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1.3 Strukturelle Rahmenbedingungen

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Es gibt eine Vielzahl von strukturellen Rahmenbedingungen der Buchbranche. Die im Folgenden beschriebenen sind in der gegenwärtigen Situation sicherlich die wichtigsten. Das heißt nicht, dass nicht auch Tendenzen wie die Beschleunigung („Schnelllebigkeit des Markts“), die Internationalisierung, die wachsende Bedeutung von Marketing und Vertrieb sowie die strukturellen Veränderungen innerhalb der Unternehmen – der Übergang vom inhabergeführten Verlag zum managementgeführten Verlag – nach wie vor relevant sind (vergleiche Lucius 2014: 64–69).

Digitalisierung | Digitalisierung ist sicher eines der am häufigsten verwendeten Schlagwörter unserer Zeit. Wie für die gesamte Medienbranche so hat sie auch auf die Buchbranche vielfältige Auswirkungen – in Fragen der Produkte und der Produktionsprozesse, des Vertriebs, des Nutzerverhaltens, der Qualifizierung und Fortbildung der Beschäftigten, der Geschäftsmodelle und der juristischen Regelungen. Kurz: Die Digitalisierung hat Auswirkungen auf alle Wertschöpfungsstufen der Buchbranche.

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Einen guten Überblick über die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Buchbranche bieten Janello 2010 und Lucius 2014: 287–361.

Die Digitalisierung der Herstellung reicht vom digitalen Manuskript bis zum Druck, sei es ein Auflagendruck oder Print-on-Demand für kleine Auflagen. Bei der Weiterverarbeitung der digitalen Datei des Urhebers ermöglicht die medienneutrale Datenhaltung einen effizienten Veredelungsprozess, eine einfache Produktion verschiedener Ausgaben eines Werks sowie dessen crossmediale Verwertung (zur Drucktechnik vergleiche Niemela 2018).

Bei der Digitalisierung des Produkts steht am Ende des Herstellungsprozesses ein digitales Produkt. Hinsichtlich der Gestaltung von Darstellung, Funktionen und Dateiformaten besteht ein großer Spielraum, der auch für den Vertrieb über verschiedene Kanäle wichtig ist, so zum Beispiel bei E-Book in verschiedenen Standards (PDF, EPUB).

Die Digitalisierung des Produkts hat erhebliche Verwerfungen auf dem Markt ergeben. Ein schlagendes Beispiel ist das Schicksal des Verlags Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus (BIFAB). 1990 hatte die Brockhaus Enzyklopädie eine Auflage von 270.000 Exemplaren pro Band. 1996 erschien die neue (gedruckte) Auflage der Brockhaus Enzyklopädie und des Duden in der neuen Ausgabe nach der Rechtschreibreform. Es war das erfolgreichste Jahr des Unternehmens. Die nächste Ausgabe der Brockhaus Enzyklopädie im Jahr 2005 wurde mit einem Stick verkauft, auf dem der Inhalt gespeichert war. Zu diesem Zeitpunkt war die deutsche Ausgabe von Wikipedia bereits seit vier Jahren verfügbar. Später stellte der Verlag die Inhalte seiner Enzyklopädie online. 2009 wurde er verkauft. Der Fall Brockhaus zeigt, wie die Digitalisierung ein jahrhundertealtes Geschäft mit gedruckten Enzyklopädien zum Verschwinden gebracht hat.

Noch stärker als in diesem Sektor des Publikumsmarkts sind die Umbrüche auf dem Fach- und Wissenschaftsmarkt. Hier ist der Nutzer daran gewöhnt, dass Inhalte elektronisch aufbereitet zur Verfügung stehen – kostenfrei wie im universitären Bereich oder gegen (geringes) Entgelt, wenn es um Teile einer umfangreichen Publikation geht. Damit ist der Fach- und Wissenschaftsbuchmarkt extrem unter Druck geraten, und entsprechend gibt es kaum noch Fachbuchhandlungen wie früher. Selbst Unibuchhandlungen auf dem Unigelände mussten schließen (vergleiche Riethmüller 2018: 149f.)

