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Kapitel 10

KONTINENTALDRIFT

Im Gebiet des heutigen Mexiko, an der Küste der Yukatan-Halbinsel, schlug vor rund 65 Millionen Jahren ein ziemlicher Brocken ein. Den Kraterrand sieht man heute noch. Ab da war die Welt nicht mehr in Ordnung.

Die Druckwellen rasten über Land, durch Luft und Wasser rund um den Erdball. Der Himmel verdunkelte sich, weil beim Einschlag große Mengen an Erdreich pulverisiert und in die Atmosphäre geschleudert wurden. Die Landbewohner unter den Pflanzen und Tieren bekamen ernste Probleme. Je größer die Tiere, desto größer waren ihre Probleme.

Was für das Leben ein Armageddon war, juckte den Planeten wenig. Für die Kontinente, deren Herzschlag in Jahrhundertmillionen gemessen wird, verursachte der Treffer nur ein kleines Kitzeln. Die landbewohnenden Lebewesen verfügen über einen gewissen Energiehaushalt sowie ihre Bewegungsenergie. Aber die wirkliche Energieform auf dem Planeten Erde, die steckt in der Erde selbst. Erstens in ihrer Masse und zweitens in der Energie in ihrem Inneren, die vom heißen Anfang der Erde übrig geblieben ist. Sie kann nur durch Wärmeleitung nach außen transportiert werden. Wenn der Temperaturunterschied zwischen Innen und Außen zu groß ist, dann wird aus der Wärmeleitung Konvektion. Das heißt, das Material verflüssigt sich und beginnt zu strömen.

Temperaturgradienten beschreiben den Unterschied der Temperaturen verschiedener Orte. Solange er gering bleibt, läuft die normale Wärmeleitung ab, also Wärmeübertragung durch Berührung. Erst ab einer gewissen Größe des Gradienten fängt das Material an, sich zu bewegen und transportiert seine Temperatur fließend weiter. Wärmeleitung ist der Energietransport über kurze Distanzen – der kurze Transport. Die Konvektion ist der Transport über starke Bewegung und größere Entfernungen. Die Oberfläche der Sonne ist geprägt durch auf- und absteigende Gase, angetrieben durch die Konvektionsbewegungen in ihrem Inneren. Und im Inneren der Erde vollziehen sich ebenfalls solche Konvektionsströme. Sie steigen auf, kühlen sich ab und versinken wieder im Dunkel des Erdkörpers.

Warum erzähle ich das so ausführlich? Damit klar wird, auf welche Weise damals – während des Meteoriteneinschlags vor der Küste Mexikos – der indische Subkontinent in Richtung Eurasien unterwegs war. Und zwar richtig schnell.

Unter uns gesagt: Wenn es Indien nicht so schnell in Richtung Eurasien gezogen hätte, würde es uns nicht geben. Doch warum hat es ausgerechnet diese Kontinentalplatte so eilig gehabt? Nach neuesten Vermutungen könnte es eine andere Lithosphärenplatte gegeben haben, die aufgestiegen ist, den indischen Subkontinent angestupst hat und dann wieder untergegangen ist. Klingt nach Deus ex machina, dem Gott, der aus der Maschine kommt, weil man die Platte weder vorher noch nachher gesehen hat. Nur in diesem Moment hat sie Wirkung gezeigt und Indien angestupst.

Warum sich diese Platte auf den Weg nach Eurasien gemacht hat, wissen wir nicht genau. Fakt ist, sie drückte und drückt immer noch ganz gewaltig auf das asiatische Festland. Wobei das Land nicht als wirklich fest bezeichnet werden kann. Wie kräftig der indische Subkontinent immer noch schiebt, zeigen der Himalaya und die Erdbeben in Nepal. Dieses sowieso schon arme Land verliert durch das Zusammenpressen so auch noch Jahr für Jahr an Fläche.

Um das noch mal klar zu sagen: Die Bewegung dieser Lithosphärenplatten hat unter anderem etwas damit zu tun, dass die ozeanische Kruste, die schwerer ist als die Kontinentalplatten, an den Nahtstellen des Erdkörpers austritt und dabei auch die ozeanische Kruste unter der kontinentalen Kruste verschwindet. Das nennt man Subduktion. Sie treibt nicht nur die ozeanische Kruste an, sondern zugleich auch die leichteren kontinentalen Platten. Was hat das für Folgen?

Überlegen Sie mal. Die Meeresströmungen ändern sich. Da, wo eben noch das Meer wogte, ist jetzt ein Kontinent. Da muss das Meer schauen, wo es bleibt.

Wir sind jetzt in der Zeit von vor 25 oder 30 Millionen Jahren. Zur gleichen Zeit stoßen auf der anderen Seite des Globus zwei Kontinente zusammen, nämlich Nord- und Südamerika. An diesem Zusammenstoß lässt sich noch besser erkennen, was das für ein Meer bedeutet.

Stellen Sie sich vor, Sie wären damals um den Erdball gesegelt. Am besten entlang des Äquators, da ist es schön warm. Ihr Schiff wird durch einen herantreibenden Kontinent ein bisschen weiter nach Norden abgedrängt, kann aber nach wie vor weitersegeln. Dann stoßen vor Ihrem Segler zwei Kontinente zusammen, die den Weg versperren. Die mittelamerikanische Brücke hat sich gebildet. Ihnen bleibt nur, nach rechts abzubiegen. Und das macht auch das warme Wasser, es ändert seine Fließrichtung. Vor meinem geistigen Auge habe ich jetzt Nordamerika, Südamerika, dann die mittelamerikanische Brücke. Was macht das warme Wasser im Golf von Mexiko? Das Meerwasser aus dem Golfstrom – ups, jetzt hab ich mich verplappert – strömt nach Norden und wird zur Warmwasserheizung für das spätere Europa.

