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Rosenstrauch - Klon oder Chimäre?

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„Eine Frage habe ich - bitte schön an sie Frau Dernikowa. Ich heiße Rosenstrauch - Sarah Rosenstrauch vom Koninklijk Nederlands Instituut vor Onderzoek der Zee, kurz NIOZ in ´t Horntje auf Texel.“

„Bitte Frau Rosenstrauch - aber nur eine Frage - kurz und knapp“.

„Haben Sie Serum gegen SARS-Vo-1 Covid an Bord - und sind alle Teilnehmer und Mannschaften dagegen geimpft? Es gibt doch eine Krankenstation auf der Georgi Schukow“, schloss Sarah Rosenstrauch ihre Frage.

„Für die medizinischen Fragen ist der Bordarzt zuständig. Sie haben später Gelegenheit sich mit ihm darüber zu unterhalten. Also dann - meine Damen und Herren, auf geht es - ein großes Ereignis steht ihnen bevor“ antwortete Valeria Dernikowa ebenso kühl wie höflich auf die Frage von Sarah Rosenstrauch.

Während wir den Saal der Marine in Richtung Empfangshalle verließen, öffneten sich die großen Türflügel des Saales der U-Boote, aus dem nun gleichfalls die Kolleginnen und Kollegen der fernöstlichen Teams heraustraten, um sich unseren Teams anzuschließen. Derweil liefen in meinem Kopf die Erinnerungen an jene Expedition wie ein Film ab, die ein gewisser Yoshua Rosenstrauch im Jahre 1995 im Eisbunker Amerikas, in Alaska, durchführte, von wo aus das bis dahin als ausgestorben geltende Virus H1N1 der Spanischen Grippe, eines extremgefährlichen Erregers, erneut in die Welt kam, was damals nicht wenige Wissenschaftler und Forscher als genialen Forschererfolg bejubelten. Sarah Rosenstrauchs Großvater, ein gewisser Valentin Roskastowitsch, der dem stalinistischen System zunächst gesonnen, später aber auf mysteriöse Weise bei den Israelis auftauchte, denen das Einmaleins der Atomphysik sehr anschaulich beibrachte, im Handumdrehen zum jüdischen Glauben konvertierte und sich den Namen Menachem Rosenstrauch patentieren ließ, klopfte anschließend bei den US-Amerikanern an und bat um Asyl, was er innerhalb weniger Stunden erhielt. Die Staatsbürgerschaft mit amtlichem Pass war da reine Formsache. Dieser Menachem Rosenstrauch war ein hoch dekorierter Atomphysiker, Bio-Neurologe, Virologe, Chemiker und Visionär, der den Amerikanern unter anderem den Bau einer Nuklearbasis tief unter dem grönländischen Eis schmackhaft machte, von wo aus im Ernstfall Atomraketen auf die Sowjetunion abgeschossen werden könnten. Menachem Rosenstrauch sammelte Doktoren und Professoren Titel wie andere Menschen Briefmarken, und niemand wusste wirklich genau, womit er sich tatsächlich beschäftigte. Selbst die engsten Mitarbeiter seiner Labore bekamen nur so viel an Information, wie sie für die Abarbeitung der gestellten Aufgaben in ihrem Ressort benötigten. Es wurde sogar gemunkelt, dass Rosenstrauch am Thermonuklearprogramm der Sowjets, unter anderem an jener berüchtigten Zarenbombe im Team um Sacharow mitgetan hatte, und als Sacharow ob der berechneten Wirkung dieses Wasserstoffmonstrums Albträume und im wahrsten Sinne des Wortes Kalte Füße bekam, änderte er die notwendigen