Die Digitalisierung des Vertriebs findet auf zwei voneinander zu unterscheidenden Weisen statt. Zum einen der Vertrieb digitaler Produkte, zum anderen der digitalisierte Vertrieb physischer Produkte.

Durch die Digitalisierung des Vertriebs von digitalen Produkten entfällt deren Distribution auf einer physischen Handelsstufe. Der körperlose Vertrieb erlaubt es dem Produzenten, in direkten Kontakt mit dem Endkunden zu treten, wie das beispielsweise beim Selfpublishing der Fall ist. Zwischenhändler (Intermediäre) werden ausgeschaltet (Disintermediation), was zu einer grundlegenden Veränderung der Wertschöpfung (Disruption) gegenüber der traditionellen Wertschöpfungskette führt. Im Fall des Selfpublishings heißt das, dass für den Urheber die Erlöse aus Verkäufen pro Einheit deutlich höher sind – dafür muss er jedoch all die Marketingleistungen erbringen, die in der konventionellen Autor-Verlag-Beziehung Aufgabe des Verlags sind.

In einem wichtigen Segment der Buchbranche, dem wissenschaftlichen Publizieren, ermöglicht die Digitalisierung des Vertriebs neue Modelle der Wissensverbreitung. Ausgelöst durch exorbitant gestiegene Preise für wissenschaftliche Zeitschriften etablierte sich seit Ende der 1990er Jahre international das Modell Open Access (OA) als Gegenbewegung. Wissenschaftliche Publikationen sollten kostenlos und technisch barrierefrei zugänglich sein. Das würde eine Ausschaltung der Wissenschaftsverlage (Disintermediation) bedeuten und deren Geschäftsmodell unterminieren.

Die intensive internationale Diskussion um Open Access kann hier nicht nachgezeichnet werden (vergleiche Mittler 2018). Wie die Konfrontation von herkömmlicher Publikation vor allem in wissenschaftlichen Zeitschriften auf der einen Seite und auf der anderen Seite durch Institutionen oder die Urheber in erheblichem Maß finanziertem Open Access das wissenschaftliche Publikationswesen transformieren wird, lässt sich derzeit nicht seriös prognostizieren. Festzustellen ist aber, dass die großen Wissenschaftsverlage OA-Plattformen übernehmen, um so deren Erlöse in das eigene Unternehmen umzulenken. So soll Elsevier die Plattform Mendeley im Jahr 2013 für eine Summe von bis zu 100 Millionen Dollar gekauft haben (buchmarkt.de vom 10.04.2013).

Der digitalisierte Vertrieb physischer Produkte hat heute einen Namen: Amazon. Der E-Commerce mit Büchern war die Keimzelle des US-amerikanischen Unternehmens. Der Erfolg der 1998 in Deutschland gestarteten Firma hat den Bucheinzelhandel grundlegend verändert (Disruption), indem sich die Verkäufe an den Endkunden in starkem Maß vom stationären Bucheinzelhandel auf den Online-Buchhandel verlagert haben. Damit ging eine Veränderung der Funktion des Buchhändlers einher. Kam es vorher auf gute Titelkenntnisse, auf Buchinhalte und auf Kenntnisse des Marktes an, so hat heute die Kundenorientierung oberste Priorität (Riethmüller 2018: 148).

Die Digitalisierung der Nutzung hängt unmittelbar mit den digitalen Endprodukten zusammen, für deren Rezeption im Unterschied zu traditionellen Büchern ein technisches Gerät (device) unabdingbar ist. Das kann ein PC, ein Laptop, ein iPad, ein Smartphone oder ein E-Book-Reader sein. Führend sind bei Letzteren der Kindle von Amazon und der Tolino, eine Entwicklung einer Allianz großer Buchfilialisten, ursprünglich unter technischer Federführung der Deutschen Telekom.

