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Kapitel 8

DAS LEBEN KOMMT AN LAND

Für sehr lange Zeit stellten die nahezu alles Land bedeckenden Weltmeere einen äußerst komfortablen Lebensraum für alle bis dahin existierenden Kreaturen dar. Ein gemütliches Zuhause, in dem die Nahrung praktisch vor der Nase vorbeischwamm, schön feuchtwarm und auch noch vor der Strahlung aus dem Weltall geschützt. Alles war perfekt. Aber eines Tages war das Wasser einigen dieser Hedonisten nicht mehr gut genug und sie gingen an Land.

Waren die verrückt geworden? Wussten die nichts von Plattentektonik und Konvektionsströmen im Erdinneren, die für Vulkanismus, Neuentstehung und Untergang der Landmassen verantwortlich waren? Einigermaßen zuverlässig bestehende Kontinente gab es eigentlich erst in den letzten 650 Millionen Jahren der Erdgeschichte. Was vorher war, das weiß keiner so genau. Die Erdoberfläche muss sich ständig verändert haben, auch der Meeresboden. Ein sorgenfreies Leben auf dem Lande war damals sicher nicht möglich.

Aber genau diese turbulenten Zeiten brachten das Leben dazu, an Land zu gehen. Die Ufer hoben sich, und es bildeten sich Sumpfstreifen. Pflanzen, die bisher vollständig unter Wasser gelebt hatten, stellten fest, dass es sich auch auf dem Halbtrockenen ganz gut leben lässt. Vielleicht ist es wie beim Wein: Die meisten von uns trinken doch gern einen trockenen, aber es kann auch mal ein guter halbtrockener dazwischen sein.

Sie haben natürlich recht, wenn Sie jetzt anmerken, das Leben hätte doch sicher nicht freiwillig seinen bis dato angestammten Lebensraum verlassen. Tatsächlich wurde es dazu gezwungen, sich an neue Umstände anzupassen, die auf einmal herrschten. Nicht weil irgendein Schöpfer das so hingebastelt hat, sondern weil die Konvektionsbewegung im Inneren der Erde die Kontinentalplatten so verschoben hat, dass die Meere sich an der einen oder anderen Stelle zurückziehen mussten. So entstehen diese - Achtung! -, Top-down-Lebensbedingungen, an die sich Lebewesen anzupassen haben oder sie sterben aus. Die Anpassungsfähigen verfügen über Eigenschaften, die dem neuen Lebensraum gemäß sind.

Alle diese kleineren und größeren Veränderungen einer Spezies erscheinen uns wie Wunderleistungen der Chemie, der Biochemie. Aber tatsächlich sind sie das Ergebnis natürlicher und rein zufälliger Variationen im Erbgut, und veränderte Umweltbedingungen wählen aus diesem Pool von Möglichkeiten diejenigen Varianten aus, die die besten Überlebenschancen haben. So funktioniert das Leben, genau so.

Und so kam es, dass im Silur, vor rund 425 Millionen Jahren, das Land besiedelt wurde. Die ersten Siedler waren Pflanzen. Sie fanden eine riesige Nische noch gänzlich unbesetzt vor und konnten sich explosionsartig ausbreiten, weil trotz aller Nachteile die Lichtausbeute an Land einfach höher ist als im Wasser. Eine höhere Lichtausbeute bedeutet eine höhere Leistungsfähigkeit der Photosynthese. Und je mehr Biomasse Fuß fasste, umso mehr Sauerstoff wurde produziert. Schließlich kamen Tiere hinzu, und es bildeten sich all die Lebenskreisläufe, die wir heute kennen, nur in ganz anderen Zusammenhängen natürlich.

Möglicherweise stand am Anfang dieser Explosion des Lebens eine brenzlige Situation, in der unser Planet vielleicht nur knapp einer Katastrophe entgangen ist. Das ist eine Hypothese, die inzwischen durch viele Indizien gestützt wird: die Hypothese vom Schneeball Erde.

