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Kapitel 9

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Beate saß an ihrem Notebook und recherchierte über „Das wahre Leben“. Die Seite war professionell gestaltet, ohne modernistischen Schnickschnack, auch ohne die süßlichen Christusbildchen, mit denen manche Bibelpropheten warben. Offensichtlich hatte die Sekte auch Grafiker als Mitglieder. Als Menüeinträge waren Variationen zu dem Adjektiv „wahr“ eingetragen: „Die wahre Liebe“, „Der wahre Reichtum“, „Die wahre Gesundheit“, „Das wahre Wissen“. Als Publikation wurde „Das wahre Wort“ angepriesen und konnte monatlich bestellt werden. Als Guru der Sekte firmierte „Der Hirte“, dessen bürgerlicher Name nicht erwähnt wurde. Es war nur ein Bild zu sehen, auf dem ein etwa 80-jähriger, weißhaariger Mann zu sehen war, merkwürdigerweise vor einer Art Zirkuswagen, dem „Gotteswagen“, wie die Bildunterschrift behauptete. Das Telefon klingelte und Circea fragte, ob sie kommen könne. Beate erklärte ihr, wie sie fahren und dann laufen müsse. Dann richtete sie Benjamins Zimmer und Bett für die junge Frau her. Eine Dreiviertelstunde später klingelte es. Circea stand vor der Tür, mit einer Plastiktüte in der Hand und einem schiefen Lächeln. „Komm rein“, sagte Beate und zog sie in den Flur, „schön, dass du gekommen bist.“ Sie zeigte ihr die Wohnung, die Küche mit einem Tisch, an dem zwei Menschen essen konnten, das Bad, Beates und Benjamins Zimmer und eine Art Wohnzimmer mit einem Sofa, einem Fernseher und einer Stereoanlage. Das ist auch eine Art Gästezimmer, aber du kannst Bennis Zimmer nehmen. Vor den Osterferien kommt er nicht nach Berlin. „Wie kommt es, dass er in Dresden zur Schule geht? Wenn ich das fragen darf.“

„Letzten Sommer wurde ich bei einem Einsatz schwer verletzt und fiel für ein halbes Jahr aus, war in einer Reha-Klinik an der Ostsee. Da boten sich meine Eltern an, Benjamin aufzu­nehmen.“ Circea ging zum Fenster ihres neuen Zimmers und sah hinaus. „Es ist so friedlich hier.“ Beate wollte die Stimmung etwas auflockern und fragte: „Na, hast du dich von Klärchen verabschiedet?“ Als sich Circea umdrehte, sah Beate, dass eine plötzliche Röte ihr Gesicht überzog. Sie nickte nur versonnen. „Ach, ihr jungen Menschen“, dachte Beate etwas neidisch. Dann streckte sie die Hand nach dem Mantel aus und meinte: „Gib das schwere Ding her, ich hänge es auf. Ich denke, Benni hat noch einen Winteranorak hier gelassen. Der müsste dir besser passen als dieses Riesending. Und dann gehst du erstmal duschen. Willst du noch eine Kleinigkeit essen?“ Circea nickte. „Ich mach dir ein paar Brote, bis du fertig bist.“

Sie schloss die Badezimmertür hinter sich, streifte ihre Kleider ab und stellte die Dusche an. Im ersten Augenblick erschrak sie, weil das Wasser zunächst kalt war und kalte Duschen gehörten zu den milderen Strafen, denen sie ausgesetzt gewesen war. Als das Wasser heißer war, stellte sie sich darunter und sah zu, wie sich ihre Haut rötete. Sie seifte sich üppig mit einem Duschgel ein, das nach Grapefruit roch. Danach trocknete sie sich mit einem großen Badetuch ab. Sie seufzte vor Wonne, zog sich neue Wäsche an und ging in die Küche. Beate saß am Tisch und las, auf dem Platz gegenüber stand ein Teller mit belegten Broten, Tomaten und Gurkenscheiben. „Magst du einen Tee?“, fragte Beate, „einen Kräutertee?“ „Danke, gern“, sagte Circea. Beate goss Wasser auf einen Teebeutel und sah zu, wie Circea die Brote aß bis auf den letzten Krümel. „Du brauchst heute nichts mehr zu erzählen“, meinte Beate. „Du kannst gerne gleich schlafen, wenn du möchtest. Ich habe morgen früh Dienst. Wenn du rechtzeitig wach bist, können wir zusammen frühstücken. Ich hab dich jetzt einfach geduzt. Geht das in Ordnung?“ Circea nickte. „Dann duz mich bitte auch. Du gehörst jetzt zur Familie.“

Sie ging in ihr Zimmer. Auf dem Bett lag ein Nachthemd, offensichtlich von Beate. Sie zog sich aus, streifte den weichen Baumwollstoff über und deckte sich seufzend zu. Ihr Blick streifte über Plakate, die das illuminierte Brandenburger Tor zeigten mit einem Logo „Festival of Lights“. Sie murmelte noch: „Tschüs, Klärchen, schade, dass mir der Wächter in den Kopf kam. Bist eine gute Seele. Mach's gut.“ Dann stürzte sie in einen tiefen Schlaf.

Der Gotteswagen

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