Auch das Urheberrecht musste den Auswirkungen der Digitalisierung angepasst werden. Aus juristischer Sicht entstanden bislang unbekannte Nutzungsarten, deren Übertragung bis dahin nach dem Urhebergesetz nicht zulässig war. Mehrere Novellierungen des Urheberrechts und der entsprechenden europäischen Richtlinien haben hier inzwischen weitgehend Klarheit erbracht. Auch wurde der Normvertrag für den Abschluss von Verlagsverträgen mit der ab 6. Februar 2014 gültigen Fassung entsprechend angepasst (vergleiche Lucius 2014: 290–298).

Welchen Einfluss die Digitalisierung bei den für den traditionellen Verlag zentralen Programmentscheidungen haben wird, darüber wird seit einiger Zeit heftig spekuliert. So behauptet ein junges deutsches Startup-Unternehmen, es könne durch den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) den Erfolg eines Buchs mit einer hohen Wahrscheinlichkeit voraussagen (buchreport.de vom 28.12.2018). Recht vollmundig geht es auf der Website mit dem anmaßenden Namen verlagederzukunft.de zu. Unter der Überschrift KI im Verlagswesen – Welche Arbeitsplätze sind ersetzbar? heißt es: „Wahrscheinlich sieht die Zukunft so aus, dass Inhalte und Informationen (Fachinformationen, News, Belletristik) nicht mehr von Menschen hergestellt werden. […] Es ist sehr wahrscheinlich, dass in Zukunft das Lektorat von Computern durchgeführt wird, die schneller arbeiten können als Menschen.“ Wie „wahrscheinlich“ das alles ist, wird sich zeigen.

Spekulativ sind auch die forsch verkündeten Thesen, Chatbots würden im Verlagsmarketing einen neuen Zugang zum Buch verschaffen. Häufig ist in solchen Artikeln die Formulierung zu finden, der Chatbot „könnte“ das und das erledigen.

Medienkonkurrenz | Medienkonkurrenz zum Buch war über Jahrzehnte hinweg in allererster Linie das Fernsehen, vor allem nach dem Beginn der Ausstrahlung eines zweiten nationalen Senders, des ZDF, im Jahr 1963 und dann verstärkt mit dem Aufkommen des privaten Fernsehens Mitte der 1980er Jahre. Das hat sich mit Beginn des neuen Jahrtausends grundlegend gewandelt, indem sich der Wettbewerb zwischen Buch und elektronischen Medien um Zeit, Aufmerksamkeit und Zahlungsbereitschaft drastisch verschärft hat. Technische Erfindungen wie Skype (2003), das Smartphone (mit der Durchsetzung durch das iPhone 2007) und das iPad (2010), soziale Interaktionsmöglichkeiten über das Internet wie Facebook (2004), Twitter (2006), WhatsApp (2009), Instagram (2010) und Snapchat (2011) sowie digitale Programmangebote wie Spotify (2012), Netflix und Amazon Video (beide 2014) haben die Mediennutzung – und nicht nur die der jüngeren Generation – verändert.

Sicher wäre es zu einfach, eine unmittelbare Korrelation zwischen Medienkonkurrenz, Mediennutzung sowie Käufer- und Leserverhalten herzustellen, doch Tatsache ist, dass die Zahl der Käufer auf dem Publikumsbuchmarkt (ohne Schul- und Fachbücher) in den nur fünf Jahren zwischen 2013 und 2017 sich um 6,4 Millionen verringert hat. Das ist ein Rückgang um deutlich über 20 Prozent.

