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2.2.3Ansatzpunkte einer new economic geography

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In der angelsächsischen Literatur haben die Studien von Scott (1988; 1998), Storper (1995; 1997 a; 1997 b), Storper und Scott (1990; 1992), Storper und Walker (1989) sowie die Arbeiten von Amin (1994), Gertler (1993; 1997), Lee und Wills (1997), Maskell und Malmberg (1999 a; 1999 b), Barnes und Gertler (1999), Sheppard und Barnes (2000), Clark et al. (2000), Malmberg und Maskell (2002) und anderen seit Ende der 1980er-Jahre entscheidend dazu beigetragen, dass sich eine new economic geography entwickelt hat. Sie ist eine Gegenposition zur raumwirtschaftlichen Konzeption, die auch in den USA und in England lange Zeit stark verbreitet war (Barnes 2001). Die Ansätze von Krugman (1998), Fujita et al. (1999) und anderen Ökonomen, die sich primär mit der Konzeption räumlicher Strukturen im disziplinären Kontext der Wirtschaftswissenschaften beschäftigen – und sich nicht unbedingt an die Geographie richten (Krugman 2011) –, werden wir demgegenüber als geographical economics bezeichnen (Martin und Sunley 1996) (→ Kap. 12.4).

Im Unterschied zum raumwirtschaftlichen Ansatz strebt die new economic geography nicht an, ein geschlossenes und universelles Theoriegebäude zu entwerfen. Aufgrund der zunehmenden Komplexität wirtschaftlicher Prozesse, Praktiken und Kontexte sind neue wirtschaftsgeographische Ansätze offen strukturiert, fokussieren sich auf eine Akteurs- bzw. Handlungsperspektive und beziehen unterschiedliche wirtschafts-, sozial-, kultur- oder politikwissenschaftliche Konzepte in die Theoriebildung ein, die durch ihre Vielfältigkeit zu lebhaften und offenen Debatten und zugleich zu einer fortschreitenden Theorieentwicklung beitragen. Um die unterschiedliche Betrachtungsweise in der new economic geography gegenüber der Raumwirtschaftslehre pointiert zu verdeutlichen, werden im Folgenden einige vereinfachte Beispiele diskutiert.

Beispiel 1. In der Raumwirtschaftslehre ist die Analyse von Standortverteilungen und Standortentscheidungen klassischer Untersuchungsgegenstand (Isard 1956; Richardson 1978; Bartels 1988; Schätzl 1998). Hierbei wird zunächst definiert, welche Standortanforderungen die Unternehmen einer Branche stellen. Anschließend werden Regionen auf Standorteigenschaften hin untersucht und diese mit den Standortanforderungen verglichen. Die Raumwirtschaftslehre unterstellt dabei, dass Unternehmen sich im Rahmen einer gewinnmaximalen Standortwahl genau in denjenigen Regionen ansiedeln, die ihre Bedürfnisse am besten befriedigen.

Beispiel 2. Eine andere Fragestellung der traditionellen Raumwirtschaftslehre besteht darin zu untersuchen, warum die Unternehmen einer Branche in einigen Regionen schneller wachsen als in anderen Regionen. Hierzu werden zunächst die Eigenschaften der betreffenden Regionen, wie z. B. die Struktur der Arbeitskräfte, Löhne und andere Kosten sowie der Infrastrukturbestand, ermittelt. Anschließend wird mit statistischen Verfahren bestimmt, welche Eigenschaften wachsende Regionen gemeinsam haben und welche Eigenschaften schrumpfende Regionen prägen. Hieraus wird vielfach ein direkter kausaler Zusammenhang abgeleitet, z. B. in der Form, dass niedrige Kosten höheres Wachstum bewirken.

