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Kapitel 6

SAUERSTOFF – DAS TÖDLICHE GIFT

Früher war nicht alles besser, wirklich nicht. Schon ganz am Anfang hat das Leben sich selbst gefressen. Wer immer konnte, hat seinen Nachbarn verschlungen und sich damit das einverleibt, was an Energie in unmittelbarer Umgebung zur Verfügung stand. Man hat sich praktisch lokal ernährt. Dabei haben die Exemplare überlebt, die schneller, pfiffiger und durchsetzungsstärker waren.

Währenddessen hatte sich die Erde immer weiter verändert. Es regnete, ach was, es schüttete wie aus Kübeln, ununterbrochen brachen Vulkane aus, junge Kleinst-Kontinente zerbrachen, stießen zusammen und ihre Teile drifteten auf glutflüssigem Untergrund rund um den Globus. Irgendwann erreichte das Leben aber den Zustand eines dynamischen Gleichgewichts, denn es passierte nicht viel Neues. Bakterien, die sich gegenseitig verschlingen.

Irgendwann, rund zwei Milliarden Jahre nach der Entstehung der Erde, muss es dann wohl passiert sein: Irgendeiner dieser bakteriellen Prototypen des Lebens hat sich auf einmal eine völlig neue Energiequelle erschlossen, indem er das Licht der Sonne anzapfte. Das muss zu einer Zeit gewesen sein, als sich endlich der dichte Schleier der Atmosphäre zu lüften begann und Sonnenstrahlen den Weg auf die Erdoberfläche fanden. Neue lichtdurchflutete Zeiten brachen an, sodass die Cyanobakterien sich mehr und mehr für die Sonnenstrahlen erwärmen konnten. Diese Bakterienart war es, die die berühmte Photosynthese auf der Erde entwickelte, einen außerordentlich komplizierten Vorgang, der bis heute noch nicht ganz nachvollziehbar ist.


CYANOBAKTERIEN

Cyanobakterien, hier als Feuertang, waren die ersten Lebewesen auf der Erde, die sich für das Sonnenlicht erwärmen konnten.

Das Entscheidende für unser weiteres Fortkommen als Lebewesen ist hinlänglich bekannt: Die Energie der Sonne wird bei der Photosynthese in Zuckermoleküle und Sauerstoff verwandelt. Sauerstoff entpuppte sich für alle Lebewesen außer den Cyanobakterien als tödliches Gift. So kam es zum größten Massensterben, das dem Phänomen Leben auf der Erde jemals widerfahren ist. Gleichzeitig wurden jedoch die Weichen in Richtung Überleben gestellt: Atme Sauerstoff oder du stirbst! Bis auf ganz wenige Ausnahmen, die sich gerade noch so durchmogeln konnten, war das jetzt das neue Lebensmotto.

Die Entwicklung der Photosynthese stellt einen richtungsweisenden Meilenstein auf dem Weg des Lebens dar. Mit der Oxidation hatte sich das Leben eine neue Energiequelle für Milliarden Jahre gesichert. Genau das ist es, worum es im Leben geht: ständig mithilfe sich wiederholender, stabiler chemischer Prozesse Energie freizusetzen, die den Stoffwechsel aufrechterhält – hier haben wir die Essenz des Lebens.

Dass es Sie und mich gibt, hängt ursächlich damit zusammen, dass wir Sauerstoff atmen. In unserem Körper läuft ein Prozess ab, bei dem aus Sauerstoff freie Energie gewonnen wird, und diese Energie brauchen und verbrauchen wir, um am Leben zu bleiben. Zuerst aber blieben das Leben und der Sauerstoff noch im Wasser. Die Cyanobakterien erzeugten und erzeugen noch heute mithilfe des Sonnenlichts Zuckermoleküle und setzen dabei Sauerstoff frei. Im Wasser der Ur-Ozeane oxidierte der Sauerstoff alles. Es entstanden unlösliche Eisenerze, die auf den Meeresboden sackten und sich als sogenannte gebänderte Kieseleisenerze in kilometerdicken Schichten ablagerten.

