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Bei Thyssenkrupp

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Priese saß in der Werkskantine bei Thyssenkrupp und unterhielt sich mit in dem Werk Beschäftigten über ihre Arbeit und wie sie ihre Zukunft sahen. Er hatte sich als jemand von der örtlichen Presse ausgegeben, der in Erfahrung bringen sollte, wie die geplante Fusion mit Tata bei den Beschäftigten ankäme. Hiesinger, der Vorstandsvorsitzende, hatte schon zu Anfang des Jahres die Fusion in trockenen Tüchern haben wollen, dann gab es aber Verzögerungen, die an den Bedenken der Gewerkschaft lagen, und die Fusion wurde verschoben. Nach dem Zusammenschluss von Thyssenkrupp und Tata Steel sollte der Firmensitz in die Niederlande verlegt werden, und genau das war der Punkt, der die Gewerkschaft auf die Palme gebracht hatte, denn die Verlagerung des Firmensitzes nach Amsterdam würde eine Aufweichung der Mitbestimmung bedeuten, das andere war der Wegfall von 2000 Stellen durch die Fusion.

„Den Hiesinger sollten sie vor die Tür setzen, so mit den Kollegen umzugehen, das ist nicht zu überbieten!“, sagte Peter Fuchs, Hochofenarbeiter in der Hütte.

„Du musst den Hiesinger verstehen, der will, dass der Konzern schwarze Zahlen schreibt und strebt deshalb die Fusion an“, entgegnete Herbert Heinrich, ebenfalls Hochofenarbeiter in der Hütte. Tatsächlich war die Situation auf dem Weltstahlmarkt brenzlig geworden, rund die Hälfte des weltweit angebotenen Stahls kam aus China und wurde dort zu zum Teil staatlich gestützten Dumpingpreisen produziert. Der deutsche Stahl war zu teuer und deshalb kaum wettbewerbsfähig, dazu kam der von den USA angedrohte Zoll auf europäischen Stahl in Höhe von 20%. Die Preise für Stahl, die sich dann einstellen würden, würden von niemandem bezahlt werden können, und die deutschen Hütten würden in die Knie gehen.

Peter Fuchs wohnte in Dinslaken, einer mittelgroßen Stadt im Norden von Duisburg und fuhr regelmäßig mit seinem Ford Cmax nach Duisburg-Bruckhausen. Wenn er Nachtschicht hatte, musste er um 22.00 h anfangen. Er arbeitete seit 39 Jahren bei Thyssenkrupp und hatte dort gelernt, sein Sohn, der 23 Jahre alt war, wurde bei Thyssenkrupp zum IT-Kaufmann ausgebildet. Peter gab seiner Frau einen Abschiedskuss wie immer und fuhr los. Meistens war er eine Stunde früher im Werk, weil er mit seinen Kollegen noch Kaffee trinken und die Besonderheiten der Schicht besprechen wollte, das hatte sich so eingebürgert. Herbert Heinrich kam auch eine Stunde früher und saß, mit bei den Kollegen in der Kantine.

„Wenn Ihr hier nachts ankommt, wenn alle anderen ins Bett gehen, was geht Euch da durch den Kopf?“, fragte Priese Peter und der überlegte nicht lange und antwortete:

„Das ist für uns völlig normal, dass wir nachts raus müssen, wir machen das schon seit 20 Jahren so!“ Herbert ergänzte:

„Klar, dass unser Biorhythmus durcheinander gerät, aber das nehmen wir in kauf.“

„Was macht Ihr in Eurer Freizeit?“, fragte Priese weiter und Peter antwortete:

„Wenn ich nach Hause komme, nehme ich erst einmal eine Mütze Schlaf, und danach esse ich mit meiner Frau zusammen. Wenn wir Lust haben, drehen wir anschließend eine Runde auf unseren Rädern oder gehen in unseren Garten.“ Herbert sagte:

„Auch ich lege mich erst einmal hin, wenn ich nach Hause komme, meine Frau schmeißt bei uns zu Hause den ganzen Laden. Wenn wir wollen, fahren wir schon mal ins Forum oder gehen bei Dobbelstein Kaffee trinken.“

„Habt Ihr eigentlich Angst, unter den 2000 Entlassenen zu sein?“,fragte Priese und die beiden sahen ihn mit großen Augen an.