Das Problem hierbei ist, dass in beiden Beispielen Räume so behandelt werden, als seien sie selbst die Akteure (z. B. Hard 1993). Eine politische Schlussfolgerung, die aus solchen Untersuchungen abgeleitet wird, besagt dann beispielsweise, man müsse Kosten in einer Region senken, damit sich ein höheres Wachstum einstellt. Bei einer solchen Argumentation wird allerdings übersehen, dass Regionen eben keine Akteure sind, sondern eine soziale Konstruktion, abhängig von den konkreten sozialen, ökonomischen, kulturellen und politischen Bedingungen, unter denen Menschen in Unternehmen und anderen Organisationen agieren. Manchmal mag es nur ein einziges großes, dominantes Unternehmen sein, das über seine Verflechtungen mit anderen regionalen Akteuren Schrumpfungs- oder auch Wachstumsprozesse auslöst (z. B. Romo und Schwartz 1995). Das hat dann unter Umständen weder mit Kosten, Infrastruktur oder anderen Bedingungen vor Ort zu tun, sondern ist möglicherweise nur eine Folge eines übergeordneten an anderer Stelle beschlossenen Strategiewechsels dieses Unternehmens (z. B. Schamp 2000 b, Kap. 3.2). Der ehemalige Chemiekonzern Hoechst mit Stammsitz in Frankfurt-Höchst, der 1998 durch Fusion mit Rhône-Poulenc in Aventis überführt wurde, ist ein gutes Beispiel hierfür (Bathelt 1997 b). Eine Analyse von Standortfaktoren würde im Fall von Hoechst falsche Erklärungen für dessen Umstrukturierung und die Entwicklung der chemischen Industrie in der Rhein-Main-Region liefern, etwa die Konsequenzen für den Zuliefersektor und die Arbeitsplatzentwicklung (Bathelt und Kappes 2009), und könnte möglicherweise problematische politisch-planerische Konsequenzen nach sich ziehen.

In den Arbeiten zur new economic geography ist die Vorgehensweise demgegenüber eine andere (Storper 1997 b; Scott 1998). Hier werden neben wirtschaftswissenschaftlichen auch sozialwissenschaftliche Ansätze integriert. Genau genommen wird die Fragestellung der Raumwirtschaftslehre in ihr Gegenteil verkehrt. Es wird nicht untersucht, welche Regionen sich aufgrund ihrer bestehenden Standortvorteile für die Ansiedlung von Unternehmen gut eignen. Es wird vielmehr analysiert, wie Unternehmen ihr Umfeld selbst gestalten und verändern, sodass sie unter bestmöglichen Bedingungen produzieren können (Storper und Walker 1989, Kap. 3): Wie schaffen sich Unternehmen ein geeignetes regionales Umfeld durch die Ausbildung von Mitarbeitern, Ansiedlung von Zulieferern, Inanspruchnahme von Dienstleistungen, Beeinflussung von Politikern und Planern sowie durch Lernprozesse mit ihren Kunden? Auf die Unterschiede in der Herangehensweise der new economic geography im Vergleich zur Raumwirtschaftslehre deutet auch das hypothetische Beispiel der RegioNova in Kapitel 1.2 hin.

In neuen Ansätzen wird der Tatsache Rechnung getragen, dass viele Standortentscheidungen im Sinn von Lipietz (1985) „geschichtliche Fundsachen“ sind, die im Nachhinein kaum mehr exakt ergründet werden können. So zeigen die Untersuchungen der 1980er- und 1990er-Jahre, dass Ansiedlungs- und Verlagerungspotenziale von Unternehmen eher gering sind. Regionale Strukturveränderungen sind vor allem geprägt durch Umstrukturierungen bestehender Unternehmen. Ansätze einer sozialwissenschaftlich informierten Wirtschaftsgeographie haben entsprechend eine dynamisch-evolutionäre Betrachtungsebene (Bathelt 1991 b, Kap. 12). Hierbei werden räumliche Strukturen als soziale Konstrukte betrachtet, die aus vielfältigen Interaktionen von Personen, Unternehmen und politischen Entscheidungsträgern hervorgehen, wobei diese lokalisierten Strukturen zugleich infolge reflexiver Wissensaneignung das Handeln der Akteure beeinflussen (Storper 1997 a; 1997 b, Kap. 2).

Wichtige Fragen einer veränderten Perspektive der Wirtschaftsgeographie sind:

 Wie interagieren Unternehmen und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für lokalisierte Prozesse und Strukturen?

 Wie werden Unternehmen durch den institutionellen und soziokulturellen Kontext in ihrer Stammregion geprägt?

