Читать книгу Die Toten am Kleistgrab - Harro Pischon - Страница 3
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Оглавление„Mister Sandman, bring me a dream, make him the cutest, that I've ever seen...“ Dieser Klingelton ist unmöglich, dachte Beate Lehndorf beim Aufwachen. Noch dazu am Sonntag, einem dienstfreien Sonntag, wenn Ausschlafen angesagt war. Benni muss mir bald einen anderen einstellen, ich habe keine Lust, mich mit diesen Dingern abzugeben. Sie lächelte, weil sie an ihren früheren Leib- und Magenspruch dachte, wenn es um Handys ging: Nur Dienstboten sind immer zu erreichen. Aber eine Kriminalhauptkommissarin ohne Handy ging inzwischen gar nicht mehr.
„Was gibt's?“, krächzte sie verschlafen. Und es folgte das übliche Wo? und Ich komme! Sie würde später Petra anrufen, dass sie sich um Ben kümmern solle. Beide waren das schon gewohnt. Nur dass sie wieder nicht dazu kam, den versprochenen Sonntagsausflug zum Tempelhofer Feld zu machen und mit Benni auf der ehemaligen Startbahn zu skaten.
Nach wenigen Minuten stieg sie in ihren alten verblichenen Golf, der sie aber noch nie im Stich gelassen hatte. Am Insulaner vorbei fuhr sie zur B1, die nach Wannsee führte. Am frühen Sonntagmorgen war fast niemand unterwegs. Sie schob eine CD ein und hörte Kantaten mit dem Countertenor Andreas Scholl. Zwei Tote am Kleistgrab? Hatte da ein Liebespaar dem Dichter nachgeeifert? War es die Inszenierung eines Doppelmörders? Die Leitstelle hatte natürlich keine genauen Angaben machen können.
Beate hatte im letzten November von der Renovierung des Kleistgrabs gelesen. Sie wusste, dass er 200 Jahre vorher zusammen mit einer Frau aus dem Leben geschieden war. Aber als Autor war er ihr nicht nahe. Wohl kannte sie aus der Schulzeit „Michael Kohlhaas“, den damals – für eine Dresdner Schule - radikalen Kämpfer gegen das feudale Unrecht seiner Zeit. Und jüngst war sie im Theater gewesen und hatte den „Zerbrochenen Krug“ gesehen, mit Edgar Selge, den sie mochte. Seine Figur des einarmigen Tauber im „Polizeiruf“ mit ihrer mürrischen Eigenbrötlerei hatte sie erheitert. Als nackter Dorfrichter Adam auf der Garderobentheke, umringt von den auf Einlass wartenden Zuschauern, hatte er sie zum Lachen gebracht.
Sie bog nach der Bahnunterführung am Wannsee in die Bismarckstraße ein. Nach wenigen hundert Metern hielt sie hinter den Streifenwagen und den Dienstwagen der Spurensicherung. Am frühen Sonntagmorgen war es in der Straße noch ruhig, ohne Neugierige. Sie bog in den schmalen Pfad zum Grab ein. Die Blitzlichter des Polizeifotografen flammten immer wieder über die anderen weißgekleideten Spurensucher des Tatorttrupps. Menzel war auch schon da. Oberkommissar Wolfgang Menzel, ihr Kollege, 45 Jahre alt, Bremer, und immer in feinstes Tuch gekleidet. Er konnte nur schwer mit der Tatsache umgehen, dass eine Frau ihm vorgesetzt war. Vielleicht war er deshalb seit langem hinter Beate her.
„Morgen, Wolfgang, was wissen wir?“
„Guten Morgen, Frau Hauptkommissarin, Traber ist noch dran.“ Josef Traber, der Gerichtsmediziner, war über die Toten gebeugt und sprach in ein Diktiergerät. Beate wusste, dass es keinen Zweck hatte, ihn zu stören. Er hätte nur die Falten in seinem Gesicht durch das Hochziehen der Brauen vermehrt und ihr einen unwilligen Blick aus seinen Echsenaugen zugeworfen.
Überraschend stand er auf, drehte sich um und sprach Beate an: „Jedenfalls ist es nicht das, wonach es aussieht.“
Menzel mischte sich ein: „Also kein gemeinsamer Freitod, wie bei Kleist.“
Die Echsenaugen hefteten sich kurz auf Menzel, als ob sie sagen wollten, er solle seinen Ehrgeiz nicht so lärmend offenbaren.