Bücher lesen steht bei der Rangliste der häufigen Freizeitbeschäftigungen mit 18,2 Prozent erst an 13. Stelle und damit sehr deutlich hinter Mediennutzungen wie Fernsehen (83,5 Prozent), Radio hören (60,2 Prozent) oder im Internet surfen (55,1 Prozent). Vor allem in der Altersgruppe zwischen 20 und 49 Jahren sind die veränderten Mediennutzungsgewohnheiten besonders evident. Die Gruppe zwischen 14 und 29 Jahren hat die Internetnutzung von Netflix, Youtube, WhatsApp, Instagram, Facebook, von Online-Spielen et cetera innerhalb eines Jahrs von 245 Minuten auf 274 Minuten pro Tag gesteigert. Die Gruppe zwischen 30 und 49 Jahren liegt in der Steigerungsrate noch wesentlich höher, nämlich um fast 25 Prozent von 148 Minuten auf 183 Minuten.

Angesichts dieser Zahlen ist es nur ein schwacher (Selbst-)Trost, wenn der Börsenverein „eine gewisse Sehnsucht nach dem Bücherlesen – gerade weil es mehr und mehr aus der Welt der Menschen verschwindet“, konstatiert (vergleiche Buch und Buchhandel in Zahlen 2018: 6 und 32–35 sowie http://www.boersenverein.de/sixcms/media.php/976/Buchkäufer_quo_vadis_Bericht_Juni_2018_Kernergebnisse.pdf).

Konzentration | Bei der Betrachtung der Konzentration in der Buchbranche ist deutlich zu unterscheiden zwischen einer wirtschaftswissenschaftlichen und einer branchenüblichen Betrachtungsweise. Im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§ 18 GWB) wird eine bedenkliche Konzentration ökonomischer Marktmacht angenommen, wenn die fünf umsatzstärksten Unternehmen einen Anteil von mehr als zwei Dritteln auf sich vereinen. Danach ist die Buchbranche insgesamt und auch auf den drei Handelsstufen nicht konzentriert. Das mag in kleineren Teilsegmenten abweichend sein.

Auch wenn volkswirtschaftlich keine Konzentration vorliegt, sieht doch die Realität anders aus. Unter den 100 größten Verlagen/Verlagsgruppen dominierte 2017 die in Stuttgart ansässige Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck die Rangliste. Sie ist Mehrheitseigentümer des Top-Platzierten Springer Nature (Umsatz 567 Millionen Euro) und Alleineigentümer der oben aufgezählten Publikumsverlag mit 245 Millionen. Die 100 größten Unternehmen erzielten zusammen einen Umsatz von 6,03 Milliarden Euro. Davon entfielen 2,843 Milliarden auf die zehn Größten, was einem Anteil von fast 50 Prozent entspricht. Das heißt umgekehrt, dass die übrigen 90 Verlage etwa so viel Umsatz erzielen wie die zehn Spitzenreiter. Die Spannweite der Umsätze zwischen dem auf Rang 1 stehenden Verlag und dem auf Platz 100 (Hatje Cantz, Umsatz 7,5 Millionen Euro) ist riesig (buchreport.magazin April 2018).

Historisch begann nach dem Zweiten Weltkrieg die Konzentration im Bereich der Publikumsverlage mit dem Aufbau der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck zwischen 1963 (Übernahme des S. Fischer Verlags) und dem Jahr 1982 (Kauf des Rowohlt Verlags). Bertelsmann begann seine Expansion in den Publikumsmarkt 1974 mit dem Kauf von Blanvalet sowie 1977 und 1983 mit der Übernahme von Goldmann beziehungsweise Siedler. Nach der Jahrtausendwende arrondierte der Konzern seine Verlagsgruppe zum heutigen Umfang von 45 Verlagen unter dem Dach von Random House. Finanziert wurde – zumindest in den ersten Jahren – in beiden Häusern die Expansion aus den Gewinnen, die sowohl Holtzbrinck als auch Bertelsmann mit den Buchgemeinschaften Deutscher Bücherbund und Bertelsmann Lesering erzielten.

