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Büffelreiter und Panzertürme

In der Stellung der Götterfresser, nur wenig später

»Die Kriegsherren postieren die Büffelreiter schräg vor uns«, erklärte Kang und deutete nach Nordosten und Nordwesten. Seine acht Wachtmeister standen in einer Linie an der Brüstung des mächtigen Holzturmes, Ellbogen an Ellbogen; die Plattform war genau für diese Höchstzahl bemessen. Sogar das Dach war hoch genug für die Helmbüsche. »Wenn es wahr ist, daß die Blauen Götter so groß sind, werden uns die Tiere die nötige Deckung geben, damit wir angreifen können.«

Kein Laut drang aus den acht Helmvisieren. Kang hatte auch keine Fragen erwartet. Sie alle standen noch im Bann des Feuers, das die Täler bis zur fernen Weltenmauer in loderndes Licht getaucht hatte, sowie des unheimlichen Donnerbebens. Sie blickten hinüber zu den mächtigen, fahlgrauen Tieren, die soeben aufgeputzt wurden: bunte Metallbänder und stählerne Spitzen an den Hörnern und schweres Zaumzeug voll schmückender Fratzen.

»Haben ganz schön zu tragen«, bemerkte einer der Wachtmeister. Keiner reagierte, und der Offizier ahnte, daß er gegen eine der neuen, nie ausgesprochenen Regeln der Götterfresser verstoßen hatte.

Die Büffelreiter hingegen schienen sich nur mit Schreien zu verständigen. Es waren gewiß tausend Söldner aus Karadschurgjia dabei, aber die Mehrheit der Reiter kam aus den benachbarten Nördlichen Königreichen und dem Sturmland, wo die Büffelreiterei ebenfalls barbarische Tradition war.

»Was trinken sie da?« fragte der Erste Wachtmeister Zuang-Zu mißtrauisch. Von einigen Fuhrwerken waren Fässer abgeladen worden, die nun eingeschlagen wurden. Ja, merkwürdig, dachte Kang. Die Festungsmauern hatten doch sogar Wassergräben angelegt, als Hindernis, aber auch, damit jede der Heerscharen in ihrem Lager und in ihrer Stellung versorgt war.

»Maulbeersaft«, erklärte ein Wachtmeister, in dessen Stimme der kehlige Klang einer der einheimischen Eroberungen mitschwang. »Vergoren. Das macht die Büffel mutig und kampfgeil.« Zwei oder drei Offiziere schnaubten; vielleicht war es auch ein Lachen. Am Labyrinth, dachte Kang, wären jetzt gewiß einige derbe Scherze gefallen.

»Folgt mir!« Kang hua Schiang wechselte zur Rückseite des Turmes. Ruckartig wandten sich alle acht Männer um und nahmen an der gegenüberliegenden Brüstung Aufstellung. Auf ihren Harnischen glänzten Spangen aus weißem Silber, die für die Tugend standen.

»Die Leitern, meine ehrwürdigen Herren Ziang!« Gleich zweihundert Götterfuß hinter den Götterfressern stand eine Heerschar Ingenieure mit leichten und schweren Sturmleitern. »Haltet eure Männer bereit. Wenn General Tüfang hua Hidong den Befehl gibt, gehen die Götterfresser gemeinsam über die Mauern. Nur gemeinsam!«

Allesamt so bemessen, daß sie bis zum Rand der Mauern reichten, konnten die leichten Leitern von zwei Mann getragen werden, während die schweren Sturmleitern formvollendete Holztreppen auf vierrädrigen Gefährten waren. Sie wurden von je vier Maultieren gezogen und von einem weiteren Fahrzeug begleitet: einem schwenkbaren Kran mit einem schweren Schild von der Größe einer Kammerwand, der die aufsteigenden Krieger gegen den jeweils heftigsten Beschuß decken konnte.

»Was denkst du, ehrwürdiger Hauptmann?« fragte der vierte Wachtmeister. »Wird der Höchste Kriegsherr der Geheimen Kammer es nicht vorziehen, die Mauer mit den gemeinen Heerscharen zu überschwemmen?«

Die Frage war natürlich berechtigt. Die anderen Heerscharen, die um die Götterfresser, die Büffelreiter, die Sturmleitern und die Geschütze standen, ja der überwiegende Großteil des unüberblickbaren Ringes, der um den Unvollendeten Palast lag, waren Lanzenträger und Pikenträger. Die dreifache Schlachtreihe, in der die hintereinander gestaffelten Speerspitzen auch die vorderste Reihe schützten, und die unerschöpfliche Masse des Länder überspannenden Feldes der Krieger waren immer noch die sicherste Waffe: gegen Barbaren, gegen Büffelreiter – gegen Götter.

