Читать книгу Der Gotteswagen - Harro Pischon - Страница 18
Virginia
ОглавлениеEin neuer Keller, eine neue Zelle. Sie haben uns schon das dritte M al verlegt. Immer mit einem Kartoffelsack über dem Kopf und gefesselt in einem geschlossenen Lieferwagen. Ich fühle mich allein, einsamer als je zuvor. Schon lange habe ich nichts mehr von Amira oder von Circea gehört, kein Klopfen, kein Kratzen – nichts. Vielleicht sind sie schon – erlöst? Fast beneide ich sie. Ich halte noch aus, weiß nicht, woher mein Körper die Kraft nimmt. Oder ist es nicht der Körper? Ist es die Weigerung, eine Schuld einzusehen, die man mir eingeredet, aufgezwungen hat? Was habe ich um Gottes Willen getan? Was werft ihr mir vor? Was mein Vater über mich gesagt hat, verbreitet hat? Ich sei ein von Grund auf verderbtes Kind, vom Satan besessen und von ihm dafür bestimmt, fromme Seelen wie die seine ins Verderben der fleischlichen Lust zu locken?
Papa, ach, Papa, was hab ich dir getan? Ich war nichts anderes als ein Mädchen, das seine Eltern, das dich, meinen Papa, von Herzen geliebt hat! Bestand mein Vergehen darin, dass ich versucht habe, dir meine Liebe auszudrücken, indem ich dich geherzt und geküsst und umarmt habe? Oh ja, ich habe wohl bemerkt, dass du in den Umarmungen steif geworden bist, dass du meine Küsse abgewehrt hast. Oft genug habe ich mir Vorwürfe gemacht, es sei nicht genug, es sei nicht richtig, wie ich meine Gefühle ausdrücke. Mama hat mir gesagt, ich solle beten, dass meine Gefühle erhört würden, wenn ich nur genügend bete, würde alles gut werden. Es wurde aber nicht gut. Es wurde nur schlimmer. Irgendwann schaute mich Mama an, und ich fühlte, wie sie dachte: Sie betet nicht genug, sie betet nicht aufrichtig. Wenn Hans-Dieter ihre Liebe nicht fühlt, ist es nicht seine Schuld, sie ist nicht aufrichtig, ist nicht fest im Glauben.
Ja, das mag ja sein, ich weiß nicht, was das heißt, fest im Glauben zu sein. Ich weiß nur, dass ich meine Eltern geliebt habe, meinen Papa und meine Mama. Aber sie haben mich der Inquisition übergeben, und ich wurde zum irdischen Fegefeuer verurteilt, zur Austreibung des Bösen aus meiner Seele und aus meinem Leib. Und ich weiß, dass ich das nicht überlebe, dass ich das nicht überleben soll. Oh Gott! Wenn es dich gibt, warum weißt du nicht, was wahr ist? Hörst du mich nicht? Es sind doch nicht nur meine Rufe, es sind doch viele, die dich rufen wie ich! Gott, mein Gott, hast du mich verlassen? Ich, Virginia, lege mein Schicksal in deine Hände, mein Leben. Ich habe solchen Durst.