Heute ist die Konzentration durch Verlagsaufkäufe weitgehend zum Stillstand gekommen. Zum einen weil mittelständische Verlage im Familienbesitz wie Hanser, Diogenes, Hoffmann und Campe oder Herder (zumindest derzeit) nicht zum Verkauf stehen. Zum anderen weil bei größeren Aufkäufen wohl das Bundeskartellamt eingreifen würde, wie es das zum Beispiel beim Kauf des Heyne Verlags durch Random House im Jahr 2003 getan hat.

Eine Großfusion gab es im Jahr 2015, als sich Springer Science+Business Media, damals im Besitz der Beteiligungsgesellschaft BC Partners, und die Fachverlage der Holtzbrinck-Gruppe zu Springer Nature zusammenschlossen.

Doch – auch das ist festzuhalten – hat die geschilderte Konzentration bisher weder zu einer existentiellen Krise der Branche noch zu einer Verödung der Literaturlandschaft geführt. Es hat Kurskorrekturen, es hat Pleiten, es hat – mitunter schmerzhafte – Verluste an der Substanz gegeben, und diese Entwicklung ist sicherlich noch nicht beendet. Aber es sind auch andere, positive Entwicklungen zu verzeichnen. Unauffällig haben sich Kleinverlage etablieren können, die durch niedrigere Betriebskosten und mit enormem persönlichem Einsatz zumindest partiell fortsetzen können, was mancher größere Verlag aufgeben musste: das engagierte Verlegen anspruchsvoller Bücher in relativ kleinen Auflagen.

Vergleiche zu den Größenordnungen im Bucheinzelhandel sind nicht möglich, da der Buchreport die Rangliste der 50 größten Buchhandlungen vor einigen Jahren aufgegeben hat und nun seine jährliche Untersuchung systematisch gliedert.

Interne Konkurrenz | Nicht nur die alten Medien wie das Fernsehen und die neuen (sozialen) Medien bedrängen die klassische Buchbranche. Interne Konkurrenten sind ihr in den Selfpublishern und dem stetig wachsenden Gebrauchtbuchmarkt entstanden.

Selfpublishing ist historisch kein neues Phänomen, sondern wir kennen aus der Geschichte das Beispiel von Friedrich Gottlieb Klopstock, der den ersten Band seines Messias 1748 im Selbstverlag herausbrachte und ihm andere wie etwa Gottfried August Bürger mit seinen Gedichten folgten.

Bei im Selbstverlag veröffentlichten Werken trägt der Autor sämtliche Kosten für Lektorat, Herstellung, Verbreitung und Lagerung sowie das Absatzrisiko. Dafür fließen alle Erlöse ihm zu. Der Verfasser arbeitet auf eigene Rechnung und unter eigenem Namen. Entweder übernimmt der Autor die zentralen Aufgaben eines Verlags selbst oder er überträgt sie an einen externen Dienstleister. Durch die Digitalisierung sind die Markteintrittskosten für Autoren sowohl hinsichtlich Produktion wie Distribution stark gesunken, die Zahl der durch Print-on-Demand oder elektronisch publizierten Texte drastisch gestiegen.

Für Deutschland liegen im Unterschied zu den USA keine verlässlichen Marktdaten vor. Daher ist die Konkurrenz für die etablierte Branche durch Selfpublisher nur schwer quantifizierbar. Matthias Matting, der die Website selfpublisherbibel.de betreibt, schätzt, dass 2018 zehn Millionen gedruckte Bücher von Selfpublishern verkauft worden sind, was etwa zweieinhalb Prozent Anteil am Buchmarkt entspricht – ohne E-Books (http://www.selfpublisherbibel.de/bod-zahlte-2018-55-millionen-euro-honorar-aus/). 2016 stammten sieben der zehn meistverkauften Titel auf der Amazon-Bestsellerliste aus diesem Personenkreis (Pfuhl 2018: 248).

Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland zwischen 75.000 und 100.000 Autoren ihre Werke dank niedriger Einstandskosten und Eintrittsbarrieren selbst verlegen und vermarkten. Erfolgsgeschichten wie die der Autorinnen Nele Neuhaus und Rita Falk sind zwar die absolute Ausnahme, zeigen jedoch das Potential des Selfpublishing.

Über die Motive, die die Selfpublisher zu dieser Publikationsform veranlassen, gibt seit Jahren die von der Plattform selbpublisherbibel.de durchgeführte Umfrage Auskunft. Bei der Frage „Warum nutzen Sie Self Publishing?“ haben sich in den letzten fünf Jahren deutliche Verschiebungen ergeben. An der Spitze stehen die beiden Motive „Weil ich alle Freiheiten habe“ und „Weil ich so die Kontrolle behalte“. Dabei haben sich die Zustimmungen von 61 Prozent auf 73 Prozent beziehungsweise von 53 Prozent auf 65 Prozent erhöht. Alle anderen Positionen blieben mehr oder weniger unverändert – mit einer Ausnahme: Der monetäre Aspekt des Selfpublishings ist eindeutig wichtiger geworden. Der Anteil derer, die als Motiv abgaben, „Weil ich so mehr Geld verdienen kann“, ist in diesem Zeitraum von 25 Prozent auf 39 Prozent angestiegen.

Freiheit und Kontrolle sowie der finanzielle Aspekt sind also die zentralen Motive der Selfpublisher, die an der Umfrage teilgenommen haben.


Abb. 6 Motive von Selfpublishern 2018. Quelle: selfpublisherbibel.de.

Der Aspekt der Selbstverwirklichung wurde 2014 nicht abgefragt (www.selfpublisherbibel.de/die-grosse-selfpublishing-umfrage-2018-steigende-einnahmenzunehmende-professionalisierung/).

Selfpublisher veröffentlichen ihre Werke in der Regel entweder nur als E-Book oder nur in einer Printversion. Beide Ausgabeformen ein und desselben Werks sind selten. Bei den E-Books ist Kindle Direct Publishing (KDP) – seit 2011 auf dem deutschen Markt – eindeutig Marktführer. Die Ladenpreise schwanken zwischen 0 Euro als Lockvogelangebot, 0,99 Euro als unterste Preiskategorie und 4,99 Euro als faktische Obergrenze bei Belletristik. Das ist ein erheblicher Preisabstand zu den von den etablierten Verlagen angebotenen E-Books, verschafft aber den Selfpublishern einen Startvorteil, weil das Enttäuschungsrisiko sich beim Konsum des Erfahrungsguts Buch zumindest im finanziellen Bereich in Grenzen hält. Dominierend sind die Genres Romance, Fantasy, Krimi und Science Fiction. Bei den gedruckten Werken von Selfpublishern ist BoD (Books on Demand) der Marktführer. Die hundertprozentige Tochterfirma des Zwischenbuchhändlers Libri machte nach eigenen Angaben im Jahr 2018 über 90.000 geprintete Selfpublishing-Werke von 45.000 Autoren im Buchhandel verfügbar. Dazu kommen noch 70.000 E-Books (boersenblatt.net vom 30.01.2019).

Durch die neuen technischen Möglichkeiten des Selfpublishing verschieben sich die angestammten Rollen zwischen Autor und Verlag: Der Autor wird selbst zum Verleger. Damit entfällt die traditionelle Rolle des Verlags als gate keeper, als Selektionsinstanz, die bei der Qualitätssicherung der Produkte – und nicht nur des Inhalts – eine wichtige Funktion hat. Lässt man bewusst die Frage beiseite, ob alles, was in Verlagen publiziert wird, gewissen Mindestanforderungen an Qualität gerecht wird, so ist doch unübersehbar, dass der Umfang des Angebots durch Selfpublishing stark gestiegen ist und mit Sicherheit weiter steigen wird. Welche Bedeutung solche Werke auf dem Markt haben, ist eine ganz andere Frage. Sie muss letztlich der Nutzer entscheiden.

