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In der Taklamakan-Wüste

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Priese saß im heißen Wüstensand, neben ihm stand ein kleines Zwei-Personen-Kuppelzelt und ein Rucksack mit dem Nötigsten. Ein Stück weiter ruhte ein Kamel, das mit seinem Kopf an einer langen Leine am Zelt festgemacht war. Er fand bei sich ein GPS und stellte auf der Anzeige fest, dass er sich am Südrand der riesigen Taklamakan-Wüste befand, ungefähr 100 Kilometer nordwestlich von Hotan. Um ihn herum gab es nichts als Sand, es war neben ihm eine gewaltige Düne aufgeworfen, die ihm den Blick in die Ferne versperrte, und die er umrunden musste, wenn er nicht über sie steigen wollte. Er war mit dünner Baumwollkleidung ausgestattet und sah neben dem Zelt ein Paar Wanderschuhe in seiner Größe stehen. Es gab für ihn Brot, Hartwurst und eine gefüllte Wasserflasche. Es war Priese klar, dass er in Richtung Hotan musste, denn Hotan war die nächste größere Stadt, er musste sehen, dass er mit seinen Vorräten zurechtkam. Das Kamel machte keinen durstigen Eindruck, vermutlich hatte es noch vor Kurzen ausreichend getrunken.

Priese stand auf und baute das Zelt ab, er band sich die Leine des Kamels um sein rechtes Bein. Dann packte er das Zelt auf seinen Rucksack und zog seine Wanderschuhe an, er setzte den Rucksack auf seinen Rücken und ging zu seinem Kamel, das sich langsam erhob. Erst jetzt nahm Priese den strengen Geruch wahr, den das Kamel von sich gab. Er nahm die Leine, zog mit einem leichten Zug an ihr und lief langsamen Schrittes los, das Kamel folgte ihm brav. Sofort spürte Priese, dass der lose Sand sehr stark ermüdete, weil man bei jedem Schritt einsackte. Das Kamel hatte einen aufgefächerten flachen Fuß, der ein Einsinken verhinderte. Priese bemühte sich trotzdem eine Zeit lang vorwärts zu laufen, gab dann aber erschöpft auf und setzte sich auf sein Kamel. Das Kamel lief los, gutmütig, wie es war, und Priese ritt durch die Taklamakan. Am Fuß der großen Düne, die sich neben ihm befand, schaute er nach oben und sah den rieselnden Sand auf dem Hang. Die Düne war bestimmt 80 Meter hoch und Priese war in dem Moment froh, nicht hochsteigen zu müssen. Priese wusste, dass die Taklamakan im Norden und im Süden von jeweils einem Zweig der Seidenstraße umschlossen wurde, sie war die zweitgrößte Sandwüste der Erde und wegen ihres Klimas extrem lebensfeindlich. Es herrschte vollkommene Stille um ihn herum, nur der Wind war zu hören. Mit einem Mal sah er in der Ferne, vielleicht 300 Meter entfernt, dass da zwei Kamele an einem Lager ruhten und angebunden waren. Er erschrak zuerst, weil er inmitten der Einöde nicht damit gerechnet hatte, auf jemanden zu treffen.

Er ritt dann aber zu dem Lager und freute sich sogar, jemanden zu sehen, mit dem er sich vielleicht unterhalten konnte. Zuerst bemerkten die beiden Kamele den Fremden, der auf das Lager zugeritten kam, und sie wurden unruhig. Sofort erschienen zwei Personen vor ihren Zelten und hielten Ausschau, wer denn da so angeritten käme. Priese sah zwei junge Männer, die sich erwartungsvoll neben ihre Zelte stellten, um ihn willkommen zu heißen. Das bemerkte Priese erleichtert und ritt auf sie zu, jetzt kam es darauf an, dass man sich verständigen konnte, und Priese begrüßte die beiden auf Englisch. Und siehe da, das Englische war die Sprache, in der man sich begrüßte und Priese war zufrieden. Die beiden jungen Männer sahen ein wenig anders aus als typische Chinesen. Sie hatten einen Turkeinschlag und sagten auch gleich, dass sie Uiguren wären und gaben Priese, der inzwischen von seinem Kamel abgestiegen war, die Hand.

„Wir sind aus Kashgar und von dort nach Mankit gefahren, von wo aus wir die Wüste durchqueren und in 4 Tagen hoffentlich in Hotan ankommen. Uns reizt einfach das Abenteuer, ich heiße Taylan und das ist mein Freund Can“, sagte Taylan, und Priese war hocherfreut, so nette Menschen anzutreffen und nannte seinen Namen „Priese“, weil der einfach auszusprechen war:

„Ich stamme aus dem Norden Deutschlands und bin auch auf dem Weg nach Hotan, ich reite genau wie Ihr aus Abenteuerlust durch die Taklamakan“, sagte Priese.

