Читать книгу Die Toten am Kleistgrab - Harro Pischon - Страница 10
8 Mittwoch
ОглавлениеMenzel fuhr auf der Greifswalder Straße nach Weißensee. In der Wohnung der Czerny war auch ein Bruno Weninger gemeldet, offenbar ein Freund oder Lebensgefährte des Opfers. Telefonisch hatte Menzel einen Termin vereinbart, an dem er den Mann in der Wohnung antreffen konnte.
Es passte ihm gar nicht, dass er sich um den Umkreis der Czerny kümmern musste, hatte ihn doch der Charme der Schauspielerin auch nicht gleichgültig gelassen. In ihrem Privatleben herumzustöbern erschien ihm fast anstößig. Und Beate mit ihrem leicht proletarischen Auftreten konnte sich mit den Herren der Kleistgesellschaft amüsieren, wo er doch viel besser hinpasste.
Menzel parkte den Dienstwagen, er hatte den neuen A 4 ergattert, vor dem Haus an der Ecke Bizet- und Mahlerstraße. Die Eckbalkone erinnerten ihn an den Film „Sommer vorm Balkon“.
Die Wohnung lag im dritten Stock. Nachdem er geklingelt hatte, dauerte es eine Weile, bis sich die Tür öffnete. Vor Menzel stand ein knapp fünfzigjähriger Mann, gekleidet mit betont lässiger Eleganz und mit einem Seidenschal um den Hals. „Weninger – und Se san der Herr Kommissär“, sagte der Mann in der Tür und streckte die Hand zum Gruß aus. „Menzel“, sagte der Kommissar und stöhnte innerlich. Er konnte die gedehnte, verschleppte und vernuschelte Sprechweise der Wiener nicht ausstehen.
„Darf ich hereinkommen?“
„Aber natürlich, entschuldigen'S, dass ich Sie so lang stehen lass, bittschön!“ Weninger führte Menzel in die Wohnung, die karg, aber sehr geschmackvoll eingerichtet war. Menzel sah sich anerkennend um. „Sie sind Innenarchitekt?“
„Danke für das Kompliment, aber nein. Ich bin Kunsthändler und Galerist. Das wollten Sie doch wissen. Setzen Sie sich doch, darf ich Ihnen was zu trinken anbieten? Kaffee? Oder gehören Sie zur Grünteefraktion?“ Weninger steuerte auf einen Eichenholztisch zu, Menzel bat um ein Mineralwasser.
„Schrecklich, die G'schicht mit Kathi. Ich kann's immer noch nicht fassen. Wissen Sie denn schon etwas?“
Menzel verneinte und bezähmte seinen Unmut über den ungeliebten Dialekt.
„Sie haben mit Frau Czerny hier zusammengelebt?“
„Ja, eh. Im letzten Jahr hab ich für uns diese Wohnung gekauft und eingerichtet.“
„Hatte Frau Czerny hier ein eigenes Zimmer?“
„No, des derfens glaub'n. Ohne ihren eigenen Bereich hätt ich sie nie hierher locken können. Sie brauchte ihre Rückzugsmöglichkeit zum Telefonieren, Mails schreiben, auch zum Rollenstudium.“
„Kann ich das Zimmer mal sehen?“
Weninger schmunzelte. „Müsst ich jetzt nicht die Frage stellen, ob Sie einen Durchsuchungsbeschluß haben, oder?“
Menzel reagierte unwirsch: „In einem schlechten Roman vielleicht. Es handelt sich aber um das Zimmer eines Opfers. Ich will ja nicht Ihr Zimmer sehen, falls Sie hier eins haben.“
Weninger antwortete nicht, öffnete eine Tür, die in das Balkonzimmer führte und ließ Menzel alleine. Dem war etwas unwohl, als überschritte er eine Grenze, die er in der Phantasie gerne verletzt hätte, aber nun stand er wirklich in ihrem Zimmer. Er hatte erwartet, dass eine Schauspielerin ihre Porträts und Rollenfotos an die Wand hängt. Es gab zwar viele Fotos, aber keine, die auf Eitelkeit schließen ließen. Allenfalls ließ sich aus den Bildern ihre Entwicklung als Schauspielerin erschließen. So gab es Fotos mit als Vögel maskierten Jugendlichen – offensichtlich eine frühe Schulaufführung, außerdem fotografierte Plakate, Theatersäle, Regisseure mit Widmung. Eines der letzten erschien Menzel merkwürdig: Zu sehen war ein Haus an einem Fluss, im Hintergrund Hügel, fotografiert vom Ufer, am Geländer lehnten zwei Frauen und ein Mädchen, offensichtlich vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, kein Text. Menzel stand vor einem Schreibtisch mit Telefon und einem Netzkabel, aber nicht das dazugehörende Notebook. Er rief Weninger.