Die seit langem existierenden Zuschussverlage – auch Bezahlverlage oder Druckkostenzuschussverlage genannt – können bei solchen Zahlen nicht mithalten, nicht zuletzt, weil sie von ihren Kunden teilweise exorbitante Zahlungen verlangen und im wichtigen Bereich von Vertrieb und Marketing außer wohlklingenden Versprechungen keine Dienstleistungen erfüllen.

Auch der Markt des Gebrauchtbuchs ist heute eine Konkurrenz zur etablierten Buchbranche. Der Antiquariatsbuchhandel klassischen Zuschnitts als Zweig des Bucheinzelhandels hat eine lange Tradition. Der Internethandel hat hier jedoch einen grundlegenden Wandel herbeigeführt, sodass heute kaum noch größere Betriebsformen des Antiquariatsbuchhandels existieren. Der professionelle Gebrauchtbuchmarkt ist vielmehr aus dem buchhändlerischen System „ausgewandert“ und wird heute zusammen mit dem Verkauf von Privat an Privat von Amazon dominiert. Das 1996 gestartete Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher (ZVAB) gehört seit 2011 ebenso zum amerikanischen Internetgiganten wie AbeBooks (seit 2008). Marktführer ist mit großem Abstand Amazons eigener Marketplace, der seit 2002 in Deutschland verfügbar ist. Auf diesem Online-Marktplatz wurden von Anfang an auch Gebrauchtbücher gehandelt. Versuche großer Bucheinzelhändler Anfang der 2000er Jahre, sich hier zu etablieren, sind rasch gescheitert.

Branchenstrukturanalyse | Schon 1980 hat der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Michael E. Porter sein Modell der Branchenstruktur-analyse vorgestellt. Diese geht von fünf Kräften (five forces) aus, die den Wettbewerb innerhalb einer Branche bestimmen. Das sind erstens die Rivalität unter den bestehenden Wettbewerbern (intensity of competitive rivalry), zweitens die Bedrohung durch neue Anbieter (threat of entry), drittens die Verhandlungsstärke der Lieferanten (bargaining power of suppliers), viertens die Verhandlungsstärke der Abnehmer (bargaining power of buyers) und fünftens die Bedrohung durch Ersatzprodukte (threat of substitutes).

Für jedes der drei Segmente der Buchbranche, also für die Verlage, den Zwischenbuchhandel und den verbreitenden Buchhandel, lässt sich eine solche Branchenstrukturanalyse durchführen, aber auch für Teilsegmente wie zum Beispiel den Ratgebermarkt, den Kunstbuchsektor oder Wissenschaftsbücher.

Beispielhaft soll am Ende des Kapitels über die Buchbranche in der Bundesrepublik Deutschland eine solche Analyse für das Verlagswesen vorgeführt werden. Selbstverständlich können hier keine Details dargestellt werden, sondern nur die großen Linien.


Abb. 7 Die five forces des Branchenwettbewerbs. Quelle: Porter 2013: 38.

Die Rivalität unter den bestehenden Wettbewerbern ist bei einer solchen Analyse natürlich nach Marktsegmenten beziehungsweise den Verlagstypen zu differenzieren, die dort jeweils agieren. So bestehen sicher zwischen einem kleinen literarischen Verlag und einem Schulbuchverlag oder zwischen einem juristischen Fachverlag und einem medizinischen kein unmittelbarer Wettbewerb. Jedoch stehen Publikumsverlage untereinander in heftiger Konkurrenz, vor allem hinsichtlich der Rechte, was bei Auktionen deutlich wird, aber auch zum Beispiel um die Präsenz in den Buchhandlungen, was sich in den Diskussionen um Konditionen niederschlägt. Der in anderen Branchen mögliche Wettbewerb als Preiswettbewerb ist in der Buchbranche durch den gebundenen Ladenpreis nicht möglich, sodass der Leistungswettbewerb über die Produktqualität und über eventuelle Zusatzleistungen bleibt. Die Intensität des Wettbewerbs ist angesichts der Vielfalt und Kleinteiligkeit der Branche sowie der damit einhergehenden hohen Produktdifferenzierung eher gering.

