Читать книгу Die Toten am Kleistgrab - Harro Pischon - Страница 14

Er

Оглавление


Sie haben es verdient! Beide haben sie es verdient zu sterben. Hab ich ihnen doch noch einen Gefallen getan, dass sie einen Ehrenplatz erhalten haben am Grab des Großen, des Überragenden, des Heiligen.

Kleine macht- und ruhmbesessene Seelen, das waren sie, so haben sie sich gezeigt. Wie Schweißhunde sind sie hinter dem Manuskript hergeschnobert, haben sich schon ausgerechnet, welche Preise, Auszeichnungen sie einheimsen könnten, eitle, feige Taktierer um ein bisschen Anerkennung der Meute da draußen, genauso gierig nach Sensationen, nach etwas Neuem, das ihre öden Tage belebt.

Ja, ich habe es in der Hand, ich habe es gelesen und wenn ihr mich in Ruhe lasst, dann schenke ich es euch – vielleicht. Denn ich bin der Jagd müde und der Verstellung und der Gewalt. Ich bin so müde. Wie soll ich aus diesem Irrgarten herausfinden? Langsam bin ich so weit, dass ich auch sterben möchte.

Obwohl ich es gerne auf der Bühne sähe, dieses unfassbare Trauerspiel, mit Massenszenen wie einst unter Max Reinhardt, mit Rauch und Flammen, mit visuellen und olfaktorischen Reizen, mit erschütternden Figuren, ein Stück Theater, wie es nicht einmal in der Postmoderne zu sehen ist.

Ja, der alte Wieland hatte Recht, dass dieses Stück aus einer Vereinigung der Geister von Äschylus, Sophokles und Shakespeare entsprungen sein könnte. Dabei war Wieland ein Greis seiner Zeit, er konnte die Modernität gar nicht wahrnehmen und mochte – wie Goethe – die Verzweiflung nicht an sich heranlassen. Denn der „Guiskard“ war keine Tragödie mehr, kein aussichtsloser Kampf eines tragischen Helden gegen das Schicksal, die Götter, die Konventionen. Es war eine Zerlegung, ach, ein Zersprengen der aristotelischen Tragödie und ihres Personals. Robert Guiskard, das war ein bewunderter Krieger, ein Held, ein Erlöser in den Augen des Volkes – bis sich herausstellte, dass er die Pest hatte, dem Tod geweiht war und dass er ein rücksichtsloser Machtmensch war, eroberungslustig, arrogant, verschlagen. Einer der so war, wie Napoleon später werden sollte. Ein Schauspiel hat er dem Volk vorgespielt, sich auf die Pauke gestützt, dass keiner etwas merken sollte. Mit Verrätern aus Byzanz hat er paktiert, die ihm die Stadt übergeben wollten, würde er nur Kaiser werden und nicht seine Tochter, die legitime Erbin. Und sein Sohn Robert? Ein missgünstiger, von Hass auf das Volk erfüllter Gnom, vom alten Guiskard bevorzugt, aber ohne Charisma, ohne Rückhalt. Des jungen Robert Gegenspieler, der legitime Herrschaftsanwärter Abälard scheint zunächst eine positive Figur, der Liebe und Mitleid mit dem unter der Pest leidenden Volk im Mund führt, letztlich aber auch nur ein gewiefter Rhetoriker ist. Als der junge Robert die Flotte anzündet, um die ersehnte Rückkehr unmöglich zu machen, liefert sich Abälard noch eine Redeschlacht mit Robert, um dann zu verschwinden. Für eine Nachfolge des Herrschers taugen sie beide nicht. So bleiben am Ende der alte Greis Armin und Helena, die Tochter, übrig. Sie sollen das Volk wieder nach Italien, nach Sizilien führen. Aber wie? Die Schiffe sind verbrannt, neue können nicht gebaut werden, es bleibt nur der beschwerliche Landweg. Ob sie jemals ankommen werden? Hier endet das Manuskript, ohne Erhebung, ohne Erhabenheit, ohne Hoffnung. Ein modernes Stück, das die Verzweiflung des jungen Kleist widerspiegelt, eine Verzweiflung, die hundert Jahre später und bis heute die Intellektuellen prägt.

Und er, er hat euch gefoppt, hat vorgegeben, alles verbrannt zu haben. Ja, gut, er wollte danach nichts mehr davon wissen. Aber konnte er behaupten, alle seine früheren Äußerungen seien erlogen gewesen? Was hätten alle über ihn und seine Briefe gedacht – Ulrike, Marie, Pfuel und die anderen? Natürlich war es damals ein unspielbares Stück, er wollte es deklamieren, vortragen. Ja, und? Lessing hat seinen „Nathan“ auch als Lesedrama, als dramatisches Gedicht bezeichnet und nie daran gedacht, es könnte einmal auf einer Bühne gespielt werden.

Ich bringe euch diese Kostbarkeit und ich erwarte, dass ihr es dankbar und mit gesenkten Häuptern entgegennehmt! Wehe euch, wenn nicht!

Die Toten am Kleistgrab

Подняться наверх