„Herr Weninger, wo ist Frau Czernys Notebook?“
„Ich hab keine Ahnung, Herr Kommissär.“
„Sie haben es nicht an sich genommen?“
„Dann hätt ich ja eine Ahnung, natürlich nicht.“
Menzel zeigt auf das alte Foto des Hauses am Fluss: „Und dieses Foto – was zeigt es, wissen Sie das wenigstens?“
„Also da hab ich eine Ahnung, wenn auch nicht mehr.“
„Und?“
„Es hat mit Kleist zu tun und liegt, glaub ich, in der Schweiz. Aber da müssten Sie schon Dehmel fragen. Nur, das geht ja wohl nicht mehr. Oder Sie fragen einen Kleistkenner. Ich glaub, sie ist da vor kurzem hingefahren.“
„In die Schweiz? Mit Dehmel?“
„Ich glaub schon.“
„Da stellt sich mir die Frage, wie Ihre Beziehung war – in der letzten Zeit?“
„Ja, was soll ich sagen, - ich hab sie geliebt.“
„Und sie?“
„Wissen Sie, die Kathi war extrem auf Anerkennung aus. Das ist ja für eine Schauspielerin nichts Ungewöhnliches. Aber sie hat auch privat sehr gern geflirtet und Männer verrückt gemacht. Ich hab bei ihr immer an Marlene Dietrich im „Blauen Engel“ gedacht: Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt...“
Menzel knüpfte an: „Männer umschwirren mich wie Motten das Licht...“
„Ja, sie brauchte das, aber es war eigentlich nie etwas Ernstes.“
„Und in letzter Zeit?“
„Ja, in letzter Zeit, da war sie eben oft mit diesem Dehmel zusammen und ist ja sogar mit ihm verreist.“
„Und das hat Sie nicht gestört?“
„Natürlich hab ich mich aufg'regt. Vorwürfe hab ich ihr gemacht, was sie sich denkt, mir Hörner aufzusetzen.“
„Und?“
„Ja, was, und? Gelacht hat sie und sich auf meinen Schoß gesetzt und gesagt: 'Brunolein, mach dir keinen Kopf. Das ist nur vorübergehend, es ist bald vorbei.'“
„Und Sie waren es zufrieden?“
Weninger brauste nun auf: „Ja, was glauben denn Sie ? Hätt ich sie sollen hinauswerf'n? In Gatsch hau'n?“
„In was bitte?“ Menzel riss sich mühsam zusammen.
„In den Dreck schmeißen. Ich habe keine Ahnung, worum es dabei ging, warum sie sich mit diesem Dehmel zusammengetan hat. Vielleicht hat es ja mit dem Theater zu tun oder mit Kleist, ich weiß es nicht.“
„Vielleicht hat sie sich ja nur wegen Dehmel mit Dehmel zusammengetan“, ergänzte Menzel süffisant. Weningers Miene erstarrte und seine Augen verengten sich zu Schlitzen.
Menzel klappte sein Notizbuch zu: „Sie wissen schon, dass sie damit zum Kreis der Verdächtigen gehören. Wo waren Sie denn in der Nacht vom Samstag auf Sonntag?“
„Ja, tut mir leid, mit einem – wie sagt man – hieb- und stichfesten Alibi kann ich nicht dienen. Am Abend war ich in der Galerie am Rosenthaler Platz und danach hier zu Hause. Und - nein, Zeugen gibt es dafür nicht. Ich war überall alleine.“
Menzel stand auf. „Das wäre es dann fürs erste, Herr Weninger. Ich nehme an, Sie haben nicht vor, in den nächsten Tagen die Stadt zu verlassen?“ Bruno Weninger schüttelte nur den Kopf und ging zur Tür. Menzel konnte es sich nicht verkneifen, die alte Masche anzuwenden, drehte sich vor dem Verlassen der Wohnung noch einmal um und fragte mit gespielter Beiläufigkeit: „ Ach, übrigens, Herr Weninger, was für ein Auto fahren Sie eigentlich?“
„Ach, Sie meinen, ob ich damit...?“
„Ja, ich meine, ob Sie damit...also?“
„Ich hab einen alten Ford Galaxy, einen Van. Muss oft Bilder transportieren oder auch mal Skulpturen.“
„Einen Van also, soso. Vielen Dank auch und auf Wiedersehen.“
Menzel ging die Treppe hinunter und war sich bewusst, dass ihm der Galerist nachschaute. Dem würde er ohne Weiteres zutrauen, seine Geliebte zu beseitigen, wenn er erführe, dass sie ihn betrügt. Wieder etwas für den Runden Tisch im Präsidium. Beim Verlassen des Hauses fiel ihm gegenüber ein Schild mit goldener Schrift auf: „Alte Fleischerei“. Bürgerliche Küche und ein gepflegtes Bierchen, das konnte seinen Ärger besänftigen. Nach dem zweiten Pils wurde ihm klar, dass er sich vor allem ärgerte, dass neben der Ehefrau des Opfers nun noch ein zweiter Verdächtiger auftauchte. Aber noch war nicht aller Tage Abend und die Runde gegen Beate noch nicht verloren.