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Als Tidemunt den Abend nach Hause kam, ließ er den Wagen nicht warten. Er gedachte, es sich endlich einmal gemütlicher zu machen und nicht, wie zumeist in den letzten Monaten, auch noch die halbe Nacht im Büro zuzubringen. Was zu schaffen war, schien ihm weitgehend gediehen. Seine sämtlichen Pläne für das neue Hafengelände waren bis auf wenige Kleinigkeiten in allen Instanzen genehmigt.

Behaglich schnaufend polterte er ins Treppenhaus. Die Stufen ächzten unter der Wucht seiner Statur. Doch dann verhielt er. Geigentöne zirpten durch den Schlund der Stockwerke. Oho, sie übt noch! dachte er zärtlich und stieg die letzten Stufen zum Dachgeschoß sehr behutsam hinan. Hier klangen die Geigentöne heftiger durch die dünnen Bauwände; unermüdlich wiederholte sich immer das gleiche Thema, es klang wie hastige Schreie. Nun, nun! dachte er: Nimms gelinde, Perchta! Der alte Brahms tats auch.

Leise drehte er den Schnepper im Schloß. Auf Zehenspitzen ging er ins Wohnzimmer, ganz und gar eingeduscht — so war ihm — von den raschen Triolen und Doppelgriffen. Der Geigerin — sie übte wie gewöhnlich nebenan im Schlafzimmer — wollte es anscheinend nicht nach Bedarf und sauber genug gelingen, ihre Anläufe erfolgten ohne Pause, immer wieder in jäher Disharmonie zerbrechend.

Tidemunt knipste kein Licht an. Er ließ sich, den Atem dämpfend, in einem Sessel nieder und wartete geduldig. Die Türritzen faßten das kleine fiebernde Motiv, das ungestört sich weiter mühte, in eine schmale Goldleiste. Er starrte darauf hin. Er meinte, sie vor sich zu sehen wie damals in ihrem ersten Konzert, so jung, so leidenschaftlich, so schmal und todesbleich, von Beifall umrauscht. Seine Zuneigung zu ihr hatte danach lange Zeit gehabt, sich zu prüfen. Erst nach dem Kriege, als er völlig allein dagestanden, allein wie sie, hatte er sie geheiratet, immer noch voll Bewunderung.

Tidemunt zündete sich, so sachte es ging, eine Zigarre an. Er war neugierig, wie lange ihre Kraft reichen werde, so verbissen sich mit der Hörbarmachung eines Komponisteneinfalls zu plagen. Welche Zähigkeit! Aber auch welch steigende Verzweiflung! Man sollte dazwischenfahren! dachte er, aber er wußte zu gut, welch saure Wege zurückzulegen sind, bis etwas Vollendetes entsteht. Er strich ergeben mit der Handkante über den Tisch, der heute ungedeckt geblieben war, so, als werde niemand erwartet. Die Geige hats verspielt! knurrte er.

Abschein von Schiffslampen wanderte über die niedrige Stubendecke, durchflackert vom Gegrell der Werftbrenner. Lärm von Verkehr und Betrieb drang gegen die Fenster, aber die Akkorde der Geige warfen sich dagegen, sie beherrschten den Raum, sprangen gegen die Wände, scheiterten und setzten von neuem an. Es sind ein paar großartig gebaute Takte, sagte sich Tidemunt duldend, aber die gehäufte Wiederholung selbst der Schönheit zerstört den Genuß. Sie quält sich, man sollte sie erlösen. So dachte er gemartert. Aber eine im Dunkeln aufquellende Müdigkeit lähmte ihn. Ihm war, als sitze er in einer Badewanne voll Quecksilber, und quecksilbern regnete ihm die Geigenstrophe aufs Gehirn. Die Überarbeitung der letzten Zeit, ja, der letzten Jahre machte sich bemerkbar. Er lachte kurz auf, seiner Leistung, seiner Erfolge jäh und ermunternd bewußt, und schlug sich die Hand vor die Lippen, bestürzt, zu laut gewesen zu sein. Sitze ich hier nicht glücklich und bequem? knurrte er sich an, und wohne dem Werden eines großen Konzertes bei? Wie sehr doch liebe ich sie, die sich so inbrünstig der Erweckung der sonderlichen Gebeine opfert, die da Noten heißen.

So saß er da, gewillt, anzuerkennen und gutzuheißen, so wie er selber sich anerkannte und Anerkennung beanspruchte. Aus dem Übermüdeten hervor, das in ihm lauerte, aber erhob sich ein dürres nüchternes Auge und stellte sich neben ihn und betrachtete ihn. Du siehst grau und schlaff aus, stellte dieses Auge fest, du hast nicht nur zuviel gearbeitet, sondern auch im Übermaß in dich hineingeschlungen an Üppigkeiten und Freuden aller Art, gierig und wahllos, aufs törichteste vermischt mit Aufregung und Ehrgeiz, Hast und Ärger. Gestehe nur, du ahntest sehr wohl, wie dein Können nachgelassen hat, wie du drei Stunden brauchtest für Überlegungen, die du vormals in wenigen Minuten bewältigt. Du wolltest dich anfeuern und aufmöbeln und tatest überall so rauschend sicher und gewaltig, und jeder hat es geglaubt, sogar deine Frau. Sogar deine Frau?

Tidemunt knurrte ungemütlich. Sollten hier etwa Zweifel gehegt werden an seiner, des geachteten Oberbaurates und Hafenbaumeisters Arnold Tidemunt unverbrüchlichen und anständigen Ehe und allerinnigsten Herzensbindung? Das Herz pochte ihm gegen die Gurgel. Die Saiten nebenan wurden immer schärfer hergenommen. Das holde Klingen schien sich zu wandeln in das Kreischen einer Kreissäge. Perchta! keuchte er verhalten: Wohin entfernst du dich! Ach, bleib doch!

Und auf einmal hob er die Faust, oder vielmehr etwas in ihm, etwas Uraltes und Böses hob ihm die Faust, um sie entgegen aller liebenden Höflichkeit auf den leeren Tisch zu donnern. Doch drüben, im gleichen Wimperschlag und mitten im wildesten Tempo, platzte schrill eine Saite und milderte den niederschmetternden Hall der Männerfaust, und wie ein Echo polterte die Geige in den Kasten. Es war plötzlich still bis in den Hafen hinein.

Die Sonnenflöte

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