„Das Arrangement legt es nahe. Die Frau lehnt am Gitter und hat eine Schusswunde in der Brust. Der Mann hat eine tödliche Wunde in der rechten Schläfe. Er liegt auf dem Schoß der Frau und neben seiner rechten Hand eine Pistole.“
„Aber es ist fast kein Blut zu sehen“, staunte Beate Lehndorf.
„Sie sagen es, Frau Hauptkommissarin.“
„Also ist dies nicht der Tatort, nur der Ablageort.“
„Eben dies.“
„Und der Mörder wollte es so aussehen lassen, wie den historischen Freitod“, fügte Menzel hinzu, um wieder ins Gespräch zu kommen.
„Oder die Mörderin“, sagte Beate. „Jeder der beiden kann einen eifersüchtigen Partner gehabt haben.“
„Wie der Gatte von Henriette Vogel“, schmunzelte Traber, „der aber wohl unschuldig war. Sie entschuldigen mich, morgen wissen wir mehr.“ Er schloss seine altmodische Arzttasche und schritt zur Straße.
„Wer hat die beiden eigentlich gefunden?“, wollte Beate wissen.
„Ein junges Mädchen auf dem Heimweg“, sagte Menzel, „wir haben sie erst einmal nach Hause geschickt, sie wohnt ein paar Häuser weiter. Sie hat aber nichts weiter gesehen, schon gar keinen Verdächtigen.“
Beate trat vor die Toten. Die Frau war noch jung, zwischen 25 und 30 Jahren vielleicht, ausnehmend hübsch, eine beeindruckende Figur – Beate seufzte etwas - blonde, lockige Haare, das weiße Kleid altmodisch, es erinnerte an ein Kostüm, hochgeschlossen, schmale Taille und
unten weit geschnitten. Ihr Gesicht hatte einen Ausdruck der Verwunderung, der Überraschung. Der Mann lag inzwischen neben ihr, er war deutlich älter, um die fünfzig, leicht korpulent, wohl frisierte, graue Haare.
„Weiß man, wer sie sind?“, fragte Beate. Menzel schüttelte den Kopf. „Sie haben keine Papiere bei sich.“
„Wie sind sie hierher gebracht worden?“ - „Es gibt nur zwei Möglichkeiten: über die Bismarckstraße oder auf dem Wasser.“
„Und auf dem Weg am Seeufer?“
„Man kommt zwar von hier zum Seeufer hinunter, da steht auch eine Bank, aber man kommt nicht weiter. Das Grundstück ist von den beiden Ruderclubs eingeschlossen. Ich glaube mich zu erinnern, dass die Gymnasien, die hier rudern, sich weigerten, einen Weg am Ufer freizugeben.“
Beate hob den Kopf, als nähme sie Witterung auf. „Ja, wir sind hier in Zehlendorf, dem reichen Südwesten Berlins.“
„Außerdem ist es reichlich schwierig, die Stufen von da unten zu überwinden“, Menzel wies auf die Treppen auf dem gewundenen Pfad vom Ufer. „Ich nehme an, sie wurden von der Straße hierher geschafft.“
„Und selbst das ist für eine Person nicht leicht zu bewerkstelligen. Vielleicht mit einer Schubkarre.“ Beate seufzte. „Es müsste schon ein großer Zufall sein, wenn in einer Nacht zum Sonntag jemand etwas gesehen hätte, einen Kombi oder Van.“
„Es sei denn, jemand war auf dem Nachhauseweg wie die kleine Isabel, aber früher.“
„Also müssen die Anwohner befragt werden. Du organisierst das?“
Menzel nickte, er konnte jemand aus der Abteilung beauftragen. Viel schwieriger war die Identifizierung der Toten. Da sollte sich die Frau Hauptkommissarin mal etwas einfallen lassen. Er würde ja die Presse...
Beate wandte sich zu Menzel: „Ich werde Fotos der Gesichter an die Presse geben. Irgendjemand wird sie bestimmt kennen. Kann auch sein, sie werden schon vermisst.“
Inzwischen waren die Träger der Gerichtsmedizin angekommen und hoben die Toten in die Transportbehälter, die Frauen und Männer der Kriminaltechnik waren noch nicht fertig, sodass der Fundort noch gesichert werden musste. Die beiden Kommissare gingen zu ihren Autos. Beate telefonierte vor dem Abfahren mit ihrer Nachbarin. So schnell würde sie heute nicht nach Hause kommen. Aber Benni war einiges gewohnt und mit seinen fünfzehn Jahren alt genug.