Parameter und zähmte das Projekt zu einem weniger „gehaltvollen“ Knallbonbon. Rosenstrauch blieb das nicht verborgen, und listig wie verschlagen er war, hintertrug er das Vorgehen Sacharows dem zuständigen Projektleiter im Militärministerium für Nuklearforschung. Was folgte ist bekannt - Sacharow landete in der Verbannung und Rosenstrauch wurde Teamleiter des Entwicklungsprogramms der Zarenbombe - kurz Projekt Peter der Große genannt. Was die Nuklearstation der USA auf Grönland betraf, so haben die US-Militärs tatsächlich angebissen und dieses Vorhaben mit immensen Mitteln voran getrieben. Bekannt wurde dieses als mineralogisches Forschungsprojekt getarnte Militärvorhaben über den Aktionfilm „Eisstation Caribou“. Nach einigen Jahren gaben die Amerikaner den weiteren Ausbau der Anlage tief unter dem Eis auf, da sie die Beweglichkeit und Drift der Eismassen nicht oder ungenügend bedacht hatten. Hals über Kopf verließen sie das Century Camp, welches nun angefüllt mit radioaktivem Abfall, Dieseltreibstoff und anderen chemischen Abfällen, eingehüllt wie ein übergroßer dicker Schneeball in Richtung Gletscherzunge unterwegs ist, wo es dann, wenn zuvor nichts an der Sicherung oder Entfernung dieses Sondermülls getan wird, vom Gletschereis in den arktischen Ozean geschoben und dort zu einer Umweltkatastrophe ungeahnten Ausmaßes führen wird. Die Grönländer versuchen seit Jahren die Regierung in Kopenhagen zu ersten Schritten gegen die USA zu bewegen, um diese hochgefährliche Hinterlassenschaft zu beseitigen. Bislang ohne Ergebnis, alles sieht nach Vertuschung aus, und so sahen die Grönländer keine andere Möglichkeit, als die komplexe Sachlage an die internationalen TV- und Printmedien weiterzuleiten. Der Effekt war überwältigend, und die Verantwortlichen in Kopenhagen und Washington beginnen sich zu bewegen. Überdies tat sich Rosenstrauch auch als Paläontologe und Eugeniker hervor, wobei es ihm in fragwürdigen Experimenten gelang, Hunden und Kälbern je einen weiteren Kopf anzupflanzen, der eigenständig fressen und trinken konnte und sogar mehrere Tage mitsamt Kalb überlebte. Filmdokumente belegen die Echtheit dieser schrecklichen Geschehnisse. Von da an hieß er im Kollegenkreis nur noch Dr. Frankenstein. Sein Sohn Yoshua Rosenstrauch war hernach der Leiter jener Expedition, die das teuflische Virus H1N1 im Jahre 1995 erneut in diese Welt brachte. Derzeitiger Aufenthaltsort des Virus H1N1 ist ebenso unbekannt wie die Adresse seines Gottvaters Yoshua Rosenstrauch. Seine Tochter Sarah Rosenstrauch machte nun als Virologin und Ozeanografin bei den Niederländern Karriere. Was es doch für Zufälle im Leben und auf dieser Welt gibt. Angeblich hat dieser Menachem Rosenstrauch alias Valentin Roskastowitsch Anfang der 2000er Jahre den Löffel weggelegt, aber sicher bestätigt ist diese Information bis heute nicht. Gut möglich, dass er in einem Ultra geheimen Labor irgendwo im Eiskeller Alaskas, in Sibirien oder der Negev Wüste weiterhin seinen bizarren Experimenten und Eugenikversuchen frönt, von der Entwicklung neuer, noch gefährlicherer Viren ganz zu schweigen.

