Читать книгу Die Toten am Kleistgrab - Harro Pischon - Страница 15

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Was für ein Unglück, wenn Wünsche in Erfüllung gehen“, dachte René Beauchamps. Er stand auf dem Balkon seiner Wohnung im Bonhoefferufer und blickte über die Spree auf den Charlottenburger Schlosspark. Schon als junger Mann hatte er von einer Wohnung in dieser Straße geträumt. Etliche Jahre nach seinem Medizinstudium und seiner Ausbildung zum Psychoanalytiker konnte er sich den Traum erfüllen und eine Wohnung kaufen. Er mochte die Wohnung, auch wenn er sie nun alleine bewohnte, er liebte den Ausblick. Doch der Anblick des nach Versailler Vorbild gestalteten Parks konnte seinen Kummer nicht dämpfen.

Oft hatte er sich in den letzten Jahren seiner Ehe gewünscht, Anita möge nicht mehr da sein. Und nun war es eingetreten. Immer wieder lief die Szene in seiner Erinnerung ab, die Fahrt auf der Autobahn, der linken Spur, plötzlich der Schatten über der Leitplanke, ein Wagen flog auf sie zu, der Aufprall auf der rechten Seite, das Splittern von Glas, das Knirschen von Blech, das Drehen und Überschlagen ihres Autos und dann Dunkelheit.

Anita hatte den Unfall nicht überlebt, er wachte im Krankenhaus auf, mit mehreren Brüchen und einem massiven Schleudertrauma, das ihm immer noch – nach drei Monaten - starke Schmerzen bereitete. Um die Schmerzen nicht chronisch werden zu lassen, hatte er inzwischen in begrenztem Umfang seine Arbeit wieder aufgenommen und behandelte einige Patienten.

Seine Schuldgefühle konnte er notdürftig beiseite schieben. Ab und zu sprach er mit Friedrich, seinem alten Lehranalytiker, darüber. Der beschimpfte ihn, was er sich einbilde, dass seine Gedanken oder Wünsche etwas mit dem Tod von Anita zu tun hätten. „Dein Kummer hat etwas mit deinem Versäumnis zu tun, dich zu behaupten, dich gegebenenfalls zu lösen“, hatte er gemeint. Außerdem habe er, René, ja wohl Anita auch geliebt, sonst hätte die Beziehung nicht so lange gehalten. Er solle trauern, verarbeiten und weiter leben, statt sich einem narzisstischen Wahn hinzugeben. Und wenn er sich schon etwas wünsche, dann etwas, vor dessen Eintreten er keine Angst zu haben brauche.

Nein, es gab zurzeit nichts, was er sich wünschte, außer die Schmerzen loszuwerden, wieder beweglich zu sein, zu laufen, zu wandern, Fahrrad zu fahren, wieder ins Kino oder ins Theater gehen zu können und das längere Sitzen auszuhalten.

Die Kleistgesellschaft kam ihm da nur gelegen. Der seltsame Tod von Richard Dehmel lenkte seine Gedanken ab. Was für eine merkwürdige Inszenierung, ihn mit einer jungen Schauspielerin ans Kleistgrab zu legen, was für ein theatralischer Aufwand. Sicher hatte Melanie Mattwey-Dehmel hinreichend Grund, sich für die Affären ihres Mannes zu rächen, aber würde sie einen solchen Aufwand betreiben? Und wer hätte ihr dabei geholfen? Das gleiche galt ja für eine von Richards Liebschaften, die auf die Czerny hätte eifersüchtig sein können.

Das Thema Kleist schien etwas mit dem Tod Dehmels zu tun zu haben. Weshalb sonst das Kleistgrab? Und es war möglich, dass es etwas mit dem Projekt Kleist und Guiskard zu tun hatte. Denn Dehmel hatte daran gearbeitet. Was hatte Dehmel entdeckt, war er auf einer Spur? Und wer hatte von einer solchen Entdeckung erfahren? Ein Kollege? Thorsten Wolters? René hätte zu gerne gewusst, ob die Polizei etwas in Dehmels Unterlagen oder Aufzeichnungen entdeckt hatte. Vielleicht kam ja die Frau Hauptkommissarin noch einmal auf ihn zu. „Eine nette, offene Person“, dachte René, „mit Sinn für Humor, aber auch mit einem traurigen Einschlag. Woran sie wohl zu tragen hatte?

Musst du schon wieder in anderer Leute Privatleben herumschnüffeln?“, schalt er sich. „Was geht dich eine Berliner Polizistin an?“

Nun lass mal gut sein, widersprach er seiner inneren Stimme. Man wird sich ja wohl noch für eine Frau interessieren können.

„Ach nein, der Herr Witwer hebt schon wieder den Kopf und sieht sich um. Schäm dich!“ Er schämte sich nicht und wünschte sich ein Treffen. Nur des Falles wegen, versteht sich.

Die Toten am Kleistgrab

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