Ungefähr vor 700 bis 900 Millionen Jahren war unser Planet aus vielerlei Gründen weitestgehend vergletschert. Ein Grund war, dass durch Vulkanismus die Biomasse im Meer zerstört wurde. Das führte dazu, dass immer weniger Kohlendioxid in der Atmosphäre war, und somit der Treibhauseffekt fast vollständig zusammenbrach. Die Temperatur sank auf annähernd -18 °C, und die Erde wurde zum eisigen Schneeball. Erst nach längerer Zeit brach die Eisdecke durch den Vulkanismus wieder auf und die Eruptionen spuckten Material für neue Kontinente aus. Der Kohlendioxidkreislauf startete von Neuem. Es gelangte immer mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre, und die Erde wurde endlich zu dem blauen Planeten, den wir heute kennen. Es könnte sein, dass das auch der Anschub für die Entwicklung der kambrischen Lebensexplosion vor 650 Millionen Jahren war.

Die Geschichte mit der Plattentektonik hat mich übrigens davon überzeugt, mir kein Haus auf Mallorca zu kaufen. Denn Afrika kommt, das ist sicher! Mit der Geschwindigkeit, mit der mein Daumennagel wächst, wird Afrika eines Tages die Straße von Gibraltar zugeschoben haben. Und was passiert dann mit dem Mittelmeer? Es hat keine Mittel mehr, um sich mit Wasser aus dem Atlantik zu versorgen und trocknet einfach aus. Die netten Fincas stehen dann auf einer Insel, die keine mehr ist. Dass so was schon mal passiert ist, sieht man an den Salzvorkommen in Südfrankreich. Irgendwann einmal gab es dort ein Meer, und vielleicht auch ein paar nette Häuschen auf Inseln.

Nein, ganz im Ernst, behalten Sie die verschiedenen Zeitskalen der Erdevolution im Auge: Einerseits die plattentektonischen Veränderungen auf einer Skala von Millionen und Abermillionen Jahren. Andererseits die Zeitskalen der klimatischen Veränderungen, sie liegen bei nur einigen 10.000 Jahren. Am schnellsten verlaufen lokale Veränderungen in der Geographie.

Konkurrenz und Kooperation, Variation und Selektion, alle Prinzipien der Evolution unterstehen der Hierarchie prozessualer Zeitskalen.

Was ich nun erzählen will, ist die Geschichte der Biomasse als Ganzes. Weil die Bedingungen stimmen, entsteht unglaublich viel Leben auf der Erde. Es ist genügend Platz da, und es ist warm. In dem nun beginnenden Erdzeitalter, dem Karbon, bildet sich eine Unmenge von Leben und Vielfalt aus. Übergroße Schachtelhalme, riesige Wälder mit himmelhohen Bäumen.

Nach den Gesetzen der Physik dürfte ein Baum nur zehn Meter hoch werden. Darüber hinaus zieht die Gravitation das Wasser, das er braucht, wieder runter. Wie kann der Baum dann 20 oder 30 Meter hoch werden? Weil er schwitzt. Der Baum schwitzt bis in die letzten Verästelungen seiner allerkleinsten Blättchen. Dieser Transpirationssog ermöglicht es dem Baum, höher zu wachsen. Toller Mechanismus, der aber bis heute nicht wirklich zufriedenstellend erklärt ist.

Bäume müssen im Karbon unglaublich erfolgreich gewesen sein, denn da wuchs eine prächtige, übervolle, saftige Welt heran, in der sogar die inzwischen entstandenen Insekten riesengroß werden konnten, weil sich die neue Technik der Tracheenatmung als unglaublich effizient erwies. Ein Leben in vollem Saft und mit bis zu 35 Prozent Sauerstoff in der Atmosphäre. Und was passiert, wenn zu viel Sauerstoff in der Luft ist? Sauerstoff ist chemisch hoch aktiv, er verbindet sich mit allem. Das nennt man Oxidation in seiner besonders heißen und schnellen Form: Feuer.