Für die Bedrohung durch neue Anbieter ist der Markteintritt von Bonnier Anfang der 1990er Jahre ein Beispiel, als nämlich der schwedische Konzern zunächst die Verlage Carlsen und Piper (beide 1993), später arsEdition (2000), Thienemann (2001) und Ullstein (2003) übernahm. Ein weiteres Beispiel ist HarperCollins Publishers. Der zweitgrößte Publikumsverlag der Welt übernahm 2014 Harlequin Enterprises und damit den deutschen Cora-Verlag. Seither baut HarperCollins seine deutschen Aktivitäten unter eigenem Namen sowohl im Hardcover als auch im Taschenbuch systematisch aus. Selfpublisher als relativ neue Anbieter stellen zumindest im Augenblick und auf absehbare Zeit keine Bedrohung für die etablierten Verlage dar. Bezeichnend für die Attraktivität der Branche für potenzielle branchenfremde Anbieter ist die Tatsache, dass bei den genannten Beispielen jeweils Unternehmen der Buchbranche den Markteintritt gewagt haben. Branchenfremde Anbieter wie Beteiligungsgesellschaften haben sich dagegen zurückgezogen, wie die wechselvolle Geschichte der ehemals im Besitz von Bertelsmann befindlichen Verlagsgruppe Springer Science+Business Media zeigt. Die Markteintrittsbarrieren für neue Anbieter sind im Verlagswesen – verglichen mit anderen Wirtschaftssektoren – eher niedrig.

Die Verhandlungsstärke der Lieferanten ist als schwach einzustufen. Das gilt auf der Urheberseite für Autoren – so sie nicht Bestsellerzahlen vorweisen können –, Übersetzer, freie Lektoren und Grafiker, auf der Seite der technischen Produktion genauso für die herstellenden Betriebe. Die Alternativen an Zulieferern sind in beiden Fällen groß.

Die Verhandlungsstärke der Abnehmer wird an der deutlichen Konditionenverbesserung des Buchhandels, besonders der großen Filialisten, in den letzten Jahrzehnten offenkundig. Rabatterhöhungen, Ausweitung der Zahlungsziele und Werbekostenzuschüsse sind hier nur ein paar Stichworte. Der einzelne Endkunde hat keine Verhandlungsstärke gegenüber den Verlagen, da ja der Ladenpreis gebunden und somit nicht verhandelbar ist. Im Wissenschaftssektor dagegen sind die Auseinandersetzungen zwischen deutschen Wissenschaftsorganisationen, darunter die Hochschulrektorenkonferenz, und dem Wissenschaftsverlag Elsevier ein Beleg dafür, dass organisierte Nachfragemacht eine entsprechende Verhandlungsstärke erbringen kann.

Die Bedrohung durch Ersatzprodukte und Ersatzdienste ist evident. Hier genügt für den Publikumssektor der Hinweis auf die teilweise Substitution der Printprodukte durch mediale Möglichkeiten der Unterhaltung beziehungsweise der Substitution durch soziale Medien. Für den Sektor der Wissenschaftsverlage ist Open Access ein Beispiel, wie durch neue Möglichkeiten des Publizierens das traditionelle Geschäftsmodell der Wissenschaftsverlage tangiert, wenn nicht untergraben werden kann.

Überblickt man die five forces und schätzt sie in ihrem Einfluss auf die Branchensituation ein, so ist offenkundig, dass die stärksten Bedrohungen für die herrschende Branchenstruktur in der Bedrohung durch funktionale Äquivalente im Bereich der Unterhaltung und durch neue Möglichkeiten im Bereich des Publizierens bestehen, die durch die Digitalisierung entstanden sind.

Wie ein Buch entsteht

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