„Wir betreten die Empfangshalle - bitte halten sie ihre Kennkarten gut lesbar in der Hand vor ihre Brust, damit das Einlesen zügig vonstatten geht“ ertönte die glockenhelle Stimme unserer charmanten, russischen Alphawölfin, während meine Augen und Gedanken versuchten, das anmutige Wesen von Sarah Rosenstrauch und den wirklichen Grund ihres Hier seins als Naturwissenschaftlerin, Ozeanographin und Virologin im Dienste der NIOZ auf Texel in den Niederlande zu analysieren. Das übliche Prozedere nahm seinen Gang, das individuelle Small Talk unter den Teammitgliedern an Intensität zu, derweil sich die Akademikerschar wie ein Jugendchor aufgeregter Pennäler schlaksigen Schrittes auf den Kontrollbereich zu bewegte, wo mehrere - in blaue Marinekostüme gekleidete außergewöhnlich hübsche Frauen - ohne Zweifel Murmansker Russinnen, ihre freundlich-dienstlichen Blicke wie Scanner über die Kennkarten der Frauen und Männer gleiten ließen, um sie augenblicklich mit dem lebenden Konterfei und dem Foto auf der vorliegenden Anwesenheits-Bordliste zu vergleichen. Die Qualität der KGB Schule war unverkennbar und ließ mich trotz meiner jahrzehntelangen Erfahrungen im Umgang - nicht nur mit russischen Geheimdienstmitarbeitern - sondern Aufpassern und Aufpasserinnen weltweit immer wieder aufs Neue staunen und dabei doch nicht überrascht sein, denn der Ausbildungs- und Lerneffekt in allen Geheimdiensten und jenen, die sich ausbilden und anlernen lassen, gleicht sich fast wie ein Ei dem anderen, mochten die Systeme in denen sie implantiert sind, noch so verschieden sein, was dem Überwachungswahnsinn auf allen Seiten eine Methode verleiht, die so durchschaubar und transparent ist wie eine frisch geputzte Fensterscheibe. Durch die großflächige Fensterfront auf der anderen Seite der Empfangshalle gewahrten meine Augen im hellen Licht der immer noch hoch stehenden Sonne - es ging gegen immerhin auf 19.30 Uhr zu, und der Auslauftermin für die Georgi Schukow war auf 20.00 Uhr festgemacht. Es würde die ganze Nacht hell bleiben, daran änderten auch die schwarzen Vorhänge vor den Kabinenfenstern nicht das Geringste. Mir kam eine Episode in den Sinn, die ich als junger Mann auf einer Backpacker Safari durch Finnlands Norden - Lappland - erlebte. Ich nächtigte für einige Tage in einem kleinen Dorf der Saami Lappen und erlebte zum ersten Mal hautnah im Hochsommer das Erlebnis der Mittsommernacht, jenes unvergleichlichen Erlebnisses, wenn die Sonne nicht hinter dem Horizont versinkt sondern vierundzwanzig Stunden präsent ist. Schwarze Vorhänge vor den Fenstern sorgten bei mir für ein gehöriges Unwohlsein - vermutete ich doch tatsächlich, dass in diesem Raum kürzlich ein Mensch gestorben ist oder dieses Zimmer im allgemeinen als Aufbahrungs- oder Todeszimmer genutzt wird. Meine Wirtsleute haben sich ausgeschüttet vor lachen und konnten sich kaum beruhigen, bis sie mir dann erklärt haben, was es mit den schwarzen Vorhängen auf sich hat. „Sichtschutz - damit wir schlafen können - Mitsommer - da scheint auch in der Nacht die Sonne.“ So einfach können komplexe physikalische Dinge sein. Und eben durch diese großflächige Fensterfront gewahrten meine Augen eine gewaltige stählerne Masse - versehen mit einem langen roten Band, das irgendwie aus dem Hafenbecken herauswuchs und diesen Stahlkoloss wie eine Schärpe umhüllte, die wiederum in einen mächtigen blauen Leib überging, der von einem weißen, strahlend hellen Aufbau gekrönt wurde und sich wie das Schloss eines Riesen aus diesem Stahlberg erhob - majestätisch, machtvoll, elegant - die Brücke der Georgi Schukow und den darunter befindlichen Decks für die Passagiere und Besatzungsmitglieder. Von Nordwesten hatte die Bewölkung aufgelockert, was nicht nur mir während des Vortrags von Frau Valeria Dernikowa im Saal der Marine aus verständlichen Gründen entgangen war. Die Sonne stand noch hoch im Westlichen Himmel und ließ ihr helles Licht wie einen silbernen Fluss über die Stadt Murmansk, die Kola-Bucht und den Liegeplatz der Georgi Schukow gleiten, was die Konturen der Gebäude, Schiffe und Hafenanlagen in pastellfarbene Gewänder hüllte.