„Wenn Du über 30 Jahre im Werk beschäftigt bist, werden sie vielleicht mit Abfindungsangeboten an einen herantreten, entlassen werden sie uns wohl nicht“, antwortete Peter. Dann verschwanden Peter und Herbert in ihren grau-roten Arbeitsanzügen zum Prozesskoordinator, der dafür sorgen musste, dass die ganze Eisenkocherei auch lief, bei ihm fand die Übergabebesprechung statt. Danach begann für Peter und Herbert die Nachtschicht und sie zogen sich den Asbestanzug über, die feuerfesten Stiefel und Handschuhe und setzten ihre martialisch anmutenden Schutzhelme auf. In dieser Montur begaben sie sich an den Hochofen, an dem der Abstich stattfinden würde. Ihre Aufgabe bestand darin, mit langen Eisenstangen in dem flüssigen Eisen herumzustochern und für einen reibungslosen Fluss durch die Rinne zu sorgen, aus der das Material dann in 8 Meter tiefer stehende Torpedopfannen stürzte. Priese stand in sicherer Entfernung hinter ihnen und fragte sie, als sich die Gelegenheit dazu in einer kurzen Pause bot:

„Ist hier an dieser Stelle schon einmal etwas passiert?“

„Es ist nicht gerade schon einmal jemand in die Rinne gefallen, aber man kann nicht ausschließen, dass nicht doch einmal flüssiges Eisen an die Beine spritzt, Du kannst Dir nicht vorstellen, was das für Schmerzen sind!“, sagte Peter. Die Torpedopfannen wurden ein paar hundert Meter mit Eisenbahnwaggons zum Stahlwerk gefahren, wo das flüssige Eisen zu Brammen gegossen und danach gewalzt wurde. Priese war mit dem nächsten Zug mitgefahren und ging zu den Arbeitern, die beim Brammengießen standen, und er fragte den ersten, Klaus Steiner:

„Wie lange bist Du schon im Stahlwerk beschäftigt?“

Nachdem er seinen Ohrschutz abgelegt hatte, fragte Priese noch einmal:

„Wie lange bist Du schon im Stahlwerk beschäftigt, ich komme von der örtliche Presse und soll über Eure Zukunftsängste wegen der anstehenden Fusion einen Artikel schreiben?“ Klaus Steiner schaute Priese an und antwortete:

„Ich arbeite seit 30 Jahren bei Thyssenkrupp und bin seit 20 Jahren hier im Stahlwerk beschäftigt.“ Der Krach war unbeschreiblich infernalisch und Priese und Klaus mussten schreien, um sich zu unterhalten.

„Hast Du Angst, einer von den 2000 Entlassenen zu sein, die das Werk verlassen müssen?“ Und Klaus holte tief Luft, bevor er antwortete:

„Ich denke, dass sie bei uns Alten davon Abstand nehmen und uns eine Abfindung anbieten werden, von daher glaube ich nicht, dass ich betroffen sein werde.“ Von der einstigen Stahlnation Deutschland wurden nur noch 2.6% des gesamten Stahls, der in der Welt produziert wurde, und das waren 1.7 Milliarden Tonnen, hergestellt, aus China stammten 50%.

„Von den ehemals 9 Hochöfen, die hier in Betrieb waren, sind jetzt noch 2 übrig“, sagte Klaus. Für die Zukunft des deutschen Stahls sieht es nicht gut aus, weshalb sich Hiesinger aus der Stahlproduktion zurückziehen und sich ganz auf Aufzüge und Autoteile konzentrieren will.

„Was hältst Du davon, dass Trump den europäischen Stahl und das europäische Aluminium mit 20% besteuern will?“, fragte Priese und Klaus antwortete:

„Der spinnt doch, der Trump, der tritt auf der hochkomplexen Weltbühne der Handelsbeziehungen auf wie ein Cowboy und kassiert mit einem Federstrich die über Jahrzehnte gewachsenen Handelsstrukturen, der ist doch ein Psychopath!“ Tatsächlich trat Trump im Fernsehen auf, wie er in seiner inzwischen üblichen Art und Weise ein Dekret unterschrieb und alle ihm Nahestehenden im Hintergrund applaudierten, und er das Papier unterschrieben in die Kamera hielt, als litte er unter einer Profilneurose. Es zeigt aber auch die Macht, über die ein amerikanischer Präsident verfügte.

Die Praxis, Politik über Dekrete zu exekutieren und sich dafür beklatschen zu lassen, seine politischen Ansichten über Twitter der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, belegen doch seine Minderbemitteltheit. Alle seine Vorgänger kannten die Begriffe Diplomatie und politische Zurückhaltung, während Trump in Wildwestmanier in der Öffentlichkeit herumbollert und nicht davor zurückschreckt, Politiker von Rang bloßzustellen. Dass Schutzzölle in der globalisierten Wirtschaft heutzutage immer Eigentore bewirken, scheint bis zu Trump nicht vorgedrungen zu sein.

„Danke für Deine Auskünfte, Klaus!“, sagte Priese und begab sich ins Walzwerk. Der Krach, der im Walzwerk herrschte, übertraf wirklich alles, was Priese bis dahin gehört hatte, und noch weit vor der Produktionshalle wurde jeder Besucher aufgefordert, einen Gehörschutz zu tragen. Priese nahm sich einen und setzte ihn sich auf, bevor er das Walzwerk betrat. Drinnen vibrierte der Boden, wenn die schweren Eisenbrammen über Rollen in die Walze geschoben wurden. Priese bat per Handzeichen den Arbeiter, den er traf, vor die Tür, damit er sich mit ihm verständigen konnte.

