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Kapitel 2

DER BEGINN ALLEN SEINS

Ich komme nicht drum herum. Damit wir verstehen, wie alles gekommen ist, muss ich tatsächlich vorn beginnen, also ganz am Anfang. Sie haben damit hoffentlich kein Problem. Manch einer neigt jetzt zu fragen: Und was war davor? Da muss ich passen, denn darauf gibt es keine Antwort.

Ich rede jetzt, um es einmal metaphysisch auszudrücken, über den Beginn allen Seins, präziser: den Beginn allen physikalischen Seins. Es kann Seins-Zustände geben, die physikalisch nicht zugänglich sind – das kann und will ich nicht ausschließen. Aber hier rede ich über das, was physikalisch zugänglich ist, sowohl theoretisch als auch experimentell. Ich rede also über die Ordnung der Natur, über den Kosmos. Die Verwendung des Wortes Kosmos im Sinne von Universum hat sich ja in unsere Alltagssprache eingeschlichen. Die Ordnung im Universum ist die Grundlage für das Handeln des Menschen und seine Auswirkungen auf die Natur seines Planeten.

Das geordnete Universum, wie hat das angefangen? Dass es einen Anfang hat, ist ja noch gar nicht so lange bekannt. Früher glaubte man, der Kosmos sei schon immer da gewesen, ein ewiger Kosmos. Keiner hat gefragt, was davor war. Ein historisches Bewusstsein, ein Bewusstsein für Vergangenes, besaß man früher nicht. Tradition und Rituale bestanden aus schlichter Wiederholung. Hier und da hinterfragte mal jemand das eine oder andere, aber über ein Interesse dafür, warum alles so und nicht anders gekommen ist, über diese Eigenschaft verfügen wir Menschen erst seit rund 200 Jahren.

Der moderne Mensch ist der erste, der nach dem Davor fragt. Das ist noch keine sechs oder sieben Generationen her. Erstaunlich ist, dass einige heutige Wissenschaftler das Anthropozän zeitgleich mit dem Beginn des Triumphzuges von Technik und Naturwissenschaft einläuten. Damals entstand aber auch die Geschichtswissenschaft. Aus Geschichte und Naturwissenschaften erwuchsen die Geowissenschaften, die Wissenschaften von der Erde und ihren Untersystemen, der Atmosphäre, den Kontinenten, Meeren und Eiswüsten, ihrer Lebewesen und der Geschichte all dieser Beteiligten. Und sie versuchen bis heute, Licht in all das Dunkel der Zeiten zu bringen.

Zurück auf Anfang, zum Beginn allen Seins. Vor 13,82 Milliarden Jahren – das sind die neuesten Zahlen – muss sich etwas ereignet haben. Denn wenn man tief ins Universum schaut, dann hat man den Eindruck, dass sich alles von uns wegbewegt. Alles! Nach allen Richtungen! Es erscheint so, als ob sich das Universum ausdehnen würde – und das mit rasanter Geschwindigkeit.

Das war jedenfalls der Eindruck, den Ende der Zwanziger-, Anfang der Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts, ein Mann namens Georges Lemaître gewann. Als belgischer Priester und Astrophysiker beschäftigte er sich damit, die Beobachtungsdaten des amerikanischen Astronomen Edwin Hubble zu interpretieren.

Hubble hatte damals herausgefunden, dass ganz offensichtlich die Rotverschiebung von Spektrallinien in sehr weit entfernten Galaxien immer größer wurde, je weiter die Galaxien entfernt waren. Er nahm an, dass die elektromagnetische Strahlung, die er von anderen Galaxien empfing, genauso funktionierte, wie die, die man auf der Erde in zahllosen Experimenten in den Laboratorien untersuchen konnte. Schon seit Langem arbeitete man in der Astrophysik mit dieser Hypothese.

Hubbles Beobachtungen bestätigten wieder einmal die allgemeingültige Erkenntnis, dass der Übergang von Elektronen innerhalb eines Atoms von einem Energiezustand zu einem anderen immer mit einer klar abgegrenzten Menge an Energie zusammenhängt, egal ob es sich um ein Sauerstoffatom hier auf der Erde handelt oder eines in irgendeiner Galaxie, die ein paar hundert Millionen Lichtjahre von uns entfernt ist. Und auch die Lichtgeschwindigkeit ist überall konstant, eben eine Naturkonstante.

