Читать книгу Das Märchen im Drama - Hannah Fissenebert - Страница 20
Über den Modus der Märchenbearbeitung
ОглавлениеIn der Vorrede zu seinem ersten Märchenstück L’amore delle tre melarance (dt. Auszug aus dem Märchen. Die Liebe zu den drei Pomeranzen, 1761)1 erläutert Gozzi, dass er auf Grundlage eines bekannten Kindermärchens „im Grunde nichts anderes als eine übertriebene comische Parodie der Werke von Chiari und Goldoni“2 schaffen wolle. Er wählt demnach das Märchen als Gattung und die Spielform der Commedia dell’arte als Folie, um Kritik an seinen Konkurrenten zu formulieren.3 Die Märchenhandlung wird hierfür um effektvolle Szenen mit spektakulären Bühnenverwandlungen und fantastischen Ungeheuern ergänzt.4 Dabei steht weniger eine ausgefeilte Dramaturgie oder eine sublime Darstellung, sondern vielmehr der Unterhaltungswert im Vordergrund, was die Trivialität, die Gozzi dem Märchen und der Commedia dell’arte unterstellt, noch betont.5
Das Märchen wird bei Gozzi einerseits auf seine unrealistische Darstellung und einen allein dem Amüsement dienenden Wert reduziert, zugleich wird es im Zuge einer Sinnerweiterung instrumentalisiert. Der satirische Zugriff dient laut Gozzi selbst der künstlerischen Aufwertung: „Ohne die Masken aus diesem Mährchen zu vertreiben, die ich vielmehr auf dem Theater erhalten […] wollte, hab ich aus diesem kindischen Subject ein ernsthaft comisches Stück für das Theater gemacht.“6
Laut Helmut Feldmann nutzt Gozzi Texte aus Märchensammlungen, „um das Märchen im Dienste einer literarisch-ideologischen Satire der Lächerlichkeit preiszugeben“7; er spricht von einer „Haßliebe“8 Gozzis gegenüber Märchen und Commedia dell’arte als bloßen Unterhaltungsformen. Tatsächlich scheint Gozzi insofern fasziniert von den Möglichkeiten der dramatischen Märchenadaptation zu sein, als dass sie sein Hauptwerk ausmachen; zugleich äußert er sich zu der Märchenform, wie Feldmann richtig erfasst, kritisch und distanziert. Daraus jedoch die Konklusion zu ziehen, dass das Märchen und die Commedia dell’arte allein gewählt wurden, um sie besonders trivial erscheinen zu lassen, würde den Fiabe in ihrer transformierenden Dimension nicht gerecht werden.
Denn neben dem Versuch, die Werke seiner Kollegen ins Lächerliche zu ziehen, lässt sich an Gozzis Märchendramen auch ein künstlerischer Mehrwert ablesen: Wenn auch unbeholfen und oftmals grob, gelingt es Gozzi, eine neue dramatische Gattung zu generieren.9 Auch Feldmann betont, dass das Märchen bei Gozzi immerhin zum ersten Mal für einen dramatischen Handlungsverlauf entscheidend ist, auch wenn er nicht so weit geht, dessen Fiabe daher als Werke einer neuen Gattung zu bezeichnen.10 Neben solchen gattungstheoretischen Fragen interessiert in Hinblick auf die Charakteristika des Märchendramas vor allem, aus welchem Grund Gozzi gerade bei der Gattung des Märchens (und der Commedia dell’arte als Aufführungsform) davon ausgegangen ist, dass sie sich in besonderer Weise anbietet, um eine parodistische Kritik an der damaligen Theaterkultur zu üben.
Dies führt zu meiner anfangs formulierten Vermutung zurück, dass sich in Gozzis Werk nicht zufällig eine multiple intertextuelle und satirische Struktur nachweisen lässt, sondern dass es sich um eine Bearbeitung handelt, die für das Märchendrama typisch ist bzw. werden wird. Im Weiteren versuche ich, dieser für das Märchendrama womöglich spezifischen Transformation auf den Grund zu gehen, indem ich am Beispiel von Gozzis Behandlung der Commedia dell’arte die Verwandtschaft von Märchencharakteristika und theatralen Momenten11 betrachte.