Читать книгу Die Lady und der Admiral - Hans Leip - Страница 30
Addio, bella Italia!
ОглавлениеSo wand sich der Tross die guten Serpentinen hinauf zur Höhe des Karstes. In den Gärten, deren Erde einst mühevoll hatte erst herbeigeschafft werden müssen, reiften Pfirsiche, Pomeranzen, Orangen und Melonen, mächtige Feigenbäume erhoben sich da und kleine Haine von Edelkastanien, die hohen graugrünen Spindeln der Tuja, die düstern Lanzen der Pinien und allerorts dazwischen die heiteren Rebenlauben. Der Sommer war vorgeschritten, der Staub des Südens zog seinen Schleier über die Gefilde.
Bei den letzten Häusern des Abhanges verschnauften die Pferde. Man stieg ein wenig aus, streckte die Beine und kaufte grosse blaue Trauben, die blau waren wie die abendliche Bucht, die sich überraschend unter ihnen breitete. Die Reisenden waren verwöhnt durch den Blick von Hamiltons Palaste Sessa zu Neapel und von den Höhen bei Palermo. Aber hier kam anderes hinzu. Sie fühlten, es sei das allerletzte Mal, dass ihre Augen die Schönheit des Südens anschauen durften. Das schlachtete sich üppig hinab, die Kuppen mit den Landhäusern endeten in Gassen, die schon gefüllt waren von Abendschatten und vom Rauch der Vesperfeuer überwölkt. Flach schwang der reinliche Plan der Stadt, die Plätze lagen halb lila, halb orange in der tiefstehenden Sonne. Vergoldet schienen die Säulen und Türmchen der Börse und das Kaiserdenkmal auf dem Markte, vergoldet die kleine Werft mit den Spanten eines langen Schiffes, das die Seemacht Österreichs zu befestigen gedachte. Und das Gewimmel des Freihafens mit goldenen Masten, Segeln und Takelungen weiter und weiter in goldenen Flocken zerstreut bis zum Horizont. Und drüben fern im milchigen Dunste ahnte man die Küste Italiens.
„Addio, addio, ma bella Italia!“ schluchzte die Hamilton. Sie breitete überströmend die Arme. So nahm Nausikaa Abschied vom Lande der Phäaken. Ihr Gatte und Nelson sahen es bewundernd und gerührt.
Wohl setzte Sir William die Mundwinkel zu einer ironischen Bemerkung an, aber er war noch zu schwach, um sich so zu meistern, er konnte seine sauren Tränen nicht verschlucken. Was sollte er, ein Greis, der mit der zweiten Hälfte seines Lebens restlos dem Süden verwachsen war, in den Nebeln und der frostigen Feuchte Londons? Es würde sein baldiger Tod sein. Und der Wunsch vorm Grabe Winkelmanns, vorher hier zu sterben, verstärkte sich in ihm, ja er sehnte sich, auf der Stelle den Geist aufzugeben im letzten Anblick des geliebten Landes.
Das merkte sein treuer Freund Lord Nelson mit Wehmut; sein Herz war ihm selber schwer, da er dem Meere den Rücken zukehren sollte, doch indem er die lange, kummergebückte Gestalt des Freundes stützte, sagte er mit verstopfter Stimme: „Ihr Lieben, England braucht uns noch. Wie könnte es sonst so grausam sein, euch von hier wegzunehmen?“ Auch Fräulein Knight weinte. Ihre Mutter lag weit dort hinten in sizilianischer Erde. Ihr Vater war schon längst, ein Admiral, für Englands Ruhm gestorben. Sie war ja kein Kind mehr, war schon über vierzig, eine alte Jungfer ohne Anhang. Im Süden war alles leichter, man lebte in der Landschaft, da hatte sie gezeichnet, radiert, Bücher geschrieben. Wie würde es in den kalten englischen Zimmern sein?
„Teure, liebe Cornelia“, wandte sich da Lord Nelson ihr zu: „Tochter meines toten Kameraden Knight, nun sind wir bald ganz auf Sie angewiesen. Niemand von uns kann Deutsch ausser Ihnen. Gutes Herz, wie sind wir froh, dass wir Sie haben! — Und nun komm, Emely“, ging er zu seiner grossen Freundin, „iss Weintrauben und guck steif Südwest. Wir fahren nach Wien. Man wird dich bestaunen und auf dem Bauche vor dir kriechen.“
Lady Hamilton lachte unvermittelt auf, drehte sich in schönem Schwunge um, liess die Hände wie zwei sanfte Tauben auf seinen Schultern landen, neigte sich zu seinem Ohr und flüsterte eine ein klein wenig anzügliche Bemerkung über diese Art biblischer Schlangenmenschen. Da sie aber im gleichen Augenblicke an das Gesicht der Schlange in der kleinen Jesuitenkapelle denken musste, hob sie ihre Arme wieder, um sie wie zwei vom Sturm zerschmetterte Äste ihrer alten Mutter um den Hals zu werfen, und sie weinte laut und bitterlich, den Himmel und England anklagend.
Herr Tyson rauchte abseits eine Pfeife. — Nelsons Augen vertrugen den Rauch nicht. — Herr Andersson widmete sich der wissenschaftlichen Sache und war in das Posthaus getreten, Brace zurrte am Gepäck, indem er auf die verrückte neue Kleidermode der Weiber fluchte, die nichts wiege und doch Platz genug beanspruche und immer in Gefahr sei, mitsamt den Koffern davonzufliegen.
Währenddes war der lazzaronische Diener Gaetano, der seine Zofe Loinette rasch auf die Seite gezogen hatte und sie mit den Blicken verschlang, froh, dass sie nicht viel mehr als ein dünnes Hemd, kirschfarbenen Cretonne mit schmalen Stahlzwirntressen und zimmetfarbenen Bändern anhatte.
Natürlich weinte auch die kleine Mary-Ann, schon aus Mitgefühl für ihre Herrschaft. Im Grunde aber war sie mächtig neugierig auf die weite Welt und freute sich auf den Schnee, von dem man ihr so viel erzählt hatte und auf die angenehme Kühle und die langen Nächte. Denn sie hasste eins, das war Schwitzen, und eins hatte sie furchtbar gern, das war Schlafen.
Fatme nun konnte sich gar nicht um den Abschied kümmern. Sie musste ihre Strümpfe wechseln und ihre zerkratzten Beine bedauern und schimpfte auf arabisch mit der Meerkatze Mirza und dem Papagei.
Nachdem nun das Hündchen Abukir sein Bein genugsam gegen die einzelnen Wagenräder gehoben und jedes Pferd einzeln bekläfft, sprang es auf den Kutschbock Nummer drei und begann einen Streit mit dem Äffchen, ohne sich von der Mohrin, die er nicht für voll nahm, begütigen zu lassen. Der Papagei schrie: Avanti! Avanti! Das war alles, was er konnte. Und Lord Nelson sah sich um, alles war bereit, die Postknechte runksten schon in den Sätteln.
Da rief er mit mannhafter Fröhlichkeit: „Nun, aho, Freunde! Alle Lappen klar und backbord gebrasst und Anker auf, ade, Italien und See, ich geh!“ — Denn nun wollte er es schnell hinter sich bringen.