„Komm, setz Dich zu uns, wir machen gerade einen Tee, erzähl doch mal, was Du so in Deutschland machst!“, forderte Taylan ihn auf, und Priese antwortete:

„Ich bin Lehrer an einer Höheren Schule und unterrichte die Fächer Mathematik und Deutsch.“

„Da haben wir ja einen gebildeten Zeitgenossen unter uns, wenn Du Lust hast, kannst Du doch die Reststrecke nach Hotan mit uns zusammen bewältigen“, schlug Can vor.

„Ich nehme Eure Einladung gern an, so ganz allein durch die Taklamakan zu reiten, ist nur für kurze Zeit etwas“, antwortete Priese. Und so sollten sie zu dritt weiter reiten und die Herausforderungen der Wüste gemeinsam bestreiten. Priese setzte sich mit den beiden vor ihr Zelt, und Taylan kochte Tee, und als der fertig war, bekam Priese einen Becher von dem Tee überreicht und probierte ihn. Am Anfang war der Tee noch sehr heiß, dann aber machte sich das Aroma des Tees bemerkbar, und Priese war überwältigt von seinem Geschmack.

„Hast Du schon gefrühstückt?“, fragte Can und bot Priese an, bei den Sachen zuzulangen, die vor dem Zelt standen.

„Wir sind Studenten in Kashgar“, sagte Taylan, „ich studiere Geologie und Can Chemie, und wir sind beide im 6. Semester. Nach dem Frühstück packten sie ihre Sachen zusammen und bauten die Zelte ab. Sie verzurrten alles auf ihren Kamelen und legten das Holz dazu, das sie unterwegs gesammelt hatten.

„Wofür braucht Ihr denn das Holz, das Ihr auf Eure Kamele packt?“, fragte Priese und Taylan antwortete:

„Wir machen abends immer ein Feuer, wenn es in der Wüste frisch wird, Du solltest auch nach Holz Ausschau halten, wenn wir weiter reiten.

Die Tiere standen bereit und die drei stiegen auf, um los zu reiten, Can hielt sein GPS vor sich und wies in die Richtung, die sie nehmen mussten. Die Sonne knallte unerbittlich vom Himmel, schon am frühen Morgen, und Priese nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche. Die beiden anderen hatten Wasserkanister an ihren Kamelen befestigt, und Priese würde sich sicher bedienen können. Er ritt neben Taylan und Can und fragte die beiden, ob sie als Uiguren Diskriminierungen ausgesetzt wären.

„Wir bekommen an unserer Hochschule eigentlich nichts davon mit, wir hören aber von unseren Bekannten, wie sie sich permanent gegen die Han-Chinesen behaupten müssen. Es gibt im normalen Alltagsleben schon üble Beschneidungen, und die Han-Chinesen werden den Uiguren in allen Belangen vorgezogen“, sagte Taylan.

„Wir in Europa hören immer nur in Nachrichtensendungen von Konflikten, die in Xinjian bestehen und sich wie vor einiger Zeit in Urumqi entladen“, entgegnete Priese.

„Das, was Ihr in Europa von den Konflikten überhaupt mitbekommt, sind geschönte, offizielle Nachrichten, in Wirklichkeit werden diese Konflikte mit brutaler Härte ausgetragen und fordern auf Seiten der Uiguren viele Tote“, warf Can ein.

„Dennoch glauben wir jungen Uiguren, dass Gewaltlosigkeit der richtige Weg ist, auf dem die Uiguren und die Han-Chinesen langfristig miteinander auskommen können. Aber solche Konfliktherde werden oft auch erst durch die Han-Chinesen geschürt und danach deren Ursachen den Uiguren in die Schuhe geschoben“, führte Taylan aus. Sie beließen es zunächst dabei und ritten sehr gemächlich weiter. Den Kamelen schien die Last, die sie zu tragen hatten, nichts auszumachen, sie liefen einfach und sanken nicht in den Sand ein. Ab und zu sah ein Kamel zu dem vollen Wasserkanister, der an dem anderen Kamel schwappte, aber erst wenn die Kamele gierig ihre Köpfe gegen die Kanister schlugen, wurde es Zeit sie zu tränken. Die 150 Liter Wasser, die ein Kamel auf einmal zu sich nahm, reichten locker eine Woche lang aus. Gegen Mittag wurden die Gespräche zwischen den drei Reitern immer weniger, weil die Sonne heiß vom Himmel brannte und ihnen beinahe den letzten Tropfen Schweiß aus ihren Körpern sog. Sie beschlossen, unter einer aufgespannten Zeltplane eine Pause zu machen und stiegen von den Kamelen, die sie anleinten. Dann nahm Can eine Zeltplane und spannte sie mit Taylans Hilfe auf, sodass sie Schatten hatten und alle drei legten sich unter die Plane. Jeder zog seine Schuhe aus und ließ sich den heißen Sand über die Füße rieseln. Nach einer Dreiviertelstunde, als sie alle vor sich hin dösten, gab Taylan das Zeichen zum Aufbruch, und jeder nahm sein Kamel. Priese sah in der Nähe dürre Büsche wachsen und brach ein paar Zweige ab, die er als Brennholz für den Abend an seinem Kamel festzurrte.