Hubble machte prinzipiell das, was alle empirischen Forscher tun: Aus bestimmten Voraussetzungen Schlussfolgerungen ziehen, die anschließend experimentell überprüft werden. Er wollte herausfinden, wieso die Spektrallinien rotverschoben waren.

Lassen Sie uns gemeinsam versuchen, Hubbles Gedankengänge nachzuvollziehen. Wie könnte sich denn so eine Spektrallinie verschieben? Die einfachste Erklärung wäre, dass sich Atome, die strahlen, also Energie abgeben, von uns wegbewegen, und zwar alle. Wenn alle Atome sich von uns wegbewegen, dann wird die Strahlung durch einen Effekt beeinflusst, den man unter dem Namen Dopplereffekt bei Schallwellen kennt. Kommt die Schallquelle auf uns zu, wird der Ton höher, seine Frequenz hat sich erhöht. Wenn sie an uns vorbeigesaust ist und sich entfernt, werden der Ton und damit die Frequenz tiefer. Klassischer Fall: Sirene eines Streifenwagens im Einsatz.

So verhält es sich auch mit der elektromagnetischen Strahlung. Kommt eine Strahlungsquelle auf uns zu, wird das Licht hochfrequenter, die Wellenlänge wird kleiner, das Licht verschiebt sich in den blaueren Bereich des sichtbaren Spektrums. Entfernt sich die Quelle von uns, so wird das Licht niederfrequenter, die Wellenlänge größer, also erscheint es im roten Abschnitt des sichtbaren Spektrums.

Soweit die Erklärung. Aber Vorsicht! In einem expandierenden Universum gibt es kein festes Bezugssystem. Im eben beschriebenen Beispiel für den Dopplereffekt steht jemand an der Straße und an ihm saust eine Strahlungs- beziehungsweise Schallquelle vorbei. Aber wie ist das in einem sich ausdehnenden Universum? Da kann der Dopplereffekt natürlich nicht wirken. Wenn sich alles in alle Richtungen von uns entfernt, dann, so stellte Lemaître fest, muss es eine andere Erklärung für die Rotverschiebung geben: Es ist der Raum, der sich bewegt, indem er sich ausdehnt. Die Galaxien schwimmen praktisch mit diesem Raum davon. Stellen Sie sich Rosinen in einem aufquellenden Hefeteig vor: Es scheint so, als bewegten sie sich selbst, tatsächlich aber werden sie mitgetragen.

Damit Sie den Unterschied zwischen bewegen und bewegt werden auch wirklich verstehen – er ist im wahrsten Sinne des Wortes weltbewegend –, gebe ich Ihnen noch ein weiteres Beispiel: Nehmen Sie einen Luftballon und kleben Sie mehrere Wattebäuschchen drauf. Das sind Ihre Galaxien. Jetzt blasen Sie den Ballon auf. Was sehen Sie? Die Wattebäuschchen behalten ihre Form und bleiben dank Klebstoff auf der Stelle, aber sie entfernen sich trotzdem voneinander. Der Abstand zwischen den Wattebäuschchen wird immer größer, und zwar umso schneller, je weiter sie am Anfang voneinander entfernt waren. Genau das war Lemaîtres Gedanke: Das Universum expandiert – und zwar als Ganzes. Unglaublich! Da musste erst mal einer draufkommen.

Mal ehrlich, das klingt doch völlig irrsinnig. Wir reden über das Ganze, über alles, was physikalisch überhaupt da sein kann. Und da macht jemand eine Aussage über alles. Einfach so.

Wenn ein Wissenschaftler sagt, wir haben hier einen Teil des Universums, und dieser Teil funktioniert so ähnlich wie das, was wir von der Erde kennen, dann ist das auch schon sehr bedeutend. Aber zu behaupten, dass das, was wir von der Erde kennen, die physikalischen Gesetze, die Strahlung, der Aufbau der Materie, die Lichtgeschwindigkeit, die Ladungen und vieles mehr, dass das alles überall im Universum genauso funktioniert – so etwas kann doch keiner wissen, niemand kann es überprüfen.

Doch gibt es Lebewesen in diesem Universum, die über einen 1,5 Kilogramm schweren Erkenntnisapparat verfügen, etwa zwei Meter groß sind und im besten Fall 100 Jahre alt werden. Und die trauen sich, Aussagen über alles zu machen.

