Читать книгу Das Märchen im Drama - Hannah Fissenebert - Страница 15
Zur Auswahl der Märchendramen
ОглавлениеGegenstand meiner Untersuchung sind 25 dramatische Märchenadaptationen, die von Ludwig Tiecks Märchenstücken (1797-1811) bis hin zu Dramatisierungen der allerjüngsten Gegenwart (2017) reichen. Obschon diese Studie keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, bildet sie dennoch den Bestand der deutschsprachigen Märchendramen seit der Romantik umfassend ab. Seit Ludwig Tieck wird das Märchen erstmals im deutschsprachigen Drama als handlungsdominierendes Moment eingesetzt.
Versteht man das Märchendrama auch als Dialog mit der Rezeption der Vorlage und als Auseinandersetzung mit dessen generischen Konventionen, gewinnen eben jene Theatertexte an Relevanz, in denen ein bereits existentes Märchen die zentrale Grundlage der Auseinandersetzung bildet.1 Hier treten Dramatikerinnen und Dramatiker in einen besonders vielschichtigen Diskurs mit der Rezeptionsgeschichte eines kulturell fest verankerten Märchens ein; Dramen, die zwar märchenhafte Elemente aufweisen, aber nicht auf ein bekanntes Märchen zurückzuführen sind, werden daher gegenüber direkten Adaptationen vernachlässigt.
So werde ich beispielsweise auf Robert Walsers Märchenstücke Schneewittchen, Aschenbrödel (beide 1901) und Dornröschen (1920) eingehen, deren titelgebende Protagonistinnen bereits einem breiten Publikum bekannt sind. Hier wird besonders deutlich, wie die Dramen in einen kontinuierlichen Dialog mit populären Märchenfiguren treten können. Dramatische Märchenneuschöpfungen wie Die versunkene Glocke (1891-96) oder Und Pippa tanzt! Ein Glashüttenmärchen (1905) von Gerhart Hauptmann werde ich nicht berücksichtigen. Einen Grenzfall stellt etwa der Theatertext Korbes (1988) von Tankred Dorst dar, der sich zwar im Titel und strukturell stark auf die Märchenspezifika der Vorlage der Grimms bezieht, sich jedoch inhaltlich fast gänzlich davon loslöst.
Der Fokus auf deutschsprachige Märchendramen erscheint mir im Rahmen dieser Arbeit nicht nur als eine praktisch nötige, sondern auch thematisch sinnvolle Eingrenzung, um eine spezifische Literarisierungslinie und ihre Entwicklung vertiefend betrachten zu können. Eine Übersicht der europäischen Märchendramatik beispielsweise könnte nicht so umfassend auf die einzelnen Dramen eingehen, wie es diese Arbeit durch ihre Konzentration auf deutschsprachige Werke vermag. Dennoch soll die Untersuchung auch für verwandte und für die Arbeit relevante fremdsprachige Märchendramen geöffnet werden.
Gerahmt wird die Analyse des deutschsprachigen Textkorpus daher von einer einleitenden Betrachtung der märchenhaften Fiabe teatrali des italienischen Autors Carlo Gozzi (1761-65) und einem vergleichenden Ausblick auf Ondine (1938) des Franzosen Jean Giraudoux. Der Fokus der Studie liegt zwar auf den deutschsprachigen Märchendramen, doch verspricht der Rückgriff auf Gozzis Märchenstücke ein besseres Verständnis ihrer Ursprünge. Gozzi, der Märchen erstmals so prominent in das Zentrum eines Dramas rückt, hat mit seiner Herangehensweise entscheidenden Einfluss auf Tiecks Märchenadaptationen. Die Betrachtung seiner Fiabe hilft entscheidend, in die Untersuchung der zentralen Dimensionen der dramatischen Aneignung des Märchens einzuleiten.
Die abschließende Analyse der französischen Ondine-Adaptation von Giraudoux bildet hier insofern eine aufschlussreiche Ergänzung, als dass sich der Autor mit der nationalpolitischen Dimension des Märchens beschäftigt. Daher stellt die Untersuchung des französischen Stückes den Abschluss und zugleich einen Ausblick auf weiterführende Überlegungen zu Märchendramen jenseits dieser Arbeit dar.