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IV.

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Lassen wir es bei diesem einen Beispiel bewenden! Es ließe sich ergänzen durch die Kommentare, die Gottsched zu fast allen hochkomplexen und dialektisch angelegten metaphysischen Konzeptionen von Leibniz gibt. Er war philosophisch seinem Gegenstand nicht gewachsen. Aber gerade weil er mit der Autorität des wirklich sprachkompetenten Übersetzers Leibniz dem deutschen Publikum nahe gebracht hat, sind seine Erläuterungen zu einer Determinante der Rezeptionsgeschichte der Leibnizschen Philosophie geworden.

Nun gehört die Wirkungsgeschichte der Leibnizschen Philosophie zu den geheimen Quellströmen des deutschen Idealismus. Der entelechiale Substanzbegriff und die Vorstellung einer „harmonie universelle“ haben das Weltbild Herders und Goethes entscheidend beeinflußt und leiten auf diesem Wege sogar noch zur romantischen Naturphilosophie über.7 Aber auch der kantische Kritizismus mit der Grundfrage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori ist nur als Frontstellung gegen die Leibnizsche Metaphysik zu verstehen, die in der Wolffschen Systematisierung und Modifikation die deutsche Schulphilosophie beherrschte. Etwa die von Kant und Herder geführte Auseinandersetzung, Kritik und Metakritik, vollzieht sich ganz auf dem Boden des deutschen Leibnizianismus.

Wie wir auch aus anderen Beispielen wissen, ist für die Wirkung eines Denksystems nicht so sehr dessen ursprünglicher Inhalt als vielmehr die Gestalt seiner Rezeption bestimmend. Die Geschichte des Platonismus mag als Beleg für die nachhaltige und ideenumwälzende Progression von Mißverständnissen genügen. Nicht anders also erging es der Leibnizschen Philosophie im 18. Jahrhundert. Und wenn diese in den Verdacht geriet, eine zwar höchst einfallsreiche, aber doch etwas schrullig barocke Phantasterei zu sein, ein ausgetüfteltes, aber unverbindliches System der Welterklärung aus der Zeit der Träume vom Perpetuum mobile – dann ist an einer solchen Verbannung des großen Philosophen Leibniz in das Kuriositätenkabinett der Geistesgeschichte eben jene Trivialisierung schuld, die die wohlbestallten Lehrer der Weltweisheit an deutschen Universitäten seiner Philosophie angedeihen ließen.

So ist der sympathische rehbraune Lederband, der die Gottschedsche Theodicee-Ausgabe einfaßt, mehr als nur ein bibliophiles Zeugnis deutscher Geistesgeschichte, mehr als nur ein Dokument dafür, wie ein zweifellos bedeutender Mann dem ihm überlieferten Werk eines Genies entgegentritt. Er ist selbst ein Stück Philosophie, ein Vehikel der Verstandesmetaphysik, in die die spekulative Dialektik nach ihrem ersten großen Aufschwung so schnell wieder geraten ist. Und wir können diesen Vorgang miterleben, indem wir Seite für Seite vom breit laufenden, locker durchschossenen Originaltext zu den kleineren, kompress gesetzten Anmerkungen unter dem Strich übergehen und so dem Gedankengang in seiner doppelten Erscheinungsform, der des Originals und der des zubereiteten Verständnisses, folgen. In einem sozusagen optisch verifizierbaren Sinne werden hier die Fußnoten zur Projektion einer großartigen und tiefsinnigen Deutung der Weltgeschichte auf den Horizont des beschränkten Untertanenverstandes des Bewußtseins aufgeklärter protestantischer Pastoren. Der Versuch, die Rationalität des Weltlaufs einsichtig zu machen, drückt sich nun aus als das unzulängliche Plädoyer eines Rechtskonsulenten, der die Unschuld des der Perfidie verklagten lieben Gottes zu beweisen unternimmt. Was bleibt und sich weit über das Niveau der Anmerkungen erhebt, ist Gottscheds Nachvollzug der Leibnizschen Sprache in einem Deutsch, das sich gerade erst zur begrifflichen Höhe des Philosophierens aufzuschwingen begann.

1 Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibnitz, Theodicee, Hannover/Leipzig 1744, Schlußabsatz der Neuen Vorrede des Herausgebers, ohne Paginierung. Gottsched schreibt Theodicee ohne Akzent, die französischen Ausgaben haben einen Akzent auf dem e.

2 Ebd.

3 Johann Christoph Gottsched, Versuch einer kritischen Dichtkunst vor die Deutschen, Leipzig 1730.

4 Neue Vorrede.

5 Gottfried Wilhelm Leibniz, Vorschläge für eine teutschliebende Genossenschaft (1697), in: Pol. Schr., Bd. II, S. 84.

6 Anselm von Canterbury, Proslogion, cap. 2,0p.omn., vol. 1, S. 101. Siehe dazu Jos Lensink, Im Spiegel des Absoluten, in: Dialektik 1992, Heft 1, S. 75ff.

7 Vgl. dazu Hans Heinz Holz, Dialektik, Bd. IV, Darmstadt 2013, S. 400ff., über Schellings Aufnahme Leibnizscher Konzeptionen in seinen Frühschriften.

Leibniz in der Rezeption der klassischen deutschen Philosophie

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