Der Planet Erde war damals ein Platz voller Leben und voller Feuer. Gewaltige Mengen an Biomasse sind wieder verbrannt. Es gab Überschwemmungen, die die Brände natürlich wieder gelöscht haben. Auslöser waren Gewitter, klar. Ein Blitz reichte. Zack. All diese natürlichen Vorgänge, die wir heute um uns herum erleben, waren auch damals schon da.

Damals muss die Welt vor Vitalität nur so gestrotzt haben, und zwar auf allen Ebenen. Und es sind riesige Steinkohleflöze entstanden, die größten Vorräte an fossilen Brennstoffen, die wir kennen. Erdöl und Braunkohle bildeten sich erst viel später.

Was hat das mit dem Anthropozän zu tun? Ganz einfach: Mit dem Verbrennen von Kohle und Erdöl holen wir heute uraltes Material aus dem Karbon nach oben und verpesten damit unsere Atmosphäre.

Im Jahr 2014 waren es 4,2 Milliarden Tonnen Erdöl und knapp 8 Milliarden Tonnen Kohle. Fragen Sie mich jetzt bloß nicht nach der CO2-Bilanz. 2013 hat die Menschheit durch die Verbrennung fossiler Energieträger mehr als 35 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre geblasen. Und es wird immer mehr, trotz Emissionshandel. Heute setzen wir in einem Jahr so viel Kohlenstoff im Erdboden in die Atmosphäre frei, wie die Natur in einer Million Jahren gespeichert hat.

Die empirischen Wissenschaften erzählen uns alles Mögliche über den Kosmos, den Aufbau der Materie, die Geschichte der Erde und vieles mehr. Aber was machen wir mit den Erkenntnissen? Sind die einfach nur nett, interessant oder etwa auch relevant? Was sind die Konsequenzen für unser Handeln? Was tun wir da eigentlich? Wir holen die 300 Millionen Jahre alte Vergangenheit aus dem Boden und verbrennen sie. Dabei setzen wir ein Molekül in die Atmosphäre frei, das Infrarotstrahlung, also Wärmestrahlung speichert. Das ist der vieldiskutierte Treibhauseffekt. Die Wärmestrahlung wird in der Atmosphäre absorbiert und eben nicht einfach ins Weltall zurückgestrahlt, sondern erhebliche Teile bleiben unten, sodass sich ein Spiegeleffekt ergibt. Die Strahlung wärmt die Erde auf – die Erde wärmt die Strahlung auf. Und so schaukelt sich das hoch.

Ohne unser emsiges Tun ruhte dieser Kohlenstoff noch in der Erde und der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre wäre nicht erhöht, abgesehen von leichten Schwankungen je nach vulkanischer Tätigkeit oder anderen natürlichen, zyklischen Prozessen, die dazu führen, dass mal mehr, mal weniger Kohlenstoff in die Atmosphäre gelangt. Das sind jedoch natürliche Kreisläufe auf langen Zeitskalen.

Seit ein paar Hundert Jahren allerdings wuselt der Mensch herum, wühlt und gräbt, verbrennt den Kohlenstoff und macht daraus Wärme. Im Gegensatz zum Kohlendioxid ist die aber ganz schnell verpufft.

Stellen Sie sich folgende Versuchsanordnung vor: Wir nehmen ein Kilogramm Kohle und verbrennen sie. Die enthaltene Wärmemenge ist genauestens messbar. Bei dem Verbrennungsvorgang wird Kohlendioxid frei, das in die Atmosphäre aufsteigt. Für die Beantwortung der schönen Frage, die sich daraus ergibt, brauchen Sie etwas Mathematik und Wissenschaft – Achtung!: Wie lange brauchen die frei schwebenden Kohlendioxidmoleküle, um die Wärmemenge in der Atmosphäre zurückzuhalten, die bei der Verbrennung des Kilogramms Kohle frei geworden ist?