Sie ritten weiter ohne viel zu reden und quälten sich durch die brennende Nachmittagshitze, und Can ermittelte die Strecke, die sie hinter sich gebracht hatten. Sie waren bei 23 Kilometern angelangt, bei 25 Kilometern hätten sie ihr Tagespensum erreicht. Völlig ausgepumpt machten sie am frühen Abend Halt, stiegen von den Kamelen und warfen ihre Zelte in den Sand. Sie hatten sich einen Lagerplatz ausgesucht, der am Fuß einer großen Düne lag und die Tiere angeleint. Anschließend bauten sie ihre Kuppelzelte zusammen und setzten sich in das bisschen Schatten, den sie warfen. Sie nahmen ihre Wasserflaschen und tranken viel, weil sie sich über den Tag zurückgehalten hatten. Ihre Schuhe hatten sie längst ausgezogen und bewegten ihre Zehen in dem warmen Sand. Taylan begann, für alle Tee zu kochen, und Can und Priese legten ein paar Sachen, die sie essen wollten, hin. Schweigend und ganz in Gedanken bei ihrem Ritt den Tag über aßen sie ihr Abendbrot. Die Kamele hatten sich niedergelassen und käuten wieder, auch sie waren von der Tagesanstrengung müde geworden, obwohl sie sehr belastbar waren. Irgendwann abends schichteten sie Holz übereinander und steckten ein Feuer an, sie setzten sich drumherum und starrten in die Flammen. Nach einer Weile sagte Taylan, so als hätten sie ihr Gespräch vom Morgen nur kurz unterbrochen:

„Wir Uiguren müssen gegen die Han-Chinesen zusammenhalten, vielleicht ist der beste Weg der, dass Xinjiang von China abgetrennt wird, und ein eigenständiger Staat Turkestan entsteht.“ Priese sah ihn an und erwiderte:

„Du meinst ein Kalifat und zutiefst undemokratische Strukturen?“

„Das ist keine Frage von Demokratie oder nicht, es ist die Frage unserer Eigenständigkeit!“

„Ich sehe das genauso“, sagte Can, „und ich weiß nicht, wie die Zukunft der Uiguren auch sonst aussehen soll!“ Priese ließ die Worte von Taylan und Can auf sich wirken und sah ins Feuer, er sah sich zwei uigurischen Aktivisten gegenüber und war auf ihrer Seite. Dennoch sagte er:

„Ich bitte Euch zu bedenken, dass jedweder Separatismus den Fortschritt hemmt, es gibt in Europa auch solche Bestrebungen, die aber alle im Keim erstickt wurden.

„Bist Du ein politischer Mensch?“, fragte Taylan und Priese antwortete:

„Ich engagiere mich zu Hause, so wie das von den Bürgern meines Landes erwartet wird, das heißt, dass ich meine Stimme erhebe, wenn es Ungerechtigkeiten gibt und regelmäßig zu den Wahlen für die Vertretungskörperschaften gehe.“ Und so langsam kam die Stimmung am Feuer auf, die immer am Feuer aufkommt, wenn man mit anderen daran sitzt, und sie abstrahierten irgendwann von ihren Problemen und hoben auf auf eine allgemeine Ebene ab. Schließlich wandten sie ihre Blicke auf die Sterne, die inzwischen am Himmel zu sehen waren und rissen dann allgemein-philosophische Fragen an. Sie legten sich dann schlafen und liefen in den folgenden drei Tagen nach Hotan. Sie unterhielten sich noch mehrere Male über die Uiguren und deren Probleme in China. Vor Hotan gelangten sie in eine Urbanisation, die durch Bewässerung der Wüste abgerungen worden war, auf jeden Fall war ihr Wasserproblem damit gelöst, und sie tränkten ihre Kamele ausgiebig und gaben sie wieder ab. Von Hotan aus wollten Taylan und Can mit dem Bus zurück nach Kashgar fahren, und sie nahmen alle ein Hotel in der Stadt. Den letzten gemeinsamen Abend verbrachten sie bei reichlich Bier draußen vor einer Bierbar. Priese konnte sich noch so gerade in sein Zimmer schleppen und auf sein Bett fallen lassen, und ehe er richtig fest einschlief, fand er sich an einem Nordseestrand wieder.

Priese hielt sich in einer für ihn völlig fremden Umgebung auf und war mit Angehörigen einer ihm völlig fremden Ethnie zusammen. Taylan und Can waren viel jünger als er und verfochten bestimmte politische Ziele für die Uiguren. Von daher war ihr Leben bestimmt von der Durchsetzung von Forderungen an die chinesische Staatsregierung. Sie versprühten beide die Energie junger politischer Kämpfer, und Priese bewunderte sie ein wenig um ihre Kraft.

Priese

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