Schauen wir uns die nächsten Milliarden Jahre im Zeitraffer an. Selbst nach über einer Milliarde Jahre praktizierter Photosynthese im Wasser war noch nicht viel Sauerstoff in die Atmosphäre gelangt. Der meiste Sauerstoff blieb im Meer und wurde dort chemisch zur Eisenoxidation genutzt. Die biochemischen Kreisläufe führten zu einem immensen Wachstum an Bakterien. Sonst passierte eigentlich nichts. Blicken wir mit dem Fokus auf das Leben auf die gesamte Erdzeit, dann existieren in 90 Prozent der Zeit nur Bakterien und Einzeller. Bakterien ohne Zellkern, die Prokaryoten, und die 10.000-mal größeren Eukaryoten oder Eukaryonten mit einem Zellkern.

Unermüdlich wurde weiterhin fleißig freier Sauerstoff produziert. Irgendwann gelangte das Gas auch in die Atmosphäre. Die Lufthülle unserer Erde reicherte sich mehr und mehr mit Sauerstoff an. In einer bestimmten Höhe, so in 14 bis 15 Kilometern, passierte nun etwas mit den Sauerstoffmolekülen, was für die weitere Entwicklung des Leben von existenzieller Bedeutung war: Es bildete sich Ozon.

Milliarden Jahre, nachdem die Natur die Photosynthese eingeführt hat, um aus dem Licht der Sonne Zuckermoleküle und Sauerstoff zu erzeugen, war ein atmosphärischer Schutzschild entstanden, der seitdem die Fähigkeit besitzt, die ultraviolette, zerstörerische Strahlung der Sonne abzuweisen. Man könnte fast meinen, dass sich das Leben auf einen Landgang irgendwann in ferner Zukunft vorbereitet hat. Wieder Milliarden Jahre später erscheint ein zweibeiniges Lebewesen auf der Erde, das mittels besonderer Fähigkeiten in der Lage ist, Moleküle zu erfinden, die die Ozonschicht zerstören: Fluorchlorkohlenwasserstoff, kurz FCKW genannt.

Im Jahr 1929 wird FCKW zum ersten Mal als Kühlmittel eingesetzt und alle sind begeistert, denn mit den neuen Kühlanlagen halten sich Nahrungsmittel viel länger und sogar Gebäude können im heißen Sommer gekühlt werden. Wieder einmal ist es dieser einzigartigen Spezies Mensch gelungen, sich vor natürlichen, aber für sie nachteiligen Eigenschaften ihrer Umgebung zu schützen.

Das Langzeitrisiko von FCKW wurde erst Jahrzehnte später offenbar, nämlich von der Perspektive des Weltraums aus. Der Blick von außen hat uns erkennen lassen, was wir mit unserer Erde und unserer Atmosphäre anrichten. Wir haben in einer relativ kurzen Zeitspanne einen lebenswichtigen Schutzmantel zerstört, für dessen Aufbau unser Planet seit Milliarden von Jahren Sauerstoff erzeugt und freisetzt und daraus die Ozonschicht bildet.

Den Erfindern des FCKWs ist kein Vorwurf zu machen. Woher sollten sie damals wissen, welche Auswirkungen dieses Molekül auf die Ozonschicht hat? Heute wissen wir es und haben Ersatzstoffe entwickelt, die zwar die Ozonschicht verschonen, aber wieder neue Probleme aufwerfen: Sie sind noch stärkere Treibhausgase als Kohlendioxid und Methan. Das alte Risiko ist durch ein neues ersetzt worden.

Trotz der Schwierigkeiten, ungefährliche Ersatzstoffe für das FCKW zu finden, können wir konstatieren, dass die Menschheit damals ziemlich schnell auf die globale Gefahr reagiert hat. Das kam mit dem Montreal-Abkommen von 1987. Die wissenschaftlichen Fakten waren klar: Die Fluorchlorkohlenwasserstoffe zerstören unsere Ozonschicht. Zwei Jahre später stand das Abkommen. Es wurde tatsächlich entschieden, FCKW abzuschaffen.


