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Kapitel 11

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Am nächsten Morgen fiel seit Stunden Schnee auf die Stadt. Die Räumfahrzeuge ratterten durch die Straßen. Beate kochte sich einen Kaffee. Circea schlief noch. Beate hatte die Tür einen Spalt geöffnet und hineingeschaut, unter der Decke lugten nur ihre kurzen, blonden Haare hervor. Sollte sie sich ausschlafen und zur Ruhe kommen. Beate hängte einen Anorak mit Kapuze von Benjamin an die Garderobe und ging zu ihrem alten Golf. Der tat noch immer klaglos seinen Dienst, nachdem ihr Mechaniker, Mark Bauer, den Wagen während ihrer Abwesenheit vor seiner Werkstatt im Wedding aufgebockt und noch einmal durchgesehen hatte, als sie zurückkam. Sie mied die Stadtautobahn, den kürzesten, aber meist verstopften Weg und fuhr über Steglitz durch den Schlangenbader Tunnel. Bei der für neun Uhr angesetzten Lagebesprechung würde sie die Bombe platzen lassen, dass eine Zeugin aufgetaucht war. Aber Beate würde nicht erwähnen, dass Circea bei ihr wohnte. Das war sie schon ihrer Sicherheit schuldig, abgesehen davon, dass es garantiert gegen alle möglichen Vorschriften verstieß. Sollte Circea in ihrer Wohnung etwas zustoßen, war das sicher das Ende ihrer Laufbahn. Sei's drum, vorderhand musste es niemand erfahren.

Um neun Uhr saßen alle aus dem Team an dem ovalen Tisch im Besprechungsraum. Am Kopfende glänzte Wolfgang Menzel vor Wohlgefallen über seine Rolle als Teamchef. Er war wie immer in feinsten Zwirn gekleidet, anthrazitfarben mit feinen Streifen, dazu eine hellblaue Seidenkrawatte mit Einstecktuch. Neben ihm saß Isolde Riesendahl, die Sekretärin mit ihrer haarlackgefestigten Frisur, spielte mit ihrer schwarzen Brille und genoss ihre Position zur Rechten des Chefs, endlich eines Mannes, der diesen Rang verdiente. Scheck lächelte Beate zu. Er lebte inzwischen mit Andrea, der Verlagsassistentin, zusammen. Die Beziehung mit der forschen jungen Frau tat ihm gut. Er hatte sichtlich an Selbstbewusstsein gewonnen. Kira, die Kommissaranwärterin, zupfte ihre üppigen Locken zurecht und wischte an ihrem Tablet herum. „Guten Morgen, alle miteinander“, eröffnete Menzel die Sitzung. „Fangen wir damit an, was die Recherchen ergeben haben. Scheck und Kira, bitte!“

Die beiden mussten eingestehen, dass sie keine neuen Erkenntnisse über die beiden toten Mädchen bieten konnten. Weder war ihre Identität klar noch ihre Herkunft, auch eine Vermisstenanzeige aus früheren Jahren lag nicht vor. „Es scheint, als hätte es die beiden offiziell nicht gegeben“, sagte Scheck resigniert. „Sie kommen wie aus einer Parallelwelt.“

Beate holte Luft. „Ich meine, Scheck hat Recht. Die Mädchen kommen tatsächlich aus einer Parallelwelt, nämlich aus einer abgeschotteten und in Teilen totalitären Sekte.“

„Woher willst du das denn wissen?“, fuhr Menzel auf. Beate antwortete trocken: „Bei mir hat sich eine Zeugin gemeldet, die die beiden Mädchen kannte.“

„Und das erfahre ich jetzt erst?“, erregte sich Menzel.

„Ja, wann denn sonst?“, gab Beate zurück. „Hätte ich dich gestern Abend oder nachts noch anrufen sollen?“

„Beate, erzähl mal, wie das mit dieser Zeugin abgelaufen ist“, vermittelte Scheck.

„Nun, vorgestern Abend rief mich hier im Büro eine junge Frau an und wollte mir etwas zu den toten Mädchen sagen. Sie verabredete sich für den gestrigen Mittag mit mir - hier in der Nähe. Dort erschien sie aber nicht, weil sie misstrauisch war, ob sie von uns reingelegt würde. Sie ist aus ihrem Gefängnis geflohen und wird wohl verfolgt oder gesucht. Sie rief kurz danach noch einmal an und wir machten einen Treffpunkt gestern Abend aus. Dort erzählte sie mir, dass sie einer Sekte angehöre, die „Das Wahre Leben“ heißt. Sie ist untergetaucht. Ich habe ihr meine Telefonnummer gegeben und gebeten, dass sie mich wieder anruft, um mehr über ihre Geschichte und die Sekte zu erfahren. Die beiden Mädchen hießen in der Sekte wohl Amira und Emilia, die untergetauchte junge Frau wird Circea genannt. Offensichtlich sind viele Mitglieder so abgeschottet von der Außenwelt, dass sie – vor allem unter ihren Sektennamen – niemand mehr bekannt sind.“

„Und warum hast du sie nicht mit hierher gebracht?“, herrschte sie Menzel an.

„Sie würde nie mit auf ein Präsidium gehen, Wolfgang“, beruhigte ihn Beate, „sie hat große Angst, dass sie von sogenannten Wächtern entdeckt und zum Schweigen gebracht wird. Nach ihrer Aussage sind diese Wächter in allen Bereichen der Gesellschaft zu finden – sogar in der Polizei.“

„Und wie willst du wieder an sie rankommen? Bist du jetzt davon abhängig, dass sie sich meldet?“

„Ich fürchte, ja. Verständlicherweise hat sie kein Handy auf ihrer Flucht dabei. Ich habe schon überlegt, ihr beim nächsten Mal ein Prepaidhandy zu geben, damit wir sie erreichen können. Vielleicht sollten wir auch sammeln, damit wir ihr etwas Geld geben können. Ich bin sicher, sie hat keine Ahnung, wie sie an Geld kommen kann.“ Beate hatte bewusst diese Verschleierung angesprochen. Falls im Team Geld gesammelt werden sollte, würde sie das selbstverständlich aufbewahren und nach dem Fall zurückgeben. Aber ihre Geschichte wurde so noch realistischer.

„Können wir ihr nicht eine sichere Wohnung anbieten?“, überlegte Menzel, der mehr Einfluss geltend machen wollte. „Dann wäre sie versorgt und wir könnten jederzeit mit ihr Kontakt aufnehmen.“

„Ich fürchte, Circea wird da nicht mitmachen“, sage Beate. „Ich bin schon froh, dass sie mir halbwegs vertraut.“

„Na gut, aber ansprechen kannst du es beim nächsten Mal ja“, insistierte Menzel. „Das bedeutet, dass zunächst jeder im Team seine Recherchen auf diese Sekte konzentriert. Ich will alles über diese Leute wissen, was sie machen, wo sie aktiv sind, wer dazu gehört!“

„Eines sollte ich noch erwähnen“, sagte Beate. „Die junge Frau meinte, es würden wohl noch mehrere Menschen in diesen Privatgefängnissen gefangen gehalten. Sie bat uns, alles dafür zu tun, um sie zu befreien und ihr Leben zu retten.“

„Auch das noch!“, stöhnte Menzel. „Jetzt sollen wir nicht nur Mörder fangen, sondern auch noch Gefangene befreien und Leben retten wie bei Tarantino. Aber es hilft nichts, an die Arbeit, Leute! Morgen wieder hier, gleiche Stelle, gleiche Welle.“

Der Gotteswagen

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