Mit diesem Selbstbewusstsein sind wir weit gekommen. Wir wissen, wie es geht, wir wissen, wie es ist. Wir wissen sogar, wie es dazu kommen konnte. Aber das ist nicht weiter verwunderlich, schließlich sind wir Physiker.

Nein, nein! So geht das nicht. Mit dieser Überheblichkeit, basierend auf chronischer Einbildung, kann ich Ihnen sicher keine für Sie verständlichen Erklärungen liefern. In Wirklichkeit, ich muss es zugeben, staune selbst ich immer noch, kann mich noch nach Jahren immer wieder daran begeistern, dass wir mit unserem Gehirn tatsächlich solche Dinge denken und erkennen können. Man muss eben auch die Physik des ganzen Universums so behandeln wie in einem Experiment auf der Erde.

Womit wir wieder bei Lemaître wären. Er kam, nachdem er das Universum hat expandieren lassen, naheliegenderweise auf einen Gedanken, auf den Sie jetzt auch kommen können. Sie müssen sich einfach nur fragen: Wenn das Universum expandiert, wie groß war es dann gestern? Genau! Es war natürlich kleiner, ist ja logisch. Wenn es expandiert, wenn es die ganze Zeit auseinanderfliegt, war es gestern kleiner. Und vorgestern? Da war es noch kleiner. Und so weiter und so weiter …

Aber irgendwann wird es ernst. Wie klein kann das Universum gewesen sein – am Anfang?

Als Lemaître zum ersten Mal mit seiner Idee an die wissenschaftliche Öffentlichkeit ging, hatte die Physik gerade begonnen, sich mit der Quantenmechanik zu beschäftigen. Das war in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Da wurden die ersten Teilchen entdeckt. Die Elektronen waren schon Ende des 19. Jahrhunderts bekannt. Aber jetzt hatte man erst die Protonen, die positiv geladenen Teilchen gefunden. 1932 kamen die Neutronen dazu.

Den Physikern war in den Zwanziger- und Dreißigerjahren schon klar, dass Atome sehr klein sein mussten. Man konnte sich, praktisch im Gedankenexperiment, das Universum so klein vorstellen wie ein Atom. Und Lemaître tat das auch. Er nannte es das Ur-Atom.

1948 erschien eine Arbeit von drei Kernphysikern, Ralph Alpher, George Gamow und Hans Bethes. Die hatten sich Folgendes überlegt: Wenn das Universum am Anfang so klein gewesen wäre wie ein Atomkern – die Physik dazu können wir berechnen, und eine Atombombe haben wir ja auch schon gebaut –, dann wäre es wie ein universeller Kernreaktor gewesen. Und in diesem Kernreaktor müsste es zu Verschmelzungsreaktionen gekommen sein. Dabei wäre circa ein Viertel der Protonen zu Heliumkernen verschmolzen, der Rest wäre Wasserstoff. Damit machte das Modell eine Vorhersage: Das Gas zwischen den Galaxien besteht nur aus Wasserstoff und Helium. Alle schwereren Elemente werden erst sehr viel später und nur in Sternen erbrütet.

Laut diesem Modell war das Universum anfänglich sehr heiß, weil es so klein war. Alles auf engstem Raum zusammengepresst – da wird es schon mal stickig. Und von diesem heißen Anfang, sagten die drei Kernphysiker, müsste Strahlung übrig geblieben sein, die sogenannte kosmische Hintergrundstrahlung; sie hinge nur von der Temperatur ab, und weil das Universum schon so alt und so groß sei, müsse die Temperatur heute sehr niedrig sein, einige Kelvin, nahe beim absoluten Nullpunkt, und der liegt bei minus 273 Grad Celsius oder Null Kelvin.

Außerdem gingen die Physiker davon aus, dass das Universum homogen und isotrop sei, was bedeutet, dass die Materie in alle Richtungen gleichmäßig verteilt ist.

Wie lässt sich das verstehen? Die vollständige Erklärung liefert die Allgemeine Relativitätstheorie, aber es geht auch ohne sie.