Pariser Baguette - ein schnarchendes Rhinozeros - die Georgi Schukow

„Nicht schlecht Monsieur Bergerdamm, die Russen haben an alles gedacht. Pünktlich zum Auslaufen klart das Wetter auf und beschert uns eine waschechte Mittsommernacht - très bien - je suis Bernard Panteneau vom Institut Louis Pasteur an der Sorbonne in Paris…“

Überrascht von der plötzlichen Ansprache durch Monsieur Panteneau verschlug es mir zunächst eine entsprechende Antwort auf eine derart belanglos-banale Feststellung, und bevor ich mich noch für die Muttersprache meines ungewollten Kabinennachbarn entscheiden konnte, fiel mein Blick eher gewohnheitsmäßig auf das Außenthermometer an der Wand des Empfangssaales, und was ich dort an meteorologischen Daten ablesen konnte, überraschte mich über alle Maßen. Schließlich befanden wir uns hinter dem Polarkreis in der nördlichsten Stadt der Welt, und da waren Temperatursprünge von mehr als zwölf Grad Plus in ein paar Stunden in keiner Weise die Norm. Die Skala signalisierte uns einen Wert zwischen zweiundzwanzig und dreiundzwanzig Grad - etwa 75 Grad Fahrenheit über dem internationalen Nullpunkt. Ich tippte leicht mit dem Mittelfinger auf die Isolierscheibe, aber der Gradmesser bewegte sich keinen Millimeter. Noch ein, zwei Versuche wagte ich, dann gab ich meine Bemühungen auf, eine nach meinem Empfinden passende Temperaturanzeige zu erhalten. Der Luftdruck stieg und näherte sich der 1020 Hekto Pascal Marke, wo normalerweise dieser Wert auf Meereshöhe bei 1013 Hekto Pascal liegt. Das ließ nur einen Schluss zu; ein Azorenhoch vom Zentralatlantik jagte mit Affengeschwindigkeit in Richtung Europa, wobei es die vorgelagerten Luftmassen wie eine Tsunami Welle vor sich her schob. Der Himmel würde sich in rascher Folge mit dicken weißen Haufenwolken füllen, die wie eine Schafherde in Richtung Nordosten rennen und in Verbindung mit der nachströmenden kälteren Luft für extreme Turbulenzen sorgen würden. Da könnte es leicht zu einem Hochdruck jenseits der 1034 Hekto Pascal oder höher führen. Im sibirischen Großraum ist der Gebrauch der Fahrenheit Skalen auch heuer noch weit verbreitet. So ist es nicht ungewöhnlich, dass in Südsibirien im Sommer Temperaturen bis zu 30 Grad herrschen können, was den Bewohnern jener Regionen nicht nur helle und warme Nächte, sondern ebenso Milliarden von Moskitos beschert, die das Leben in diesen Extremzonen nicht unbedingt als angenehm einstufen. Im Klartext lasen sich diese Werte wie zwei aufeinander zufahrende Expresszüge von denen nicht anzunehmen war, dass der jeweils andere seine Geschwindigkeit verringern würde. Entweder klarte es sich tatsächlich komplett auf und wir fuhren in ein klassisches Mittsommerhochdruckgebiet hinein, oder der germanische Donnergott Thor packte seinen Hammer aus und ließ das nordatlantische Meer überkochen, wobei mir beim letzten Gedanken schon jetzt üble Gefühle durch den Bauch krochen. Das von Südwesten her hereinströmende Windfeld muss gewaltige Ausmaße haben, da es die nun rascher am Himmel vorbeiziehenden Wolkenblöcke mit einer Gewalt auseinanderriss, wie ich es in meinem bisherigen Leben auf derartigen Events selten erlebte. In meinen Kolleginnen und Kollegen erwachte nun gleichfalls ein gesteigertes Interesse an den Vorgängen in der Wetterküche über Murmansk und dem nördlichen Eismeer, wobei sich die bedenklichen Bemerkungen mit den euphorischen in etwa die Waage hielten. Aber das könnte sich ganz schnell ändern, wenn die Georgi Schukow erst in freies Wasser einfährt, die offene See erreicht. Die Erinnerungen an meine Kotz- und Würgefahrten auf Großseglern im Südatlantik und der Karibik inmitten tropischer Wirbelstürme stiegen von einem zum anderen Augenblick aus den Windungen meines Hirns empor, ergriffen von meinen visuellen und akustischen Wahrnehmungen Besitz und drängten meine sachlich-fachlichen Beurteilungsparameter gnadenlos in den Grund des Atlantiks. Jene damaligen Erfahrungen klebten an mir, in mir wie bösartige Tumore die nur darauf warteten, ihr Metastasenwerk erneut zu beginnen. Ganz in Gedanken entgegnete ich entgegen meiner Auffassung:

„Qui Monsieur - es wird eine klassische Mittsommernacht mit Wodka, Weib und Kasatschok. Viel Vergnügen dabei - ach - sie möchten in meiner Kabine nächtigen? Daraus wird nichts werden - ich bin Selbstzahler und habe meine Kabine für mich gebucht - als Alleinunterhalter. Zudem bin ich stockschwul, was ihren Hinterbacken enormen Stress machen würde - und ich schnarche wie ein Rhinozeros - Monsieur Panteneau“

Bernard Panteneau blickte mich ungläubig, ja - ein wenig fassungslos und entsetzt an, schluckte zwei Mal und sprach dann tonlos wie abwesend „Mon Dieu - das ist grausig - das ist unfassbar - das muss ich sofort Frau Dernikowa vorlegen - sie muss das ändern lassen - ich brauche ebenso eine Einzelkabine oder fliege zurück nach Paris…“

Trocken wie ein Furz in einem Sahara Wadi entgegnete ich Monsieur Panteneau

„Bon Voyage Monsieur Bernard Panteneau - grüßen sie mir den Eiffelturm, das Moulin Rouge und Professor Valjean Deveraux von der Sorbonne“.

