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11. Trabant vom westlichen Himmel

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In der DDR musste man bis zu 14 Jahren warten, um ein Auto kaufen zu können. Dazu hatte man sich anzumelden. Bereits bei der Anmeldung war nachzuweisen, dass man das Geld für den Pkw besaß. Für den Normalbürger gab es nur Wagen aus sozialistischer Produktion. Das Plastikauto aus Zwickau wurde liebevoll „Trabbi“ genannt und während seines langen Lebens gehegt und gepflegt.

Da die Familie Grimm von einem Lehrergehalt lebte, lag selbst der Pkw Trabant außerhalb ihrer finanziellen Reichweite, bis in der DDR die Genex erfunden wurde. Auf der Suche nach Möglichkeiten, harte Devisen, also Westmark, einzunehmen, erdachten findige Funktionäre den Verkauf rarer Waren aus eigener Produktion für Westgeld. Ein Katalog, der tief ins Sortiment der Mangel- und Bückware griff, wurde entwickelt, viel bescheidener als die Hochglanzexemplare aus westlichen Versandhäusern, und den Trabbi gab es für gut 6-tausend D-Mark. Als der Schwager in Nürnberg die frohe Kunde übermittelte, dass das Erbe um 10-tausend Mark aufgestockt werde, erschien plötzlich ein Trabant am Horizont der Möglichkeiten.

Der Vater meldete sich und Hanne im thüringischen M. zur Fahrschule an, und zu Beginn der Semesterferien saßen beide zum ersten und einzigen Mal nebeneinander auf der Schulbank, um die Theorie des Autofahrens zu erlernen. Zwei Wochen dauerte die Büffelei. Danach bremste der Fahrlehrer in der ersten Übungsstunde die fleißig steuernde Studentin. Warum sie denn dauernd lenke, wollte er wissen. Sie hatte darauf keine andere Antwort als mangelnde Erfahrung, denn sie konnte noch zählen, wie oft im Leben sie in einem Auto mitgefahren war. Ein Lenkrad hatte sie nur auf dem Kinderkarussell in der Hand gehabt.

Wie dem auch war, sie schaffte nach 9 Fahrstunden die Prüfung. Der hilfsbereite Fahrlehrer bot ihr an, zur weiteren Übung einen gemeinsamen Ausflug zu unternehmen. Am Ziel wurde sie um eine Lebenserfahrung reicher. Sie fand es überhaupt nicht lustig, sich von dem in ihren Augen ziemlich alten Mann anfassen und küssen zu lassen. Auf ihre Abwehr reagierte er verärgert: „Was glaubst du eigentlich, warum ich dich eingeladen habe. So blöd kannst du doch gar nicht sein!“ Sie konnte!

Als endlich die ersehnte Nachricht bei Willi eintraf, der Genex-Trabant könne in Berlin in Empfang genommen werden, besaß auch er die Fahrerlaubnis und genauso wenig Fahrpraxis wie seine Tochter. Schnell entschied der Familienrat, dass Hanne mit Hilfe von fahrtüchtigen Freunden den Trabbi abholen und die fast 500 Kilometer nach M. kutschieren sollte. Mit dem Österreicher Harald, der Mutters Auto mitten durch den Berliner Verkehr lenkte, hatte sie zu diesem Zeitpunkt schon zarte Bande geknüpft, und so begaben sie sich beide zu Genex in der Nähe der Friedrichstraße. Harald fuhr das neue Auto sicher, während die Beifahrerin sich kräftig aufregte, nach Köpenick zum Studentenheim, wo sie es in einer Nebenstraße parkten. Noch vor dem Dunkelwerden kehrte Hanne allein zum Auto zurück, schloss auf, stieg ein und versuchte zu starten. Der Motor sprang an und zitterte weniger als sie. Sie erinnerte sich der Fahrstunde: Blinker einschalten, in den Rückspiegel sehen, ersten Gang einlegen, langsam die Kupplung kommen lassen und gleichzeitig mit Gefühl Gas geben. Siehe da, das Auto rollte an und fuhr, wenn auch langsam. Zweiter Gang. Und Blinker und am Bordstein anhalten. Zweiter Versuch. Er klappte nicht. Sie versuchte es wieder und wieder und verstand nicht, warum der Wagen loszufahren schien, doch der Motor starb. Mindestens eine Dreiviertelstunde quälte sie sich vergebens. Danach ging sie ins Heim zurück, ohne jemandem von ihrer Schmach zu erzählen. Wochen später begriff sie, dass sie sich bemüht hatte, im 3. Gang zu starten. Bei der hinter dem Lenkrad versteckten Trabbi-Schaltung sprang zwischen 1. und 3. Gang kaum ein Unterschied ins Auge. Aber um im 3. anfahren zu können, musste man erfahrener als eine poplige Anfängerin sein!

Eberhard, Eb genannt, war es, der sich bereit erklärt hatte, übers Wochenende den Trabbi mit Hanne nach M. zu fahren. Er wohnte wie sie im Heim, war jedoch mit über 30 schon ein älterer Student und verheiratet. In einer stillen Stunde bekannte Harald später einmal, er sei eifersüchtig gewesen, weil sie nicht ihn gebeten hatte, das Auto zu den Eltern zu bringen.

An besagtem Tage zuckelten sie stundenlang im 80-Kilometer-Tempo über die Autobahn, da damals die Wagen noch eingefahren werden mussten. Bis Gotha verlief die Fahrt langweilig, aber reibungslos. Plötzlich blieb der Trabbi stehen. Der Motor schwieg, anstatt auf die berühmte Trabant-Art zu tuckern. Eine Benzinuhr gab es in dem spartanischen Wagen nicht. So dauerte es eine verzweifelte Weile, ehe sich die Insassen erinnerten, dass der Benzinhahn auf Reserve zu stellen war. Bei jedem Start musste man den Benzinhahn in Position bringen. Und für die letzten fünf Liter war er um weitere 90 Grad zu drehen. Das vergaß Hanne nie wieder. Jedenfalls nicht beim Trabbi.

Ständiger Wohnsitz: Hauptstadt der DDR

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