 Wie sind Unternehmen und Produktionssysteme organisiert, wie unterscheidet sich die Organisation von Ort zu Ort und welche territorial abbildbaren Folgen ergeben sich daraus?

 Durch welche Kommunikations- und Abstimmungsprozesse können Unternehmen ihr Umfeld nach ihren Vorstellungen prägen, sodass ihre Wettbewerbsfähigkeit steigt und der technische Fortschritt beschleunigt wird?

 Wie lernen Unternehmen, wie entwickeln sie neues Wissen und wie wenden sie dieses Wissen zur Produktion neuer Waren und Dienstleistungen an?

 Wie kommt es zur Entstehung neuer Institutionen und wie sind diese verortet?

 Wie wirken sich Veränderungen von Technologien, Nachfragewünschen und Wettbewerbsbedingungen auf die Organisation der Produktion aus und in welcher regionalen Variation äußert sich dies?

 Und schließlich: Wie sind Unternehmen mit Akteuren an anderen Standorten national und global vernetzt, welche Probleme ergeben sich bei der Integration unterschiedlicher institutioneller, kultureller und politischer Handlungspraktiken und wie wird die Organisation an verschiedenen Standorten durch derartige Beziehungen beeinflusst?

Mit diesen und anderen Fragestellungen greift die Wirtschaftsgeographie die Kritik von Massey (1985, S. 11) an der Geographie als der Wissenschaft des Räumlichen auf:

„Geography set itself up as ‘the science of the spatial’. There were spatial laws, spatial relationships, spatial processes. There was a notion that there were certain principles of spatial interaction which could be studied devoid of their social content. [. . .] There was an obsession with the identification of spatial regularities and an urge to explain them by spatial factors. The explanation of geographical patterns, it was argued, lay within the spatial. There was no need to look further. [. . .] This is an untenable position. [. . .] There are no such things as purely spatial processes; there are only particular social processes operating over space.“

Ansatzpunkt einer relationalen Wirtschaftsgeographie sind nicht Regionen, sondern Unternehmen und andere Akteure, die innerhalb einer Produktions- bzw. Wertschöpfungskette in einem räumlichen Kontext arbeitsteilig miteinander verflochten sind und soziale Interaktionen aufweisen (Dicken 1998, Kap. 1).

Häufig wird hierbei auch von filière gesprochen (z. B. Nuhn 1993; Lenz 1997), wobei sich die Konzepte in ihrer empirischen Umsetzung meist nicht wesentlich voneinander unterscheiden (Schamp 2000 b, Kap. 2.1). Eine Produktionskette ist eine Abfolge von Funktionen, die dem Produkt auf jeder Stufe einen Wert zufügt ­(Dicken und Thrift 1992), wobei dies nicht als rein linearer Prozess verstanden werden darf.

Ein Beispiel, wie man die Produktionskette als Ausgangspunkt wirtschaftsgeographischer Studien verwendet, liefert die Untersuchung von Bertram (1992) über die Automobilindustrie (→ Abb. 2.5). Hier zeigen sich sehr deutlich die Schnittstellen zwischen Unterlieferanten, Hauptzulieferern, den eigentlichen Automobilproduzenten, der Absatzorganisation und den Konsumenten. Die einzelnen Glieder der Produktionskette überschneiden sich, sind eng miteinander durch Kommunikations- und Abstimmungsprozesse verbunden, werden aber dennoch von unterschiedlichen Prozessen beeinflusst. Zunehmende Preiskonkurrenz bei Unterlieferanten führt z. B. zu Verlagerungsprozessen der Produktion ins Ausland. Zunehmende Qualitätskonkurrenz der Hauptzulieferer hat etwa zur Folge, dass diese sich zu strategischen Allianzen zusammenschließen. Neue Konkurrenz der Automobilproduzenten kann schließlich dazu führen, dass neue Produktionskonzepte eingeführt werden. Der Produktionsablauf ist in dieser Konzeption nicht mehr rein linear, sondern unterliegt Einflüssen, die auf mehrere Abschnitte der Produktionskette zugleich rückwirken.


Abb. 2.5 Produktionskette als Ausgangspunkt wirtschaftsgeographischer Untersuchungen (nach Bertram 1992, S. 218)

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