»Haltet eure Männer bereit«, wiederholte Kang barsch. »Wenn man es uns befiehlt, werden die Götterfresser die Speerspitze sein, die in den Unvollendeten Palast eindringt.«

Ein wenig zu lange herrschte Schweigen auf dem Turm, dann deutete Kang nach Südosten und Südwesten, zwei Großstellungen weiter. »Und schließlich, meine ehrwürdigen Herren Ziang: die überschweren Belagerungswaffen, die hinter den Geschützen warten!« Vierhundert Götterfuß entfernt standen dort die Belagerungstürme, über zwanzig Götterfuß hoch, gepanzert mit glänzenden neuen Kupferplatten. Es brauchte eine ganze Faust von vierundsechzig Ingenieuren, um so ein Ungetüm zu bewegen. Unscheinbar wirkten dazwischen die sechsrädrigen Panzerrammen, die Torbrecher und Sturmböcke, obwohl es Maschinen waren, an denen ebenfalls sechzehn oder zweiunddreißig Mann arbeiteten.

»Wir wissen nicht, oh es gelingen wird, den Graben zuzuschütten, ob diese Waffen jemals den Ringwall erreichen werden und ob sie die Mauern brechen können. Aber wenn es gelingt, dann sind sie der Schlüssel der Götterfresser zum Unvollendeten Palast.«

»Wenn die Turga am Labyrinth so etwas gehabt hätten«, meinte Wachtmeister Pang-So nachdenklich, »dann herrschte im Feldreich jetzt ein Khan.«

»Nun ja, ehrwürdiger Wachtmeister«, stimmte der Hauptmann grimmig zu, »zumindest hätten sie im Busch ein paar tausend feldreichische Skalps mehr.«

Kang fühlte den neuen Harnisch, der wie eine zweite Haut um ihn lag – wie eine dritte, denn wenn er kurz verharrte, konnte er auch die zweite Haut spüren, die man ihm aufgestickt hatte. Wirklich schwer jedoch wog die Verantwortung, sich dieses himmlischen Zeichens als würdig zu erweisen.

»Ehrwürdige Wachtmeister, meine Herren Ziang«, sprach Hauptmann Kang feierlich, »ihr kennt die Doktrin. Jeder von euch wird mit seinen acht mal acht Kriegern einen Gott erwählen und töten. Das gesamte Länder überspannende Feld der Krieger wird uns decken und gegen sie kämpfen. Unsere Aufgabe ist es nur, die Götter zu töten – damit der Höchste Kriegsherr der Geheimen Kammer speisen kann, wie es sein Vorfahre einst tat.«

»Tugend!« riefen die Offiziere.

Kang und die Offiziere machten sich an den Abstieg. Die Wachtmeister würden nun ihre Waffenmeister instruieren. Die Doktrin der Geheimen Kammer des Krieges verlangte, daß jeder Finger der Götterfresser einen Blauen Gott anzugreifen hatte; jeder Wachtmeister hatte sich also einen Gott als Ziel zu erwählen und seine Krieger mit den acht mal acht Waffen gegen ihn zu führen.

Kang hua Schiang fühlte Ehrfurcht bei dem Gedanken, daß die direkten Berater des Höchsten Kriegsherrn der Geheimen Kammer Monde lang abgewogen hatten, ehe sie diesen Befehl ausgegeben hatten. Aber zugleich wußte der Veteran in ihm, daß diese Doktrin nur Theorie war. Oder, wie General Tüfang gesagt hatte: »Kein Befehl überlebt die Begegnung mit dem Feind.« Mehr als einmal war Kang erstaunt gewesen über die Offenheit seines neuen Generals. So wie er seinen Hauptleuten bei Beratungen stets das Gesicht zeigte, gewährte er ihnen Einblick in die oft schockierenden Wahrheiten seiner Pflichten, die zugleich ihre waren.

Kang war zunächst verwirrt gewesen über diesen Vorgesetzten, der so anders war als der alte Luchs, unter dem er zwölf Jahre im Labyrinth gedient hatte. Er war es gewohnt gewesen, daß Gesicht, Worte und Empfindungen seines Generals Eisen waren – und nun waren sie Feuer: sichtbar, ungreifbar und vermutlich viel gefährlicher. Wenn der General am Labyrinth ein Luchs gewesen war, dann war der General der Götterfresser ein Tiger. Seine Schliche, seine Vorsicht und seine Grausamkeit waren so offensichtlich, daß kein Zweifel daran bestand, wieviel mehr davon hinter der Offenheit des Gesichts lauern mußte. Kang war außerstande zu fühlen, ob er zuversichtlicher war, unter einem Tiger zu kämpfen.

»Tugend!«

Endlich war die gesamte Heerschar angetreten. Die frisch gefetteten Rüstungen glänzten blutrot, auch die Waffen blitzten vom Waffenfett. Mit den aufgebogenen Schulterblechen und den langen Federn am Helm sahen sie wie stolze Echsen oder Vögel aus. Sie würden sich ihrer Farbe würdig erweisen: die Farbe des Krieges; rot wie das Blut, das sie vergießen würden, rot wie der Himmel, der über ihnen gebrannt hatte.

»Götterfresser – bereit!« Für einen Augenblick übertönte ihr entschlossener Ruf den Lärm des größten Heeres, das Menschen jemals versammelt hatten ...

Himmlisches Feuer

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