Nehmen wir an, wir hätten eine Kanone auf der Erde stehen, sagen wir auf einem etwa zwei Kilometer hohen Turm. Vielleicht in Dubai oder in Katar, die bauen ja gerne so hohe Dinger – nur ohne Kanone. Jetzt schießen wir eine Kanonenkugel ab. Wenn die zu langsam aus dem Rohr kommt, wird sie naturgemäß schnell runterfallen, von der Gravitation Richtung Erde gezogen. Wenn sie richtig schnell ist, so schnell wie die Entweichgeschwindigkeit aus dem Anziehungsbereich der Erde, das sind 11,4 Kilometer pro Sekunde, dann wird die Kugel das Gravitationsfeld der Erde verlassen. Wenn wir jetzt mal für einen winzigen Moment – im Gedankenexperiment können wir das ja machen – die Atmosphäre weglassen, dann könnte die Kugel genau die Geschwindigkeit erreichen, die sie bräuchte, um die Erde einmal zu umkreisen. Sie käme von hinten wieder bei der Kanone an und … tja, das Gedankenexperiment ließe sich nun nicht mehr wiederholen.

Zieht man die allgemeine Relativitätstheorie heran, ergeben sich drei mögliche Lösungen für den Lebenslauf eines Universums, und zwar in Abhängigkeit von seiner Masse. Die erste Lösung sieht ein Universum mit sehr viel Masse und damit sehr viel Gravitation vor, das am Anfang vielleicht noch ein bisschen expandiert, aber schließlich wieder in sich zusammenfällt. Man spricht von einem geschlossenen Universum.

Bei der zweiten Lösung hat ein Universum zu wenig Masse, was dazu führt, dass es auseinanderfliegt. Das entspricht dem Beispiel der schnellen Kanonenkugel mit Entweichgeschwindigkeit.

Und schließlich gibt es die Variante, dass ein Universum ein ganz fein ausbalanciertes Gleichgewicht hat, ein dynamisches Gleichgewicht zwischen kinetischer Energie, also der Bewegungsenergie, und potenzieller Energie, also der Masse. So würde das Universum immer größer und größer werden, aber seine Expansionsgeschwindigkeit nähme allmählich ab.

Was uns nun noch fehlt, ist der eigentliche Anlass, der Ursprung, die Ursache, warum sich das Universum in seine Existenz geworfen hat. Gab es einen Dirigenten, der dem Universum den Einsatz zur galaktischen Symphonie vorgegeben hat? Samt Paukenschlag?

Über eine ähnliche Zwickmühle hat sich auch António Damásio in seinem Buch „Selbst ist der Mensch“1 Gedanken gemacht, allerdings geht es ihm um das Bewusstsein. Damásio vergleicht es mit einem Orchester, bei dem der Dirigent erst in dem Moment entsteht, in dem das Orchester zu spielen anfängt. Mit dem ersten Gedanken erscheint der Dirigent unseres Bewusstseins. Ab da dirigiert er das Orchester, das Orchester reagiert auf ihn und er wiederum reagiert auf das, was das Orchester tut.

Vielleicht lässt sich auch das Universum mit einem solchen Orchester vergleichen: Causa sui, der Grund von sich selbst. Damit landen wir aber am Anfang von allem bei einem logischen Problem.

Der Erste, der darüber grübelte, war zugleich der Erfinder der Logik: Aristoteles. Der hatte auch schon das dumpfe Gefühl, sich am besten vom Anfang fernzuhalten, denn der kann nicht logisch sein. Wenn alles durch einen Beweger in Bewegung gehalten wird, dann müssten auch die Sterne, die ja ganz offenbar in Bewegung sind, einen Beweger haben. Dann aber müsste es auch einen Beweger für den Beweger geben. Und noch einen Beweger für den Beweger, der den Beweger bewegt. Und so weiter und so fort. Und schon war Aristoteles mittendrin in einem infiniten Regress, in einer unendlichen Kette von Fragen, auf die es keine befriedigende Antwort gibt.

Das ist natürlich blöd, wenn du die Logik erfindest und schon gleich mit dem Anfang des Universums ein Problem hast, keine logische Lösung dafür finden kannst. Also setzte Aristoteles, gnadenlos und kühn zugleich, einen unbewegten Erstbeweger an den Anfang des Universums. Problem erkannt, Problem gebannt. Dieser unbewegte Erstbeweger sollte praktisch die Welt geschaffen haben – und das aus Liebe. Oh ja, Liebe kann schöne Ergebnisse zeitigen, das Zusammensein zwischen Menschen und sogar zwischen Menschen und Göttern bereichern. Gerade die Olympier haben damit mannigfaltige Erfahrungen gemacht. Aber Liebe an den Anfang des Universums zu stellen, das ist für den nüchtern denkenden Physiker irgendwie … unbefriedigend.