„Entschuldige bitte, wenn ich Dich einfach vor die Tür zitiere, aber ich komme von der Zeitung und soll einen Bericht über Eure Zukunftsängste schreiben, hast Du eigentlich Angst, unter den 2000 zu sein, die entlassen werden?“ Dieter Brenker schien einer von denen zu sein, denen die Entlassung drohte, er war einfacher Stahlarbeiter und musste also mit seiner Entlassung rechnen.

„Da steckst Du nicht drin, wen die da oben letztlich aussuchen, weiß keiner, und wenn ich einer von denen sein sollte, was soll´s, die helfen einem schon, wenn man sich einen neuen Job suchen muss.“ Für Priese klang da ein Stück Fatalismus mit durch, aber Dieter hatte ja Recht, ändern würde er nichts können, wenn er entlassen werden würde, warum sich also im Vorhinein aufregen?

„Was machst Du eigentlich in Deiner Freizeit?“, fragte Priese Dieter dann.

„Ich habe meiner Frau und mir vor Kurzem ein Pedelec gekauft und wir unternehmen viele Radtouren, die Kinder kommen mit ihren normalen Rädern meistens mit. Wir haben auf diese Weise schon die ganze Umgebung erkundet.“

„Wie hältst Du es bei diesem Krach hier bloß aus?“, fragte Priese.

„Ich mache den Job schon seit 20 Jahren, und wenn man immer den Gehörschutz aufhat, geht das auch!“, antwortete Dieter. Die gesamte Walzstraße war über 100 Meter lang und die gewalzten Stahlstücke wurden immer länger während des Walzprogramms, und sie veränderten auch ihre Breite. Am Ende des Prozesses konnte man erkennen, was das Walzprodukt werden sollte, es handelte sich um Eisenbahnschienen. Auf der Arbeitsfläche griffen eiserne Haken nach dem Walzstück und schoben es hin und her und zu immer neuen Walzen, die ein anderes Profil herstellten, bis aus den am Anfang noch unförmigen Brammen ein mehr als 100 Meter langes Stück Eisenbahnschiene geworden war.

Auf anderen Walzstraßen wurden zum Beispiel Bleche für die Automobilindustrie gewalzt, sie wurden am Ende als Blechrollen auf LKWs oder Eisenbahnwaggons verladen und zu ihrem Bestimmungsort gefahren. Der Lärm in der Halle war trotz des Gehörschutzes unausstehlich und Priese lief schnell zu einem anderen Arbeiter, der an der Blechwalze stand, sein Name war Martin Kerger.

„Hallo, ich komme von der hiesigen Zeitung und soll einen Bericht über Eure Zukunftsaussichten schreiben. Hast Du eigentlich Angst, wegen der Fusion Deinen Arbeitsplatz zu verlieren?“, fragte Priese, nachdem er mit Martin vor die Tür gegangen, und die beiden ihren Gehörschutz abgenommen hatten. Martin überlegte kurz bevor er antwortete:

„Niemand weiß doch, was die sich da oben überlegt haben, und ob so einer wie ich bei den Entlassenen sein wird. Ich bin zwar nicht mehr ganz jung, aber mit Mitte 40 kann man ohne Weiteres entlassen werden. Ich glaube aber, dass sie die jüngeren noch unerfahrenen Kollegen nehmen werden.“ Als sie wieder in die Walzhalle gingen und ihren Gehörschutz aufgesetzt hatten, konnten sie sehen, wie Deckenkräne die schweren Blechrollen auf Eisenbahnwaggons und später auf LKWs luden. Priese bedankte sich bei Martin für seine Auskünfte und machte, dass er aus der lauten Halle wieder verschwand.

Priese fand seinen Besuch im Stahlwerk Thyssenkrupp sehr interessant, Thyssenkrupp fusionierte gerade im Moment mit Tata Steel zu Thyssenkrupp Tata Steel. Aber die Arbeiter sahen ihre Zukunft durchaus realistisch: die Jungen rechneten mit ihrer Entlassung, meinten aber, dass ihnen das Werk bei einem neuen Job helfen würde, und die Alten wussten, dass sie versetzt werden würden, oder dass man ihnen eine Abfindung anbieten würde. Die Arbeitsplatzbedingungen waren überall im Stahlwerk sehr hart, und Priese war froh, nicht dort arbeiten zu müssen. Er hatte versucht, sich bei den Beschäftigten einen Eindruck von deren Zukunftsvisionen zu verschaffen.

Priese

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