Читать книгу Himmlisches Feuer - Hadmar von Wieser - Страница 32
ОглавлениеDerGöttergleichetafelt
Auf der Zeremonialterrasse vor dem Unvollendeten Palast, etwa drei Stunden nach Tagesanbruch
»... und schließlich, als vierundsechzigster Gang, werden wir mit dem Willen des Himmels reichen: Fleisch vom Blauen Gott, zubereitet wie angemessen.« Keiner der vielen hundert Höflinge ließ sich die Erregung anmerken, als der Hochküchenmeister der Kammer der Tugendhaften Ordnung den entscheidenden Punkt der heutigen Speisenfolge erreicht hatte – aber dennoch war die Spannung rings um den Thron greifbar.
»Der Himmlische Wille ist unser Wille«, deklamierte der Herr der Unwandelbaren Ordnung formvollendet. Beeindruckend, dachte Hüang näng Lüoging, ihm merkt man wirklich keine Regung an. War der junge Herrscher so naiv, wie Hüang dachte? Oder war doch etwas von dieser überirdischen Kraft in ihm, die Unvorstellbares ungerührt befehlen konnte?
Während sich der Hochküchenmeister auf seinen Knien auf den vier mal acht Götterfuß langen Rückweg machte, begannen die Fachleute der Kammer des Krieges mit dem Aufbau des Fernrohres aus cornischem Glas. Die Barbaren waren den Kataueken in den meisten Künsten unterlegen, aber im Schleifen von Glas war das ferne Monte Flora unübertroffen.
»O Höchster Kriegsherr der Geheimen Kammer, kannst du den Ringwall erkennen?« Kengsau hua Gilang hatte die ehrenvolle Pflicht an sich gerissen, dem Herrscher, während dieser durch das Fernrohr blickte, die einzelnen Elemente des Angriffs zu beschreiben. Bemerkenswert, dachte Hüang, in der Geheimen Kammer tobten unübersehbar dieselben Intrigen. Wieviel geeigneter wäre doch Kriegsherr Rang hua Zischang gewesen; doch der zweifellos beste Stratege, umgeben von Beratern und Botenläufern, war natürlich damit beschäftigt, den Angriff zu leiten, den sein Verbündeter und Rivale nun beschrieb.
»Jetzt sehe ich sie, ehrwürdiger Kengsau«, verkündete der Göttergleiche, im Selbstbewußtsein, für den ganzen Hof zu sprechen. »Sie sind über die Maßen ungestalt!«
»Dahinter, o Höchster Kriegsherr der Geheimen Kammer, kannst du die roten Türme des Unvollendeten Palastes erkennen. Schierer Roter Stein, wie wir vermuten müssen.« Bleib bei deinem Gebiet, Krieger, dachte Hüang finster.
»Wo sind die Götterfresser?« fragte der Herrscher wie ein verwöhnter Knabe.
»Im Zentrum, o Höchster Kriegsherr der Geheimen Kammer«, beeilte sich Kriegsherr Kengsau hua Gilang zu erklären. »Erlaubst du, daß ich das Fernrohr darauf ausrichte?«
»Nicht so einfach für den hochehrwürdigen Kriegsherrn«, wandte sich Hüang mit giftigem Lächeln zu Musang. »Die Götter und die Götterfresser. Was sonst sollte den Herrn der Unwandelbaren Ordnung interessieren?«
»Ein hübsches Detail für die Dokumente über diesen Tag«, murmelte Musang hinter dem Fächer. »Ich werde das gleich einfügen lassen.«
»Du hast, hochehrwürdiger Musang«, hob Hüang überrascht die Augenbrauen, »die Siegesschriften bereits schreiben lassen?« Der Unsterblichkeitsberater mußte feststellen, daß es selten gelang, ihn an Zynismus zu übertreffen.
»Du und Kriegsherr Kengsau sind nicht die einzigen«, lächelte Musang kalt, »die diesen Tag für ihre Selbstdarstellung benutzen. Wenn der Herr der Unwandelbaren Ordnung mit dir die Eßstäbchen ergreift, um den vierundsechzigsten Gang zu beginnen, werde ich das Dokument deklamieren, mit dem wir alle in die Geschichte eingehen.«
Hüang fühlte einen unangenehmen Geschmack im Mund. Das hatte er tatsächlich vergessen. Als Unsterblichkeitsberater war Hüangs Leben mit dem seines Herrschers verbunden, und so hatte er das Privileg, als einziger Mensch mit dem Herrn der Unwandelbaren Ordnung zu speisen, gleichzeitig und ebenfalls alle acht mal acht Gänge.
Fleisch vom Blauen Gott, zubereitet wie angemessen. Der bedauernswerte Hochküchenmeister zermarterte sich also wohl derzeit den Kopf, wie er Fleisch zubereiten sollte, das noch nie zuvor ein Mensch gesehen hatte.
»O Höchster Kriegsherr der Geheimen Kammer, ich erstatte Bericht!« Ein Herr der Dritten Kammer des Krieges warf sich vor den Mantikorenthron nieder. In der Hauptstadt war er ein Mann, der über einige Tausend Beamten gebot und mit einer längeren Seidenschrift einen General zerstören konnte. Aber jetzt zeigte sich die Anspannung in seiner kauernden Gestalt und seinem Gesicht, das er ehrfürchtig dem Herrscher entgegenhob.
