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ОглавлениеDasLänder Überspannende Feld Der Krieger
In den Hügeln um den Unvollendeten Palast, am Nachmittag des 20. Tages im Vierten Mond im Jahr 472 der Blauen Götter
»Und das? Was ist das?«
Strolch zuckte zusammen, als ihm Narbenfresse mit der flachen Hand auf den Schädel schlug, und ging wieder in Deckung. Das war schon das dritte Mal. Aber auch die rüde Unterbrechung konnte seine Begeisterung nicht dämpfen.
»Was ist das?« , wiederholte er und deutete auf die seltsamen Gerätschaften.
Narbenfresse knurrte ein Wort. Tücke, knurrte Strolch stumm zurück, wieder ein neues Wort statt einer Erklärung. Aber irgendwie hatte Narbenfresse begriffen, daß er Strolch heute antworten mußte, wenn er Ruhe haben wollte. Er drehte sich auf den Rücken und vollführte mit dem rechten Arm eine schleudernde Bewegung. Mit der linken Faust machte er eine Abwärtsgeste, die in Ajuna eher in ein Bordell gepaßt hätte. Aber Strolch begriff:
»Schleudermaschine!« Er pfiff durch die Zähne. Aber wo war das Gegengewicht?
»Was ...?« fragte er und wiederholte die Bewegung mit der Faust.
»Hundert Leute«, brummte Narbenfresse mit einem Ton, der klarmachte, daß er für die nächste Stunde genug gesprochen hatte. Die Männer in den einfachen roten Lederwämsern, die hinter den Maschinen Steine aufschichteten, waren das Gegengewicht? Das wollte Strolch sehen.
»Wann greifen an?« murmelte er, im Satz langsam verstummend. Keiner würde ihm antworten. Keiner von ihnen hatte mehr als eine Ahnung, was hier überhaupt geschah. Strolch war gespannt wie nie zuvor – ja, noch nie in seinem Leben hatte er etwas ähnlich Aufregendes beobachtet. Nicht, als er als Junge nach dem Fest der Segel die ersten Nauken hatte einlaufen sehen. Nicht einmal, als er in jener Nacht im Hafen gelegen und auf die einzige Gelegenheit gewartet hatte, sich an Bord zu schleichen. Und ganz gewiß nicht, als er, gerade das Oberdeck mit einer Strohbürste scheuernd, den Ruf des Ausgucks vernommen hatte: »Serkan Katau!«
Was immer es war, dort draußen auf der Ebene – es war einfach gigantisch. Das war Serkan Katau, wie er es sich vorgestellt hatte. Noch nie hatte der junge Ajunäer so viele Menschen gesehen – und sie waren zudem alle bewaffnet. Strolch konnte nicht einmal die Soldaten einer einzigen katauekischen Einheit errechnen, die Narbenfresse Heerschar nannte; jedenfalls war sie größer als eine turma des Merkantilischen Imperiums, vermutlich eine ganze Armee. Und von diesen Heerscharen standen so viele in der Ebene, daß Strolch wiederum keine Zahl dafür kannte. Er hatte zunächst noch versucht, eine zu finden, wie ein Kind, das mit den Murmeln in seiner Hand prahlt; aber eine größere Zahl als tausend kannte er nicht einmal in seiner Muttersprache.
Die meisten Heerscharen hatten ein klar erkennbares Lager oder eine Stellung. Jedes Lager war so groß wie eines der Dörfer, die wie ein Netz um Maganta lagen und es ernährten. Die Kataueken selbst siedelten viel zerstreuter und befestigten die kleinen Siedlungen nicht. Doch diese Heerlager waren mit Palisaden umgeben, und dazwischen ragten riesenhafte Türme auf. Hölzerne Türme auf Rädern. Jetzt wußte Strolch, wo die Wälder geblieben waren ...
Seit sie sich durch die Wildnis schlugen, hatten sie entlang der Straße die Holzfäller und Rohrschneider gehört und gesehen.
»Was bauen die?« hatte Strolch gefragt, wenn sie unterwegs wieder einen Zug zottiger zweihöckriger Kamele oder Fuhrwerke, beladen mit armdicken Bambusrohren aus dem Süden, gesehen hatten.
»Was bauen die?« , wenn ein halbes Hundert Sklaven, wie er es gewesen war, aus einem Wald eine Eibe geschleppt hatten, die selbst in diesen urtümlichen Bergwäldern in einzigartiger Größe hervorgestochen haben mußte.
Mit dem Holz, das die Kataueken entlang der Strecke fällten, hätte man eine Stadt verbrennen oder einen Scheiterhaufen errichten können, der den Himmel in Brand setzte. Aber Strolch hatte genug Zeit in der großen Werft von Maganta verbracht, um Brennholz von Bauholz unterscheiden zu können. Niemand fällte Bäume und schleppte sie, entastet, aber ungeschält, aus dem Wald, wenn er sie nicht als Schiffskiel, Mast, Säule oder Balken verwenden wollte.
Ein Haus also, ein Tempel? Das war Strolchs zweite Vermutung gewesen. War der Kaiser von Katau so mächtig und so verrückt, tief in der Wildnis einen Palast errichten zu lassen?
