Читать книгу Die Toten am Kleistgrab - Harro Pischon - Страница 4
3 Montag
ОглавлениеSchon am Sonntagabend wurde durch einen Anruf die Identität der Opfer geklärt. Die Zeitungsboten auf den Straßen und in Restaurants hatten die Montagsausgabe verkauft, mit dem Aufruf sich zu melden, falls jemand eine der abgebildeten Personen kennt. Beim Landeskriminalamt rief Melanie Mattwey-Dehmel an und erkannte ihren Mann auf dem Foto, den Literaturwissenschaftler Richard Dehmel. Sie erkannte auch die getötete Frau, bei der es sich um die Schauspielerin Katharina Czerny handele, sie spiele des Öfteren am Anton-Tschechow-Theater, Angehörige seien ihr nicht bekannt. Melanie Mattwey-Dehmel wurde gebeten, am Montag zur Identifizierung ihres Mannes in die Rechtsmedizin zu kommen. „Also geheult hat se nich gerade“, meinte Klaus Zepf, der diensthabende Kommissar, als er Beate informierte.
Um 10:30 Uhr traf sich Beate mit Melanie Mattwey-Dehmel in der Turmstraße am Eingang zum Gerichtsmedizinischen Institut. Aus dem Taxi stieg eine sehr gepflegte Frau Mitte fünfzig, groß, rot gefärbte Haare, dezenter Goldschmuck. Sie wirkte beherrscht, kontrolliert. „Bringen wir es hinter uns“, sagte sie zu Beate, nachdem diese sie begrüßt hatte. Sie gingen in einen vorbereiteten Raum, in dem der Wagen mit der zugedeckten Leiche stand. Josef Traber, der Rechtsmediziner, nickte Beate zu, warf einen prüfenden Blick auf die Ehefrau und hob das Tuch ein wenig an, sodass das Gesicht zu sehen war. Ohne eine Miene zu verziehen, sah Mattwey-Dehmel ihren Mann an, nickte kurz und verließ den Raum. Beate folgte ihr und fragte auf dem Flur: „Ich brauche Ihre ausdrückliche Bestätigung. Ist es Ihr Mann?“
„Ja, das ist Richard“, sagte Melanie Mattwey-Dehmel. „Wie ist er gestorben? Hat er sich selbst getötet? Nachdem er....?
„Die Ergebnisse der Obduktion liegen noch nicht vor. Aber es bestehen durchaus Zweifel an einem Selbstmord.“
Die Lider der Mattwey-Dehmel flatterten.
„Muss ich die Czerny auch noch identifizieren?“
„Nein, das müssen Sie nicht. Wir werden herausfinden, ob es Angehörige oder andere Menschen gibt, die ihr nahestanden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich noch mit Ihnen sprechen könnte. Sie können uns wichtige Hinweise geben.“
„Ich habe meine Stunden ohnehin für heute abgesagt, hätte also Zeit. Ich bin Gesangslehrerin. Wo sprechen wir?“
„Am besten fahren wir ins Präsidium, ich kann Sie gerne mitnehmen.“ Beate führte sie zu ihrem alten Golf.
„Im Fernsehen fahren Kommissare immer die neuesten Modelle. Ist das Ihr Dienstwagen?“, fragte die Mattwey-Dehmel maliziös.
„Ah, Sie vergessen den Kieler Tatort, da fährt der Kommissar einen alten Passat privat wie im Dienst – so wie ich“, konterte Beate. „Haben Sie kein Auto?“
„Doch, aber im Stadtverkehr ist es mir zu mühselig. Da nehme ich lieber ein Taxi. Oder lasse mich von der Polizei fahren.“
Beate registrierte wohl, wie Melanie Mattwey-Dehmel versuchte, herablassend zu sein. Entweder kompensiert sie den Schock der Konfrontation mit ihrem toten Gatten oder sie hält mich für unbedarft, dachte sie.
Am Fehrbelliner Platz angekommen, wo auch die Mordkommission 115 im LKA beheimatet war, gingen sie in das Büro von Beate.
„Möchten Sie etwas trinken?“, fragte Beate.
„Nur wenn der Kaffee besser ist als in Fernsehkrimis“, spielte die Mattwey-Dehmel weiter.
Beate spielte mit. „Die Automaten mit dem Spülwasser gibt es wirklich nur in mäßigen Krimis. Pads machen auch ordentlichen Kaffee.“ Sie füllte frisches Wasser ein und bereitete zwei Tassen zu.
„Was hat Ihr Mann mit dem Kleistgrab zu tun?“, fragte sie.
„Nun, er ist Literaturwissenschaftler an der FU Berlin und stellvertretender Vorsitzender der KGB.“
„Der was?“
„Der Kleist-Gesellschaft-Berlin. Richards Spezialgebiet war Kleist, insbesondere die Dramen. Ich nehme an, Sie kennen wenigstens den „Zerbrochenen Krug.“
Beate sagte zu dieser Unverschämtheit nichts, neigte nur den Kopf. „Und Frau Czerny? In welchem Verhältnis stand sie zu Ihrem Mann?“
„Das kann ich Ihnen nicht sagen. Sie haben sich in letzter Zeit wohl öfter getroffen. Was sich dabei abgespielt hat, weiß ich nicht.“
„Nun, sie war eine junge, sehr hübsche Person.“
„Wenn Sie glauben, ich sei eifersüchtig gewesen, dann irren Sie gewaltig. Richard und ich wussten, was wir aneinander hatten. Das kann eine kleine Schauspielerin nicht ändern.“
„Und doch wurden beide als Liebespaar im gemeinsamen Tod dargestellt.“
„Ich habe dafür keine Erklärung.“
„Frau Mattwey-Dehmel, unter diesen Umständen könnte man Sie für verdächtig halten.“
„Sie irren auch hier. Ihr Verdacht steht Ihnen doch auf die Stirn geschrieben. Meinen Sie etwa, ich falle auf Ihre aufgesetzte Freundlichkeit herein?“
„Was haben Sie gestern Abend und in der Nacht gemacht?“
„Sie dürfen mich auf Ihre Fall-Tafel schreiben. Ich war zu Hause – allein. Mich nach einem Film zu fragen ist sinnlos. Ich habe Musik gehört und habe gelesen. Gegen Mitternacht bin ich zu Bett gegangen.“
„Vielen Dank für das Gespräch, Frau Mattwey-Dehmel. Bitte halten Sie sich zu unserer Verfügung.“ Beate begleitete sie zur Tür und sah ihr nach, wie sie aufrecht den Gang hinunterschritt. Warum zeigt sie kein Gefühl?, dachte sie. Verbirgt sie ihren Hass, ihre Eifersucht und ihre Kränkung, um sich nicht zu verraten? Oder muss sie dominieren? Sie wird uns noch beschäftigen.