»Wir haben von dreiundzwanzig Generälen gleich lautende Meldungen über ...« Der Mann unterbrach sich und räusperte sich betreten, bis er erkannte, daß sein Schweigen die Peinlichkeit seiner Nachricht noch verstärken mußte. »Unerklärliche Verluste, o Herr der Unwandelbaren Ordnung. Die Soldaten fallen tot um. Bisweilen zwei hintereinander Stehende.« Er blickte hilfesuchend in die Reispapiere mit seinen Notizen. »Sie haben Bolzen aus schwarzem Erz im Schädel oder einfach nur Löcher.«
Der Höchste Kriegsherr der Geheimen Kammer gab die Frage mit deutlicher Geste an seine Berater weiter und bemühte sich, durch das neu justierte Fernrohr zu spähen.
»Aber es steht doch keine Heerschar auch nur in Geschützreichweite«, protestierte Kriegsherr Sadong mit dem weinerlichen Ton eines Mannes, der sein Leben lang Verantwortung abgeschoben hatte.
»Wie viele Soldaten?« Die Frage von Kriegsherr Rong hua Zischang war zielsicher wie immer. Ja, er war zweifellos der beste Stratege.
Erneut blickte der Herr der Dritten Kammer in seine Aufzeichnungen: »Dreihundertsiebenundvierzig zuletzt. Besonders bei den Geschützen. Aber es kamen bereits wieder Boten, als ich die Wandernde Kammer verließ.«
»Das sind die Unspannbaren Eisenbogen!« Drei Dutzend Augen richteten sich auf Hüang näng Lüoging. Er stellte befriedigt fest, daß die Kriegsherren instinktiv einem Hohepriester die Antwort zutrauten. Damit hatte er Gelegenheit, das Problem bereits wieder zu seinen Gunsten zu nutzen. »Dann sind die Legenden aus der Seidenen Bibliothek wahr. Zwei Seidenschriften zufolge trugen die Blauen Götter zur Zeit des Kriegsherrn der Geheimen Kammer, der die Mantikoren bezwang und verspeiste, auch Schußwaffen mit drei Bogen aus schwarzem Eisen. Sie konnten, so heißt es, schon von den Hügeln aus auf die Krieger in den Städten schießen. Einer Elfenbeintafel zufolge wurde eine dieser Waffen erbeutet. Man nannte sie die Unspannbaren Eisenbogen. Nach ihrem Vorbild gestalteten die Herren der Kammer der Ingenieurskunst später die ersten Kreuzbogen.«
»Wie konntest du es versäumen, dies dem Höchsten Kriegsherrn der Geheimen Kammer und seinen Herren der Kammer des Krieges mitzuteilen?« Kengsau hua Gilang war kampfbereit wie immer. Für andere mochte der Krieg draußen auf der Ebene toben – ihm war klar, daß er hier vor dem Thron geschlagen wurde.
»Verzeiht meinen Übermut, daß ich es getan habe«, antwortete Hüang mit einer Verneigung vor den versammelten Kriegsherren, die das amüsierte Blitzen in seinen Augen nicht verbergen konnte. »Ich verlas seinerzeit persönlich die Tafel der Acht Weisheiten der Seidenen Bibliothek zum Kriegsplan des Herrn der Unwandelbaren Ordnung. Die zweite Weisheit riet ausdrücklich, die Soldaten außerhalb der Reichweite von Geschützen aufmarschieren zu lassen.«
Hüang erinnerte sich daran, was ihn diese Expertisen gekostet hatten. Er hatte zwei Herren der Kammern hinrichten lassen müssen, zwölf Gürtel roten Goldes bezahlt und vierzehn Nächte selbst über den endgültigen Formulierungen gebrütet: Formulierungen, die, obwohl nur aus Märchen aus den Archiven und Hausverstand geflochten, vor denn Höchsten Kriegsherrn der Geheimen Kammer und all seinen Ratgebern als gesammelte Weisheit der Ahnen präsentiert werden konnten und die, obwohl in Elfenbein graviert, flüssig waren wie Honig, der im Munde süß schmeckt, aber auf den Kleidern des Unachtsamen haftenbleibt.
»Die Soldaten stehen außerhalb der Reichweite aller bekannten Geschütze, Schleudern und Drachenpfeile!« Kriegsherr Sadong versuchte wieder die Verantwortung abzuschieben. Kengsau hua Gilang neben ihm – das zeigte sein Gesicht – sah die Falle zuschnappen.
»Außerhalb der Reichweite aller euch bekannten Geschütze, Schleudern und Drachenpfeile!« Hüang näng Lüoging ließ den Satz wirken wie ein schleichendes Gift aus Viperzähnen. Zwei Hohepriester legten den Vorwurf genauer dar – damit ihn auch der Herr der Unwandelbaren Ordnung begriff.
Mit solchen Trivialitäten hielt Hüang sich nicht mehr auf. Meine Beute, dachte er, der Tag fängt gut an. Er wandte sich ab und blickte scheinbar interessiert auf das Schlachtfeld. Keiner hier vor dem Mantikorenthron machte sich größere Gedanken über einige Hundert durchschossene Schädel. Die Kriegsherren würden schnell eine Lösung finden. Und da draußen würden heute noch hunderttausend fallen ...