Jetzt wissen wir immer noch nicht, was der Anfang von allem ist. Womit hat das Universum angefangen? Kann man die Frage nach dem Davor irgendwie vermeiden?

Sie können sich natürlich an die Herren der Paralleluniversen wenden. Die wissen angeblich, dass vorher schon viel da gewesen ist, lauter tolle Sachen. Das lässt sich zwar naturgemäß nicht überprüfen, aber es klingt ganz großartig. Wenn Ihnen das hilft, bitte sehr. Ich für meinen Teil halte mich lieber an Fakten.

Der Urknall ist, glasklar betrachtet, das Kleinste, das Allerkleinste, über das hinaus oder besser unter dem nichts mehr gemessen werden kann. Als vernünftiger Wissenschaftler muss man sagen: Der Beginn des Universums ist der Beginn einer Struktur, die die kleinste kausal sinnvolle Länge hat, der kleinsten kausal sinnvollen Zeiteinheit entspricht und all dem, was sich daraus ableiten lässt. Das ist die Anfangssituation des Urknalls, wie der Physiker sie sieht.

Der Mathematiker hingegen sieht das etwas anders, und prompt bekommt er Probleme. Er lässt den Radius des Universums gegen Null gehen, weil Mathematiker gerne etwas gegen Null gehen lassen. Somit erhält er einen Bruch, der gegen Null geht, was dazu führt, dass der ganze Bruch unendlich wird. Das nennt man Singularität.

Der mathematische Anfang ist eine Singularität, der physikalische nicht. Denn physikalisch kann man den Anfang so weit von dieser Null wegsetzen, dass sogar eine Unendlichkeit dazwischen liegt. Der Anfang des Universums lässt sich erkenntnistheoretisch formulieren, indem wir die kleinsten Informationseinheiten definieren, die im Universum überhaupt noch verstanden werden können. Dazu braucht man zwei verschiedene Theorien: die Quantenmechanik und die Relativitätstheorie.

Die Quantenmechanik, definiert durch die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation, hat ein Informationslimit nach unten. Das bedeutet, ein Unterschreiten der Mindestwirkung lässt nichts mehr erkennen. Kleiner als das Produkt aus Orts- und Impulsunschärfe, kleiner als das Plancksche Wirkungsquantum geht nicht, da kann man machen, was man will.

Die allgemeine Relativitätstheorie sagt: Wenn ein Körper einer Masse m auf einen bestimmten Radius zusammenschrumpft, ist die Gravitationskraft offenbar so stark, dass aus diesem kompakten Körper nichts mehr herauskommt. Das ist der sogenannte Schwarzschildradius. Für unsere Sonne mit ihren 333.000 Erdmassen beträgt der Schwarzschildradius drei Kilometer. Würde also die Sonne auf eine Kugel mit einem Radius kleiner als drei Kilometer zusammenschnurren, würde sie zum Schwarzen Loch werden. Da käme nichts mehr raus. Kein Ton, kein Licht. Nichts. Über das, was sich so alles in einem Schwarzen Loch abspielt, gibt es tolle Sachbücher. Nichts davon lässt sich überprüfen, aber das scheint den Autoren völlig wurscht zu sein.

Wir haben also die Quantenmechanik mit der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation und die allgemeine Relativitätstheorie mit dem Schwarzschildradius. Dazu nehmen wir noch ein wenig Mathematik und erhalten als Resultat die Planck-Länge: 1,6 mal 10-35 Meter.

Die Planck-Zeit ist nichts anderes als die Planck-Länge dividiert durch die Lichtgeschwindigkeit. Sie erinnern sich noch? Die Lichtgeschwindigkeit ist konstant, etwa 300.000 Kilometer pro Sekunde. Das heißt, wir landen bei einem Wert von

5,3 mal 10-44 Sekunden für die Planck-Zeit.

