien nicht näher zu kommen. Er hatte gewußt, daß sie groß war, und er hatte gesehen, welche Heerscharen und welche Mauern sein oberster Herrscher aufbieten konnte. Und er hatte gelernt, daß die Herren der Kammer der Tugendhaften Ordnung eine neue Zahl hatten erfinden müssen, um die Einwohner der Hauptstadt zu zählen. Aber keine seiner Erfahrungen hatte ihm wirklich verdeutlicht, welch unvorstellbare Macht die turmartig bis zu den Wolken aufragende Heimstatt seines Gebieters innehatte.

Kang passierte die erste Garnison. Wie in allen Städten, die er auf dem langen Ritt ins Zentrum durchquert hatte, hatte er die scharlachrote Hüllrolle eben erst gezogen, als sich der Wachtmeister bereits verneigte und ihm eigenhändig die Schranke öffnete. Für einen Moment tauchte am Rande seines Bewußtseins der argwöhnische Gedanke auf, welchen Mißbrauch der Besitz solch einer Botschaft ermöglichte. Aber nein, dachte Kang, wie könnte er je etwas anderes tun, als der Botschaft zu folgen, wie könnte jemand sie tragen, dem sie nicht bestimmt war.

Himmlisches Feuer

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