OZONLOCH ÜBER DER ANTARKTIS

Laut NASA-Wissenschaftler Pawan Bhartia hat sich das Ozonloch über der Antarktis – jeweils im September aufgenommen – stabilisiert und verbessert sich langsam. Es gilt jetzt sicherzustellen, dass es wie erwartet heilt.

Die Menge an Ozon abbauenden Stoffen (ODS) in der Atmosphäre hat in den letzten Jahren aufgehört zu steigen und nimmt tatsächlich ab. FCKW und andere Ozon zerstörende Substanzen können sich noch jahrzehntelang in der Luft halten.

Im Jahr 1979, als Wissenschaftler gerade zu verstehen begannen, wodurch das Ozon zerstört wird, erreichte die Ausdehnung des Ozonlochs über der Antarktis 1,1 Millionen Quadratkilometer, bei einer Ozonkonzentration von 194 Dobson-Einheiten. Im Jahr 1987, als das Montrealer Protokoll unterzeichnet wurde, dehnte sich das Ozonloch über ein Fläche von 22,4 Millionen Quadratkilometern aus. Die Ozonkonzentration sank auf 109 Dobson-Einheiten. Bis zum Jahr 2006, dem schlechtesten Jahr, betrug die Ausdehnung 29,6 Millionen. Im Jahr 2011, dem letzten Jahr mit einem kompletten Datensatz, hatte das Ozonloch eine Ausdehnung von 26 Millionen Quadratkilometern, die Konzentration lag bei 95 Dobson-Einheiten.

Selbst nach der kompletten Einstellung aller FCKW-Emissionen verbleibt das Gas zwischen 44 bis 180 Jahren in unserer Atmosphäre.

Die Menschheit hat gezeigt, dass sie auf Herausforderungen schnell reagieren kann. Das sollte uns eigentlich Hoffnung machen für all die anderen schwerwiegenden Probleme, die unserer Erfindungskraft und dem stetig wachsenden globalen Einfluss der Spezies Mensch geschuldet sind, denn wir sind der Homo faber, der schaffende Mensch.

Dieser Zusammenhang zwischen der Photosynthese aus grauer Vorzeit und den Fluorchlorkohlenwasserstoffen, die dann viel, viel später die Ozonschicht zerstörten, zeigt uns, welche Hebel der Menschheit zur Verfügung stehen. Wir sind in der Lage, Technologien zu entwickeln, die Stoffe freisetzen, die evolutionäre Prozessketten der Erde nachhaltig stören können.

ERDZEITALTER

Die Erdzeitalter auf einen 24-Stunden-Tag heruntergerechnet. Danach

streift der Homo sapiens erst seit 4 Sekunden über den Planeten Erde.

Bis heuteverstrichene Zeit(in Millionen Jahren)ErdgeschichtlicheEreignisseAuf einen Tag umgerechnet
Verbleibende Zeit bis TagesendeUhrzeit
0,01 (Holozän)Ackerbau und Viehzucht0,2 s23:59:59,8
0,19 (spätes Pleistozän)Homo sapiens3,6 s23:59:56,4
2 (frühes Pleistozän)Homo habilis38 s23:59:22
7 (spätes Miozän)„Vormenschen“2 min 15 s23:57:45
20 (frühes Miozän)Menschenaffen6 min23:54
40 (Eozän)Affen12 min23:48
60 (Paläozän)Primaten18 min23:42
200 (früher Jura)Säuger1 h 5 min22:55
315 (spätes Karbon)Amnioten1 h 40 min22:20
360 (spätes Devon)Landwirbeltiere1 h 55 min22:05
425 (Silur)Knochenfische2 h 15 min21:45
470 (Ordovizium)Wirbeltiere2 h 30 min21:30
600 (Ediacarium)Bilateria3 h 10 min20:50
1500 (Mesoproterozoikum)Eukaryoten7 h17:00
2400 (Neoarchaikum)Photosynthese13 h11:00
3800 (Eoarchaikum)Einzeller20 h04:00
4570 (Hadaikum)Erde24 h00:00
Die Menschheit schafft sich ab

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