Dann können wir die Planck-Masse und daraus die Planck-Energie berechnen und haben am Ende die Anfangstemperatur des Universums: 1032 Grad Kelvin. Lesen Sie das ruhig noch einmal: 1032! Das ist die höchste Temperatur im Universum. Damit hat alles angefangen.

Und wir sind auch wieder am Anfang des Kapitels: bei der Hintergrundstrahlung und den drei Physikern aus dem Jahr 1948. Wenn das Universum so klein und heiß und dicht und kompakt anfängt, muss es auseinanderfliegen. Das war die Idee des Urknalls. Je mehr wir über den Aufbau der Materie entdecken – Teilchen, die noch mal aus Teilchen bestehen, die noch mal aus Teilchen aufgebaut sind – umso genauer können wir den Anfang des Universums physikalisch beschreiben.

Ob es die Kernphysiker aus dem Jahr 1948 waren, die Elementarteilchen-Physiker aus den Sechziger- und Siebzigerjahren oder die Physiker aus den Achziger- und Neunzigerjahren, die sich mit Quantenfeldtheorie beschäftigt haben, jeder konnte Schritt für Schritt immer genauer sagen, was sich am Anfang im Universum abgespielt haben muss. Vorausgesetzt wurden dabei immer die Naturgesetze, die wir von der Erde kennen und die überall im Universum ihre Gültigkeit haben.

So bauen wir inzwischen Beschleuniger wie den Large Hadron Collider (LHC), um den Zustand des Universums zu simulieren, als es gerade mal eine Trillionstel Sekunde alt oder besser jung war. Ist das nicht unglaublich?

Woher man weiß, was nach der Trillionstel Sekunde passiert ist, fragen Sie? Die Temperatur am Anfang ist bekannt, 1032 Kelvin. Damit hat man eine Temperatur-Zeit-Korrelation. Wenn sich das Universum ausbreitet, wird es kälter, das heißt, jeder Zeitpunkt entspricht einer bestimmten Temperatur. Damit haben wir einen kosmischen Zeitpfeil zur Verfügung, der uns die räumliche Veränderung des Universums aufzeigt: Es wird immer größer, seine Uhr tickt.

Das ist übrigens auch der Grund, warum es keine Zeitreisen gibt. Wollte man nämlich in der Zeit zurückreisen, müsste man das gesamte Universum in den Zustand bringen, in dem es damals gewesen ist. Da das Universum aber eben nur eine endliche Menge an Energie bereitstellt und jede Maschine Wärmeverluste hat, müsste man mehr Energie aufwenden, als das Universum zur Verfügung stellt. Ganz zu schweigen von den vielen anderen logischen Problemen. Ergo: Zeitreisen sind nicht möglich! Wir marschieren, komme was da wolle, auf unserem kosmischen Zeitpfeil entlang, immer in die eine Richtung.

In den ersten drei Minuten entstehen Wasserstoff und Helium. Erinnern Sie sich noch? Das war schon Ende der Vierzigerjahre die Vorhersage der drei Herrschaften aus der Kernphysik, die inzwischen bestätigt wurde. Deren zweite Vorhersage bestätigte sich 1964, als zwei Radioingenieure, die gar keine Ahnung hatten, was da auf ihrem Schirm war, die Hintergrundstrahlung entdeckten. Die zwei Glückspilze Arno Penzias und Robert Woodrow Wilson hatten noch nicht einmal danach gesucht.

Das Universum, das Sie und ich bei unserer Geburt vorgefunden haben, ist ein ganz anderes als damals. Wenn wir heute Abend in den Himmel blicken, können wir nichts mehr von seinem heißen Anfang erkennen. Unsere Augen sind leider nicht infrarotempfindlich, und die meisten von uns haben auch keinen alten Röhren-Fernseher mehr, der nach Sendeschluss (ja, damals war auch mal Sendepause!) dieses wunderbare graue Rauschen, eben die Hintergrundstrahlung, zeigte. Was wir aber sehr wohl am gestirnten Firmament erkennen können, das sind die Sterne, die da funkeln.


DIE HINTERGUNDSTRAHLUNG

Temperaturschwankungen in der Hintergrundstrahlung, aufgenommen durch die Raumsonde WMAP (Mission 2001–2010)

1 A. Damásio, Selbst ist der Mensch, Siedler. München 2011

Die Menschheit schafft sich ab

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