Ich brauche keinen Mann als Kabinenmitbewohner, egal welcher Nationalität; ich will für mich allein sein, schließlich bezahle ich meine Teilnahme an der Eismeerexpedition Nordatlantik aus eigener Tasche. Wenn schon eine zweite Person in meiner Kabine, dann eine dralle Maid die es mir altersgemäß tüchtig besorgt, so meine spätpubertären Altmännerfantasien aus der anderen Dimension. Ansonsten will ich schlafen wann ich will, frühstücken wann ich will und mir einen Blasen lassen wenn ich es nötig zu haben glaube. Ich rauche nicht, ich trinke nicht, keine anderen Drogen, kein Fleisch, viel Gemüse, Rohkost und Obst. In meinem eigenen Garten kultiviere ich ausschließlich Pflanzen aus eigener Anzucht, die Betreuung übernimmt während meiner Abwesenheit ein pensionierter Landwirt, der mir in „jungen Jahren“ die Prinzipien des ökologischen sowie ökonomischen Anbaus auf der eigenen Scholle geduldig beibrachte. Die Menge der Erzeugnisse reichte mehrfach für seine eigene Familie sowie für eine nahe gelegene „Seniorenresidenz“, deren Betreute entweder eigenständig vorbeischauten und gemeinsam mit dem pensionierten Landwirt auf „Beute“ ausgingen, oder der Küchenchef kam einmal die Woche mit Azubi und holte sich die kostenlose Spende für seine Schäfchen ab. „Wenn das Essen nicht schmeckt, ist es mit dem Burgfrieden vorbei. Mit den Mahlzeiten unzufriedene Senioren haben schon manchen Küchenchef frühzeitig in die ewige Pensionierung geschickt„. Mit Erschrecken stellte ich fest, dass sich mein Kontrollscheck den in Oliv gehaltenen Gepäckdurchsuchungstischen näherte. Es war an der Zeit meine nostalgischen Gedankenausflüge in den Zeittakt der Murmansker Realität zurückzufahren und mich auf jene Dinge zu konzentrieren, die für meinen Aufenthalt an Bord der Georgi Schukow von Bedeutung waren. Den Kollegen aus Frankreich war ich los, so hoffte ich inständig, und was meine Schnarch Kompositionen betraf, so waren sie akustisch über denen eines startenden Eurofighters anzusiedeln. Dass würden bald all jene zur Nachtruhe erfahren, die in ihren Kabinen um mein Domizil auf Zeit untergebracht waren. Schon aus diesem Grunde buchte ich stets Einzelkabine mit Meerblick - dass mir Valeria Dernikowa einen französischen Kollegen unter die Bettdecke schieben wollte, empfand ich als originellen Gag, dem ich gleich nach der Identitätskontrolle ein konsequentes Ende bereiten würde. Der düpierte und völlig überrumpelte Monsieur Panteneau wechselte mit hochrotem Kopf zur dritten Warteschlange, wo Valeria Dernikowa den ihr anvertrauten Schäfchen genauestens unter die kapitalistische Wolle blickte. Ihr wie auch den anderen Kontrolldamen entging nicht die kleinste Anomalie, mochte sie auch für uns Westler oder die asiatische Abordnung ohne jede Bedeutung sein - Onkel Josef ist immer noch gegenwärtig. <<Vertrauen ist gut -Kontrolle ist besser>> so die Devise Lenins. Dann ließ er die gesamte Zarenfamilie einschließlich der wichtigsten Bediensteten, Sekretäre und Berater in Jekaterinenburg erschießen. Sein späterer Nachfolger und Massenmörder Josef Stalin vereinfachte sein Denken und Handeln im Umgang mit Kritikern oder solchen, die er dafür hielt auf einfache aber furchtbare und mörderische Worte - „Ein Mensch - ein Problem - kein Mensch - kein Problem“ im Klartext - alles sofort liquidieren, was sich nicht bedingungs- und kompromisslos dem Diktat der Partei und damit seinen Befehlen und Anordnungen unterordnet. Während Stalins Terrorherrschaft starben durch seine Anweisungen mindestens ebenso viele Menschen wie im Großen Vaterländischen Krieg, der bis heute das zentrale Trauma Russlands und der russischen Bevölkerung ist und - so wie die Dinge stehen, für immer bleiben wird. Gleichwohl hindert es die Russen nicht, die Verdienste des großen Führers und Marschalls der Sowjetunion Josef Stalin bis heute in Ehren zu halten und ihn zu verehren. Standbilder, Gedenksteine, Bilder - Onkel Josef ist noch immer top aktuell und präsent.

Der Bote

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