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Eine Viertelstunde später erschien der Stadtbaumeister im Büro. Er lehnte, sichtlich bedrängt und Erregung und Eile dämpfend, den angebotenen Stuhl und die Zigarre ab und tastete schweigend von weitem die Linien nach, die Tidemunt aufs gröblichste mit Blaustift in die säuberlichen Pläne hineingezeichnet hatte. Tidemunt ließ sich nicht stören, das Werk der Änderung fortzusetzen. Der Besucher sah eine Weile zu, ahnend, welch empfindliche Verantwortung, welch berserkerhafte Ehrlichkeit hier bis zur Selbstzerfleischung vordrang. Und, nach Gewohnheit, den grauen Spitzbart wie einen Halt umklammernd, äußerte er schließlich: „Tidemunt, ich bewundere Ihre Fähigkeit, zu zweifeln und ... es einzugestehen.“

Tidemunt wandte sich um. „Also? Sodann!“

Der Oberbaudirektor stand klein und schmächtig, grau in grau zwischen den ziehenden Tabaksschwaden, die von dem weißbekittelten Koloß ausgingen. Er sah aus, als habe er jeden Versuch, Widerstand zu leisten, aufgegeben. „Tidemunt, der Böwerderhafen, so, wie er genehmigt ist, wird als der modernste und großartigste aller Kontinente gepriesen werden.“

„Von denen, die es nicht besser wissen, Doktor.“

„Tidemunt, ich schließe mich dem an.“

Tidemunt fauchte auf und schüttelte den Kopf. Der Stadtbaumeister seufzte bekümmert: „Welch ungeheure Leistung in so kurzer Zeit, Tidemunt! Diese Spannung des Wachseins im Dreidimensionalen, ich weiß es von mir, endet immer in der vierten Dimension, im Ungreifbaren, auf der Rückseite des Gewissens.“

„Wo es am kitzligsten ist und endlich erkennt, Doktor.“

„Und nach Zerstörung dürstet, Tidemunt.“

Tidemunt legte den Blaustift hin. „Das ist weder gutherzig noch aufrichtig, Doktor. Sie bescheiden sich, wie man es sich durchschnittlich angewöhnt hat, aus Gründen der Bequemlichkeit.“

„Nein, aus Gründen einfachster Dienlichkeit. Sehen Sie, auch ein Priester oder ein Arzt behält seine Zweifel für sich, und somit wird eine gute Wirkung erreicht. Tidemunt, Ihr Ruf ist weit über unsere Grenzen hinaus verankert. Man glaubt Ihnen. Man glaubt dem nun schon weitgehend bekanntgewordenen Entwurf. Sie gefährden nicht nur, was weniger wichtig ist, meine, sondern auch Ihre Stellung und überdies alle Ihre Mitarbeiter und Freunde, die Ihnen so zuversichtlich gefolgt sind. Wichtiger aber ist: Sie gefährden das Projekt. Es sind Stimmen der Tiefe laut, die den neuen Hafenbau schon sowieso als unverantwortliche Vergeudung, als unrentabel und hohle Kulisse bezeichnen. Tidemunt, Sie gefährden einen Teil Zukunft und Wohlfahrt Ihrer Vaterstadt. Es wird ein Schock in die gesamte Behörde fahren und das bewährte System schlimmer verwirren als irgendein gewalttätiger Umsturz.“

Tidemunt atmete verhalten, zerbiß die Zigarre und spie sie zu Boden. Seine Faust klammerte sich um den Knopf einer Schublade, und da sie aufging und der Knopf zerbrach, krallten sich seine Finger um die Kante, so, als halte er sich an einem Gitter, von dem aus er in eine qualmverhangene Unwegsamkeit hinüber zu sprechen habe. Fern verging die angestiegene Schärfe der Vorgesetzten- und Freundesstimme. Sonderbar leise entgegnete er ihr: „Doktor, so muß ich denn wünschen, daß baldigst irgendeine Katastrophe — der Himmel verzeihe mir die Ungeheuerlichkeit — die Anlage noch im Entstehen vom Erdboden wischt, damit mein Nachfolger Gelegenheit findet, sie richtig zu machen.“

Der Stadtbaumeister stand blaß und bewegungslos. Tidemunt, von Rechtlichkeit lodernd, löste die Finger von der Schublade und streckte dem Freund die Hand entgegen, als wolle er ihm helfen, seinen Beistand nicht zu versagen. Erst nach geraumer Weile sank die Rechte des andern nieder.

Der Stadtbaumeister nickte, griff wie zerstreut nach einer Zeitung, die unentfaltet am Rand des Tisches lag, und sagte freundlich: „Ihre Gattin, hörte ich, soll in München geäußert haben, sie beabsichtige, mit einem Violinkonzert aufs Podium zurückzukehren?“

Tidemunt hatte die Nachricht nicht gelesen. Er wußte nur aus einem kurzen Brief seiner Frau, daß der Maler Lorns ihr ritterlich behilflich sei, sich aufs neue in der Welt zurechtzufinden und auch die Presse alarmiert habe. Was aber sollte das hier? Er sagte finster: „Sie sehen, Doktor, meine Frau opfert sich, um mir freie Bahn für die Umzeichnung der Pläne zu lassen.“ Und da der Angeredete in sich hineinschwieg, setzte er hinzu: „Oder möchten Sie hier so etwas wie ein gefährdetes Eheglück in die Waage meiner beruflichen Verantwortung schieben, Doktor?“

Die Antwort kam nüchtern: „Tidemunt! Es muß alles so bleiben!“

Tidemunt unterdrückte ein Aufbrüllen und sagte durch die Zähne: „Nein!“

An diesem Nein straffte sich merklich die schmächtige Gestalt des Stadtbaumeisters. Dem Nein zu begegnen, hatte er in den hansischen Belangen seines Sektors genugsam Gelegenheit gehabt. Er sammelte sich, indem er von Tidemunts ungesund umschatteten, metallisch funkelnden Augen weg auf die Schublade blickte, darin allerlei Krimskrams auflugte und eine Kehrseite offenbarte der strengen technischen Klarheit alles dessen, was der Behörde je von den Arbeiten des Hafenbaumeisters zu Gesicht gekommen war. Da gab es eine grellgekleidete chinesische Puppe zu erspähen in Gesellschaft von Meeresschnecken, Kolibribälgen und Dämonenhunden aus Speckstein.

Tidemunt folgte dem Blick und versuchte, die Schublade zuzudrücken. Was war noch zu sagen? Nichts! Das Nein füllte den Raum bis in die Ecken.

Der Oberbaudirektor nahm den Hut. Und dabei sagte er sanft, ja beklommen, als betreffe es ein lange gehütetes Geheimnis: „Ein paar winzige Grade, im Scheitelpunkt ohne Belang, in der Unendlichkeit Unendlichkeiten, darin alles mündet und einbeschlossen vergeht, das Richtige und das Falsche.“

Tidemunt fühlte, wie er entwaffnet wurde. Aber ehe der ohnmächtige Zorn der Gegenwehr, der in seinen Schläfenadern schwoll, Ausbruch fand, war der Vorgesetzte von dannen, unversehens und sachte wie ein Nebelstreif.

Die Sonnenflöte

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