Blicken wir wieder auf die andere Seite des Planeten, nach Asien. Wenn ein Subkontinent wie der indische auf den euroasiatischen prallt, was verändert sich da? Die Meeresströmung, das ist schon mal klar. Aber noch etwas passiert: Wir haben auf einmal ein fast 9.000 Meter hohes Gebirge. Diese Barriere wirkt sich natürlich auch auf die Luftströmungen aus. Ein besonders bemerkenswertes Phänomen sind die Strömungen, die im jahreszeitlichen Verlauf große Mengen Regen von einem Ort zum anderen bringen, wie zum Beispiel der Monsun. Die Erwärmung des Landes und die Erwärmung des Wassers gleichen sich aus. Auf mehr Details will ich gar nicht eingehen. Folgen Sie mir nur bei dem Gedanken, dass das Auftauchen eines knapp 9.000 Meter hohen Gebirges mit einem dahinter liegenden tibetanischen Hochland nicht nur eine geologische Veränderung ist, sondern auch Veränderungen in der atmosphärischen Zirkulation mit sich bringt. Sogar in Afrika und Europa wurde es trockener. Auch in Teilen von Asien.


Heutige Lage der Lithosphärenplatten der Erde.

Damit Sie verstehen, warum Ihnen heute ein Wissenschaftler, selbst noch staunend, solch unglaublichen Dinge erzählen kann, muss ich zeitlich nochmal an den Anfang der Erdgeschichte zurückgehen.

Die Quelle der inneren Wärmeenergie der Erde führt dazu, dass sich an ihrer Oberfläche Kontinentalplatten bewegen. Dass die Erde auch heute noch an ihrer Oberfläche geologisch aktiv ist, hat mit einem Ereignis zu tun, das ganz am Anfang ihres Lebens stand: der Entstehung des Mondes.

Der Erdtrabant war durch den Einschlag eines Massekörpers auf die Erde entstanden, der mindestens doppelt so schwer war wie der Mars. Wir bezeichnen ihn als Planetoid, ein Körper, der selbst ein Planet hätte werden können, wenn er nicht mit der Erde zusammengestoßen wäre. Der Impaktor hatte auch einen Eisenkern. Bei dem Einschlag ist dieser Eisenkern ins glühende Erdinnere abgetaucht und hat damit unserem Heimatplaneten eine Zusatzheizung verpasst.

Woher man das weiß? Man kann sich einen anderen Planeten anschauen, der fast so schwer ist wie die Erde, aber keine solche Zusatzheizung hat: die Venus. Auf der Nachbarin gibt es zwar auch Vulkanismus, aber keine Plattentektonik. Auch sonst sieht es für die Entwicklung von Leben auf der Venus schlecht aus.

Lassen Sie uns nun einen Moment innehalten und die wichtigen Punkte zusammenfassen. Die Entstehung des Homo sapiens aus den verschiedenen Hominiden- und Primatenfamilien ist überhaupt erst dadurch zustande gekommen, dass sich das Klima in Afrika, Europa und Asien grundlegend verändert hat. Das ist darauf zurückzuführen, dass der indische Subkontinent mit sehr hoher Geschwindigkeit auf den euroasiatischen Kontinent prallte und damit die Meeresströme verändert hat. Ohne diese globalen Veränderungen gäbe es uns nicht. Unsere Existenz hängt im wahrsten Sinne des Wortes mit den Geburtswehen der Erde zusammen.

Im Grunde genommen geht es uns mit der Betrachtung der Naturgeschichte, die auch zur Entstehung des Menschen führte, so wie jemand, der zum ersten Mal ein Bild sieht und das jetzt als Kunstkritiker bewerten soll. Da entdecken wir vielleicht Symbole, wo der Künstler gar keine hingemalt hat. Oder wir sehen Zeichen, die nur durch Zufall entstanden sind, etwa weil dem Maler der Pinsel abgerutscht ist.

Wir müssen also auf der einen Seite aufpassen, dass wir solche erdgeschichtlichen Rekonstruktionen nicht überbewerten, auf der anderen Seite haben wir aber mit den empirischen Wissenschaften die Möglichkeit, der Ursache-Wirkungs-Kette so lange nachzugehen, wie es die Empirie erlaubt.

Es ist selbst für mich als Naturwissenschaftler immer wieder aufs Neue einfach nur großartig, dass wir die Vorgeschichte der Menschen heute so umfassend dokumentieren können. Die urzeitlichen geologischen, klimatischen und evolutionären Prozesse sind unmittelbar mit unserer eigenen Entstehungsgeschichte verbunden. Hey, diese ganze kosmische und komische Erdgeschichte hat tatsächlich mit mir zu tun. Meine und Ihre Existenz hängt ursächlich mit sogar kleinsten und scheinbar zufälligen Fügungen in der Erdgeschichte zusammen. Mit diesem Wissen und Bewusstsein müssen wir unser eigenes Handeln in dieser Welt neu bewerten.

Genau das wollen wir in den folgenden Kapiteln versuchen, die sich explizit mit dem Anthropozän und insbesondere der Präsenz des Homo sapiens in den letzten Jahrhunderten beschäftigen. Es ist wie eine lange Geschichte zu einer kurzen Zeit.

Die Menschheit schafft sich ab

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