Es mußte fast einen Mond her sein, daß sie die letzten Reisfelder hinter sich gelassen hatten. Und auch die waren einfache kleine Becken im Bergland gewesen, primitiv und ärmlich, verglichen mit den endlosen Landschaften aus Dämmen und Feldern am Qiu, durch die Strolch das letzte halbe Jahr gezogen war. Da und dort hatte er geglaubt, Ähnlichkeiten zu seiner Heimat zu finden. Die Bauern im Bergland bauten Kürbisse, Gurken und Erbsen an, und abseits der Flüsse färbte ein fremdartiges Getreide, dessen verzweigte Ähren Strolch an Hirse erinnerten, die Felder sommerlich gelb.
Aber je näher sie den Bergen gekommen waren, desto klarer war dem jungen Weltreisenden geworden, daß er nun noch viel weiter von zu Hause entfernt war. Es wurde kühler. Obwohl Hochsommer war, konnte man in der prallen Sonne marschieren. Es gab nicht einmal mehr Palmen oder Agaven. Die Bäume ähnelten mächtigen Pinien, und die Laubbäume mit den weichen Blättern wuchsen hier höher als jeder Baum, den Strolch je gesehen hatte. Nichts erinnerte an die vertraute Schwüle des Sommers, die ihm in Ajuna wie auch in Serkan Katau den Schweiß aus der Haut getrieben hatte. Hier war es trocken. Abends wehte von Norden her ein sanfter Wind, wie ihn Strolch allenfalls im Sturmmond aus den Bergen am Weißen Meer kommend erlebt hatte.
Die Berge! Schlampe hatte ein Wort verwendet, das Strolch als »die Mauer am Ende der Welt« verstanden hatte. Strolch hatte geschmunzelt. Er kannte die Berge auf der Halbinsel von Maganta. Nun, er war nie dort gewesen. Aber er hatte zugehört, wenn die Männer im Winter darüber gesprochen hatten, in die Minen und Wälder nahe den Bergen zu gehen ... wenn sein Vater wieder einmal von einem Leben als Holzfäller, Schatzsucher oder in den Verstecken der corona geträumt hatte.
Strolch lachte verächtlich. Der alte Hurenbock! Hier hätte er sich in die zerrissene Hose gemacht. Ja, das hier waren echte Berge. In den drei Wochen, die sie gewandert waren, waren sie kaum näher gekommen. Dann und wann hatte sich ein einzelner Gipfel, auf dessen Spitze bereits keine Bäume mehr wuchsen, aus dem Verband gelöst, war näher gekommen und hatte sich als kleiner Wachturm erwiesen.
Da hinten, die echten Berge, die bewegten sich nicht. Ganz oben, das ahnte Strolch mehr, als daß er es sah, leuchteten sie weiß. Ob sie ans Licht des Himmels stießen? War der Fels so nahe an der Sonne, daß er bleichte wie Knochen in der Hitze? Oder war das jenes Salz des Himmels, von dem ihm der alte Seesoldat Stumpfbein-Mateo erzählt hatte?
»Gehen wir weiter!« Eine eigentümliche Unruhe hatte Strolch aus seinen Gedanken hochgepeitscht. Er hob den Kopf und begegnete Kudungs Blick. Strolch fühlte, wie sein Herz raste. Kudung antwortete nicht. Er wirkte lässig, aber sein Blick war bohrend. Schließlich wandte sich Strolch ab. Es war das dritte Mal gewesen, daß sie einander mit Blicken maßen. Im Frühling hätte ihm Kudung noch einfach eine Backpfeife versetzt.
Strolch ärgerte sich. Er wollte näher an diesen Berg heran, den die Kataueken belagerten. Was würde Kudung diesmal tun? Der bullige Räuber war unberechenbar. Einmal hatte er einen Tag lang nicht erlaubt, daß sie weiterzogen, nachdem Strolch es vorgeschlagen hatte. Einmal hatte er genau diesen Befehl gegeben, um den Strolch gebeten hatte – natürlich nach einer würdevollen Pause.
Was ging da vor? Strolch blickte hinüber zu Schlampe. Nein, zuerst hatte sie ihn angesehen – und er hatte ihren Blick erwidert. Ihre schmalen, schwarzen Augen waren unergründlich. Für einen Augenblick verspürte Strolch das unsinnige Bedürfnis, sich auf sie zu stürzen. Er fühlte, wie sich zwischen seinem Bauch und dem bewachsenen Kies, auf dem er lag, etwas rührte. Noch ärgerlicher wandte er sich ab und konzentrierte seinen Blick auf den Berg.
Was hatten die Kataueken vor? Was hatte der Kaiser vor? Sie hatten inzwischen wiederholt mit Dörflern gesprochen. Die Scharade mit dem Sklavenstrick hatte sich bewährt. Im letzten Mond war es ohnehin leichter geworden, sich zwischen den Untertanen des Kaisers zu bewegen. Die Berglandbewohner waren zwar mißtrauischer als die Bauern in der Ebene des Qiu, aber zugleich waren sie nicht so feindselig gegenüber allem, was ihre Ordnung störte. Und derzeit waren ohnehin überall Fremde. Die Soldaten, die Schanzbauer, die Viehtreiber und Krämer, die ihnen folgten – sie alle kamen aus fernen Provinzen. Sie waren seit Monden unterwegs, auf dem Marsch, den der Kaiser befohlen hatte – und der sie alle an diesem dunklen Berg zusammenführte.