Die Verbrennung geht flott, das Zurückhalten dauert einen Monat. Das Kohlendioxid bleibt aber viel länger in der Atmosphäre als nur einen Monat. Deswegen verursacht es eine 10.000 bis 100.000-mal größere Erwärmung als das Stück Kohle selbst. Oh, das ist aber unerfreulich. Genau!

Jedes Mal, wenn wir fossile Brennstoffe verbrennen, setzen wir eine Uhr in Gang. Die tickt unendlich langsam. Das Kohlendioxid verbleibt viele Jahrzehnte in der Atmosphäre, speichert die Energie nicht, sondern hält sie durch Absorption und Reemission zurück. Jeder Emittent von Kohlendioxid trägt automatisch zur allgemeinen Erwärmung der Lufthülle des Planeten bei.

Steinkohle ist 300 Millionen Jahre alt. Sie stammt aus einer Zeit, als das Leben mit einer brutalen Vitalität über den Planeten Erde herfiel. Das Leben ist im Karbon eindeutig über das Ziel hinaus geschossen. Zugleich hat es die Voraussetzungen für ein epochales Geschehen geschaffen, das spätestens im 19. Jahrhundert so richtig losgelegte – die Industrialisierung. Ohne die Steinkohle wäre die gar nicht möglich gewesen. Ohne das uralte Eisenerz auch nicht. Wissen Sie noch, wann das entstanden ist? Vor etwa drei Milliarden Jahren.

Hier geht es um Bodenschätze, die die Natur in unvorstellbar langen Zeiträumen geschaffen hat. Wir Menschen holen sie in Nullkommanichts aus dem Boden und verbrauchen sie ebenso in Nullkommanichts. Erst seit relativ kurzer Zeit wird uns langsam klar, was der Verbrauch dieser uralten Elemente eigentlich bedeutet.

Wir können heute erstmals die gesamte Erdgeschichte erzählen, – mit ein paar Lücken, keine Frage. Aber wir können sie plausibel erzählen. Das gelingt uns, weil wir davon ausgehen, dass die Naturgesetzlichkeiten, die wir durch Experimente herausgefunden haben, auch damals schon galten. Wir können sogar von vielen kleinen Einzelheiten erzählen, ja, sogar Prognosen machen: Oh, da ist eine Lücke, da erwarte ich eine bestimmte Übergangsform von Lebewesen. Und was soll ich Ihnen sagen, Relikte dieser Übergangsform werden gefunden.

Wir können das Alter von Fundstücken bestimmen mithilfe von etwas, was selbst nicht altert: mit Atomen, deren Kerne zerfallen. Wir benutzen die kausalen Ursache-Wirkungs-Ketten, die wir aus den empirischen Wissenschaften kennen. Wir machen Experimente, deren Ergebnisse reproduzierbar und damit geschichtslos sind. Sie sind überall auf der Welt wiederholbar, ganz egal, ob die Experimentierenden Veganer sind, ob sie an Gott glauben, ob sie Imperialisten, Kapitalisten oder Kommunisten sind. Völlig egal! Es kommen bei allen die gleichen Ergebnisse raus.

Mit diesen Ergebnissen gehen wir an die Rekonstruktion historischer Abläufe. Deswegen wissen wir, wie alt das Kohlenstoffmaterial ist, das wir da verbrennen. Wir wissen, was passiert, wenn wir Kohlenstoff oxidieren und welche Energiemengen dabei frei werden. Das alles wissen wir. Zumindest weiß das eine relativ kleine Gruppe, die sich mit Wissenschaft beschäftigt oder sich dafür interessiert. Wir verfügen über eine unglaubliche Menge an Erkenntnissen, die uns – und das ist absolut unvergleichbar im Reich der Lebewesen unseres Planeten – Handlungsoptionen offenlässt!

Fragt sich nur, was wir mit diesem Privileg anstellen.

Die Menschheit schafft sich ab

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